1 Einleitung
Rund 170 Expertinnen und Experten aus etwa zwanzig Staaten trafen sich am 28. und 29. Juni 2023 in Berlin zu einer der größten Konferenzen zur Bestandserhaltung und Digitalisierung. Zwei Tage lang diskutierten Fachleute aus Archiven, Bibliotheken sowie Firmen über die Zukunft der Bewahrung von Kulturgut. In ihren Vorträgen blickten die 13 Rednerinnen und Redner von acht Nationalarchiven und einem Kommunalarchiv auf gut zwanzig Jahre Erfahrung darüber zurück, wie sich nach anfänglicher Koexistenz eine zunehmend systematische Verbindung von Scanprozessen mit traditionellen Methoden der Restaurierung und Konservierung entwickelt. Voraussetzung dafür ist, dass Originale und Information auch Zeiten von Krisen und Krieg überstehen.
2 Originalerhalt und Digitalisierung
In seiner Eröffnungsrede „Über Originalerhalt und Digitalisierung“ sagte Michael Hollmann (Präsident des Bundesarchivs), dass es falsch sei, Originalerhalt und Digitalisierung als Widerspruch zu begreifen. Er plädierte für einen überinstitutionellen Ansatz zur Kulturgutsicherung, einen „digitalen Barbarastollen“, nach dem Muster der für viele Institutionen offenen Einrichtung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
2.1 Zugang durch Digitalisierung
Etliche Vortragende wiesen darauf hin, wie stark Bestandserhaltung und Digitalisierung miteinander verbunden seien (Michael Hollmann; Flore Hervé; Jens Niederhut/Kristina John). Weitere betrachteten Digitalisierung als Teil einer Strategie, um einer Mehrheit der Nutzenden (Christian Hänger) sowie traditionell archivfernen Gemeinschaften Zugang zu Archivgut zu ermöglichen (Pamela Wright). Einige Rednerinnen und Redner betrachteten Bestandserhaltung als erwünschten Nebeneffekt des in ihren Institutionen angestrebten Hauptziels, Zugang zu ermöglichen, wie bei The National Archives and Records Administration (NARA) in den USA und im Schweizerischen Bundesarchiv (Marine Van Den Driessche/Stefan Nellen). Originale können von einem professionell gehandhabten Scanprojekt sehr profitieren: von vorbereitenden Zustandsprüfungen, begleitenden Konservierungsmaßnahmen wie auch vom nachgelagerten Verpacken und dem weitgehenden Schutz vor Abnutzung durch Bereitstellen der Digitalisate.
Gerade auf diese Prozesse für das vergleichsweise heterogene Archivmaterial fokussierte Claire Phan Tan Luu. Sie stellte die detaillierten Abläufe konservatorischer Begutachtung und Vorbereitung für das Scannen im Nationalarchiv der Niederlande vor. Bezüglich der globalen Klimasituation machte Juergen Vervoorst darauf aufmerksam, dass alle Prozesse auf ihre Effizienz und Nachhaltigkeit zu prüfen sind, besonders, wenn es um den großen Anteil des Energieverbrauchs für die Lagerung geht. Empirische Studien aus der Schweiz und dem Stadtarchiv Amsterdam (Van Den Driessche/Nellen bzw. Cristina Duran Casablancas) verdeutlichen, dass aufgrund des wachsenden digitalen Angebots die Nutzung von Akten in Lesesälen im Archivgebäude abnimmt und der digitale Zugang zunimmt.
2.2 Scannen
Das Thema wurde noch erweitert mittels verschiedener Ansätze der Priorisierung durch nachfragegesteuertes Scannen (Schweizerisches Bundesarchiv) und/oder extensives systematisches Scannen von Beständen wie im Finnischen Nationalarchiv (Ville Kajanne). Schließlich erinnerte Johanna Fries Markiewicz daran, dass es in Krisenzeiten zunächst darum gehen muss, Kulturgut überhaupt vor Schaden und Vernichtung zu schützen, wie im aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine, unter anderem mit Unterstützung bei Auslagerung, Sicherung, Digitalisierung, Verpackung, Dokumentation, Rat und Zuspruch.
Scantechnologie wurde insgesamt als „eine Art von Revolution“ für die Bereitstellung inklusiver Suchmethoden und erweiterte Lesbarkeit durch Transkriptions-Tools bezeichnet. Die Podiumsdiskussion trug visionäre Perspektiven archivischer und bibliothekarischer Bestandserhaltung und Digitalisierung für die kommenden zwanzig Jahre bei, wie die Überzeugung, alles solle digitalisiert werden („wenn es wert ist, aufbewahrt zu werden, dann ist es wert, digitalisiert zu werden“), da dies der Vorstellung von Zugang im 21. Jahrhundert entspreche. Damit werde das Originalmedium nicht ersetzt, sondern ergänzt.
2.3 Lagerung
Energieeffiziente Lagerung der materiellen Unterlagen ist weiterhin ein wichtiges Thema der Bestandserhaltung. Dazu gehören intelligente Lösungen, die sich auch auf Ergebnisse von Modellierung und Simulation von Daten zu Raumklima und Materialsubstanz stützen können. In diesem Kontext riefen die Diskutierenden zu internationaler Kooperation und zum Teilen entsprechender Material- und Lagerungsdaten auf. Nur in gemeinsamer Arbeit und langfristig werde es möglich sein, Simulationsmodelle zum Zellulose-Abbau auf ihre Gültigkeit zu prüfen. Das Ergebnis werde helfen, passende Bestandserhaltungsmaßnahmen zu finden. Bereits jetzt unterstützten diese Modelle die Priorisierung von Material und Bestandsteilen, ebenso wie sie notwendige Fachdebatten über angemessene Lagerung und Behandlung für die materiell äußerst vielfältigen, einzigartigen Dokumente förderten.

Podiumsdiskussion mit (von links nach rechts): Christian Hänger (Bundesarchiv), Juergen Vervoorst (The National Archives, UK), Pamela Wright (NARA, USA), Cristina Duran Casablancas (Stadtarchiv Amsterdam), Stefan Nellen (Schweizerisches Bundesarchiv) (Foto: Bundesarchiv, Christian Appl)
3 Fazit
Die Konferenz hat gezeigt, dass die Kombination von Bestandserhaltung, Digitalisierung und Bereitstellung eines, wenn nicht zeitweise DAS Schwerpunktthema zahlreicher National- und anderer großer Archive ist. In vielen Bereichen befindet sich die Fachwelt am Startpunkt für neue Diskussionen und Forschung, etwa im Hinblick darauf, unsere Modelle und Prozesse zu erweitern, die Beziehungen zwischen Bestandserhaltung, Digitalisierung und Zugang bei Kulturgütern weiter auszuloten. Bei allen Herausforderungen, die zur Sprache kamen, dominierten eindeutig optimistische Perspektiven zu den wachsenden technischen Möglichkeiten einschließlich der Nutzung künstlicher Intelligenz.
Programm, Zusammenfassungen und Präsentationen stehen online zur Verfügung, Filme der Vorträge und der Podiumsdiskussion sollen folgen: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Veranstaltungen/2023-06-28_internationale-archivkonferenz.html.
Die Beiträge sind für die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Forum 2023 des Bundesarchivs vorgesehen: https://www.bundesarchiv.de/DE/Navigation/Meta/Ueber-uns/Fachzeitschrift-Forum/fachzeitschrift-forum.html.
Über die Autoren

Dr. Ragna Boden

Dr. Christian Hänger
© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Fachbeiträge
- The Studium – University Library and Student Union Building, a Learning Centre in Strasbourg
- Neue Bereichsbibliothek Sprach- und Kulturwissenschaften der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
- FAIRe Geodaten aus dem Archiv. Ein Tool zur automatisierten Metadatenextraktion aus historischen Karten
- Aufbau eines Game Labs an der UB Marburg
- Bibliotheken als praxeologische Begegnungsräume. Umrisse einer Laborkultur für die digitalen Geisteswissenschaften
- Konsortiale digitale Langzeitarchivierung für Wissenschaft, Kultur und Gedächtnisinstitutionen
- Magazine für audiovisuelle Medien in Bau 3 des Staatsarchivs Zürich: Spezifizierung, Realisierung und Inbetriebnahme
- Tagungsberichte
- Bestandserhaltung heute – Massendigitalisierung und Schutz von Originalen
- Ein gemeinsamer Blick auf die Nutzenden: Die 7. Conference on User Experience in Libraries, UXLibs VII
- „re von naH – Vorwärts nach weit“
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