Zusammenfassung
Das Kunsthistorische Institut in Florenz ist seit 125 Jahren in der Altstadt von Florenz angesiedelt. Angesichts des akuten zusätzlichen Raumbedarfs und der gleichzeitigen Prämisse, den Standort im Stadtzentrum nicht aufzugeben, war die geglückte Akquisition eines zweiten, etwa 100 Jahre alten ehemaligen Wohnhauses in fußläufiger Nähe zum jetzigen Institutssitz die einzige Option für die Lösung der Raumprobleme. Eine besondere Herausforderung stellte die Entwicklung eines Flächenkonzepts für den wissenschaftlichen Betrieb mit zeitgemäßen sozialen Komponenten dar, verteilt auf nunmehr zwei Standorte.
Abstract
The Kunsthistorisches Institut in Florenz has been located in the historic center of Florence for 125 years. In view of the acute need for additional space and the simultaneous premise of not abandoning the location in the city center, the successful acquisition of a second, approximately 100-year-old former residential building within walking distance of the current site was the only option for solving the space problems. A particular challenge was to develop a space concept for scientific operations with contemporary social components, now distributed over two locations.
1 Einleitung
Im Rahmen des 87. IFLA World Library and Information Congress in Dublin organisierte die „Library Buildings and Equipment Section“ am 28. Juli 2022 eine Open Session mit dem Titel „Something Old – Something New: Transforming an Existing Building into a New Library“.[1] Fünf Vortragende aus fünf Ländern haben über das Phänomen im Allgemeinen und anhand von Fallbeispielen berichtet. Der folgende Beitrag basiert auf einer dieser, in englischer Sprache gehaltenen, Präsentationen und ist bei der Darlegung des Gegenstands deutlich erweitert worden.[2] Er reiht sich ein in die Gruppe der in Dublin vorgestellten Projekte, in denen bestehende Gebäude zum Zwecke einer neuen Nutzung als Bibliothek umgewandelt wurden. Im konkreten Fall geht es nicht nur um eine bauliche Umgestaltung und die damit zusammenhängenden Herausforderungen, sondern auch um die Entwicklung eines Nutzungskonzepts für die als Einheit organisierte, künftig aber auf zwei Standorte verteilte Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – Max-Planck-Institut.
2 Das Kunsthistorische Institut in Florenz
2.1 Die Anfänge
Das Kunsthistorische Institut in Florenz (KHI) wurde vor 125 Jahren infolge einer Initiative internationaler, vorwiegend deutscher Kunstwissenschaftler gegründet. Es war das erste reine, universitäts- bzw. museumsunabhängige Forschungsinstitut, das sich der relativ jungen akademischen Disziplin der Kunstgeschichte widmete. Sein Standort in Florenz war bewusst gewählt worden, da die Erforschung der Florentiner Renaissancekunst, die man als prägend für die gesamte europäische Kulturgeschichte erachtete, auf der Grundlage des Objektstudiums und unter Einbeziehung des in Florenz aufbewahrten Archivmaterials von besonderem Interesse war.
Nach bescheidenden Anfängen ist das zunächst private Institut, das damals im Wesentlichen aus den beiden wissenschaftlichen Einrichtungen Bibliothek und Fotoarchiv bestand, kontinuierlich gewachsen. Die Finanzierungsbasis bildeten ein in Berlin ansässiger Trägerverein[3] und mehr oder weniger regelmäßige Zuschüsse der deutschen Reichsregierung, nach 1949 der Bundesrepublik Deutschland. In den frühen 1970er Jahren wurde das KHI verstaatlicht und dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (heute Bundesministerium für Bildung und Forschung) unterstellt. 2002 erfolgte schließlich die Aufnahme in die Max-Planck-Gesellschaft, in deren Trägerschaft es sich bis heute befindet.[4] Gegenwärtig beschäftigt das KHI rund 110 Personen, von denen etwa 40 dem Servicebereich angehören. Die rund 70 wissenschaftlichen Stellen umfassen feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Stipendiatinnen und Stipendiaten, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Projektmitarbeitende. Hinzu kommen noch Gäste und Kooperationspartner aus vielen verschiedenen Ländern. Das thematische Spektrum der Forschungstätigkeit hat sich über die Jahrzehnte, insbesondere in den letzten 20 Jahren, weit über die anfängliche Konzentration auf die Florentiner Renaissance hinaus auf Fragen der italienischen Kunst im Gesamten und auf die visuelle Kultur Europas in ihren globalen, inter- und multidisziplinären, interkulturellen, materialen, medialen und gesellschaftlichen Kontexten über alle Epochen bis zur Gegenwart ausgeweitet. Heute zählt das Institut zu den weltweit führenden kunsthistorischen Forschungseinrichtungen.
2.2 Die Bibliothek
Die Bibliothek (Abb. 1) mit einer Sammlung von rund 350 000 Bänden, über 1000 laufend gehaltenen Zeitschriften und derzeit 20 Beschäftigten bildet das operative Zentrum des Instituts und versteht sich, zusammen mit der eigenständig verwalteten Photothek (630 000 Fotos, 10 Beschäftigte), als Labor sowie als Studien- und Kommunikationsort geisteswissenschaftlicher Forschung. Der Gesamtbestand der Bibliothek ist in Freihandaufstellung mit systematischer Ordnung organisiert, wodurch sowohl die räumliche Binnenstruktur wie auch die Kohärenz des Präsenzbestandes das Arbeiten in der Bibliothek in praktischer und qualitativer Hinsicht grundlegend determinieren. Aufgrund der hohen Frequentation der Bibliothek – neben den 70 wissenschaftlichen Mitarbeitenden kommen täglich noch durchschnittlich 80 externe Nutzungsberechtigte hinzu – stehen rund 100 Leseplätze zur Verfügung. Darüber hinaus haben nahezu alle Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie ein Teil der wissenschaftlichen Angestellten ihre Arbeitsplätze in den Räumen der Bibliothek. Dies erlaubt einerseits ein vorteilhaftes Arbeiten nah an den Medien, weist aber andererseits Defizite hinsichtlich der Privatsphäre auf.[5]

Kunsthistorisches Institut in Florenz, Bibliothek (Foto: Kunsthistorisches Institut in Florenz)
2.3 Der Standort
Das Institut hat in seiner Geschichte mehrfach den Standort gewechselt, war jedoch stets in der Innenstadt von Florenz untergebracht. Seit 1964 residiert es in einem spätklassizistischen, vielfach umgebauten Doppelpalast (Palazzo Incontri-Rosselli) im nördlichen Bereich der Florentiner Altstadt, etwa 15 Minuten Fußweg zum Dom (Abb. 2).

Florenz, Palazzo Incontri-Rosselli, Sitz des Kunsthistorischen Instituts (Foto: Verfasser)
Rund 2800 m² Nutzfläche stehen zur Verfügung. Hinzu kommen noch zwei weitere, zum Institut gehörende Standorte, nämlich ein historisches Stadthaus (Casa Zuccari) auf der gegenüberliegenden Straßenseite (410 m² Nutzfläche)[6] sowie zwei angemietete Geschosse eines Renaissancepalastes (Palazzo Grifoni) in etwa 450 m Entfernung zum Hauptgebäude, wo derzeit und nur vorübergehend die Photothek untergebracht ist (300 m² Nutzfläche)[7].
Eine Besonderheit stellt der Regaltypus der Bibliothek dar, der keinen gängigen Standards folgt, sondern für die vertikale Ausdehnung die jeweils maximale Raumhöhe nutzt. Nur auf diese Weise ist es möglich, die genannten Bestände auf der zur Verfügung stehenden Fläche unterzubringen, denn gegenüber dem Erstbezug des Gebäudes im Jahre 1964 hat sich der Bibliotheksbestand verdreifacht! Alle genannten Immobilien sind denkmalgeschützt und dürfen baulich nicht verändert oder erweitert werden. Ebenso wenig sind Neubauten auf den zugehörigen Grundstücken erlaubt. Dies hat hauptsächlich mit den strengen Auflagen der Florentiner Denkmalpflege und der Klassifizierung des gesamten historischen Stadtzentrums als UNESCO Welterbe (seit 1982) zu tun. Diese Einschränkungen bei der architektonischen Standortgestaltung mögen zwar nachteilig hinsichtlich des ebenso unvermeidlichen wie wünschenswerten Expandierens sowohl des Personals als auch der Einrichtungen und Medien eines hochgradig dynamischen und vielfältig aktiven Forschungsinstituts erscheinen. Doch hat seine Lage gerade im Stadtzentrum handfeste Vorteile. So sind die meisten relevanten Partnerinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken oder auch die Universität in geringer, meist fußläufiger Entfernung angesiedelt. Damit reiht sich das Institut in den Komplex des internationalen Florentiner akademisch-institutionellen, auf die Innenstadt verteilten „Campus“ ein. Die einfache Erreichbarkeit des Instituts ist auch von entscheidendem Vorteil für die Mitarbeitenden der genannten Institutionen, die in signifikanter Zahl zu den Tagesgästen und Kooperationspartnern gehören. Auch die zahlreichen Veranstaltungen des Instituts (Vorträge, Kongresse, öffentliche Seminare und Workshops) erfreuen sich in der Regel hoher Teilnehmerzahlen, nicht zuletzt dank seiner Lage.
3 Die Planung der Erweiterung
3.1 Schwierige Voraussetzungen
Aus den genannten Gründen war die Standortfrage bei Überlegungen zu einer notwendigen baulichen Erweiterung des Instituts stets von größter Relevanz. Bereits 2002, als die Aufnahme in die Max-Planck-Gesellschaft erfolgte, entsprach die Größe des damals seit rund 40 Jahren genutzten Hauptgebäudes nicht den Flächenanforderungen des seinerzeitigen Personal- und Medienbestandes. Dieses Defizit hat sich in den folgenden 20 Jahren dramatisch verschärft. Überlegungen zu einer angemessenen Lösung haben sich als äußerst schwierig erwiesen. Unter der Prämisse, dass der Standort im Stadtzentrum nicht aufgegeben werden sollte, kamen lediglich zwei Optionen in Frage: der Erwerb (oder die Anmietung) eines größeren Gebäudes in adäquater Lage oder eine genehmigungsfähige unterirdische Erweiterung des bestehenden Gebäudes mit einem Büchermagazin.
Die prinzipiell denkbare Errichtung eines neuen Gebäudes wäre nur weit außerhalb der Innenstadt in den Neubau- bzw. Gewerbezonen am Rande von Florenz möglich und somit für das Institut nicht akzeptabel gewesen. Aber auch die erwähnten Varianten im Zentrum erwiesen sich als problematisch. Abgesehen davon, dass es, trotz intensiver Suche, kaum möglich war, in Größe, Ausstattung und Gestaltungspotenzial geeignete Objekte auf dem Immobilienmarkt zu finden, waren auch das Preisniveau und die häufig rigorosen Beschränkungen der meist denkmalgeschützten Gebäude unüberwindbare Ausschlusskriterien.
Der zweite Lösungsansatz wiederum, die Unterbauung des institutseigenen Gartens mit einem unterirdischen Magazins mit Kompaktregalen, hätte wegen der nahezu vollständigen Unsichtbarkeit zwar gewisse Aussichten auf Genehmigung gehabt, wies aber enorme Unwägbarkeiten angesichts einer extrem problematischen Baustellensituation auf. Darüber hinaus wäre auf diesem Wege Fläche lediglich für die Medienaufstellung gewonnen worden, nicht jedoch für Personen und fehlende Funktionsräume, die für den wissenschaftlichen Betrieb dringend benötigt wurden.
3.2 Die Lösung: eine neue Immobilie
Eine unerwartete, vielversprechende Lösung der meisten der genannten Probleme eröffnete sich 2014, als in einem Bieterverfahren ein leerstehendes ehemaliges Wohngebäude in etwa 600 m Entfernung vom jetzigen Hauptgebäude angeboten wurde (Abb. 3). Mit einem Potenzial von rund 1200 m² Nutzfläche entsprach es weitestgehend der theoretischen Größe des genannten unterirdischen Magazins, hatte aber natürlich den Vorteil, ein Hochbau in einem insgesamt recht guten, wenn auch sanierungsbedürftigen Zustand zu sein. Dank einer Vorleistung der Max-Planck-Förderstiftung wurde die Immobilie im selben Jahr erworben. Nach entsprechenden Vorarbeiten erfolgte 2020 die Bewilligung des Bauvorhabens (Sanierung) seitens des Zuwendungsgebers, und im Februar 2021 konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden. Der Abschluss wird für die erste Hälfte 2023 erwartet, der Bezug sollte bis Ende dieses Jahres erfolgen.

Florenz, künftiger zweiter Standort des Kunsthistorischen Instituts (Foto: Michele Passaleva)
4 Das neu erworbene Gebäude
Bei dem erworbenen Gebäude handelt es sich um ein in drei Bauabschnitten zwischen 1900 und 1950 errichtetes Stadthaus in einer ruhigen Wohngegend am Rande der Innenstadt, aber noch innerhalb der alten Stadtmauern. Es hat vier Hauptetagen sowie ein teilweise nutzbares Dachgeschoss und eine ausgedehnte Souterrainfläche (Abb. 4). Das L-förmige Gebäude umschließt zur Hälfte einen etwa 380 m² großen Garten. Lediglich die Außenfassade zur Straße hin und der Garten sind denkmalgeschützt, wodurch strukturelle Veränderungen der Innenräume prinzipiell möglich sind.

Aufriss des zweiten Institutsgebäudes (Quelle: Passaleva Associati)
4.1 Der Gartentrakt
Eine besondere Erwähnung verdient der 1950 angefügte Gartentrakt. Der einstöckige Bau mit Dachterrasse war beim Erwerb nicht unterkellert, obwohl eine entsprechende Wandkonstruktion mit etwa 2,5 m Tiefe das Fundament bildet. Allerdings war das Binnenvolumen mit Erdreich aufgefüllt. Das kommunale Bauamt hat nicht nur die Abtragung dieses Erdreichs, sondern auch eine Ausdehnung des so entstandenen unterirdischen Raumes um etwa einen Meter zum Garten hin genehmigt, wodurch eine zusätzliche nutzbare Fläche von fast 170 m² hinzugewonnen werden konnte (Abb. 5). Dies war der entscheidende Durchbruch für das Nutzungskonzept, denn nun konnte diese Fläche mit Kompaktregalen gefüllt und die Stellkapazität für Bibliotheksmedien um gut 1200 laufende Regalmeter erhöht werden. Nur unter dieser Prämisse konnten die entscheidenden quantitativen Anforderungen an nutzbarer Fläche erfüllt und das Konzept zur Gestaltung eines weiteren Standorts des Instituts verfeinert werden.

Aushebung des Erdreichs unter dem Gartenflügel (Foto: Michele Passaleva)

Künftiges unterirdisches Kompaktmagazin (Foto: Michele Passaleva)
4.2 Besonderheiten der Sanierungs- und Ertüchtigungsarbeiten
Der Verlauf der Sanierungs- und Ertüchtigungsarbeiten braucht an dieser Stelle nicht im Einzelnen geschildert zu werden, handelt es sich doch um eine relativ standardmäßige Maßnahme. Nur einige Besonderheiten seien erwähnt. So wurde der Baukörper bis auf die Grundmauern und tragenden Zwischenwände entkernt, wobei nicht aufgrund von Auflagen, sondern aus einem entsprechenden Bewusstsein eines sensiblen Umgangs mit historischer Bausubstanz seitens des Instituts so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig verändert wurde. Zum letzteren gehört die Verstärkung der Böden und Erhöhung ihrer Tragfähigkeit, um einerseits die Räume uneingeschränkt mit Regalen für Bücher und Fotografien befüllen zu können und andererseits eine flexible und in Zukunft gegebenenfalls variable Nutzungssicherheit aller Räume zu gewährleisten. Darüber hinaus wurden das Dach energetisch isoliert und die gesamte Haustechnik vollständig erneuert. Ein barrierefreier Zugang und die zugehörige Binnennavigation sind gewährleistet. Alle baupolizeilichen Auflagen (Fluchtwege, Brandabschnitte etc.) konnten normgerecht erfüllt werden, obwohl die originale Gebäudestruktur weder für einen erhöhten Personenverkehr noch für umfangreiche Medienaufstellung oder Sonderbereiche wie Fotolabor und Kühlmagazin für die Lagerung fragiler historischer Glasnegative konzipiert war. Erwähnenswert erscheint schließlich die bautechnisch herausfordernde Aushebung des Erdreichs unter dem Gartentrakt und die Unterkellerung mit einer aus zwei Kammern bestehenden Betonstruktur für das Kompaktmagazin.
5 Der dezentrale Institutsbetrieb
Auch wenn die bisherige Darstellung des Vorgangs den Eindruck vermitteln könnte, dass es im Wesentlichen um die Schaffung zusätzlichen Raumes für Medienaufstellung und um neue Arbeitsplätze ging, bedarf es doch einer Präzisierung, um vor allem den entscheidenden Anteil der funktionalen Kriterien im Kontext eines für das Institut neuen dezentralen Institutsbetriebs besser zu verstehen.
5.1 Das Institut als „lebendiger Sachkatalog“ und „Dritter Ort“
Gewiss, es war anfangs die Rede von den bereits zum jetzigen Zeitpunkt existierenden drei Standorten. Im Unterschied zur künftigen Situation existiert in diesem Fall jedoch eine klare Hierarchie, die sich in Flächengröße und Nutzung manifestiert. Ebenso muss einschränkend der provisorische Charakter der Anmietung der Flächen für die Unterbringung des als geschlossene Einheit ausgelagerten Fotoarchivs hervorgehoben werden. Man kann also aktuell von einem Hauptgebäude und zwei Nebengebäuden sprechen, während in Zukunft zwei Äquivalente für den Wissenschaftsbetrieb (Palazzo Incontri-Rosselli und das neu erworbene Gebäude) und ein Nebengebäude (Casa Zuccari) für die Verwaltung vorgesehen sind. Um dies nicht als formalistische Petitessen misszuverstehen, ist eine genauere Beschreibung des betrieblichen Organismus des Instituts hilfreich. Hierbei spielen sowohl Usancen geisteswissenschaftlicher Forschung wie auch bestimmte Traditionen des Florentiner Instituts eine Rolle. So ist dem kunstgeschichtlichen Forschungsprozess ein hermeneutischer Wesenskern immanent, dessen Quellenbasis Texte und visuelle Objekte (Kunstwerke und Abbildungen) verkörpern. Nicht zufällig konstituierte man mit der Gründungsinitiative des Kunsthistorischen Institutes, namentlich mit der Bibliothek und der Photothek, ein komplementäres Beziehungssystem zu den Kunstwerken und Archivalien vor Ort. Konsequent wurde vom ersten Tage an auch das bis heute gültige, am Ende des 19. Jahrhunderts keinesfalls selbstverständliche Prinzip der systematischen Freihandaufstellung etabliert, sowohl für Bücher als auch für Fotografien, ebenso die bequeme, also nutzerfreundliche Konsultation. Vor allem scheint die inspirierende Kraft der systematischen Aufstellung und das damit verbundene Potenzial des unerwarteten Fundes eine besondere Qualität der Bibliothek wie auch der Photothek gewesen zu sein, von einem „lebendigen Sachkatalog“ ist im Zusammenhang mit dieser Aufstellungsordnung die Rede.[8] Dieser Grundsatz spiegelt sich bis heute in der Medienpräsentation wider.
Eine weitere Eigentümlichkeit des Florentiner Instituts war die ebenfalls bis heute übliche Unterbringung der Arbeitsplätze einer Großzahl der Institutsangehörigen in den Räumen der Bibliothek und Photothek. Dies mag zwar aus der Not geboren sein, da keine Alternativen zu dieser Lösung existierten, doch wurde mit diesem Prinzip auch die Qualität der Bibliothek als Ort der (wissenschaftlichen) Kommunikation etabliert. Betroffen sind davon nicht nur das bilaterale Gespräch mit Fachkollegen mittlerweile aus der ganzen Welt, sondern auch Veranstaltungen wie Vorträge und Kolloquien, die zunächst in der Bibliothek selbst und später in unmittelbar angrenzenden, eigens für diesen Zweck eingerichteten Räumen stattfanden. Diese räumliche Vernetzung von individuellen und kollektiven wissenschaftlichen Arbeitsprozessen hat sich als eine Konstante über die gesamte Geschichte des Instituts bis heute erhalten und hat gerade im Kontext der jüngsten Diskussionen über Bibliotheken als „Dritte Orte“ ihre nachhaltende Relevanz unter Beweis gestellt. Bibliotheken sind nicht nur Orte des konzentrierten Studiums, sondern auch des lebendigen Austauschs.[9] Wie kann man dieser Qualität in architektonischer und raumgestalterischer Hinsicht entgegenkommen?
5.2 Enge räumliche Verzahnung
Es muss einschränkend vorausgeschickt werden, dass der Kreativität bei der funktionalen Konzeption und räumlichen Ausstattung natürlich Grenzen gesetzt sind, vollzieht sich doch die Erweiterung der Institutsflächen in einem über 100 Jahre alten Bestandsgebäude mit der Binnenstruktur eines ehemaligen Wohnhauses, die im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Dennoch ist von Anfang an seitens des Instituts auf die Realisierung bestimmter Funktionseinheiten insistiert worden. Dazu gehören neben der Unterbringung und auch engen räumliche Verzahnung von Teilen der Bibliothek und der gesamten Photothek vor allem auch Seminar- und Besprechungsräume, Büros, Kommunikations- und Speiseflächen (sowohl für Hausmitglieder als auch für externe Nutzerinnen und Nutzer), und schließlich auch ein geräumiges Eltern-Kind-Büro mit eigener Sanitäranlage und Kleinküche. Ein solches Angebot an verschiedenen Funktionsflächen war in den bisherigen, vom Institut genutzten Gebäuden nur sehr eingeschränkt und in vielen Fällen gar nicht möglich, trotz der durchaus vorhandenen Nachfrage und der allgemein anerkannten Notwendigkeit.
Schon bei diesen relativ klar umrissenen Planungszielen wird erkennbar, dass aufgrund der Zwei-Standorte-Formel ein gewisser Spagat zu bewältigen war, um eine weitgehende Ausgewogenheit der Destinationen zu erreichen. In keinem Fall sollte ein hierarchisches Verhältnis (Hauptgebäude – Nebengebäude oder dgl.) festgeschrieben, sondern eine prinzipielle Äquivalenz erreicht werden, trotz der unterschiedlichen Größe. Der jetzige Institutssitz bleibt mit etwa zwei Dritteln des Bibliotheksbestands, den meisten Arbeitsplätzen sowie den beiden Direktionen weiterhin ein „Schwergewicht“, wird aber durch die Pluralität der Funktionen, die vielfachen und regelmäßigen Personenverkehr erwarten lassen, mit dem neuen, zweiten Gebäude durchaus in Gleichgewicht gebracht. Dazu trägt auch die geplante Unterbringung von zwei Forschungsgruppen mit einer Größe von insgesamt bis zu zehn Personen bei.
Betrachtet man die Verteilung der aufgezählten Bereiche auf die Flächen im neuen Gebäude, so wird ein gewisses Durchmischungs- oder Durchdringungsmuster erkennbar. Die Bibliotheksräume umklammern mit dem Untergeschoss und der obersten Ebene die dazwischen angesiedelte Photothek (EG, 1. und 2. OG), verbunden über eine Brücke, die gemeinsam verwaltete Fotobibliothek mit Literatur zur Fotografie (EG), gleichsam einem bibliothekarischen Handapparat für das Forschungslabor Photothek. Dazu gesellen sich im EG die Seminar- und Besprechungsräume sowie das Eltern-Kind-Büro. Im 1. OG wiederum ist – unmittelbar mit den Medien- und Studienräumen verwoben – der Bereich der Kommunikation und Rekreation in Form einer für alle zur Verfügung stehenden Küche und für Verzehr und Gespräche vorgesehenen Tischen angesiedelt, die auch auf der angrenzenden Dachterrasse bei entsprechenden Witterungsverhältnissen zum Verweilen einladen.
5.3 Die Aufteilung der Bestände
Die größte und herausforderndste Neuerung für die Bibliothek besteht in der künftigen Aufteilung der Bestände auf zwei Standorte. Dies ist für ein als Einheit konzipiertes und mit thematischer Freihandaufstellung organisiertes Ökosystem ein gravierender Einschnitt. Zum einen stehen bestimmte Sektionen der Bibliothek inhaltlich, aber auch formal (Monographien – Zeitschriften – Sammelschriften) in einem komplementären Verhältnis und zum anderen beruht die Qualität der Bibliothek nicht zuletzt in der freien, ungehinderten Erkundung der Bestände am Regal gerade über Sachgebietsgrenzen hinweg.[10] Hinzu kommt noch die wichtige arbeitsökonomische Regelung für Forschende mit festen Arbeitsplätzen (sowohl in Büros als auch in den Bibliotheksräumen), die es ihnen erlaubt, für längere Zeit einen Bücherapparat auf ihrem Arbeitsplatz einzurichten, der selbstredend Titel aus allen denkbaren Sektionen enthalten kann.
Solange die Bibliothek unter einem Dach angesiedelt war, ließ sich dieses Prinzip relativ einfach umsetzen. Wenn aber die Bestände auf zwei Standorte aufgeteilt werden, dann stellt sich die Frage des Transports der Bücher von einem Standort zum anderen. Denn es besteht Einigkeit, dass das interne Ausleihen auch in Zukunft möglich sein muss, da das simultane Konsultieren mehrerer Bücher über einen längeren Zeitraum hinweg zum Standard geisteswissenschaftlichen Arbeitens gehört. Zugleich steht es außer Frage, dass ein unkontrolliertes Transportieren von Büchern zwischen den beiden Häusern durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst nicht tolerabel ist. Konsequenterweise muss also ein von der Bibliothek verwalteter Transportdienst eingerichtet werden, bei dem der Kompromiss zwischen Komfortanspruch und personellen Kapazitäten noch auszuloten sein wird. Das bereits existierende, RFID-basierte Verbuchungssystem wird helfen, auch in Zukunft den genauen Aufbewahrungsort von vorgemerkten Titeln zu ermitteln, um das Prinzip des ungehinderten Zugangs zum Gesamtbestand für alle Leserinnen und Leser zu garantieren.
Gewiss wird man aber den aufwändigen Transfer physischer Medien nach Möglichkeit mit dem Angebot digitaler Ressourcen ergänzen und somit auf das notwendige Minimum beschränken. Zum einen stellt die Bibliothek im Segment der Zeitschriften neben der Printversion auch einen mittlerweile relevanten Anteil in digitaler Form bereit, und auch die Zahl der E-Books weist eine deutlich steigende Tendenz auf. Zum andern werden an beiden Standorten Scankopierer kostenlos zur Verfügung stehen, um das möglichst bequeme Anfertigen von digitalen Kopien zu erlauben. Und schließlich erscheint die Entfernung von 600 Metern als durchaus zumutbar, wenn es in Zukunft erforderlich sein wird, verschiedene Abteilungen an beiden Standorten der Bibliothek aufzusuchen.
6 Ausblick: ein komplexes Laboratorium
Die aufgezeigten Veränderungen bezüglich der Standortfrage und der räumlichen Konzeption einer traditionsreichen, geisteswissenschaftlichen Forschungsbibliothek offenbart einen ebenso typischen wie spezifischen Gestaltungsprozess. Während die in diesem Fall essenzielle Maßgabe für die Lokalisierung des Institutssitzes im Zentrum von Florenz eine freie architektonische Entwurfskreativität ausschließt und zugleich die kompromissbedingte Verteilung der Institutsflächen auf zwei Standorte fordert, kann bei der funktionalen Ausgestaltung etlichen Anforderungen an eine zeitgemäße Forschungsbibliothek in einem Ausmaß entsprochen werden, wie es bis zuletzt aufgrund von baulichen Restriktionen im Kunsthistorischen Institut kaum oder gar nicht möglich war. Das gesamte Projekt war und ist eine durchaus herausfordernde Gelegenheit, das Phänomen des Raumes im bibliothekarischen Kontext zu überdenken.[11] Im Spannungsfeld von Individuum und Kollektiv sowie physisch und digital ist ein komplexes Laboratorium im Entstehen, das sowohl traditionelle Arbeitskonventionen wie auch – zumindest für das Institut – neuartige Formen der Kommunikation und Kollaboration innerhalb eines permanent wechselnden Personenkreises ermöglichen wird.
Bei der Auslotung des Verhältnisses von physisch und digital muss der Publikations- und Bibliothekskultur einer historischen Disziplin Rechnung getragen werden, wobei ein möglichst komplementäres Verhältnis der beiden ontologischen Varianten angestrebt wird. Das ist weder neu noch singulär, sondern entspricht einem seit etwa zehn Jahren vielfach beschriebenen und profund analysierten Befund bei der Erkundung der Konsequenzen, die sich aus der Etablierung der digitalen Technologien für Bibliotheken ergeben haben.[12] Im Falle des Kunsthistorischen Institutes ist eine entsprechende Positionierung durch die Baumaßnahme und Neugestaltung der Gebäude nicht erst angestoßen, aber deutlich vorangetrieben worden. Dabei sind lediglich die Grundlagen geschaffen, die Konsequenzen für die Praxis sowie die weitere Entwicklung werden von den Erfahrungen abhängen. Bei aller Rücksichtnahme auf historische Gebäudestrukturen und traditionelle Arbeitsformen ist die Gestaltung des neuen, „verteilten Ortes“ ein wesentlicher Schritt in die Zukunft.
About the author

Dr. Jan Simane
Leiter der Bibliothek
© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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- Fachbeiträge
- Developing a Pan-European Open Science Training Landscape
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- „Überwachen und Strafen“ – Tracking und Kontrolle des Forschungszyklus
- How to Support Diverse Libraries in a National Network?
- Zum Verhältnis von Originalerhalt und Digitalisierung von schriftlichem Kulturgut
- Der Neubau des Staatsarchivs Basel-Stadt
- Something Old, Something New: Two Library Building Projects Converting Old Buildings into New Libraries
- Im historischen Umfeld die Zukunft gestalten – Die bauliche Erneuerung einer Forschungsbibliothek in der Altstadt von Florenz
- ABI Technik-Preis
- Orte des Austauschs
- Tagungsbericht
- Die Möglichkeiten gemeinsamen Handelns – Open-Access-Tage 2022 in Bern
- ABI Technik-Frage
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- Produktinformation
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- Rezension
- Sarah Lamdan: Data Cartels: The Companies That Control and Monopolize Our Information. Stanford: Stanford University Press, 2022. XVIII, 203 S. – ISBN 978-1-5036-1507-6 (Hardcover), ISBN 978-1-5036-3371-1 (Taschenbuch), 978-1-5036-3372-8 (eBook). Taschenbuch US-$ 50,00
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