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Das antidemokratische Denken der extremen Rechten heute. Eine Kartierung aktueller Veröffentlichungen

Gabriele Dietze, Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript 2019, 222 S., kt., 19,99 € Johannes Hillje, Das »Wir« der AfD: Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus. Frankfurt am Main: Campus 2022, 279 S., br., 32,00 € Hans-Dieter König, Macht und Magie: Tiefenhermeneutische Rekonstruktion nationalsozialistischer, neokonservativer und rechtspopulistischer Inszenierungen in Deutschland Wiesbaden: Springer VS 2022, 295 S., eBook, 59,99 € Nadja Kutscher, Das Narrativ vom »großen Austausch«: Rassismus, Sexismus und Antifeminismus im neurechten Untergangsmythos. Bielefeld: transcript 2023, 236 S., kt., 45,00 € Arnd-Michael Nohl, Politische Sozialisation, Protest und Populismus: Erkundungen am Rande der repräsentativen Demokratie. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2022, 276 S., br., 24,95 € Philipp Rhein, Rechte Zeitverhältnisse: Eine soziologische Analyse von Endzeitvorstellungen im Rechtspopulismus. Frankfurt am Main: Campus 2023, 401 S., br., 45,00 € Leo Roepert, Die konformistische Revolte: Zur Mythologie des Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript 2023, 256 S., kt., 39,00 € Leo Roepert (Hrsg.), Kritische Theorie der extremen Rechten: Analysen im Anschluss an Adorno, Horkheimer und Co. Bielefeld: transcript 2023, 408 S., kt., 39,00 € Felix Schilk, Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten: Zur politischen Soziologie konservativer Krisennarrative. Bielefeld: transcript 2024, 438 S., kt., 46,00 € Christoph Schönberger / Sophie Schönberger, Die Reichsbürger. Verfassungsfeinde zwischen Staatsverweigerung und Verschwörungstheorie. Frankfurt am Main/New York: Campus 2020, 203 S., kt., 29,95 € Giuliana Sorce / Philipp Rhein / Daniel Lehnert / Tobias Kaphegyi (Hrsg.), Exkludierende Solidarität der Rechten. Wiesbaden: Springer VS 2022, 247 S., eBook, 49,99 € Sonja A. Strube / Rita Perintfalvi / Raphaela Hemet / Miriam Metze / Cicek Sahbaz (Hrsg.), Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Bielefeld: transcript 2021, 330 S., kt., 35,00 € Georg Vobruba, Das Verschwörungsweltbild: Denken gegen die Moderne. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2024, 135 S., br., 22,00 €
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Veröffentlicht/Copyright: 2. Juli 2025
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Rezensierte Publikationen:

Gabriele Dietze, Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript 2019, 222 S., kt., 19,99 €

Johannes Hillje, Das »Wir« der AfD: Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus. Frankfurt am Main: Campus 2022, 279 S., br., 32,00 €

Hans-Dieter König, Macht und Magie: Tiefenhermeneutische Rekonstruktion nationalsozialistischer, neokonservativer und rechtspopulistischer Inszenierungen in Deutschland Wiesbaden: Springer VS 2022, 295 S., eBook, 59,99 €

Nadja Kutscher, Das Narrativ vom »großen Austausch«: Rassismus, Sexismus und Antifeminismus im neurechten Untergangsmythos. Bielefeld: transcript 2023, 236 S., kt., 45,00 €

Arnd-Michael Nohl, Politische Sozialisation, Protest und Populismus: Erkundungen am Rande der repräsentativen Demokratie. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2022, 276 S., br., 24,95 €

Philipp Rhein, Rechte Zeitverhältnisse: Eine soziologische Analyse von Endzeitvorstellungen im Rechtspopulismus. Frankfurt am Main: Campus 2023, 401 S., br., 45,00 €

Leo Roepert, Die konformistische Revolte: Zur Mythologie des Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript 2023, 256 S., kt., 39,00 €

Leo Roepert (Hrsg.), Kritische Theorie der extremen Rechten: Analysen im Anschluss an Adorno, Horkheimer und Co. Bielefeld: transcript 2023, 408 S., kt., 39,00 €

Felix Schilk, Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten: Zur politischen Soziologie konservativer Krisennarrative. Bielefeld: transcript 2024, 438 S., kt., 46,00 €

Christoph Schönberger / Sophie Schönberger, Die Reichsbürger. Verfassungsfeinde zwischen Staatsverweigerung und Verschwörungstheorie. Frankfurt am Main/New York: Campus 2020, 203 S., kt., 29,95 €

Giuliana Sorce / Philipp Rhein / Daniel Lehnert / Tobias Kaphegyi (Hrsg.), Exkludierende Solidarität der Rechten. Wiesbaden: Springer VS 2022, 247 S., eBook, 49,99 €

Sonja A. Strube / Rita Perintfalvi / Raphaela Hemet / Miriam Metze / Cicek Sahbaz (Hrsg.), Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Bielefeld: transcript 2021, 330 S., kt., 35,00 €

Georg Vobruba, Das Verschwörungsweltbild: Denken gegen die Moderne. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2024, 135 S., br., 22,00 €


1 Einleitung

Diese „Gebietskartierung“ nimmt einen Buchtitel von Kurt Sontheimer (1978) in leichter Variation auf. In „Das antidemokratische Denken in der Weimarer Republik“ unternahm es dieser, die verschiedenen antidemokratischen Strömungen der Zwischenkriegszeit zu analysieren und zu vergleichen. Eine zentrale Ähnlichkeit der extremen Rechten heute und damals ist, dass sich zwar spezifische Topoi wiederholen, aber nicht von einer kohärenten Ideologie – insbesondere nicht im Singular – zu sprechen ist. Vielmehr ist ein Spektrum zu beobachten, innerhalb dessen verschiedene, dort wo sie konkreter werden auch gegenläufige, meist wenig originelle Ideologeme zu verorten sind. Von einer Familienähnlichkeit (Klärner & Kohlstruck, 2006) der diesem Spektrum zugeordneten Ideologeme und Akteure kann insofern gesprochen werden, als Ungleichwertigkeitsvorstellungen und nationalistische Bezüge jeweils den Kern bilden. Entsprechend existiert auch eine große Vielfalt von Begriffen ((post-)faschistisch, rechtsradikal, rechtsaußen, (neo-)nazistisch, usw., siehe dazu z. B. Kiess, 2011; Birsl & Quent, 2025), theoretischen Ansätzen sowie empirischen Zugängen (Virchow, 2016). In der internationalen Forschung dominiert der Sammelbegriff „far-right“ (Mudde, 2019; Pirro, 2022). Der Begriff „extreme Rechte“ betont etwas stärker die antidemokratische Grundierung, bezeichnet aber ebenso das breite Spektrum von Positionen und Akteuren, das kurz inhaltlich umrissen werden soll.

Ein wichtiger Ausgangspunkt der bundesdeutschen Rechtsextremismusforschung ist die Einstellungsforschung und hier die von verschiedenen Forschungsgruppen genutzte Definition von Rechtsextremismus als Ungleichwertigkeitsideologie, die sich in verschiedenen Dimensionen – im deutschen Fall: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus – in variabler Betonung einzelner Aspekte äußert (Decker & Brähler, 2006; Kiess, 2011, 2024; Kreis, 2007; vgl. u. a. Best & Vogel, 2022; Zick et al., 2019; Reiser et al., 2022). Wilhelm Heitmeyer hatte bereits früh in Anschlag gebracht, dass eine Definition des Rechtsextremismus neben der politischen Einstellung auch die Dimension der Gewalt beinhalten müsse (Heitmeyer, 1992). Tatsächlich ist rechtes Denken immer (mehr oder weniger strikt) ausschließend, auf Machtaneignung bzw. -behauptung bezogen, gegen das Nichtidentische (Adorno) gerichtet und insofern gewaltaffin, selbst wenn Akteure es (einstweilen) bei Worten belassen mögen. Da der Aufstieg der extremen Rechten nicht (allein) mit auf Parteien(systeme) und weitere Akteure sowie deren Ideologien konzentrierte Analysen zu erklären ist, blickt die Soziologie „auf die Zusammenhänge zwischen ökonomischen, sozialen und politischen Strukturentwicklungen, [die] individuellen und kollektiven Verarbeitungen und [...] politischen Handlungskonsequenzen“ (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 41; siehe Heitmeyer, 2001). Inzwischen gibt es Versuche, die soziologische Rechtsextremismusforschung stärker zu etablieren und die Entwicklung des Feldes zu reflektieren (Quent et al., 2025).

Zu diesem Vorhaben beitragend umfasst diese Kartierung dreizehn zur Rezension vorliegende und zwischen 2019 und 2024 erschienene Monographien und Sammelbände. Diese analysieren mit verschiedenen Schwerpunkten und aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven Ideen, Ideologeme, Narrative oder Themen der extremen Rechten. Die Veröffentlichungen variieren zwischen empirischen Studien, theoretischen Beiträgen und Diskussionsbänden. Bei einigen handelt es sich um eindeutig soziologische Beiträge, bei anderen auch um interdisziplinäre Arbeiten oder Bände. Dies entspricht sowohl dem Gegenstand als auch dem interdisziplinären Forschungsfeld Rechtsextremismus/extreme Rechte. Dieses ist zwar (weiterhin) politikwissenschaftlich geprägt, weist aber auch starke soziologische, sozialpsychologische, zeitgeschichtliche, medienwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Bezüge auf. Die ausgewählten Bücher stelle ich vor dem Hintergrund der fachlichen Debatte in vier Unterabschnitten vor, wobei ich einzelne Veröffentlichungen mehrfach aufgreifen werde. Im kürzeren abschließenden Teil nehme ich eine bewertende Einschätzung der vorgestellten Arbeiten im Hinblick auf die Entwicklung der (soziologischen) Rechtsextremismusforschung vor.

2 Aktuelle Perspektiven auf extrem rechtes Denken

Wissenssoziologie extrem rechten Denkens

Zur Verbreitung rechtsextremer Einstellung liegen die Langzeituntersuchung der Arbeitsgruppe um Decker & Brähler (zuletzt Decker et al., 2024) sowie ähnliche Untersuchungen auf Bundes- (z. B. Zick et al., 2019) und auf Landesebene (z. B. Dilling et al., 2023; Reiser et al., 2022) vor. Diese Studien zeigen, dass verschiedene Ideologeme bzw. Einstellungsdimensionen stark miteinander korrelieren und sich gleichzeitig verschiedene Ausprägungen antidemokratischen Denkens nachweisen lassen. Die Operationalisierungen dieser quantitativen Untersuchungen gelten zwar als valide und für die Ursachenforschung wichtig (siehe z. B. Pickel, 2024). Sie sind aber nur bedingt geeignet, die Strukturen des extrem rechten Denkens zu verstehen. Über ideologiekritische Untersuchungen hinaus können hier vor allem wissenssoziologisch fundierte Untersuchungen einen wichtigen Beitrag leisten.

In seiner umfangreichen Dissertation „Die Erzählgemeinschaft der neuen Rechten. Zur politischen Soziologie konservativer Krisennarrative“ rekonstruiert Felix Schilk die „im Modus einer apodiktischen Geschichtsmoral“ argumentierenden und „dabei einem Regime apokalyptischer Zeitlichkeit“ folgenden Krisennarrative der extremen Rechten (S. 16). Dabei weist er nach, dass die Narrative der Entzweiung, Dekadenz (siehe auch Roepert) und Apokalypse nicht nur zum Kern neurechter, sondern auch konservativer Textproduktion gehören (S. 17). Die Krisennarrative ordnet der Autor überzeugend als Reaktionen auf die Moderne ein. Aus dieser „Perspektive lässt sich die narrative Konfiguration der konservativen Krisennarrative auch als struktureller Antisemitismus verstehen“ (S. 370). Unter Konservatismus versteht er „das Denken von sozial privilegierten Gruppen, die einen relativen Hegemonieverlust fürchten, weil die Lebenswelt, in der ihr Denken und ihr soziales Handeln verankert sind, durch fortschreitenden ökonomischen, kulturellen und sozialstrukturellen Wandel erodiert“ (S. 31). Aus dieser Ähnlichkeit – bzw. der titelgebenden Erzählgemeinschaft – von neurechten und konservativen Narrativen erwächst die eigentliche Gefahr der Neuen Rechten. Denn es seien nicht bestimmte Autor:innen oder Publikationsorgane, sondern die „Narrationen, die eine diskursive Brücken- oder Scharnierfunktion erfüllen und disparate soziale und politische Milieus miteinander verbinden“ (S. 372). Vor dem Hintergrund seiner umfassenden Auseinandersetzung mit Primärquellen kann Schilk zudem zeigen: „Neurechte Akteure mögen sich gern mit der Aura der Intellektualität schmücken, tatsächlich wiederholen sie aber zur Genüge durchgekaute Narrative, was langfristig lediglich zur Kanonisierung eines konservativen Denkstils beiträgt. Wirkliche intellektuelle Auseinandersetzungen oder theoretische Weiterentwicklungen finden im Umfeld der Neuen Rechten nicht statt.“ (S. 373)

Ebenfalls aus wissenssoziologischer Perspektive untersucht Georg Vobruba das „Verschwörungsweltbild“ der Autor:innen ausgewählter Online-Publikationen. Die Untersuchung rekonstruiert zunächst das „Einfachdenken“ als eine der Komplexität moderner Gesellschaft nicht angemessene und sich deshalb gegen sie wendende Logik. Während Vobruba es weitgehend vermeidet, das Verschwörungsdenken per se als extrem rechts oder (strukturell) antisemitisch zu bezeichnen, läuft die Rekonstruktion in dieser Hinsicht dennoch parallel zu Schilk. Das Verschwörungsdenken (Vobruba) ist nicht nur begrifflich („Globalisten“) anschlussfähig an die „Erzählgemeinschaft der neuen Rechten“ (Schilk): „Die Logik des Einfachdenkens erzwingt die Personalisierung. Jedes soziale Phänomen lässt sich einem Verursacher ‚dahinter‘ zurechnen. Wenn es um undurchsichtige weltweite Verflechtungen geht, ist darum nicht von ‚Globalisierung‘, sondern von den ‚Globalisten‘ die Rede“ (S. 58). Als jeweils externe Validierung der empirischen Analysen ist der ähnlich lautende Befund zum Verhältnis zur Moderne zu lesen: Das Verschwörungsdenken ist ein „Versuch, eine moderne Vorstellung vormoderner sozialer Verhältnisse durchzusetzen“, die aber „dreifach gebrochen“ sei:

Erstens macht der Versuch, ob man will oder nicht, von dem genuin modernen Wissen Gebrauch, dass die sozialen Verhältnisse gestaltbar sind. Und im Falle des Verschwörungsweltbildes sogar umfassend gestaltbar. Zweitens kann man es nicht um die Wiederherstellung traditionaler Verhältnisse gehen, sondern um die moderne Vorstellung vormoderner Verhältnisse. Und drittens findet sich auch in den kühnsten rückwärtsgewandten Vorstellungen kein Anzeichen dafür, dass die Retro-Utopien den Verzicht auf alle Errungenschaften der Moderne vorsehen. (S. 125)

Auch das von Schilk analysierte „konservative“ und „neu-rechte“ Denken ist selbst ein mehrfach gebrochen modernes.

Philipp Rheins ebenfalls wissenssoziologisch fundierte, aber auf die dokumentarische Methode und narrative Interviews aufbauende Analyse widmet sich dem Denken von AfD-Mitgliedern und ihrem Verhältnis zu Zeit. Konkret verweist er über seinen Ausgangspunkt Ernst Bloch hinausgehend auf die „Bedeutung kollektiver Erfahrung nicht nur in der Zeit, sondern auf Erfahrungen des Verlustes von Zeit selbst“ (S. 15) für die interviewten, südwestdeutschen AfD-Engagierten. Dabei würden „Endzeit- und Opfer-Selbstbilder ... unabhängig ihrer unterschiedlichen materiellen Lebenslagen und Identitäten ... AfD-Mobilisierung“ erklären helfen (S. 19). Wie bei Schilk bildet die „Spätmoderne“ als „gesellschaftlicher Erfahrungsraum“ (S. 19) und das Erleben von Zukunft (positiv aber eben für extrem rechts Denkende vor allem negativ) als „entwicklungsoffener Zeitraum“ (S. 52) auch in dieser Untersuchung die Hintergrundfolie extrem rechter Mobilisierung. Der als falsch erlebten demokratischen Politik stellen die Interviewten ihre eigene „Erfahrenheit“ (S. 149) und immer wieder „Normalität“ (S. 151), „als das ‚Menschenmögliche‘“ (S. 153) gar eine „ewigkeitsorientierte Normalität“ (S. 273) entgegen. Die im Material immer wieder aufscheinenden Vergleiche mit dem Nationalsozialismus bzw. der Judenvernichtung (z. B. S. 212 u. 213) lassen sich nicht nur als Schuldabwehr interpretieren, sondern legitimieren auch den immer wieder verbalisierten Wunsch nach „Zerstörung und Untergang und eine[m] radikalen Neubeginn“ (S. 231). Anstatt sich im demokratischen Prozess an der Gestaltung von Gesellschaft zu beteiligen spitze sich bei den chiliastischen Rechtspopulist:innen eine dystopische Zukunftslosigkeit zu (S. 366).

Ebenfalls mit der dokumentarischen Methode und wissenssoziologisch fundiert unternimmt es Arndt-Michael Nohl die interaktionistische Sozialisationstheorie weiterzuentwickeln. Er stützt sich dabei auf das von Karl Mannheim herausgearbeitete Konzept konjunktiver Erfahrung (S. 29) und „das mit ihnen einhergehende praktische Erfahrungswissen“, das klassenspezifische, migrations- oder genderspezifische Habitus-Formen „respektive einen derart strukturierten kollektiven Orientierungsrahmen“ (S. 32) ergebe. Die Monographie zielt nicht ausschließlich auf die extreme Rechte, sondern rekonstruiert basierend auf Sekundärauswertungen Sozialisationsprozesse von linksalternativen, Tea Party-, Pegida- und AKP-Aktivist:innen im Vergleich. Der Mehrwert des sozialisationstheoretischen Updates ist es, Logiken wie das von Vobruba rekonstruierte Einfachdenken in ihrer Genese verstehen zu können. So habe man es laut Nohl bei Pegida mit einer „offenbar sozialisationsgeschichtlich fundierten Weigerung oder Unfähigkeit, die Perspektive politisch Andersdenkender auch nur nachzuvollziehen, zu tun“ (S. 18). Entsprechend des Analysefokus treten die inhaltlich-ideologischen Positionen extrem rechter Akteure deutlich in den Hintergrund. Allerdings stellt Nohl selbst fest, dass Handlungsorientierung und politische Weltanschauung letztlich nur analytisch zu trennen seien: „Dass weite Bereiche der Gesellschaft aus dem Politischen ausgeklammert werden, ist wohl zugleich der Grund dafür, dass bei den Tea Party-Anhänger*innen politische Weltanschauung und politische Rollenorientierungen (bis hin zur Ununterscheidbarkeit) eng beieinanderliegen“ (S. 187). Auch aus Nohls Perspektive tritt die antidemokratische Radikalität extrem rechter Positionen deutlich hervor, denn „dem politischen Gegner [wird] eigentlich keine eigene Perspektive und keine eigene Interpretationsleistung zugestanden“ (S. 238).

Die Sammelbände von Schönberger/Schönberger, Strube et al. und Scorce et al. enthalten (einzelne) weitere beachtenswerte, im weiteren Sinne wissenssoziologische und das Denken der extremen Rechten rekonstruierende Beiträge. Die rechtssoziologischen und rechtswissenschaftlichen Beiträge insbesondere von Sophie Schönberger (siehe auch die neuere Monographie Schönberger & Schönberger, 2023) helfen, das extrem heterogene (Schönberger & Schönberger in dies., S. 11) Phänomen Reichsbürger einzuordnen. Letztlich komme in diesem „eine grundlegende Entfremdung gegenüber der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck. Sie erinnert daran, dass diese Rechtsordnung nicht nur mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, sondern der überzeugten Anerkennung ihrer Bürger bedarf“ (Chr. Schönberger in Schönberger & Schönberger, S. 67). Sophie Schönberger zufolge sind Reichsbürger „vor allen Dingen ein Projekt der Individualisierung. In all ihrer Zersplitterung konstituieren sie gerade keine fassbare Gemeinschaft, kein neues Gemeinwesen“ (in Schönberger & Schönberger, S. 170). Im selben Band verweist Thomas Schmidt-Lux auf die „biographische Funktion der Reichsbürgerschaft: Sie ermöglicht es, den bisherigen, brüchig gewordenen Lebenskontext symbolisch zu verlassen zugunsten einer neuen und deutlich differenten Lebenswelt“ (in Schönberger & Schönberger, S. 94).

Kritische Theorie

Betrachtet man die klassischen Autoritarismus-Studien von Fromm (1980) und Adorno et al. (1964; siehe auch Adorno, 2019) aber auch Löwenthal (1990) als Anfänge oder jedenfalls wichtige Impulsgeber der Rechtsextremismusforschung (Kiess, 2024), so rechtfertigt schon dies das derzeit große Interesse (an) Kritischer Theorie. Und angesichts des gegenwärtigen Erfolgs extrem rechter Mobilisierung schließen immer wieder Arbeiten (unterschiedlich affirmativ) an diese Tradition an (z. B. Amlinger & Nachtwey, 2022; Bohleber, 2024; Brunner, 2025; Decker, 2018; Decker et al., 2022, 2024; Heitmeyer, 2018), von denen sich zumindest einige als „Kritisch“ mit großem K verstehen. Dieses Distinktionsbedürfnis gegenüber anderen, sich ebenfalls als (gesellschafts)kritisch verstehenden Arbeiten (Schilk, Rhein) – jedenfalls Rhein will seine Dissertation „als Beitrag zu einer kritischen Theorie der Gegenwartsgesellschaft“ (S. 97) verstanden wissen – oder reflexiv-kritischen Arbeiten (Vobruba) sei hier nur kurz erwähnt. Stellvertretend und in der geringen Anzahl letztlich etwas willkürlich sollen hier drei Veröffentlichungen kritisch gewürdigt werden.

In seiner Dissertation „Konformistische Revolte. Zur Mythologie des Rechtspopulismus“ zeigt Leo Roepert auf, wie der Rechtspopulismus „versucht, die Krisen der Gegenwart zu deuten, zu verarbeiten und zu überwinden, ohne die gesellschaftlichen Strukturen, die sie hervorbringen, in Frage stellen zu müssen“ (S. 9). Die kritische Positionierung richtet sich nicht nur gegen den Rechtspopulismus und die Gesellschaft, die ihn hervorbringt, sondern auch gegen jene sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätze, die den Elitendiskurs der extremen Rechten „überwiegend realistisch“ interpretieren, also einen wahren bzw. legitimen Kern erkennen wollen (S. 29). Pointiert schreibt Roepert zu Wolfgang Streeck: „Wenn bei Pegida-Veranstaltungen ‚Absaufen‘ skandiert wird, dann in Streecks Lesart also deshalb, weil die Anwesenden ihre Kritik am ‚kapitalistischen Modernisierungsdruck‘ nicht anders auszudrücken wissen“ (S. 50). Wenige Arbeiten würden sich tatsächlich „mit den Inhalten rechtspopulistischer Diskurse und Deutungsmuster[n]“ auseinandersetzen (S. 84). Die Arbeit unternimmt dann eine Rekonstruktion des rechtspopulistischen Weltbildes, das sich in einen „Diskurs über die Fremden“ und einen „Diskurs über die Elite“ (S. 89) unterteilen lasse und in dem insbesondere das Dekadenz-Narrativ zentral sei (S. 114). Dabei liefere die „Idee eines planvollen Handelns der Elite sowohl für die Schwäche des Eigenen als auch für das Eindringen der Fremden eine Erklärung“ (S. 120). Ähnlich wie die wissenssoziologischen Arbeiten von Vobruba und Schilk läuft auch die Analyse von Roepert auf den im Kern „strukturellen Antisemitismus des rechtspopulistischen Elitendiskurses“ hinaus, womit einerseits ein Ersatz für offenen Antisemitismus gegeben sei (S. 14) und andererseits ein Spezifikum des extrem rechten Denkens benannt ist. Die ja auch aus der Perspektive Kritischer Theorie bestehende allgemeine „Krisenentwicklung wird in der Logik der Handlung interpretiert und mit subjektivem Sinn versehen, indem sie auf die Intentionen von Kollektivsubjekten zurückgeführt wird“ (S. 218). Weil das liberale Denken ohne Krisenbewusstsein sei, sehe es die Krisentendenz der bürgerlichen Gesellschaft nicht (S. 226), allenfalls affirmierten sozialwissenschaftliche Beiträge die Krisen-Kritik des Rechtspopulismus.

Roepert hat außerdem einen Sammelband mit dem Titel „Kritische Theorie der extremen Rechten. Analysen im Anschluss an Adorno, Horkheimer und Co“ herausgegeben, der eine Bandbreite sozialphilosophischer Aufsätze umfasst. Auch dieser beginnt mit scharfer Kritik an der Forschungslandschaft: „Einige entdecken selbst im Rassismus noch einen ‚rationalen klassenpolitischen Kern‘ (Dörre 2018: 60) oder behaupten, dass ‚Forderungen nach mehr Demokratie [...] auch in einem fremdenfeindlichen Vokabular artikuliert werden‘ können (Mouffe 2018 76)“ (Roepert in Roepert, S. 11). Auch „Autor:innen, die gegenwärtig als Vertreter:innen einer kritischen Theorie im weiteren Sinne verhandelt werden“ tendierten dazu, so Struwe und Petersen, an der Aufgabe zu „scheitern, eine Kritik der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen politischer Regression zu formulieren. [...] Entweder kommt es zu einer Trivialisierung von materiellen Interessen oder zur Mystifikation von Gemeinschaftsbedürfnissen“ (Petersen/Struwe in Roepert, S. 31). Aus dem Blick gerate so nicht zuletzt, dass extrem Rechte zur Schaffung ethnisch-kulturell homogener, ständischer Gesellschaften eine „Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ gar nicht anstreben, sondern sich „der Bekämpfung der Feinde“ verschreiben (Weyand in Roepert, S. 178). Lernen lässt sich auch aus Felix Sassmannshausens Rekonstruktion der Demokratietheorie von Franz L. Neumann „mit der sich Schmitts identitäre Theorie als ideologische Schiefheilung des Unbehagens an der modernen Demokratie fassen lässt“ (in Roepert, S. 273). Insgesamt macht der Band in den verschiedenen sozialphilosophischen Erörterungen sowie einzelnen empirischen Kapiteln unterschiedlich überzeugende Angebote zur Weiterbeschäftigung mit Kritischer Theorie.

Als dritter hier der Kritischen Theorie zugeordneten Beiträge liegt „Macht und Magie. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion nationalsozialistischer, neokonservativer und rechtspopulistischer Inszenierungen in Deutschland“ von Hans-Dieter König vor. Die Tiefenhermeneutik kann als bevorzugte empirische Methode für mit dem Paradigma der Kritischen Theorie Forschende gelten (z. B. Rokahr in Roepert; Monecke in Sorce et al.; Brunner et al., 2012; Kalkstein, 2024). König gilt als wichtiger Vertreter und Weiterentwickler der Methode und bietet im ersten Kapitel eine umfassende Einführung an. Weil Akteure „auf der manifesten Bedeutungsebene des Handelns über konsensfähige Lebensentwürfe kommunizieren“, will die Tiefenhermeneutik „sozial anstößige“ und „auf eine latente Bedeutungsebene“ verbannte Lebensentwürfe (S. 9) aufdecken und so ein tieferes Verständnis sozialer Phänomene generieren. Die weiteren Kapitel sind hauptsächlich Zweitveröffentlichungen, die der Illustration der Methode dienen. Indem man sich mit der Methode zum Beispiel der „Wirkung der Hitlerschen Masseninszenierungen auf das eigene Erleben aussetzt, lassen sich die Wünsche dechiffrieren, die die politische Agitation nationalsozialistischer Führer weckt und im Dienste der weltanschaulichen Propaganda funktionalisiert“ (S. 86). Eine solche durchaus gewinnbringende Analyse zeigen leider nicht alle Beiträge. Auch ist unter anderem im Kapitel zu einer Rede von Helmut Kohl unklar, ob dieses überhaupt auf einem tiefenhermeneutischen Vorgehen beruht. In anderen Kapiteln sind die Interpretationen kaum nachvollziehbar (siehe unten).

Schließlich beinhalten die rezensierten Sammelbände von Sorce et al. und Roepert noch zwei gelungene Beispiele tiefenhermeneutischer Analysen, die in diesem Unterabschnitt nicht unerwähnt bleiben sollen. Monecke analysiert ein Propagandavideo der extrem rechten Arbeitnehmerorganisation Zentrum und zeigt auf, wie dieses „über latente Ängste vor sozialem Abstieg“ funktioniert (in Roepert, S. 175): In der Interpretationsgruppe mobilisierten sich nämlich genau diese Affekte und in der Reflexion erschloss der Autor sich so ein besseres Verständnis des auf den ersten Blick banal wirkenden Videos. Sandra Rokahr wiederum zeigt anhand eines YouTube-Videos des verschwörungstheoretischen Influencers Heiko Schrang, wie dieser manifest Erkenntnis anbietet, aber latent seine Zuschauer:innen demütigt und ihre Ängste bestärkt (in Sorce, S. 206).

Antifeminismus und Gender Studies

Dass Geschlecht für die extreme Rechte zentrale Bedeutung hat (Köttig et al., 2017; Lavizzari & Pirro, 2024) machen nicht nur die jüngsten neonazistischen Angriffe auf Christopher Street Day-Paraden oder die antiquierten Rollenbilder der einschlägigen Programmatiken deutlich. Auch Einstellungsuntersuchungen zeigen starke Korrelationen zwischen autoritären und extrem rechten sowie antifeministischen und sexistischen Einstellungen (Höcker et al., 2020). Im Band von Sorce et al. finden sich zwei Beiträge mit einem entsprechenden Fokus. Lehnert widmet sich unter dem vorangestellten Zitat „Und das wäre dann sozusagen die Vollendung der Emanzipation“ der Funktion politisierter Mutterschaft. Für die untersuchten Protagonistinnen geht es dabei nicht nur um Anerkennung ihrer eigenen Mutterschaft, sondern auch der moralischen Abwertung der ihren Vorstellungen entgegenstehenden Formen von Elternschaft. Sorce und Renz untersuchen die „120 Dezibel“-Kampagne der sogenannten Identitären. Dabei gehen sie nicht nur auf Diskurstaktiken wie das Flooding und Agenda Surfing ein, sondern zeigen auch inhaltlich, „wie rechte Akteur*innen demokratisch-emanzipatorische Botschaften kapern und welche Rolle digitale Medien hierbei für öffentliche Solidaritätsbekundungen spielen“ (in Sorce et al., S. 134). Schließlich schloss die Agitation an die feministische #Aufschrei-Kampagne an und versuchte deren Narrativ völkisch-regressiv umzudeuten.

Extrem rechtes Denken erstreckt sich gerade auch auf den Bereich der Geschlechter-, Familien- und Sexualpolitik. Der sehr heterogene Tagungsband von Strube et al. „Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Mobilisierung – Vernetzung – Transformation“ kritisiert unter anderem die „‘natürliche‘ Geschlechterdifferenz als pseudodemokratisches Stereotyp“ (Hidalgo in Strube et al., S. 21). Neben der ideologischen Bedeutung der Natürlichkeit sozialer und damit auch geschlechtlicher Ordnung für die extreme Rechte verspricht das Thema strategische Erfolge – siehe ähnlich auch die bereits oben besprochene Arbeit von Felix Schilk. Weil sich „(ihrem Anschein nach demokratieaffine) kulturkonservative und rechts-populistische Positionen oft kaum voneinander unterscheiden lassen, ist die Kritik am ‚Genderismus‘ zur Domäne ‚rechtsautoritären‘ Denkens schlechthin mutiert“ (Hidalgo in Strube et al., S. 28; siehe auch Mayer sowie Strube in Strube et al.). Hervorgehoben wird in der Einleitung des Bandes der emotionssoziologische Beitrag von Scherke und eine für die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten und dem mobilisierten Publikum zentrale Einsicht: „Einen Ausweg aus dem Scham-Wut-Mechanismus böte allein das Eingeständnis der Scham, das wiederum das aushalten-Können dieses Gefühls sowie ein entsprechendes Selbstbewusstsein voraussetze“ (in Strube et al., S. 15). Nicht alle der relativ kurzen Beiträge überzeugen, aber der Band liefert – jedenfalls für nicht bereits sehr gut im Thema Orientierte – interessante Einblicke in geschlechterpolitische Auseinandersetzungen und diesbezügliche extrem rechte Strategien mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa sowie – auch das unterstreicht die Heterogenität des Bandes – theologische Diskurse.

Das Narrativ vom Großen Austausch wird auch in einigen bereits besprochenen Beiträgen thematisiert (z. B. Schilk und Vobruba). Nadja Kutscher widmete diesem mit einem spezifischen Fokus auf den extrem rechten Antifeminismus ihre Dissertation, auch weil extrem rechte Aktivisten wie Martin Sellner selbst behaupten, dieser sei für die Szene der „derzeit wichtigste Begriff“ (zit. in Kutscher, S. 91). Ausgangspunkt der Arbeit ist die dezidiert antirassistische und feministische Positionierung der Autorin. Grundlage der empirischen Analyse sind Artikel aus den neurechten Publikationen „Junge Freiheit“ und „Sezession“, die einer kritischen Diskursanalyse unterzogen werden, um „den Diskurs abzubilden und zu analysieren, nicht maßgeblich um die psychologisch-sozialen Motive der Akteur:innen“ (S. 15) zu verstehen. Die Arbeit verfehlt allerdings das eigene Ziel, nämlich nachzuzeichnen, wie „ihre Ideologie im Detail ausgestaltet“ (S. 192) ist, insbesondere weil sie den antisemitischen Charakter der Erzählung vom „Großen Austausch“ systematisch ausblendet: „Antisemitismus bzw. antijüdischer Rassismus [...] spielt in meinen Ausführungen zwar ebenfalls eine Rolle, dies jedoch nicht in seiner frühesten Form, sondern in den gewaltvollen Ausprägungen, die sich aus der Entwicklung anderer Rassismen ergaben“ (S. 43). Jegliche Spezifität des Antisemitismus, vor allem, dass dieser „die Juden“ gleichzeitig rassistisch als minderwertig, aber eben auch verschwörungsideologisch als übermächtig konzipiert, woraus sich der Vernichtungsauftrag und eben nicht „nur“ das „Recht“ zur Unterdrückung speist, wird an dieser Stelle ohne Ansatz einer Diskussion wegdefiniert. Richtig ist, dass es bei der Thematisierung des Gebärens – und damit dem Zugriff auf den weiblichen Körper – „nicht allein um das Zuwenig am eigenen Volk, sondern gerade auch um das Zuviel am anderem“ geht (S. 61). Die Auseinandersetzung mit extrem rechten Bezugnahmen auf Geschlecht und Sexualität ist also durchaus durch die enge Verknüpfung mit dem völkischen Grundtenor zu verbinden.

An diesem Punkt knüpft auch Gabriele Dietze an. Ihr Essay – es handelt sich mit dieser Selbstdeklaration nicht um eine wissenschaftliche Monographie im engeren Sinne – ist wohl als Teil konfrontativer Auseinandersetzungen im Feld der feministischen Forschung und Gender Studies zu lesen. Während Kutscher sich auf neurechte Debatten beschränkt, orientiert sich Dietze stärker auf gesamtgesellschaftliche Diskurse. Ausgangspunkt ist die These, dass der sogenannte „Ethnosexismus [...] Rassismus und Sexismus an zwei Gelenkstellen [verfugt]. Die eine Gelenkstelle ist die Behauptung, die ‚eigenen‘ Frauen seien durch ‚fremde‘ Männer gefährdet. Die andere Gelenkstelle ist die Sorge, als hegemoniale ‚Rasse‘ und Geschlecht auszusterben“ (S. 9). An einer sachlichen Debatte offenbar wenig interessiert kontrastiert die Autorin vorgeblich aufgeklärte Selbstinszenierungen mit islamisch konnotierter „Rückständigkeit“: Mit dem Schlagwort „sexueller Exzeptionalismus“ kritisiert die Autorin die „angeblich progressive[] abendländische[] Sexualmoral“ (S. 26). An vielen Stellen pauschalisiert und polemisiert die Autorin, etwa wenn sie vom „Schlampen-Schick“ (S. 29) junger Frauen schreibt oder ohne Literaturverweise die (sicherlich teilweise anzutreffende) „Borniertheit männlicher Wissenschaftler, die Geschlechterfragen partout als Nebenwiderspruch ab-handeln wollen“ (S. 9, sic) beklagt. Während eine Kritik des medialen Diskurses um die Geschehnisse der „Kölner Silvesternacht“ angebracht sein mag, kippt Dietze auch in der Auseinandersetzung mit diesem Datum ins Polemische, ohne die Problematik sexueller Gewalt noch adäquat zu erfassen: „Eine internationale Erregungsgemeinschaft ... bildet sich um ein Vergehen, das nach deutschem Recht, als es begangen wurde, nicht strafbar gewesen ist“ (S. 103).

Identität(skonstruktionen)

Bereits in den bis hierher vorgestellten Beiträgen spielen Identitätskonstruktionen der extremen Rechten eine zentrale Rolle. Das ist insofern folgerichtig, als der Kern (extrem) rechter Politik die Identitätspolitik ist: Ihr Ziel ist die Konstruktion eines (möglichst) homogenen Volkes, in dessen Totalität nicht nur Fremde keinen Platz haben, sondern auch die zugehörigen Einzelnen aufzugehen haben. Hervorzuheben sind hier nochmals die Monographien von Rhein (zu den Selbstbildern von AfD-Funktionären), Nohl (zu den Rollenidentitäten von Pegida-Sympathisant:innen) und Schilk (zu den Erzählungen der neuen Rechten).

Die Arbeit „Das ‚Wir‘ der AfD“ von Johannes Hillje will aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive „die Brücke zwischen Form und Inhalt, zwischen Ideologie und Strategie“ (S. 16) schlagen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Identität immer kommunikativ hergestellt wird und „das Ergebnis von Angleichung und Unterscheidung, von Identifikation mit den einen und von Unterscheidung gegenüber den anderen“ ist (S. 21). Aus der Literatur destilliert der Autor überzeugend eine „systemische Übereinstimmung zwischen massenmedialen Aufmerksamkeitsregeln und populistischer Logik“ (S. 41), von der Akteure wie die AfD profitieren. Insbesondere die Direktkommunikation via Social Media bevorzugt populistische Parteien, da jene „aus dieser Direktkommunikation eine zusätzliche politische Botschaft machen“ (S. 64). So sei die AfD „als digitale Massenkommunikationspartei zu verstehen, der es unter den Bedingungen der Digitalisierung gelungen ist, als Partei selbst zum Massenmedium [zu] werden“ (S. 73). Insgesamt überzeugt die Arbeit durch eine umfangreiche Literatursichtung und ein klares empirisches Vorgehen. Letzteres wird auch durch die Simplizität der AfD-Erzählung ermöglicht und so arbeitet Hillje einen Master-Frame und zwei Sub-Frames heraus: Der Master-Frame konstruiert eine „Differenzierung kultureller Insider und kultureller Outsider“ (S. 213), „[d]er erste der beiden identifizierten Sub-Identitätsframes konstruiert die Ingroup über negative Emotionen als die kulturell Bedrohten, der zweite Sub-Identitätsframe basiert auf positiven Emotionen und schafft das Selbstbild von der AfD als Retterin der eigenen Kultur“ (S. 214). Auf dieser Grundlage macht die AfD ihren sozioökonomisch durchaus diversen Anhänger:innen „primär ein kulturelles Identitätsangebot“ (S. 233).

Dass die AfD vorwiegend kulturell verfängt und weniger eine sozialpolitisch für untere und mittlere Einkommensschichten vorteilhafte Programmatik anbietet, zeigen auch die Aufsätze in Sorce et al. Der auf die „exkludierende Solidarität“ der extremen Rechten zielende Band enthält (hauptsächlich) Beiträge aus dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Promotionskolleg „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“, die ihre Relevanz vor dem Hintergrund der immer wieder vorgebrachten (angeblichen) sozialpolitischen Attraktivität der extremen Rechten gewinnen (zur Kritik siehe auch Hagedorny et al., 2025). Dabei gelte für den europäischen Vergleich zunächst: „Die wirtschafts- und sozialpolitische Positionierung populistisch-rechtsradikaler Parteien war, ist und bleibt vielfältig“ (Biskamp in Sorce et al., S. 37). Zudem zeigen Fronek und Siegert, dass „Solidarität im Diskurs der ‚Neuen Rechten‘ eine primär ordnungspolitische Funktion besitzt und unauflösbar mit dem Postulat ethnischer Homogenität verbunden ist“ (in Sorce et al., S. 85). Parteipolitisch ist eine „übereinstimmend kulturkritisch-ordoliberale Konstanz der AfD und ihrer Anhänger*innen“ (Kapheggyi in Sorce et al, S. 61) gut nachweisbar. Diese Einschätzung ist übertragbar auch auf die pseudo-feministischen Kampagnen z. B. der Identitären (Sorce & Renz in Sorce et al.). Letztlich konzentriere sich die Sozialpolitik eines nationalen Wettbewerbsstaats auf völkischer Basis „vor allem auf einen ausgeprägten Familialismus“ (Kapheggyi in Sorge et al., S. 71; siehe auch Hagedorny et al., 2025). Schließlich zeigen Rhein und Mohring-Hesse, „wie exkludierende Solidarisierung nicht auf Verbesserungen, sondern auf die gemeinsame Bestätigung erfahrener Frustration zielt. Die so Frustrierten und Mobilisierten sind dann auch politisch kaum mehr zurückzugewinnen“ (in Sorce et al., S. 215).

Wie die Wir-Identität und die exkludierende Solidarität vermitteln auch Verschwörungserzählungen soziale Identität (Weyand in Roepert). Die Verschwörungserzählung versichert Zugehörigkeit zur „imagined community“ (Anderson, 1986) der Nation und damit wird die Infragestellung von Verschwörungserzählungen zur Bedrohung der Identität selbst (Weyand in Roepert, S. 184). Und auch im „Zentrum der Reichsbürgerideologie steht daher der Einzelne, dessen Identität und Selbstbestimmung im Angesicht eines als in jeder Hinsicht illegitim verstandenen Herrschaftssystems behauptet werden soll“ (Schönberger in Schönberger/Schönberger, S. 170). Es geht, so lässt sich zusammenfassen, in der extrem rechten Identitätspolitik stets und existentiell um „Alles“.

In den (anti-)Gender-Diskursen wird das besonders deutlich. Etwa im serbischen Nationalismus spiele die „Verknüpfung von Geschlechterverhältnissen und politisch-kultureller Identität“ eine zentrale Rolle, da Geschlecht die zentrale Ordnungskategorie darstelle (Navratil in Strube et al., S. 130). Ähnliche Beobachtungen machen Beiträge im selben Band zu Kroatien, Polen, Österreich und Ungarn. Identität, so Cicek Sahbaz, sei „immer schon kontaminiert“ (in Strube et al., S. 83): Einerseits bezieht sich jede (soziale) Identität auf das „Andere“, andererseits existiere die Gemeinschaft vor ihrer Begründung nicht, setze sich aber als „gründende Instanz“ voraus (in Strube et al., S. 83). Zusammenfassend stellt Stefanie Mayer fest, dass der Antifeminismus der „Herstellung der rechtspopulistischen identitären Beziehung zwischen antifeministischen Sprecher*innen und ihren Adressat*innen“ diene und gleichzeitig Brücken hin zu konservativen und religiösen Milieus ermögliche (in Strube et al., S. 46).

3 Kritische Würdigung der vorgestellten Beiträge

Die thematische, disziplinäre aber auch qualitative Diversität der vorgestellten Beiträge verweist auf die enorme Dynamik im Feld der (soziologischen) Forschung zur extremen Rechten. Ausdruck dieser ist auch die selbstreflexive Ausrichtung der erst 2021 gegründeten Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung (Quent et al., 2025), die im Übrigen ebenfalls thematisch und disziplinär breit positioniert ist. Um einen Einblick in diese Forschung zu bieten, wurden in den letzten fünf Jahren veröffentlichte Bücher ausgewählt, die einerseits zum antidemokratischen Denken bzw. den Themen der extremen Rechten sprechen und andererseits in der Gesamtschau eine große Bandbreite abdecken. Entsprechend findet sich die kommunikationswissenschaftlich-empirische Dissertationsschrift von Johannes Hillje hier ebenso wie der Essay von Gabriele Dietze und der von Leo Roepert herausgegebene Band zu (vorwiegend) sozialphilosophischen Versuchen in der Tradition der (klassischen) Kritischen Theorie.

Während die verschiedenen Perspektiven in einem so komplexen Forschungsfeld wichtige Impulse geben, sind einige der besprochenen Bücher weniger, andere uneingeschränkt empfehlenswert. Insbesondere die wissenssoziologischen Beiträge von Schilk und Rhein sowie die sozialisationstheoretische Studie von Nohl sind methodologisch und wissenschaftstheoretisch sehr gut fundiert. Zugespitzt formuliert: Pro gelesene Seite lernt man aus ihnen am meisten über das Denken der extremen Rechten. Auch der Band von Vobruba ist sehr zu empfehlen, da er durchaus soziologische Grundsätze überzeugend darlegt, dies aber genau wie die empirische Analyse sehr zugänglich und in knapperem Umfang als die vorgenannten Beiträge bewerkstelligt. Die Arbeiten aus der Perspektive der Kritischen Theorie kämpfen zwar mit den eigenen Übervätern, zeichnen sich davon abgesehen aber durch eine hohe Reflexionsneigung aus. Eine Distanz zu eigenen Gewissheiten, etablierten Erklärungsansätzen und der „gesellschaftlichen Totalität“ ist für alle am Thema Interessierten zu empfehlen, auch wenn jedenfalls die Sammelbandbeiträge einen Zugang für Nicht-Eingeweihte nicht immer einfach machen (und teils auch fehl gehen, siehe unten). Die Monographie von Roepert ist in dieser Hinsicht aber uneingeschränkt zu empfehlen. Auch die kommunikationswissenschaftliche Arbeit von Hillje und (mehrheitlich) die Beiträge in Sorce et al. zur „exkludierenden Solidarität“ sind sehr empfehlenswert, da sie wichtige Befunde empirisch-methodisch abgesichert vorlegen und so fundiert zur Debatte beitragen. Dagegen sind die Beiträge von Dietze und Kutscher mit ihrem aktivistischen und verkürzenden sowie teilweise auch die orthodox in der Kritischen Theorie verorteten Sammelbandbeiträge wenig überzeugend.

Roepert selbst sowie einige Beiträge im Sammelband desselben bringen durchaus gelungene Kritik am herkömmlichen Populismus-Diskurs vor. Allerdings sind „Kritische“ (mit großem K) Beiträge oft von der prätentiösen Überhöhung des Labels Kritische Theorie geprägt. So kippt an einigen Stellen die sachliche Kritik und Zurückweisung des „Mainstreams“ in Strohmannargumente und Verallgemeinerungen, etwa wenn Emanuel Kapfinger (in Roepert (Hrsg.)) in seinem Beitrag „die“ Rechtsextremismusforschung in Bausch und Bogen als ungenügend abweist, sich aber letztlich nur mit Heitmeyer und Adorno auseinandersetzt. Ulrike Marz beklagt den Verlust der „Achsen ›wahr‹–›unwahr‹ oder ›richtig‹–›falsch‹“ als Grundlage von Gesellschaftskritik“ (S. 147). Der (projektive?) Vorwurf an die Mannheimsche Wissenssoziologie bewahrt sie aber nicht davor, selbst einen Standpunkt nur behaupten, nicht aber logisch herleiten zu können. Während die empirischen Beiträge von Weyand (zu Verschwörungsdenken), Rokahr (eine tiefenhermeneutische Rekonstruktion eines YouTube-Videos) und Schreiter (zum Antisemitismus in der extremen Rechten) überzeugen oder wie Sassmannshausen mit seinem Beitrag zu „Franz L. Neumanns Kritik am völkischen Demokratiebegriff“ die Kritische Theorie fruchtbar machen können, kommen die sozialphilosophischen Beiträge teilweise über die reine Textexegese nicht hinaus. Das steckt bereits in den Titeln der Kapitel, die regelmäßig einen „Versuch über“ (Stevens in Roepert), „Überlegungen zur Bedeutung“ (Marz in Roepert) oder Ausführungen „Zur Kritischen Theorie der Neuen Rechten“ (Monday in Roepert) ankündigen. Vorwürfe an Vertreter:innen der dritten Generation kritischer Theorie wie Honneth oder Jaeggi, sie würden sich damit zufriedengeben, materialistische Konzepte „unterhalb der Abstraktionsebene einer gesellschaftlichen Totalität“ retten zu wollen (Petersen & Struwe in Roepert, S. 38) oder dass die Mannheimsche Wissenssoziologie „Wahrheitsrelativismus“ betreibe (Marz in Roepert, S. 147) fallen auf diese Beiträge selbst zurück. Einerseits können sie ihre Positionen entgegen der postulierten Totalität der Gesellschaft nur behaupten, nicht begründen: „Die kritische Referenz von Gedanken auf Gedanken“ gerät in eine Kreisbewegung, da sie „weder die Möglichkeit eines Rückgriffs auf einen absoluten Referenzpunkt für Kritik noch die Chance einer empirischen Rückbindung der Kritik an die sozialen Verhältnisse“ (Vobruba, 2009, S. 56–57) aufbieten können. Zweitens übernehmen sich die Texte in der Attitüde, Adorno und Horkheimer nachzueifern. Beides trägt vermutlich zu einer leider prätentiös wirkenden Haltung bei. Die wissenssoziologischen Beiträge sind im Übrigen durchaus gesellschaftskritisch ambitioniert. So will Rhein einen „Beitrag zu einer kritischen Theorie der spätmodernen Gegenwartsgesellschaft“ leisten (S. 23), denn die „historischen und sozialen Hintergründe seiner Utopie zu durchschauen“ sei ein wirksames Mittel dagegen, für diese uneingeschränkt kämpfen zu wollen (S. 97). Diese Ambitionen sind grundsätzlich einlösbar und werden im vorliegenden Fall auch eingelöst.

Eine aus der Tradition der Kritischen Theorie abgeleitete methodische Perspektive bietet die Tiefenhermeneutik und es lässt sich eine gewisse, fast modehafte Aufmerksamkeit für diese konstatieren. Wie bei allen empirischen Zugängen und vielleicht noch stärker als bei anderen rekonstruktiv-qualitativen Verfahren ist ein methodisch sauberes Vorgehen und vor allem die intersubjektive Nachvollziehbarkeit unverzichtbar (für einschlägige Kriterien siehe Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010). So kann Monecke (in Sorce et al.) in seinem Aufsatz gut zeigen, wie die Deutungen und Affekte der Interpretationsgruppe reflektiert und an das Material zurückgebunden werden. Daraus entsteht wie beabsichtigt ein vertieftes Verständnis der Funktionsweise extrem rechter Propaganda (siehe auch Rokahr in Roepert). Einige der Fallstricke der Methode zeigen sich aber ausgerechnet bei König: So wird in der Analyse einer Rede von Helmut Kohl nicht klar, ob diese überhaupt tiefenhermeneutisch ausgewertet wurde. Im folgenden Unterkapitel zu Althans, einem neonazistischen Agitator, geht der Autor zunächst ideologiekritisch und politpsychologisch (S. 105) vor. Selbst postuliert der einführende methodologische Beitrag noch klar, dass es ein Fehler wäre, das Datenmaterial nicht in seiner Eigendynamik zu rekonstruieren, sondern „als Illustrationsfolie für die Geltung einer Theorie“ zu missbrauchen (S. 16, Fn. 9). Die weitere Analyse von Althans erweckt aber genau diesen Anschein, denn es bleibt völlig unklar, was die folgende psychoanalytische Übersetzung zum Verständnis der Agitation und ihres Erfolges beiträgt: „Sowohl auf orale als auch genitale Lust soll zugunsten einer asketischen Lebenseinstellung verzichtet werden, die vor allem anale Triebregungen auslebt und zugleich unterdrückt“ (S. 123). Diese Lesart fanden schon die Klassiker der Autoritarismusforschung und sie ist damit nicht neu – und eben hier, unabhängig von ihrer Gültigkeit, nicht überzeugend aus dem Material erarbeitet. Auch die Deutung einer Schlange ist nicht nachvollziehbar (S. 129), da sie ebenfalls nicht aus dem Material oder den Affekten der Interpretationsgruppe hergeleitet, sondern vor allem vom Autor als Lesart (unter vielen möglichen anderen) qua der psychoanalytischen Formel bevorzugt zu werden scheint. In einem weiteren Beitrag zur „Merkel-Raute“ werden Online-Kommentare zu dieser als Analysegrundlage herangezogen. Anstatt aber diese Deutungen selbst zu untersuchen und was sie gegebenenfalls über deren Verfasser:innen und ihre Projektionen aussagen, werden sie willkürlich übernommen. Schließlich kommt der Autor zu der Deutung, dass die Raute womöglich den „Wunsch“ von Angela Merkel „in ihrer sexuellen Geschlechtsidentität als Frau wahrgenommen zu werden“ ausdrücke oder auch ein „Zeichen der Solidarität mit Frauen“ sein „könnte“ (S. 148). Diese Deutungen wirken nicht nur für sich genommen sehr weit hergeholt, sie werden auch nicht nachvollziehbar dargelegt. Bezeichnend sind auch die vielen Stellen, an denen Kontextwissen und Belege für Bewertungen und Einschätzungen des Autors in Form einzelner Zeitungsartikel und Beiträge der Bundeszentrale für politische Bildung angeführt werden. Eine Einbeziehung der Fachliteratur findet im gesamten Buch fast nicht statt.

Schließlich ist ein wichtiges Ergebnis dieses Literaturüberblicks die Zentralität des Antisemitismus als „antimodernes“ Weltbild (Kiess, 2021; Kiess et al., 2020) für das extrem rechte Denken. Der Zusammenhang der extrem rechten Denkstrukturen und der Struktur des modernen Antisemitismus zeigt sich gerade in Deutschland in der Herausbildung des deutschen Nationalismus (Longerich, 2021), in der zentral die Juden als „Dritte“ (Holz, 2001), nicht Franzosen, nicht Deutsche, und damit als das grundsätzlich „Nichtidentische[]“ (Adorno, 2023, p. 184) konstruiert wurden. Hierin sind direkt die Identitätspolitik und Identitätskonstruktionen des extrem rechten Denkens berührt. Im Verschwörungsdenken (Vobruba, Weyand in Roepert), in den Narrativen der neuen Rechten und Konservativen (Schilk) und in den Weltbildern von AfD-Funktionären (Rhein) zeigt sich, dass der (strukturelle) Antisemitismus ein oder sogar der Schlüssel zum Verständnis der Grundmuster extrem rechten Denkens ist. Wie Vobruba feststellt, ist Antisemitismus „die aggressivste Version des Denkens gegen die Moderne“ (S. 86). Um so verwunderlicher ist, dass Kutscher dies in ihrer Arbeit ignoriert, zumal sie mit dem „großen Austausch“ ein offenkundig antisemitisch-verschwörungsideologisch konnotiertes Sujet behandelt. Solche, letztlich theoriefernen Ansätze, die sich auf die Rekonstruktion vorher festgelegter, wenn auch zweifelsohne vorhandener Topoi (Rassismus, Sexismus) in einem bestimmten Material konzentrieren, übersehen fast zwangsläufig die (anderen) im Material vorzufindenden Denklogiken. Gleiches generiert der Kurzschluss von sozialpsychologischer Theorie auf empirisches Material. Die existierende Vielfalt der Ansätze ist zu begrüßen, da das komplexe Phänomen extreme Rechte nur theoretisch und empirisch triangulierend bearbeitet werden kann. Gleichzeitig lösen nicht alle hier besprochenen Beiträge den Anspruch ein, zu dieser Debatte auch qualitativ beizutragen.

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Online erschienen: 2025-07-02
Erschienen im Druck: 2025-08-27

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Editorial
  4. Literature Review
  5. Diagnoses of the present: Current sociological research on a controversial genre of sociology
  6. Gebietskartierung
  7. Das antidemokratische Denken der extremen Rechten heute. Eine Kartierung aktueller Veröffentlichungen
  8. Essay
  9. ‚Die Stadt‘ erforschen. Zum Vorschlag einer integrativen Betrachtung der Stadt
  10. Themenessay
  11. Perspektiven zur (Neu-)Bestimmung soziodigitaler Autonomie und Privatheit
  12. Doppelbesprechung
  13. „Alles noch in Ordnung da draußen? Alle noch bei der Stange?“ Neue Forschungen zum sozialen Zusammenhalt
  14. Einzelbesprechung Algorithmen
  15. Juliane Jarke / Bianca Prietl / Simon Egbert / Yana Boeva / Hendrik Heuer / Maike Arnold (Eds.), Algorithmic Regimes: Methods, Interactions, and Politics. Amsterdam: Amsterdam University Press 2024, 345 S., gb., 153,79 €
  16. Einzelbesprechung Digitalisierung in der Pflege
  17. Karsten Weber / Sonja Haug / Norina Lauer / Christa Mohr / Andrea Pfingsten / Georgios Raptis / Gudrun Bahr (Hrsg.), Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie III: Nutzung, Akzeptanz, Wirkung und Lebensqualität. Bielefeld: transcript 2024, 328 S., kt., 40,00 €
  18. Einzelbesprechung Sozialphilosophie
  19. Johannes Röß, Zwischen Freiheit und Entfremdung: Eine Sozialphilosophie des Geldes nach Georg Simmel. Frankfurt am Main: Campus 2023, 356 S., br., 40,00 €
  20. Einzelbesprechung Techniksoziologie
  21. David Seibt, The Sociomaterial Construction of Users: 3D Printing and the Digitalization of the Prosthetics Industry. London/New York: Routledge 2023, 274 S., gb., 175,50 €
  22. Einzelbesprechung Transnationalismus
  23. Emanuel Deutschmann, Mapping the Transnational World: How We Move and Communicate across Borders, and Why It Matters. Princeton/Woodstock: Princeton University Press 2021, 272 S., kt., 31,50 €
  24. Einzelbesprechung Umwelt und Arbeit
  25. Simon Schaupp, Stoffwechselpolitik: Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Berlin: Suhrkamp 2024, 422 S., br., 24,00 €
  26. Einzelbesprechung Wissenssoziologie
  27. Olaf Rahmstorf, Wikipedia: Die rationale Seite der Digitalisierung? Entwurf einer Theorie. Bielefeld: transcript 2023, 416 S., kt., 38,00 €
  28. Rezensentinnen und Rezensenten des 3. Heftes 2025
  29. Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
Heruntergeladen am 26.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2025-2018/html
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