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Ein gemeinsamer Blick auf die Nutzenden: Die 7. Conference on User Experience in Libraries, UXLibs VII

6. bis 8. Juni 2023 in Brighton, Vereinigtes Königreich
  • Sina Menzel

    Sina Menzel

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Published/Copyright: November 8, 2023
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1 Hemdsärmelig und methodenkritisch

„Einen einzigen Nutzenden zu fragen ist um 100 % besser als gar keinen zu fragen.“ Mit diesem Zitat frei nach Steve Krug[1] stieg Andy Priestner, Initiator der Konferenz, in seine Begrüßungspräsentation der mittlerweile siebten UXLibs Konferenz ein. Mit vollem Namen die „Conference on User Experience in Libraries“, ist die UXLibs seit 2015 eine der ganz wenigen internationalen Konferenzen zu angewandter Benutzungsforschung in Bibliotheken. UX steht dabei für User Experience, also die Nutzungserfahrung.

Viele Zuhörende von Priestners Eröffnungsvortrag kannten das Zitat sicherlich gut. Der zitierte Steve Krug gilt auch für Benutzungsforschung in der Bibliothekswelt als Koryphäe für Nutzenden-Zentrierung. Doch dann, direkt auf der nächsten Folie, relativiert Priestner den Satz: Er weist auf die Limitierung von Befragungen hin, z. B. weil es schwer zu überprüfen sei, welche Rolle die angenommene soziale Erwünschtheit bestimmter Antworten für die Befragten gespielt habe. Nicht-verbale Methoden aus dem Bereich der Ethnografie (z. B. das sogenannte Cognitive Mapping) könnten hier entgegenwirken.

Der Ansatz, der hinter Krugs Aussage steht, passt allerdings trotzdem sehr gut zur UXLibs Konferenz – hemdsärmelig und humorvoll wird in sämtlichen Konferenzbeiträgen großer Wert auf Praxisorientierung gelegt. Wie Priestners kleine Methodenkritik aber auch zeigt: Die 7. UXLibs ist trotzdem alles andere als unwissenschaftlich. Die neuesten Publikationen werden diskutiert und anhand von realen Anwendungsbeispielen kritisch auf Praxistauglichkeit hin beleuchtet. 2023 geschah dies mit besonderem Fokus darauf, dieses Wissen in jeder Hinsicht zu teilen. Unter dem Konferenzmotto „Connections and Collaborations“, also etwa „Verbindungen und Zusammenarbeit“, starteten drei Konferenztage voller Erfahrungsaustausch vom 6. bis 8. Juni 2023 in Brighton (Südengland).

2 Vernetzt und kooperativ

Wie aber diese Zusammenarbeit starten? Dafür brauche man zunächst Überzeugungskraft innerhalb der eigenen Einrichtung, meinte Emma Thompson (UB der Manchester Metropolitan University). Mit dem Satz: „Denken Sie, als hätten Sie ein Unternehmen!“, forderte sie dazu auf, mit Überzeugungsstrategien für die Wichtigkeit von Benutzungsforschung einzustehen.

Wie Bibliotheksmitarbeitende mit Verantwortung für Benutzungsforschung genau das umsetzen, hat die kanadische Kollegin Shelley Gullikson (UB der Carleton University, Ottawa) erforscht. In Interviews mit Kolleginnen und Kollegen wissenschaftlicher Bibliotheken aus fünf Ländern fand sie heraus, dass niemand ein erfolgreiches UX-Projekt innerhalb einer Bibliothek als Einzelperson realisieren konnte. Erfolge stellten sich nur dann ein, wenn die Leitungsebene und die entscheidungstragenden Abteilungen dem Projekt aufgeschossen gegenüberstanden und von Beginn an einbezogen wurden. Dafür, diese Aufgeschlossenheit zu erreichen gäbe es leider kein Patentrezept. Wie alle zwischenmenschlichen Faktoren komme es dabei auf die bilaterale Kontaktpflege und Empathie im Kollegium an. Ihr Resümee für erfolgreiche Zusammenarbeit in der Benutzungsforschung fiel daher so aus: „Probieren Sie immer weiter aus und konzentrieren Sie sich auf das, was funktioniert!“

3 Kreativ und demokratisch

Besonders erfreulich war dieses Jahr die Präsenz von Öffentlichen Bibliotheken auf der Konferenz. In ihrer Keynote stellte Marie Østergård (Leiterin der Aarhus Public Libraries, dazu gehört auch die berühmte Dokk1 Bibliothek) ihren Blick auf die Bedeutung von Nutzenden-Einbeziehung dar. Bibliotheken seien zentrale Träger-Orte von Demokratie. Dazu gehöre als zentrales Element, ein sich wandelnder Ort zum Experimentieren und Co-Kreieren gemeinsam mit den Nutzenden zu sein. Die dafür nötigen Schritte dafür teilte Dokk1 bereits 2015 mit der Bibliothekswelt durch die Mitwirkung am (sehr empfehlenswerten) Design Thinking Toolkit for Libraries.[2] Außerdem müsse sich die Bibliothek als Ort für Partnerschaften öffnen. Die Dokk1 Bibliothek führe inzwischen 60 % ihrer Programmangebote mit Partnereinrichtungen durch.

Auch in den zahlreichen Konferenz-Workshops waren Themen Öffentlicher Bibliotheken vertreten: Victor Alfson (Stockholm City Library) bot einen Workshop zum Thema Benutzungsforschung mithilfe von Virtual-Reality-Brillen an. Außerdem gab es Workshops zu den Themen Kommunikation von Forschungsergebnissen (Ned Potter, UB der University of York), Forschungsergebnisse gemeinsam mit der Leitungsebene in die Tat umsetzen (Jane Burns, Promovendin an der Dublin City University), Storytelling zur Vermittlung von UX-Forschungsergebnissen (Larissa Tijsterman, UB der Universität Amsterdam) und der Erweiterung von Benutzungsforschung außerhalb der Bibliothek (Pete Hanna und Sarah Halliday, UB der University of Hertfordshire).

4 Selbstkritisch und zu Verbesserungen bestrebt

Dass auch die Konferenzteilnehmenden ihre Einstellung und Praxis in der Benutzungsforschung immer wieder kritisch betrachten müssen, verdeutlichte Arun Verma, (u. a. als „Head of Inclusion“ an der University of London). Seine Botschaft dabei: Disruptiv und unbequem zu sein sei Voraussetzung dafür, Bibliotheken diskriminierungsärmer und diverser zu machen – auch in der Benutzungsforschung.

Genau an diesen Gedanken knüpfte Victoria Olaniyan (Firma Methods, britischer Dienstleister für den Öffentlichen Dienst) an: „Um besser in UX zu werden, muss uns der Status Quo unangenehm werden.“ Sie plädierte in ihrem Vortrag dafür, in allen Stadien von Benutzungsforschung an die Machtverhältnisse innerhalb der Studie zu denken, Fachjargon zu vermeiden, forschungsethische Standards einzuhalten (z. B. Einverständniserklärungen, Vorgespräche) und bei der Suche nach Teilnehmenden besonders darauf zu achten, dass sich auch Minderheiten räumlich und sprachlich angesprochen fühlten.

Sehr anschaulich wurden diese Worte untermalt durch ein Praxisbeispiel von Hanna Jones zum Thema geschlechtsneutrale Toiletten an der US-amerikanischen University of Illinois Urbana-Champaign. In einem studentischen UX-Projekt zeigte sie gemeinsam mit Mitstudierenden einige Perspektiven auf einen Bibliotheksbesuch aus der Sicht von Transmenschen anhand einer Fotostudie und Interviews auf. Der Aspekt Toilettenzugang spielte dabei eine klare Rolle. Die Hauptbibliothek sei die einzige Bibliothek auf den ganzen Campus, an dem es sogenannte All-Gender-Toiletten gäbe, was oftmals für einen Besuch dort im Gegensatz zu den Fachbibliotheken spräche. Anhand dieses Vortrages tat sich ein gutes Beispiel dafür auf, dass nicht immer die rein quantitative Dimension, also statistische Mehrheiten in unseren Entscheidungen eine Rolle spielen dürfen. Gerade qualitative Ansätze, wie der von Jones, fördern auch Perspektiven und Aspekte zutage, derer wir uns als Entscheidungstragende in Bibliotheken manchmal noch gar nicht bewusst sind und die daher auch in einem Fragebogen nicht vorkommen würden. Zu der Studie gehörte in diesem Fall auch, dass die Bibliothek als demokratischer Ort durch Entscheidungen auch in den Gesellschaftsdiskurs einbezogen ist: Jones und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen wurden bereits während der Studie von kritischen Stimmen kontaktiert und von reaktionären Vereinen aufgefordert, die Studie einzustellen. In diesem Fall konnten sie sich auf eine klare Position der Bibliothek beziehen, die sich in ihrer Policy aus Überzeugung als Ort für alle sieht und darüber hinaus als öffentlicher Ort einen staatlichen Inklusionsauftrag hat.[3]

Dass wir immer wieder Aspekte übersehen, die wir erst im Kontakt mit Nutzenden herausfinden, unterstrichen auch Gunvor Bjerkelund Røkke und Maria Sindre (UB der Norwegischen Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität). Sie berichteten in ihrem Vortrag, wie sie mithilfe von Feedbackbögen, Social Media Analyse, Interviews und Beobachtungen die Teilnehmendenzahlen an ihren Bibliotheksschulungen zur Recherche für Abschlussarbeiten versiebenfachen konnten.

5 Praxisorientiert und international

Noch einmal zurück zur Praxisorientierung: Diese geht auf der UXLibs so weit, dass auch dieses Jahr wieder in der traditionellen Team-Challenge am zweiten Konferenztag alle 175 Teilnehmenden in Gruppen eingeteilt wurden und mithilfe von Benutzungsforschung echte Bibliotheksprobleme lösen mussten.

Hier eine Beispiel-Aufgabenstellung aus einer der Gruppen:

Die Bibliothek hat durch Aussonderung Platz in einem ehemaligen offenen Magazinraum gewonnen und als Zwischenlösung zunächst alte Sofas in den Raum gestellt, die von den Nutzenden sehr gut angenommen wurden. Jetzt soll der Raum vernünftig renoviert werden. Wie genau das geschehen soll, dafür soll Benutzungsforschung die Richtung weisen. In Interviews mit Nutzenden finden Sie heraus, dass es für viele ein fester Rückzugsort ist und der einzige ruhige gemütliche Ort in der Bibliothek (die modernen Polstermöbel in der Foyer-Lounge-Ecke finden viele unattraktiv, da dort der Geräuschpegel so hoch ist). Entwerfen Sie mit Kreativmaterialien einen Raum, der die wichtigsten Komponenten aus den Interviews aufgreift und dabei nicht die funktionierende Nutzung kaputt macht! Aber Achtung: Im letzten Moment möchte die Leitungsebene der Bibliothek jetzt doch viel lieber den Raum zu einem Ausstellungsort für Rara-Bestände machen und nur Vitrinen und einige Bänke dort platzieren. Argumentieren Sie mithilfe der Interviewdaten und Ihres Entwurfes dafür, dass der Bibliothek damit ein wichtiges Nutzungsszenario verloren gehen würde.

Selbstverständlich führte diese Gruppenarbeit zu angeregten Gesprächen über ähnliche Situationen in den Bibliotheken der Konferenzteilnehmenden und war somit ein Motor für einen Praxisaustausch auf Augenhöhe.

6 Fazit

Aus den 21 vertretenen Nationen auf der Konferenz kam auch dieses Mal der Großteil aus dem britischen, skandinavischen und nordamerikanischen Raum. Der DACH-Raum war mit zwei Bibliotheken aus der Schweiz und zwei Bibliotheken aus Deutschland auch dieses Mal eher wenig vertreten. Das Resümee des Tagungsberichts aus dem letzten Jahr gilt dennoch nach wie vor: „Wer Inspiration, Motivation und vor allem Praxisbeispiele für Benutzungsforschung sucht, ist hier richtig aufgehoben.“[4] Die Vorträge waren so zahlreich, dass in diesem Artikel nur ansatzweise auf einzelne Beispiele eingegangen werden konnte. Allen, die weiter in das Thema einsteigen möchten, seien die Präsentationsfolien der gesamten Konferenz unter https://uxlib.org/conference-reviews/ empfohlen, oder aber eine Konferenzteilnahme im kommenden Jahr.

Über den Autor / die Autorin

Sina Menzel

Sina Menzel

Online erschienen: 2023-11-08
Erschienen im Druck: 2023-11-27

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 27.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/abitech-2023-0051/html?lang=en
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