Kapitel
Lizenziert
Nicht lizenziert Erfordert eine Authentifizierung

9. Topoi

  • Manfred Kienpointner
Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill

Abstract

In diesem Artikel werden topoi („Orte“) als zentrale Elemente von Aristoteles’ Topik beschrieben, in der er die Disziplin der Dialektik (der philosophischen Debatte) erörtert. Leider liefert Aristoteles keine präzise Definition von topos. Nach der Rekonstruktion von de Pater (1965) können topoi jedoch plausibel dahingehend charakterisiert werden, dass sie die doppelte Funktion von Suchformeln und Schlussregeln haben, zumindest in den meisten einschlägigen Passagen der Topik. Nach ihrer ersten Funktion sind topoi eine allgemeine Technik zur Findung plausibler Argumente zu jedem denkbaren Thema. Nach ihrer zweiten Funktion garantieren sie den Übergang von den Argumenten zur Konklusion, sie sind daher Schlussregeln im Sinne von Toulmin (1958). So gesehen sind topoi also allgemeine Pramissen von Argumentationsmustern.

In einigen Passagen von Aristoteles’ Rhetorik kann dagegen ein unterschiedlicher Gebrauch von topoi identifiziert werden. In diesen Passagen werden topoi im Sinne von „Themen“, „Leitmotiven“ oder „Sachinhalten“ verwendet.

In der römischen Rhetorik wird der korrespondierende lateinische Terminus loci („Orte“) gebraucht. Cicero und Quintilian verstehen loci im Wesentlichen wie Aristoteles als allgemeine Suchformeln und Schlussregeln. Darüberhinaus wird in der romischen Rhetorik auch der Terminus loci communes („Gemeinplätze“) neu eingeführt, d. h. konkrete, „vorgefertigte“ Argumente, argumentative Textbausteine.

Alle diese Gebrauchsweisen von topoi/loci können auch im Mittelalter und der Rhetorik und Dialektik der frühen Neuzeit gefunden werden. In der modernen Argumentationstheorie werden sowohl das aristotelische Konzept von topos als auch die anderen, spezifischeren Gebrauchsweisen von topoi/loci als „Sachinhalten“ und „Gemeinplätzen“ wiederaufgenommen. Ferner werden in mehreren Disziplinen, besonders der Literaturwissenschaft, topoi als ein technischer Terminus im Sinnen von „Themen“, „Leitmotiven“ verwendet. Schließlich nehmen topoi den Sinn von Denkmustern, „Cliches“ und „Stereotypen“ an, die in Disziplinen wie Linguistik, Soziologie und Politologie diskutiert werden.

Abstract

In diesem Artikel werden topoi („Orte“) als zentrale Elemente von Aristoteles’ Topik beschrieben, in der er die Disziplin der Dialektik (der philosophischen Debatte) erörtert. Leider liefert Aristoteles keine präzise Definition von topos. Nach der Rekonstruktion von de Pater (1965) können topoi jedoch plausibel dahingehend charakterisiert werden, dass sie die doppelte Funktion von Suchformeln und Schlussregeln haben, zumindest in den meisten einschlägigen Passagen der Topik. Nach ihrer ersten Funktion sind topoi eine allgemeine Technik zur Findung plausibler Argumente zu jedem denkbaren Thema. Nach ihrer zweiten Funktion garantieren sie den Übergang von den Argumenten zur Konklusion, sie sind daher Schlussregeln im Sinne von Toulmin (1958). So gesehen sind topoi also allgemeine Pramissen von Argumentationsmustern.

In einigen Passagen von Aristoteles’ Rhetorik kann dagegen ein unterschiedlicher Gebrauch von topoi identifiziert werden. In diesen Passagen werden topoi im Sinne von „Themen“, „Leitmotiven“ oder „Sachinhalten“ verwendet.

In der römischen Rhetorik wird der korrespondierende lateinische Terminus loci („Orte“) gebraucht. Cicero und Quintilian verstehen loci im Wesentlichen wie Aristoteles als allgemeine Suchformeln und Schlussregeln. Darüberhinaus wird in der romischen Rhetorik auch der Terminus loci communes („Gemeinplätze“) neu eingeführt, d. h. konkrete, „vorgefertigte“ Argumente, argumentative Textbausteine.

Alle diese Gebrauchsweisen von topoi/loci können auch im Mittelalter und der Rhetorik und Dialektik der frühen Neuzeit gefunden werden. In der modernen Argumentationstheorie werden sowohl das aristotelische Konzept von topos als auch die anderen, spezifischeren Gebrauchsweisen von topoi/loci als „Sachinhalten“ und „Gemeinplätzen“ wiederaufgenommen. Ferner werden in mehreren Disziplinen, besonders der Literaturwissenschaft, topoi als ein technischer Terminus im Sinnen von „Themen“, „Leitmotiven“ verwendet. Schließlich nehmen topoi den Sinn von Denkmustern, „Cliches“ und „Stereotypen“ an, die in Disziplinen wie Linguistik, Soziologie und Politologie diskutiert werden.

Heruntergeladen am 7.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783110296310-009/html
Button zum nach oben scrollen