Home Karsten Weber / Sonja Haug / Norina Lauer / Christa Mohr / Andrea Pfingsten / Georgios Raptis / Gudrun Bahr (Hrsg.), Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie III: Nutzung, Akzeptanz, Wirkung und Lebensqualität. Bielefeld: transcript 2024, 328 S., kt., 40,00 €
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Karsten Weber / Sonja Haug / Norina Lauer / Christa Mohr / Andrea Pfingsten / Georgios Raptis / Gudrun Bahr (Hrsg.), Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie III: Nutzung, Akzeptanz, Wirkung und Lebensqualität. Bielefeld: transcript 2024, 328 S., kt., 40,00 €

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Published/Copyright: July 24, 2025
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Rezensierte Publikation:

Karsten Weber / Sonja Haug / Norina Lauer / Christa Mohr / Andrea Pfingsten / Georgios Raptis / Gudrun Bahr (Hrsg.), Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie III: Nutzung, Akzeptanz, Wirkung und Lebensqualität. Bielefeld: transcript 2024, 328 S., kt., 40,00 €


Die Digitalisierung hat längst auch die häusliche Pflege erreicht (Silva et al., 2024; BZPD, 2023; Rajer & Bogataj, 2022). Ein Indiz für diese Entwicklung sind unzählige technikfokussierte Pflegeprojekte und Förderprogramme sowie das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz, das die Einführung digitaler Pflegeanwendungen zur Förderung der Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen vorantreibt (BMG, 2021). Doch trotz der hohen Erwartungen an digitale Technologien bleibt ihre Integration in die Versorgungsrealität eine Herausforderung (Wolf-Ostermann & Rothgang, 2024; Grummann, 2024; Kramer, 2023; Krings & Weinberger, 2022). Hier setzt der Band „Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie III“ von Weber et al. (2024) an. Er präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojekts „DeinHaus 4.0 Oberpfalz – TePUS“, das den Einsatz von Telepräsenzrobotern in der häuslichen Versorgung von Schlaganfallpatient:innen untersucht. Ziel war es, Erkenntnisse über Akzeptanz, Nutzung und Wirkung digitaler Assistenzsysteme zu gewinnen, nicht unter Laborbedingungen oder in kurzfristigen Tests, sondern über einen längeren Zeitraum im Alltag der Betroffenen.

Der methodische Ansatz des Projekts verdient besondere Aufmerksamkeit. Während viele Studien technologische Neuerungen lediglich über wenige Tage hinweg oder unter Laborbedingungen testen, wurden die Telepräsenzroboter hier für bis zu 24 Wochen im Haushalt der Teilnehmenden eingesetzt. Diese Langzeitbeobachtung ermöglicht eine differenzierte Analyse der alltäglichen Nutzung und der Dynamik von Akzeptanzprozessen. Ergänzt wird dies durch eine interdisziplinäre Perspektive: Der Band vereint unter anderem pflegewissenschaftliche, technikfolgenabschätzende, physiotherapeutische, logopädische und ethische Expertisen. Dadurch wird nicht nur die technische Funktionalität betrachtet, sondern auch soziale, organisatorische und ethische Dimensionen der Digitalisierung.

Ein zentrales Thema des Bandes ist die Technikakzeptanz. Während in der öffentlichen Debatte oft die Vorteile digitaler Assistenzsysteme betont werden, zeigt die empirische Analyse, dass ihr Erfolg nicht allein von ihrer technologischen Leistungsfähigkeit abhängt. Vielmehr sind soziale und organisatorische Faktoren ebenso entscheidend. Damit digitale Technologien langfristig in der Pflege etabliert werden können, müssen sie von den relevanten Akteursgruppen als nützlich und entlastend wahrgenommen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie nicht in bestehende Versorgungsabläufe integriert oder sogar als zusätzliche Belastung empfunden werden. Besonders deutlich wird dies beim Thema Datenschutz und -sicherheit, das maßgeblich die Bereitschaft zur Nutzung beeinflusst.

Neben Fragen der Technikakzeptanz behandelt der Band auch telepflegerische Beratungsangebote wie Videosprechstunden für Pflegebedürftige und Angehörige. Diese können insbesondere dort einen echten Mehrwert bieten, wo herkömmliche Versorgungsangebote nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Ergänzend dazu verdeutlicht die parallel durchgeführte Evaluation digitaler Therapieformen, dass physiotherapeutische Tele-Interventionen (S. 125–156) und logopädische Teletherapie (S. 157–194) funktionelle Verbesserungen erzielen könnten. Besonders niedrigschwellige digitale Angebote erwiesen sich als hilfreich, um Therapieziele langfristig zu sichern. Diese Erkenntnisse leisten einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag, da sie empirisch belegen, dass telemedizinische Interventionen nicht nur den Zugang zu therapeutischen Angeboten erleichtern, sondern auch nachhaltige Behandlungserfolge fördern können.

Positiv hervorzuheben ist zudem der Anspruch des Bandes, digitale Lösungen bedarfsgerecht oder bedarfsorientiert zu gestalten. Er unterstreicht, dass technologische Innovationen in der Pflege nur dann wirksam sind, wenn sie gezielt an den realen Versorgungsanforderungen der Betroffenen ausgerichtet werden. Vor diesem Hintergrund wurde im Projekt „DeinHaus 4.0 Oberpfalz – TePUS“ angestrebt, digitale Unterstützung möglichst gezielt für die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden zuzuschneiden. Dies hebt die Studie von vielen anderen Forschungsarbeiten ab, die häufig standardisierte technologische Lösungen testen, ohne die realen Nutzungskontexte systematisch zu berücksichtigen.

Trotz dieser methodischen Stärken und wertvollen Erkenntnisse bleiben einige Fragen offen. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Darstellung der ermittelten Bedarfe. Zwar wird betont, dass Telepräsenzroboter „teilweise bedarfsorientiert“ zugeteilt wurden (S. 7), und es werden Befragungen sowie Interviews als zentrale Methoden zur Bedarfserhebung genannt, doch bleibt weitgehend unklar, welche konkreten Versorgungsanforderungen aus diesen Erhebungen hervorgegangen sind. In den Diskussionen einzelner Beiträge wird zwar eine Bedarfsorientierung thematisiert, jedoch wird nicht konkretisiert, worauf sich diese im Einzelnen bezieht. Beispielweise wird ein allgemeiner Beratungs- und Begleitungsbedarf angesprochen (S. 66–83), ohne näher zu erläutern, welche konkreten Unterstützungsbedarfe aus der Perspektive von Betroffenen tatsächlich erfasst wurden. Ebenso wird nicht ausreichend spezifiziert, ob die Bedarfserhebung vorrangig auf subjektiven Einschätzungen der Befragten beruhte oder ob strukturelle Versorgungsdefizite systematisch eingeflossen sind. Diese fehlende Transparenz erschwert es, die Praxisrelevanz der Ergebnisse vollständig nachzuvollziehen.

Während ethische Fragestellungen im Band explizit thematisiert werden, bleibt ihre Analyse in einigen Punkten begrenzt. Die MEESTAR-Befragung untersucht zwar zentrale ethische Kategorien wie Privatheit, Selbstbestimmung und Sicherheit, jedoch ausschließlich aus Expert:innenperspektive (S. 241–272). Dadurch fehlt die direkte Einbindung von Pflegebedürftigen, Angehörigen oder Pflegekräften, jener Gruppen deren Wahrnehmung ethischer Herausforderungen maßgeblich für die Akzeptanz und den nachhaltigen Einsatz von Telepräsenzrobotern ist. Zudem bleibt unklar, inwieweit die identifizierten ethischen Spannungsfelder mit den empirischen Ergebnissen anderer Studien im Band verknüpft wurden. Ebenso wenig wird deutlich, welche ethischen Spannungsfelder über den Datenschutz hinaus in der „ELSI-Befragung“ untersucht wurden (S. 13–28). Zwar adressiert diese Analyse sogar explizit die „Proband:innen“, doch welche „ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte“ (siehe unter anderem S. 16) in den Befragungen adressiert werden, wird nicht dargestellt. Auch die an mehreren Stellen zitierte Publikation von Haug et al. (2022), die ebenfalls auf der ELSI-Befragung basiert, liefert keine weiterführenden Erkenntnisse.

Schließlich stellt sich beim Lesen des Bandes die Frage nach der langfristigen Implementierung digitaler Pflegeangebote. Der Band beleuchtet ausführlich die technische Machbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz der erprobten Systeme und hebt in der Einleitung die langfristigen Ziele des Projekts hervor. Zudem werden in der Diskussion zu den Determinanten der Akzeptanz und Nutzungsbereitschaft von Telepräsenzrobotik (S. 195–216) Faktoren erörtert, die für eine erfolgreiche Implementierung von Bedeutung sind. Dennoch bleibt unbeantwortet, wie sich digitale Pflegeinnovationen über Pilotprojekte hinaus strukturell verstetigen lassen.

Trotz dieser offenen Fragen bietet der Band eine fundierte und praxisnahe Auseinandersetzung der Digitalisierung der ambulanten Pflege. Die methodische Vielfalt, die interdisziplinäre Perspektive und die langfristige Untersuchung von Technologieanwendungen machen ihn zu einer wertvollen Lektüre für Forschende, Praktiker:innen und Entscheidungsträger:innen im Gesundheitswesen. Gleichzeitig verdeutlichen die aufgezeigten Lücken, dass der Weg zur nachhaltigen Digitalisierung der Pflege noch weit ist. Die entscheidende Frage bleibt also: Wird die digitale (ambulante) Pflege über Pilotprojekte hinaus strukturell verankert – oder bleibt sie ein technologisches Versprechen ohne nachhaltige Umsetzung?

Literatur

Bayerisches Zentrum Pflege Digital (BZPD). (2023). Pflege Digital – Erforschen. Gestalten. Leben. Jahresbericht. https://www.hs-kempten.de/fileadmin/Forschung/Forschungsinstitute/Bay._Zentrum_Pflege_Digital/_Alte_Homepage/Workingpaper_Policy_Briefs/BZPD_Jahresbericht_RZ-digital.pdfSearch in Google Scholar

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Grummann, R. (2024, 19. Juni). Die Digitalisierung im Pflegealltag: Entlastung oder Hindernis? Campus38. https://campus38.de/die-digitalisierung-im-pflegealltag-entlastung-oder-hindernis/Search in Google Scholar

Haug, S., Currle, E., Frommeld, D., & Weber, K. (2022). Das Forschungsdesign für die sozialwissenschaftliche Begleitforschung. In K. Weber, S. Haug, N. Lauer, A. Meussling-Sentpali, C. Mohr, A. Pfingsten, G. Raptis, & G. Bahr (Hrsg.), Digitale Technik für ambulante Pflege und Therapie: Herausforderungen, Lösungen, Anwendungen und Forschungsperspektiven (S. 175–193). Transcript.10.1515/9783839462355-009Search in Google Scholar

Kramer, K. (2023). Nutzendimensionen digitaler Lösungen für die ambulante Pflege (BZPD Working Paper Nr. 04-2023). Bayerisches Zentrum Pflege Digital, Hochschule Kempten. https://doi.org/10.60785/opus-1751Search in Google Scholar

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Silva, Í. de S., de Araújo, A. J., Lopes, R. H., Diniz Vieira Silva, C. R., Xavier, P. B., de Figueirêdo, R. C., Gomes Brito, E. W., Velez Lapão, L., Santos Martiniano, C., Medeiros de Araújo Nunes, V., & da Costa Uchôa, S. A. (2024). Digital home care interventions and quality of primary care for older adults: A scoping review. BMC Geriatrics, 24, Article 507. https://doi.org/10.1186/s12877-024-05120-zSearch in Google Scholar

Wolf-Ostermann, K., & Rothgang, H. (2024). Digitale Technologien in der Pflege – Was können sie leisten? Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz,67(3), 324–331. https://doi.org/10.1007/s00103-024-03843-3Search in Google Scholar

Online erschienen: 2025-07-24
Erschienen im Druck: 2025-08-27

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 26.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2025-2027/html
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