Deutsche Besatzungsherrschaft in der UdSSR 1941–1945. Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion, Bd 2. Hrsg. von Andrej Angrick [u. a.], Darmstadt: Wiss. Buchges. 2013, 639 S. (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg, 23), EUR 59,90 [ISBN 978-3-534-24890-2] Deutsche Berichte aus dem Osten. Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion, Bd 3. Hrsg. von Klaus-Michael Mallmann [u. a.], Darmstadt: Wiss. Buchges. 2014, 892 S. (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg, 26), EUR 59,95 [ISBN 978-3-534-26463-6]

Mit diesen beiden Bänden ist die – ursprünglich auf vier Bände angelegte – Edition eines der wichtigsten Quellenbestände zum Völkermord an den Juden und den Verbrechen in den besetzten sowjetischen Gebieten abgeschlossen. Band 3 enthält alle im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) aus den Berichten der Einsatzgruppen kompilierten »Ereignismeldungen UdSSR« (EM) des Jahres 1942 – außer der nicht erhaltenen Nr. 158 – sowie die daran anschließenden »Meldungen aus den besetzten Ostgebieten« (MbO), die zwischen Mai 1942 und Mai 1943 aus den Berichten der Einsatzgruppen und der Befehlshaber und Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD (BdS und KdS) zusammengestellt wurden. Inhaltlich ist Band 3 damit die Fortsetzung von Band 1 (vgl. die Rezension von Hans-Erich Volkmann, MGZ 71 [2012], S. 487–489). Band 2 enthält ergänzende Dokumente aus den Bereichen der Einsatzgruppen und der BdS/KdS für die Zeit von April 1941 bis Februar 1945. Die Masse der Dokumente stammt aus den Jahren 1941 bis 1943, für die beiden letzten Kriegsjahre konnten nur sieben Zufallsfunde einbezogen werden.

Die Herausgeber der Bände – Andrej Angrick, Klaus-Michael Mallmann, Jürgen Matthäus und Martin Cüppers – waren für diese Aufgabe bestens qualifiziert. Sie alle haben lange Jahre einschlägig geforscht und wichtige Beiträge zur Genese und Durchführung des Holocaust und zur Rolle von Sicherheitspolizei (Sipo)/Gestapo und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) veröffentlicht. Dies machen auch die sehr informativen, ausführlichen Einleitungen zu den Bänden deutlich.

Die drei Bände bieten reiches Material für eine Fülle von Fragestellungen. Primär sind sie natürlich eine der wichtigsten Quellen für den Völkermord an den Juden. Die Rolle der Einsatzgruppen (EGr) wird allein schon durch die in den Berichten enthaltenen exorbitanten Exekutionszahlen überdeutlich. So meldete die EGr A im Februar 1942, im »Ostland« mit Ausnahme von Weißrussland sei das Ziel der »möglichst restlose[n] Beseitigung des Judentums« durch die Erschießung von 229 052 Juden im Wesentlichen erreicht (Bd 2, S. 272). Die EGr B bezifferte im April 1943 ihre »Gesamtzahl der Sonderbehandelten« mit 142 359 (Bd 2, S. 574). Ein vollständiges Bild vom Umfang des Mordens geben die EM und MbO aber nicht, da die Einsatzgruppen Exekutionszahlen nur sporadisch meldeten. Die Morde der Polizeibataillone und der Einheiten des Kommandostabes Reichsführer SS werden nicht erwähnt. Über die Großaktionen gegen Partisanen und die damit verbundenen Massenmorde, an denen Sipo und SD führend beteiligt waren, erfährt man wenig, ihre Bedeutung im Genozid wird nicht erkennbar. Daher ist es unverständlich, dass die Meldung des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) Ukraine, Hans-Adolf Prützmann, über »Bandenbekämpfungserfolge« in seinem Bereich, die genau dies zeigt, nur in der Einleitung zu Band 3 (S. 9) erwähnt, nicht aber in Band 2 abgedruckt ist. Aus dieser Meldung geht hervor, dass zwischen August und November 1942 unter den 387 370 Opfern 363 211 Juden waren – fast 94 Prozent.

Welche Rolle die Einsatzgruppenführer in den ersten Wochen des Ostkrieges für die Radikalisierung der Mordaktionen spielten, tritt deutlicher hervor. Die Tätigkeitsberichte der EGr B weisen ihren Chef, Arthur Nebe, der lange Zeit als Widerstandskämpfer galt, als wichtigen Antreiber aus. Die Morde der ihm unterstellten Kommandos gingen schon in den ersten Wochen wesentlich über die von Reinhard Heydrich geforderten Mindestziele (Bd 2, S. 45) hinaus. So wurden nicht nur Juden in weit größerem Umfang als gefordert erschossen, sondern z. B. auch »Asiaten« einbezogen, die im Opferkatalog überhaupt nicht erwähnt waren. In seinem Tätigkeitsbericht vom 14. Juli 1941 rühmte sich Nebe, er habe trotz der »seelische[n] Höchstanstrengungen«, die »von der Truppe in Verfolg mit der großen Anzahl der Liquidierungen verlangt« worden seien, »durch persönliche Ansprachen [...] unter Hinweis auf die politische Notwendigkeit [...] die völlige Bereitwilligkeit der Führer sowohl als der Männer wach erhalten« (Bd 2, S. 60). In ähnlicher Weise trieb auch der Chef der EGr A, Walter Stahlecker, zur Radikalisierung an. In einer Stellungnahme zu einem Entwurf des Reichskommissars Ostland zur Behandlung der Juden monierte er, der Entwurf berücksichtige nicht die durch den »Ostfeldzug geschaffene andersartige Situation«, die es ermögliche, »im Ostraum erstmalig [eine] mögliche radikale Behandlung der Judenfrage ins Auge zu fassen«. Da die Juden »maßgebliche Träger der bolschewistischen Idee« seien und als Arbeitskräfte weiter Unruheherde bilden würden, sei es notwendig, schnell »alle Möglichkeiten zur Entstehung von Störungen der Aufbauarbeiten auszuschalten« (Bd 2, S. 92 f.).

Auch die Zukunftsperspektive, welche die SS-Führung und die Führer der Einsatzgruppen und ‑kommandos bestimmten, wird aus den Quellen deutlicher. Unverkennbar ist die hypertrophe Siegesgewissheit. Heydrich forderte am 4. Juli 1941, ihm ein »erstes Vorauskommando in Moskau [...] mit sämtlichen Namen zu nennen« (Bd 2, S. 51); er wollte für die Erfolgsmeldung beim Reichsführer SS Heinrich Himmler gewappnet sein. Die Einsatzgruppe A wurde am 16. Juli mit der Erwartung zitiert, »Petersburg [werde] voraussichtlich in kürzester Zeit fallen« (Bd 1, S. 129). Zwei Tage später hieß es, die »voraussichtliche Befehlsstelle« werde »in Petersburg, Sowjethaus« sein (Bd 1, S. 139). Heydrich ordnete in einem Runderlass am 31. Juli 1941 an, die »in der Heimat verbliebenen Männer der Sicherheitspolizei und des SD« sollten »grundsätzlich« für den Einsatz im Osten vorgeschlagen werden, um ihnen »das niederdrückende Gefühl zu nehmen, an dem großen Geschehen unserer Zeit nicht aktiv teilzuhaben und um die Befürchtung zu zerstreuen, nach Kriegsende als ›Heimatkrieger‹ oder ›Drückeberger‹ bespöttelt zu werden« (Bd 2, S. 84). Am Tag davor hatte Heydrich die Einsatzgruppenchefs über die geplante Organisation der Polizei im Osten informiert und dabei den Aufbau von »Wehrburgen«, »Wehrplätzen« und »Wehrposten« in Groß-, Mittel- und kleineren Kreisstädten und deren Ausstattung beschrieben – bis hin zu Kleidertrockenanlagen, Sport- und Reitplätzen und, »noch vor Einbruch der Winterszeit [1941!]«, der Einlagerung einer »Lebensmittelreserve für mindestens 2 Monate« und des »nötige[n] Futter[s] für die Reit- und Zugpferde« (Bd 2, S. 83).

Andere Quellen erlauben einen Einblick in den »Arbeitsalltag« der Mordkommandos. In einem Wochenbericht der Abt. Waffen-SS beim Sonderkommando 1 b heißt es für den 11. Oktober 1941: »Streifendienst. Aushebung von 5 Judenfamilien. 18 Personen werden erschossen. An der Erschießung nehmen SS-Strm. Valassek und SS-Obsch. Mattuszak teil. Lkw. hat Getriebeschaden [...] (Kinobesuch durch 5 Männer d. Zuges.)« (Bd 2, S. 160). Vom KdS Weißruthenien, Eduard Strauch, ist der »Kommandobefehl« vom 5. Februar 1943 zur »Umsiedlung« der Juden von Sluzk erhalten, bei der 3300 Juden ermordet wurden. Der detaillierte Befehl nennt die Namen aller teilnehmenden SS-Leute. Er regelt, wer für die »Aufbringung der Juden im Ghetto« zuständig war, wie das »anfallende Judeneigentum« zu verwerten war, wie die Juden zum »Umsiedlungsplatz« transportiert werden sollten. Für die zwei Gruben auf dem »Aussiedlungsgelände« wurden je zwei Gruppen von 10 Führern und Männern eingeteilt, die sich nach einem genauen Plan alle zwei Stunden ablösen sollten (Bd 2, S. 523 f.). Beachtung verdient in diesem Zusammenhang ein Befehl Himmlers vom 12. Dezember 1941, mit dem er erreichen wollte, dass kein Täter »jemals verroht oder an Gemüt und Charakter Schaden erleidet«. Nach den Erschießungen solle abends bei einem »kameradschaftlichen Zusammensein [...] in bester deutscher häuslicher Form zu Tisch gesessen und gegessen« werden und »unsere Männer [sollten] in die schönsten Gebiete deutschen Geistes- und Gemütslebens« geführt werden (Bd 2, S. 249 f.).

Die EM und MbO sind eine der wichtigsten Quellen für die Judenvernichtung, die dafür relevanten Textstellen nehmen aber insgesamt einen vergleichsweise geringen Raum ein, in Band 3 noch weniger als in Band 1. Eigentlich waren ja die Zerschlagung des Parteiapparats der KPdSU und die Liquidierung ihrer Funktionäre die definierte Hauptaufgabe von Sipo und SD. Dementsprechend erhielt 1942/43 die Beobachtung von Widerstandszellen und der Einstellung der Bevölkerung wesentlich mehr Gewicht.

Die Partisanen des Jahres 1941 – fast ausschließlich versprengte Rotarmisten und geflohene Kriegsgefangene – galten nicht als »Grund zu einer Besorgnis« (Bd 1, S. 540). Dies änderte sich schon Anfang 1942, als man feststellte, dass die sowjetische Führung in Moskau die Partisanen straff organisierte und mit Waffen und Führungskräften versah. Aus den EM und MbO wird sehr deutlich, in welchem Maße vom Frühjahr 1942 an Partisanenüberfälle zunahmen und immer größere Gebiete im Bereich der Heeresgruppe Mitte, in Weißrussland, im Osten von Litauen und Lettland und im nördlichen Reichskommissariat Ukraine von Partisanen kontrolliert wurden. Anfang 1943 beherrschten die Partisanen trotz »örtlich äußerst erfolgreicher« Großunternehmen 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Weißrusslands (Bd 3, S. 633). Deutlich wird auch, dass die Bedeutung des Partisanenkriegs nicht allein in der Bindung von Truppen und der erfolgreichen Störung des Nachschubs durch Überfälle und Sprengungen von Brücken und Eisenbahnlinien lag. Ganz wesentlich war, dass es der deutschen Seite unmöglich gemacht wurde, die erwarteten Nahrungsüberschüsse für das Reich zu erzielen und die Bevölkerung im besetzten Osten so zu versorgen, dass sie arbeitsfähig blieb und die Unzufriedenheit eine kritische Grenze nicht überschritt.

Die Ursachen für das Anwachsen der Partisanenbewegung werden aus den Quellen durchaus deutlich. Die militärische Führung hatte von Anfang an wegen eines befürchteten Partisanenkrieges auf ein brutales Vorgehen gegen jede Art von Widerstand gesetzt. Die Truppenführung überließ den Einsatzgruppen weitgehend die Nachrichtenbeschaffung über Partisanen und die Deutungshoheit darüber, wer als Partisan zu gelten habe. Mit ihren Meldungen über die Erschießung Tausender von »Brandstiftern«, »Saboteuren«, »Heckenschützen«, »Hetzern« usw. fachten Sipo und SD die Partisanenfurcht weiter an und konnten dann unter dem Deckmantel der »Partisanenbekämpfung« die Judenmorde vorantreiben. Den Meldungen der Einsatzgruppen war schon früh zu entnehmen, dass das Massakrieren von Dorfbewohnern und das Abbrennen ihrer Dörfer, die Ausplünderung der Bauern und die Zwangsrekrutierung der »Ostarbeiter« immer mehr Menschen zu den Partisanen trieben. Die Entscheidung, ob die Einwohner eines Dorfes »liquidiert« werden sollten, oblag nach einer Entscheidung von Himmlers »Bevollmächtigtem für Bandenbekämpfung«, Erich von dem Bach-Zelewski, »ausschließlich und allein dem Führer des [jeweiligen] SD-Kommandos« (Bd 2, S. 490). Trotz gelegentlicher kritischer Einschätzungen der Folgen wurden die naheliegenden Schlüsse daraus nicht gezogen. Erst der immer gravierendere Arbeitskräftemangel in der Kriegswirtschaft erzwang im Frühjahr 1943 die Entscheidung der deutschen Führung, gefangengenommene Partisanen nicht mehr zu erschießen, sondern sie als Zwangsarbeiter einzusetzen. Ein Befehl des KdS Weißruthenien, Eduard Strauch, vom 11. Mai 1943 schien auch in der Durchführung einen grundlegenden Wandel anzukündigen: »Banditen« und ihre Unterstützer seien für den Arbeitseinsatz zu erfassen, das »Abbrennen von Dörfern« habe zu unterbleiben (Bd 2, S. 585). Wie wenig das der Fall war, wäre eine Anmerkung wert gewesen, denn das Unternehmen »Cottbus«, das wenige Tage später begann und an dem Strauch führend beteiligt war, forderte als das blutigste der Großunternehmen gegen Partisanen weit mehr als 10 000 Opfer unter der Landbevölkerung, ein großer Teil davon Frauen und Kinder.

Trotz der ungeheuren Opfer unter der Zivilbevölkerung blieb die »Bandenbekämpfung« weitgehend erfolglos. Umso mehr bemühten sich Sipo und SD ihre Erfolge durch äußerst detaillierte Meldung selbst reichlich banaler Fälle herauszustellen, wie etwa den eines »wegen kommunistischer Betätigung bekannte[n] Gemeindeschreiber[s] [...], der versucht hatte, für die Banden ein Pferdegespann zu requirieren« (Bd 3, S. 467).

Neben den sowjetischen Partisanen und kommunistischen Zellen wurden auch die ukrainischen Nationalisten penibel beobachtet, besonders die Bandera-Bewegung, die 1941 beim Einmarsch in die Ukraine mit dem SD bei der Auslösung von Pogromen noch kollaboriert hatte, die aber bald, vor allem unter dem Eindruck der Kolonialpolitik von Reichskommissar Erich Koch, den Kampf um die ukrainische Unabhängigkeit verschärfte und im Frühjahr 1943 mit Partisaneneinheiten den offenen Kampf aufnahm.

Die Bände der Edition bieten auch viele Informationen zu anderen Themen. Neben zum Teil langatmigen Analysen zu den Themen wirtschaftliche Lage, Arbeits- und Sozialwesen, Kirchen- und Schulpolitik enthalten sie reiches Material zu den Lebensbedingungen der Bevölkerung, die von Unterdrückung, vor allem aber von einem alles bestimmenden extremen Mangel an Nahrung, Kleidung und Heizmaterial geprägt waren. Besonders plastisch wird dies in den ausführlichen Berichten der EGr A für die baltischen Staaten. Sie zeigen auch, wie schnell die Sympathien, die dem Reich nach dem als Befreiung empfundenen Einmarsch der Wehrmacht entgegengebracht wurden, durch Kolonialpolitik und Ausbeutung verflogen.

Reiches Material gibt es auch zum Thema Kollaboration. In der Interpretation wird dabei nicht leicht zu beurteilen sein, wieweit die Zusammenarbeit politischen Sympathien entsprang oder auf Überlebensstrategien zurückzuführen war. Das Gleiche gilt für die häufig berichtete antisemitische Einstellung der Bevölkerung. Die von der EGr B und der EGr C – für den Osten der Ukraine – konstatierte Unmöglichkeit, diese Einstellung in Pogrome umzumünzen, legt nahe, dass Sipo und SD das zu hören bekamen, was sie hören wollten. Anzunehmen ist, dass angesichts der Behandlung der Juden niemand in Gefahr geraten wollte, als »Judenfreund« eingestuft zu werden.

Man kann die drei Bände ohne Übertreibung als die wichtigste Quellenedition der letzten Jahre bezeichnen. Ihr besonderer Wert besteht darin, dass die Meldungen der im Osten eingesetzten Einheiten von Sipo und SD, die bisher nur in Auszügen publiziert waren, nun im Zusammenhang zugänglich sind. Dies ermöglicht es, die Judenmorde im Gesamtkontext der Besatzungspolitik zu sehen. Besonders verdienstvoll ist auch die Erschließung der ergänzenden Quellen in Band 2, die zu einem großen Teil aus weniger leicht erreichbaren Archiven Osteuropas stammen.