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Magazine für audiovisuelle Medien in Bau 3 des Staatsarchivs Zürich: Spezifizierung, Realisierung und Inbetriebnahme

  • Romano Padeste

    Romano Padeste

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Veröffentlicht/Copyright: 8. November 2023
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Zusammenfassung

Dieser Artikel beschreibt den Prozess vom ersten Konzept über die Realisierung bis hin zur Inbetriebnahme der Magazine für audiovisuelle Medien in Bau 3 des Staatsarchivs Zürich. Er beleuchtet dabei die vielseitigen Vorbereitungsarbeiten, einschließlich der Durchführung von Akklimatisierungstests, die auf diesem Weg Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Konzepts darstellten. Er erläutert zudem den Einfluss der Digitalisierungsstrategie auf die Lagerung der audiovisuellen Quellen.

Abstract

This article describes the process from the first concept over the realization all the way to putting the repositories for audiovisual media in building no. 3 of the State Archives of Zurich into operation. It highlights the various preparation work, including carried out acclimatization tests, that constitute prerequisites for the successful implementation of the concept. Furthermore, it explicates the influence of the digitization strategy on the storage of audiovisual sources.

1 Einleitung

„Machen Sie mal ein Konzept!“ So lautete, etwas verkürzt, der Auftrag an uns, als es darum ging, im Hinblick auf die Realisierung von Bau 3 des Staatsarchivs Zürich die künftige Lagerung unserer audiovisuellen Quellen einzuplanen. Zwar hatte man im 2007 eröffneten Bau 2 bereits ein Magazin für AV-Medien geschaffen, das bei 16 °C und 35 % relativer Luftfeuchtigkeit betrieben wird und somit schon recht gute Lagerungsbedingungen bietet. In Bau 3 sollten aber zusätzliche Kapazitäten und weiter verbesserte Bedingungen für die Lagerung von audiovisuellen Medien geschaffen werden.

Der Auftrag zur Erstellung eines entsprechenden Konzepts wurde bewusst sehr offen formuliert, denn wir sollten uns in einer ersten Phase nicht primär durch Überlegungen zur technischen und finanziellen Machbarkeit leiten lassen, sondern uns darauf konzentrieren, möglichst gute und zeitgemäße Lagerungsbedingungen für AV-Medien vorzuschlagen. Vorgegeben war zunächst einzig der Raum, der uns für die künftigen AV-Magazine zur Verfügung stand. Dieser besteht aus zwei aneinandergrenzenden Magazinräumen mit je rund 115 Quadratmetern Fläche. Aus dieser Fläche galt es, ein Optimum für die Lagerung unserer audiovisuellen Quellen herauszuholen, sowohl in Bezug auf die Kapazitäten als auch in Bezug auf die klimatischen Bedingungen.

2 Grundlagen, Konzeption und Realisierung

2.1 Klimatische Bedingungen

Bei unserer Recherche zum Thema Lagerung von audiovisuellen Medien stießen wir schnell auf zwei entsprechende Empfehlungen. Dies waren zum einen die Empfehlungen der ISO[1] und zum anderen diejenigen des Image Permanence Institute[2] (IPI) des Rochester Institute of Technology (RIT). Beide Empfehlungen enthalten Aussagen dazu, welche Klimabereiche für welche Medien geeignet sind, und für welche sie nur bedingt empfohlen oder gar ungeeignet sind. Die Empfehlungen der ISO führen dabei im untersten Temperaturbereich deutlich tiefere Werte auf als diejenigen des IPI. Deshalb heißt die „unterste Zone“ in den ISO-Empfehlungen „subzero“; das IPI nennt die Zone dagegen „frozen“ und gibt als Temperatur 0 °C an. Das IPI schreibt zu seinen Empfehlungen, dass damit bezüglich Verlängerung der Haltbarkeit der Medien Ergebnisse erzielt werden können, die mit den Ergebnissen auf Basis der ISO-Empfehlungen vergleichbar sind.

Die Empfehlungen des IPI sind in der oben stehenden Grafik übersichtlich zusammengefasst. Diese bildeten fortan die Basis für unsere Konzeptionsarbeit. Die Tatsache, dass wir uns an den weniger strengen Empfehlungen des IPI orientiert haben, dokumentiert, dass wir auch in dieser frühen Phase die finanziellen Aspekte nicht komplett ausgeblendet haben. Denn letztlich war uns klar, dass tiefere Lagerungstemperaturen bei der Konstruktion höhere Investitionskosten und beim Betrieb einen höheren Energieverbrauch (und damit höhere Betriebskosten) verursachen würden.

Abb. 1: Eignung der Klimazonen „room“, „cool“, „cold“ und „frozen“ für verschiedene Medientypen (Grafik: IPI)
Abb. 1:

Eignung der Klimazonen „room“, „cool“, „cold“ und „frozen“ für verschiedene Medientypen (Grafik: IPI)

Die Empfehlungen des IPI umfassen für die Lagerung die drei Klimazonen „cool“ (12 °C), „cold“ (4 °C) und „frozen“. Es galt nun, diese drei Klimazonen sinnvoll auf die zwei zur Verfügung stehenden Magazinräume aufzuteilen. Eine wichtige, grundlegende Entscheidung war dabei, dass in den kälteren beiden Klimazonen nur Archivalien eingelagert werden sollen, die nach den aktuell geltenden Regeln erschlossen und von denen digitale Gebrauchskopien verfügbar sind – wodurch sie im Idealfall eigentlich gar nicht mehr ausgehoben werden müssen. Denn letztlich bedeutet jeder Klimawechsel eine Belastung für die Medien, und je höher der Temperaturunterschied beim Klimawechsel ist, desto mehr Zeit wird für die Akklimatisierung benötigt, um die Belastung möglichst tief zu halten.

Da anfänglich noch wenige Archivalien die genannten Kriterien für die kälteren beiden Zonen erfüllen würden, war klar, dass anfänglich der Platzbedarf für die kälteren beiden Zonen noch gering sein, dass er aber mit fortschreitender Erschließung und Digitalisierung im Lauf der Jahre zunehmen würde. Das Raumkonzept sollte deshalb eine gewisse Flexibilität bieten. Das Konzept sah dazu vor, die zwei Magazinräume so zu teilen, dass insgesamt vier Kühlzellen mit individuell einstellbarer Temperatur entstehen, so dass diese bei Bedarf pro Kühlzelle angepasst werden können. Zwischen den Kühlzellen sollten Durchgangstüren eingebaut werden, durch die Archivalien langsam von „frozen“ nach „cold“ nach „cool“ an die Bedingungen in den Konsultationsräumen akklimatisiert und nach Gebrauch auf dem umgekehrten Weg wieder reklimatisiert werden können.

Abb. 2: Frühe Projektskizze für die AV-Magazine in Bau 3 des Staatsarchiv Zürich
Abb. 2:

Frühe Projektskizze für die AV-Magazine in Bau 3 des Staatsarchiv Zürich

2.2 Unverzichtbare Vorarbeiten

Als nächstes ging es darum, eine geeignete Möblierung für die Kühlzellen zu finden, mit der der zur Verfügung stehende Platz optimal ausgenutzt werden konnte. Doch bevor wir näher darauf eingehen, ist es notwendig, auf einige Vorarbeiten zurückzublenden, die bereits in den Jahren zuvor stattgefunden hatten und eine unverzichtbare Grundlage für die Konzeptionsarbeit bildeten.

Zum einen haben wir 2013 für unser Archivinformationssystem (AIS) spezielle Formulare für audiovisuelle Medien definiert. Diese enthalten neben Feldern für medienspezifische, technische Merkmale auch Felder für den konservatorischen Zustand der Medien sowie für allfällige Maßnahmen und deren Dringlichkeit. Der Inhalt dieser Felder erlaubt es uns unter anderem, die Medien individuell bestimmten Klimazonen zuzuweisen.

Zum andern haben wir im gleichen Zeitraum pro Medientyp Standard-Verpackungen definiert. Erst damit wurde es möglich, den Platzbedarf für bereits erschlossene und noch nicht erschlossene audiovisuelle Medien aus Ablieferungen hochzurechnen und Platzreserven nach der Erschließung sämtlicher damals bekannten Medien zu kalkulieren.

2.3 Möblierungskonzept

Das AV-Magazin in Bau 2 war mit Fixregalen anstelle einer Kompaktanlage ausgestattet worden, unter anderem deshalb, weil man verhindern wollte, dass mechanisch empfindliche Archivalien wie Glasplatten bei der Bewegung von Elementen der Rollregalanlage mechanischen Belastungen ausgesetzt würden. Zwischenzeitlich haben wir für die Unterbringung von Glasplatten Schubladenblöcke mit einer Höhe von 125 cm eingebaut, die eine optimale Ausnützung der Regaltiefe und eine sichere Handhabung der Glasplattenschachteln erlauben. Der Raum über den Schubladenblöcken, die in zwei Rücken an Rücken aneinander liegenden Regalreihen eingebaut wurden, wird für Überformate mit einer Tiefe von mehr als 40 cm genutzt. Trotz dieser Optimierungen wird der vorhandene Raum vergleichsweise wenig effizient genutzt.

Für die AV-Magazine in Bau 3 sollte deshalb ein Möblierungskonzept erstellt werden, das den vorhandenen Raum besser ausnützt als die Fixregal-Lösung in Bau 2. Der Einbau einer Kompaktanlage stand jedoch nicht zur Diskussion, da die für die Kühlzellen notwendige Bodenisolation den Einbau von Schienen für eine Kompaktanlage verunmöglichte. Wir haben deshalb die Verwendung von Vertikalauszügen vorgeschlagen, die sich bezüglich Raumausnutzung zwischen Fixregalen und einer Kompaktanlage bewegen.

Abb. 3: Früher Vergleich einer Möblierungsvariante von zwei Kühlzellen mit Fixregalen (oben) und mit Vertikalauszügen (unten)
Abb. 3:

Früher Vergleich einer Möblierungsvariante von zwei Kühlzellen mit Fixregalen (oben) und mit Vertikalauszügen (unten)

Für die Unterbringung von Glasplatten sollten weiterhin Fixregale mit Schubladenblöcken zum Einsatz kommen, die zudem Platz für die Lagerung von Überformaten bieten. Die Möblierung der einzelnen Kühlzellen wurde in Abhängigkeit von den darin unterzubringenden Medientypen gestaltet. Für die Zone „frozen“ wurden deshalb keine Schubladenblöcke für Glasplatten vorgesehen, da eine Unterbringung von Glasplatten in der Zone „frozen“ gegenüber der Unterbringung in der Zone „cold“ keine Vorteile bietet.

2.4 Optimierungen des Konzepts und Realisierung

Gemäß der Empfehlungen des IPI soll die Temperatur für die Zone „frozen“ 0 °C betragen. In der Praxis ist es jedoch so, dass Kühlanlagen Sollwerte nur innerhalb einer gewissen Toleranz einhalten können, die Temperatur innerhalb der Toleranzen also schwankt. Bei einem Sollwert von 0 °C und einer Toleranz von +/– 1 °C würde dies bedeuten, dass die Temperatur permanent um den Gefrierpunkt schwanken würde, wovon uns der Anlagenbauer abgeraten hat. Wir haben uns deshalb entschieden, die Zone bei einer Solltemperatur von 1 °C zu betreiben, so dass die Temperatur innerhalb der Toleranzen knapp über dem Gefrierpunkt bleibt. Konsequenterweise nennen wir deshalb die Zone nun auch „near frozen“. Bei diesem Entscheid haben natürlich auch ökonomische und ökologische Überlegungen mitgespielt, denn der Aufwand für die Kühlung steigt mit jedem Grad, das zusätzlich gekühlt werden muss.

Nachdem wir für unser grundlegendes Konzept für die künftige Lagerung unserer audiovisuellen Quellen und das Möblierungskonzept grünes Licht bekommen hatten, ging es im nächsten Schritt um die Realisierung. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass es gar nicht so einfach war, für unsere Ansprüche geeignete Vertikalauszüge zu finden. Viele der erhältlichen Produkte fielen durch, weil sie nicht die notwendigen Regaltiefen aufwiesen, um unsere Archivschachteln unterzubringen, oder nicht für die notwendige Traglast ausgelegt waren, da die Produkte, die auch als „Apothekerschränke“ bezeichnet werden, mehrheitlich zur platzsparenden Unterbringung von Kleinteilen oder für den Office Bereich gedacht sind.

Nach längeren Recherchen sind wir schließlich bei einem Hersteller fündig geworden, dessen Standard-Produkte unsere Anforderungen zu erfüllen schienen, da sie aus solidem, verzinktem Stahlblech gefertigt sind und pro Auszug über am Boden mitlaufende Kunststoffräder verfügen, die die Auszüge zusätzlich abstützen. Dennoch waren gewisse Anpassungen an unsere Bedürfnisse notwendig. So mussten unsere Fronten und Rückwände der Auszüge gelocht sein, damit die Luft in den Auszügen zirkulieren kann. Zudem hatten die Tablare über erhöhte Rückwände zu verfügen, damit die Archivschachteln nicht verrutschen und die Auszüge blockieren können. Die Auszüge sind somit nur einseitig bedienbar. Überdies musste bei der Aufstellung der Auszüge darauf geachtet werden, dass ausgefahrene Auszüge nicht die Fluchtwege blockieren können. Aus konservatorischen Überlegungen haben wir die Auszüge und Tablare ohne Farboberfläche fertigen lassen.

Abb. 4: Blick in die Kühlzellen des Staatsarchivs Zürich: Die meisten AV-Medien werden in Vertikalauszügen (links) untergebracht. Für die Lagerung von Glasplatten wurden Fixregale mit Schubladenblöcken eingebaut (rechts). Der Raum über den Schubladenblöcken wird für Überformate genutzt
Abb. 4: Blick in die Kühlzellen des Staatsarchivs Zürich: Die meisten AV-Medien werden in Vertikalauszügen (links) untergebracht. Für die Lagerung von Glasplatten wurden Fixregale mit Schubladenblöcken eingebaut (rechts). Der Raum über den Schubladenblöcken wird für Überformate genutzt
Abb. 4:

Blick in die Kühlzellen des Staatsarchivs Zürich: Die meisten AV-Medien werden in Vertikalauszügen (links) untergebracht. Für die Lagerung von Glasplatten wurden Fixregale mit Schubladenblöcken eingebaut (rechts). Der Raum über den Schubladenblöcken wird für Überformate genutzt

Nach etlichen Optimierungsschritten konnten schließlich die AV-Magazine im Rahmen der Errichtung von Bau 3 des Staatsarchivs Zürich realisiert werden. Diese befinden sich im untersten von insgesamt vier Untergeschossen, unmittelbar über einer massiven Bodenplatte. Gegen unten sind die Kühlzellen mit einer 10 cm dicken Isolationsschicht aus extrudiertem Polystyrol (XPS) isoliert, die von einem 4 cm dicken Epoxidharz-Belag bedeckt wird. XPS ist ein Baustoff mit guten wärmedämmenden Eigenschaften, der für den Einsatz bei hoher Feuchtebeanspruchung und mechanischen Belastungen geeignet ist. Die Decken und Wände sind mit innenseitig angebrachten Mineralwolle-Paneelen isoliert.

Abb. 5: Schnitt durch die Kühlzellen im vierten Untergeschoss des Staatsarchivs Zürich
Abb. 5:

Schnitt durch die Kühlzellen im vierten Untergeschoss des Staatsarchivs Zürich

3 Nach der Fertigstellung

3.1 Akklimatisierungsversuche

Mit der Eröffnung von Bau 3 konnten jedoch die AV-Magazine nicht unmittelbar bezogen werden, da die Wände und Böden des Neubaus noch relativ viel Feuchtigkeit enthielten. Wir mussten somit zunächst abwarten, bis sich das Klima in den Kühlzellen stabilisiert und insbesondere die angestrebten Feuchtewerte eingehalten werden konnten. Es zeigte sich, dass die Konstruktion unserer Kühlzellen auch für den Anlagenbauer kein Tagesgeschäft war, denn anfänglich konnten die geforderten Feuchtewerte nicht eingehalten werden. Zudem waren auch die Schwankungen der Feuchtewerte zu hoch. Der Anlagenbauer konnte diese Mängel schließlich durch entsprechende Gegenmaßnahmen beheben.

Ab Frühling 2020 konnten wir mit unseren Akklimatisierungsversuchen starten. Dabei ging es darum, zu klären, innerhalb welchen Zeitraums Archivalien von einer Klimazone in eine andere transportiert werden können, ohne dass Schäden an den Archivalien befürchtet werden müssen. Für die Messung von Temperatur und Luftfeuchte über die Zeit der Akklimatisierung verwendeten wir zunächst relativ einfache, kompakte Klima-Datenlogger mit integriertem Temperatur- und Feuchtesensor.

Erste Versuche, bei denen wir Testobjekte offen transportiert haben, zeigten einen erschreckenden Anstieg der Luftfeuchte nach dem Transport von der Zone „cool“ in die Zone „room“ (20 °C). Für die weiteren Versuche wurden deshalb die Archivalien in Styroporboxen von Klimazone zu Klimazone transportiert. Diese Styroporboxen verlangsamen die Temperaturänderung der Luft, die die Archivalien umgibt, und dämpfen somit die Veränderung der relativen Luftfeuchte, die bekanntlich abhängig ist von der Lufttemperatur.

In diversen Versuchsreihen haben wir das Verhalten von Temperatur und Luftfeuchte mit unterschiedlichen Konfigurationen untersucht, wobei wir unter anderem auch Feuchtigkeitsabsorber mit in die Transportboxen packten. Schnell zeigte sich jedoch, dass diese zwar den schnellen Anstieg der Luftfeuchte beim Wechsel von einer kälteren in eine wärmere Zone geringfügig zu dämpfen vermochten, in der Folge jedoch die Luft zu stark austrockneten, weshalb wir diesen Ansatz schnell wieder verworfen haben. In weiteren Versuchen zeigte sich schließlich, dass sich die gewünschte Verlangsamung des Temperaturanstiegs und die damit verbundene Dämpfung des Anstiegs der Luftfeuchte allein mit einer geeigneten Transportbox und der richtigen Prozedur durchaus erreichen ließ.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir lediglich die Temperatur und Luftfeuchte der die Archivalien umgebenden Luft gemessen. Für ein genaueres Verständnis dessen, wie sich die Klimawerte zwischen den Archivalien beim Wechsel zwischen zwei Klimazonen verhalten, haben wir zudem zusätzlich zu den bisher verwendeten Klima-Datenloggern mit integrierten Sensoren ein Messgerät mit externen Sensoren, die wir zwischen den Archivalien platzieren konnten, angeschafft.

Nach weiteren Versuchsreihen kristallisierte sich schließlich eine Prozedur für die Aushebung von Archivalien zur Konsultation in der Zone „room“ heraus. Entsprechend dieser Prozedur müssen Archivalien aus der Zone „cool“ am Vortag bestellt werden, damit sie am Folgetag zur Konsultation zur Verfügung gestellt werden können. Archivalien, die in den Zonen „cold“ und „near frozen“ untergebracht sind, brauchen dagegen längere Akklimatisierungszeiten und müssen entsprechend zusätzliche 24 Stunden früher bestellt werden. Da von diesen Archivalien in der Regel digitale Gebrauchskopien existieren und sie deshalb ohnehin nur in Ausnahmefällen im Original zur Konsultation zur Verfügung gestellt werden, halten wir dies jedoch für eine akzeptable Einschränkung. Selbstverständlich gelten die verlängerten Akklimatisierungszeiten auch dann, wenn Archivalien aus den Kühlzellen für die interne Bearbeitung in nicht klimatisierte Räumen transportiert werden müssen.

Für den Rücktransport der Archivalien in die Kühlzellen gelten ähnliche Prozeduren und Zeiträume wie oben beschrieben. Insgesamt ist jedoch der Transport von einer wärmeren in eine kältere Zone innerhalb der bei uns vorhandenen Klimazonen weniger kritisch als der Transport von einer kälteren in eine wärmere Zone. Vorsicht ist allerdings insbesondere im Sommer geboten, wenn Archivalien aus nicht klimatisierten Räumen mit vergleichsweise hoher Temperatur und Feuchte in die Kühlzellen transportiert werden müssen. Dann sind längere Akklimatisierungszeiten notwendig, um den Archivalien ausreichend Zeit zu lassen, sich an die veränderten Umgebungsbedingungen anzupassen.

3.2 Zuweisung der Bestände zu den Klimazonen

Parallel zu den Akklimatisierungsversuchen mussten wir für den Bezug der AV-Magazine unsere AV-Medien pro Bestand und Medientyp einer Klimazone zuordnen und anschließend festlegen, welche Vertikalauszüge und Fixregale für welche Bestände und Medientypen reserviert werden sollen. Wie eingangs erwähnt, sollen in den kälteren beiden Zonen „cold“ und „near frozen“ nur Originale gelagert werden, die erstens nach den aktuell geltenden Vorgaben erschlossen sind und von denen zweitens Gebrauchskopien, vorzugsweise in digitaler Form, existieren. Da die Zahl der Bestände, die das zweite Kriterium erfüllten, noch vergleichsweise gering ist, werden beim Bezug der AV-Magazine in Bau 3 vorerst nur wenige Bestände in den Zonen „cold“ und „near frozen“ eingelagert werden. Der Großteil unserer AV-Medien wird dagegen zunächst in der Zone „cool“ eingelagert und dann mit fortschreitender Digitalisierung nach und nach in die kälteren Zonen verschoben.

In allen drei Klimazonen mussten pro Medientyp nicht nur die bereits erschlossenen Bestände berücksichtigt werden, sondern es mussten auch ausreichend Kapazitäten für Zugänge aus bereits im Haus befindlichen Ablieferungen sowie künftigen Ablieferungen einkalkuliert werden.

Abb. 6: Ausschnitt aus dem Belegungsplan der AV-Magazine für die Zonen „cold“ (links) und „near frozen“ (rechts), gruppiert nach Archivalienart
Abb. 6:

Ausschnitt aus dem Belegungsplan der AV-Magazine für die Zonen „cold“ (links) und „near frozen“ (rechts), gruppiert nach Archivalienart

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass wir in der Zone „near frozen“ zumindest temporär einen Bereich für die „Notkühlung“ von AV-Medien reserviert haben. Darin werden AV-Medien gelagert, die sich in einem schlechten konservatorischen Zustand befinden, die jedoch nicht zeitnah behandelt werden können. Die Lagerung bei einer sehr niedrigen Temperatur verlangsamt die chemischen Zerfallsprozesse, denen die Medien ausgesetzt sind, wodurch wir für die konservatorische Behandlung und/oder Digitalisierung Zeit gewinnen.

3.3 Sonderfall Magnetbänder

Einen Sonderfall bezüglich der Lagerung stellen Magnetbänder dar, und dies aus folgendem Grund: Zwar können Magnetbänder gemäß Empfehlungen von IPI und ISO grundsätzlich in den Zonen „cold“ und „near frozen“ untergebracht werden. Jedoch wurden bei gewissen Magnetbändern Schmiermittel verwendet, die bei Temperaturen unter 11 °Celsius auskristallisieren und dadurch die Bänder beschädigen können. Da wir AV-Medien aus einer großen Vielfalt von Quellen beherbergen, ist die Produktevielfalt unserer Medien entsprechend groß. Weil es unsere Kapazitäten sprengen würde, die Zusammensetzung jedes einzelnen Magnetbandes individuell zu klären, haben wir entschieden, Magnetbänder generell nicht in den Zonen „cold“ oder „near frozen“ unterzubringen, auch wenn sie die oben erwähnten Anforderungen grundsätzlich erfüllen würden.

3.4 Digitalisierungsstrategie und ihre Auswirkung auf die Lagerung

Wie bereits erwähnt, werden AV-Medien, von gewissen Ausnahmen abgesehen, nach ihrer Digitalisierung in kühlere Klimazonen verschoben. Um die notwendigen Platzreserven in den Zonen „cold“ und „near frozen“ pro Medientyp berechnen und die Belegung der Auszüge entsprechend planen zu können, war es wichtig, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Archivalien in absehbarer Zukunft digitalisiert werden sollten. 2019 haben wir deshalb in einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe zunächst exemplarisch für den AV-Bestand Film (analoge Filme von 8 mm/Super 8 bis 35 mm) unsere Digitalisierungsstrategie formuliert. Gemäß dieser Strategie kommen grundsätzlich folgende Archivalien für eine Digitalisierung in Frage:

  • Archivalien aus als zentral taxierten Serien und Beständen,

  • Archivalien von besonderer Bedeutung sowie

  • Archivalien, die sich in einem schlechten konservatorischen Zustand befinden.

Die genannten Kriterien für eine Digitalisierung unterscheiden sich übrigens nicht von den Kriterien für unsere papiergebundenen Quellen. Lediglich das Kriterium „konservatorischer Zustand“ kann einen höheren Einfluss auf die Dringlichkeit der Digitalisierung haben, als dies bei papiergebundenen Quellen üblicherweise der Fall ist.

In einem zweiten Schritt haben wir konkret bestimmt, welche der damals rund 1 000 Rollen Film unter die oben genannten Kategorien fallen. Es stellte sich heraus, dass wir in absehbarer Zukunft rund ein Drittel unserer Filme digitalisieren werden. Somit war klar, wieviel wir mindestens an Platzreserven für Filme in den Zonen „cold“ und „near frozen“ einplanen mussten. Das oben genannte Vorgehen wenden wir nun auch auf unsere übrigen AV-Medien an.

Wie erwähnt, kommt dem Aspekt des konservatorischen Zustandes bei der Digitalisierung von AV-Medien eine hohe Bedeutung zu. Entsprechend haben wir bei der Digitalisierung von Filmen, mit der wir 2020 begonnen haben, zunächst die Filme digitalisiert, die sich in einem schlechten Zustand befanden, um wenigstens noch deren Status Quo für die Zukunft zu erhalten. Basis für die Auswahl dieser Filme bildete eine systematische Zustandsanalyse, die wir für unsere Filmbestände erstmals 2017 durchgeführt haben, und die wir regelmäßig wiederkehrend für sämtliche unsere AV-Bestände durchführen. Diese systematischen Zustandsanalysen bilden einen weiteren wichtigen Baustein bei der Erhaltung und Lagerung unserer audiovisuellen Quellen.

Nachdem wir inzwischen die Digitalisierung der 50 dringendsten Fälle abgeschlossen haben, können wir uns nun auch den Filmen zuwenden, die aus inhaltlichen Gründen für die Digitalisierung ausgewählt wurden. Zudem haben wir mit der Planung der Digitalisierung unserer übrigen AV-Bestände begonnen.

Dass sich der konservatorische Aspekt bei AV-Medien nicht allein auf den physischen Zustand eines Mediums reduzieren lässt, zeigt sich an unseren Video-Beständen. Auch wenn sich diese mehrheitlich noch in einem guten Zustand befinden, stellt die Verfügbarkeit von funktionierenden Abspielgeräten mehr und mehr ein Problem dar. Deshalb haben wir uns entschieden, den AV-Bestand Video aus konservatorischen Überlegungen integral zu digitalisieren. Die Videobänder und -kassetten bleiben aber auch nach ihrer Digitalisierung physisch erhalten, zumindest solange es dafür noch Abspielgeräte gibt. Da wir aus konservatorischen Überlegungen Magnetbänder nicht in den Zonen „cold“ und „near frozen“ lagern und die Video-Bestände einen erheblichen Teil der Kapazitäten in der Zone „cool“ in Anspruch genommen hätten, haben wir uns entschlossen, die Videobestände im AV-Magazin von Bau 2 zu belassen, das für die Lagerung von Magnetbändern ein durchaus adäquates Klima bietet.

4 Fazit

Der Weg vom ursprünglichen Auftrag, ein Konzept für die Lagerung unserer audiovisuellen Quellen zu erstellen, bis zur Realisierung und zum Bezug der neuen AV-Magazine in Bau 3 des Staatsarchivs Zürich war lang, und er war reich an Erfahrungen, Überraschungen und Lerneffekten. Es zeigte sich im Lauf der Zeit immer wieder, dass eine sinnvolle Realisierung ohne zahlreiche Vorbereitungsarbeiten – von der Definition und der Nutzung von Verzeichnungsformularen über die Festlegung von Verpackungen bis zu Zustandsanalysen und zur Formulierung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie – nicht möglich gewesen wäre. Es war uns deshalb ein Anliegen, die Vielfältigkeit der Aspekte, die bei der Konzeption und Realisierung unserer AV-Magazine mit hineingespielt haben, in diesem Artikel zur Sprache zu bringen.

Über den Autor / die Autorin

Romano Padeste

Romano Padeste

Online erschienen: 2023-11-08
Erschienen im Druck: 2023-11-27

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Heruntergeladen am 30.12.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/abitech-2023-0049/html
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