Das letzte Heft des Jahrganges 2022 enthält eine Gebietskartierung und bietet so die Gelegenheit, dieses Besprechungsformat im Editorial zu thematisieren. Die Gebietskartierung ist das neueste und bislang auch das seltenste der Besprechungsformate der Soziologischen Revue. Die erste Gebietskartierung ist vor elf Jahren im letzten Heft des Jahrganges 2011 erschienen. Dort hatte Gert Schmidt das Gebiet der Arbeitssoziologie kartiert. Weitere Gebietskartierungen folgten 2012 von Tobias Werron zur Globalisierungs- und Weltgesellschaftstheorie und von Monika Salzburn zu Diversität, 2015 von Thomas Alkemeyer zur Soziologie der Verkörperung und 2016 von Sebastian Schnettler zur Evolutionären Soziologie. Die Gebietskartierung von Udo Göttlich in diesem Heft hat das Thema „Zur Vermessung des ‚Digitalen‘: Soziologie und die Herausforderungen der digitalen Transformation“. Sie ist die sechste Besprechung dieses Formates in der Soziologischen Revue.
In den Hinweisen der Soziologischen Revue für Autor:innen von Gebietskartierungen heißt es, das Besprechungsformat diene „der Darstellung, Bündelung und abwägenden Diskussion von Fragestellungen, Perspektiven, Konzepten und Debattenlinien in einem aktuellen Forschungsfeld, zu dem die deutschsprachige Soziologie einen wichtigen und eigenständigen Beitrag leistet bzw. leisten sollte. Thematisiert werden sollen die zentralen Entwicklungen der ca. letzten fünf Jahre.“ Dabei solle die Gebietskartierung zum einen „eine pointierte, theoretische und empirische Stärken und Schwächen herausarbeitende Darstellung der verschiedenen Konzeptpositionen und Debattenverläufe“ in dem betreffenden Forschungsfeld enthalten. Zum anderen solle „eine bewertende Einschätzung der verschiedenen Fragestellungen und Konzepte des Feldes vorgenommen werden“. Man sieht: Die Gebietskartierung ist das größte und aufwändigste unserer Besprechungsformate. Udo Göttlich gehört der besondere Dank der Herausgeber:innen und der Redaktion der Soziologische Revue dafür, dass er die viele Arbeit auf sich genommen hat.
Für das Thema der Digitalisierung und für einen Überblick über den Stand der soziologischen Forschung zu Fragen der digitalen Transformation der Gesellschaft bietet sich eine Gebietskartierung ganz zweifellos an. Fraglos handelt es sich um ein aktuelles Thema, zu dem in den letzten fünf Jahren in der Soziologie und in benachbarten Wissenschaften eine Vielzahl theoretischer und empirischer Arbeiten entstanden sind, die es lohnt, in einer Gesamtschau zu betrachten und zu bewerten. Wie Göttlich herausstellt, konstituiert sich die Erforschung von Phänomenen der Digitalisierung in der Soziologie (bislang) nicht als ein Forschungsfeld. Zwar beginnen sich, so Göttlich, Konturen einer Soziologie der Digitalisierung abzuzeichnen. Neben Ansätzen, die Digitalisierung als ein Totalphänomen thematisieren, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, zeichne sich die soziologische Forschung zur Digitalisierung jedoch wesentlich durch Arbeiten aus, die Fragen der digitalen Transformation bereichsspezifisch, also für unterschiedliche gesellschaftliche Teilbereiche und Handlungsfelder bearbeiten. Wesentlich für das Verständnis soziologischer Forschung zur Digitalisierung sei darüber hinaus der interdisziplinäre und internationale Rahmen, in den diese Forschungen eingebunden sind.
Mit neuer Forschung zu Fragen der digitalen Transformation befasst sich neben der Gebietskartierung von Udo Göttlich auch die Sammelbesprechung von Jan-Felix Schrape mit dem Titel „Algorithmische Strukturen in der alltäglichen Lebenswelt“. Dadurch ist dieses Heft fast ein wenig zu einem Schwerpunktheft zum Thema der Digitalisierung geworden. Schrapes Sammelbesprechung stellt insofern eine sehr schöne Ergänzung zu Göttlichs Gebietsrezension dar, weil sie den Blick auf einzelne konkrete empirische Forschungen lenkt. Die konkrete empirische Forschung, so Schrapes Fazit, weist darauf hin, „wie wichtig es gerade mit Blick auf einen auch öffentlich vieldiskutierten Gegenstandsbereich bleibt, zuerst empirisch genauer hinzuschauen, bevor diese [die gesellschaftstheoretische, Anm. d. Verf.] Einordnung eingeleitet wird und Thesen zu einer ‚nächsten‘ Gesellschaft formuliert werden“.
Natürlich enthält das vorliegende Heft auch noch Besprechungen zu vielen anderen soziologischen Forschungsthemen: Daniela Grunow und Mirko K. Braack nutzen in ihrer Besprechung von Andreas Reckwitz‘ und Hartmut Rosas „Theorie der Spätmoderne in der Krise?“ die Besprechungsform des Essays zu einer zugleich amüsanten und ernsthaften Auseinandersetzung mit deren gesellschaftstheoretischen Ansätzen. Ebenfalls spannend zu lesen ist Hans-Peter Müllers Essay über das jüngst aus dem Englischen übersetzte Buch „Why? Was passiert, wenn Leute Gründe angeben ... und warum?“, in dem Charles Tilly seinen Ansatz der Systematisierung von Gründen entfaltet. Siegfried H. X. Saerberg beleuchtet in einer Doppelbesprechung zwei ethnographische Studien zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben. Außerdem enthält dieses Heft zehn Einzelbesprechungen zu verschiedensten Themen. Doch lesen Sie selbst!
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Editorial
- Gebietskartierung
- Zur Vermessung des „Digitalen“: Soziologie und die Herausforderungen der digitalen Transformation
- Essay
- Theorie der Spätmoderne in der Krise? Oder: Schattenboxen mit den Kollegen Reckwitz und Rosa
- Why? Zur Begründung von Gründen. Ein Systematisierungsversuch
- Sammelbesprechung
- Algorithmische Strukturen in der alltäglichen Lebenswelt
- Doppelbesprechung
- Subjektivierungen zwischen Arbeit und Inklusion. Zwei ethnographische Studien
- Einzelbesprechung Europa
- Jan Delhey / Emanuel Deutschmann / Monika Verbalyte / Auke Aplowski, Netzwerk Europa. Wie ein Kontinent durch Mobilität und Kommunikation zusammenwächst. Wiesbaden: Springer VS, 2020. 272 S., kt., 29,99 €
- Einzelbesprechung Geld
- Hanno Pahl, Geld, Kognition, Vergesellschaftung. Soziologische Geldtheorie in kulturevolutionärer Absicht. Wiesbaden: Springer VS 2021, 524 S., kt., 54,99 €
- Einzelbesprechung Geschlecht
- Sarah Charlotte Dionisius, Queere Praktiken der Reproduktion: Wie lesbische und queere Paare Familie, Verwandtschaft und Geschlecht gestalten. Bielefeld: transcript 2021, 338 S., kt., 38,00 €
- Einzelbesprechung Gesellschaftstheorie
- Wolfgang Bonß / Oliver Dimbath / Andrea Maurer / Helga Pelizäus / Michael Schmid, Gesellschaftstheorie. Eine Einführung. Bielefeld: transcript 2021, 344 S., kt., 25,00 €
- Einzelbesprechung Klassiker
- Andrea Maurer (Hrsg.), Mit Leidenschaft und Augenmaß. Zur Aktualität von Max Weber. Frankfurt/New York: Campus Verlag 2021, 281 S., kt., 39,95 €
- Einzelbesprechung Mensch-Tier-Beziehungen
- Katharina Ameli, Multispezies-Ethnographie: Zur Methodik einer ganzheitlichen Erforschung von Mensch, Tier, Natur und Kultur. Bielefeld: transcript 2021, 216 S., kt., 29,00 €
- Einzelbesprechung Polizei
- Hannah Reiter, Women in Policing: Between Assimilation and Opposition. Baden-Baden: Nomos 2022, 229 S., br., 49,00 €
- Einzelbesprechung Selbstoptimierung
- Anja Röcke, Soziologie der Selbstoptimierung. Berlin: Suhrkamp 2021, 257 S., kt., 20,00 €
- Einzelbesprechung Sexualität
- Thorsten Benkel / Sven Lewandowski (Hrsg.), Kampfplatz Sexualität: Normalisierung – Widerstand – Anerkennung. Bielefeld: transcript 2021, 314 S., kt., 30,00 €
- Einzelbesprechung Transformation
- Michael Hofmann, Umbruchserfahrungen. Geschichten des deutschen Wandels von 1990 bis 2020, erzählt von ostdeutschen Sachverständigen. Münster: Westfälisches Dampfboot 2020, 219 S., kt., 25,00 €
- Rezensentinnen und Rezensenten des 4. Heftes 2022
- Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
- Gesamtverzeichnis 2022 der besprochenen Bücher
- Gesamtverzeichnis 2022 der eingegangenen Bücher
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Editorial
- Gebietskartierung
- Zur Vermessung des „Digitalen“: Soziologie und die Herausforderungen der digitalen Transformation
- Essay
- Theorie der Spätmoderne in der Krise? Oder: Schattenboxen mit den Kollegen Reckwitz und Rosa
- Why? Zur Begründung von Gründen. Ein Systematisierungsversuch
- Sammelbesprechung
- Algorithmische Strukturen in der alltäglichen Lebenswelt
- Doppelbesprechung
- Subjektivierungen zwischen Arbeit und Inklusion. Zwei ethnographische Studien
- Einzelbesprechung Europa
- Jan Delhey / Emanuel Deutschmann / Monika Verbalyte / Auke Aplowski, Netzwerk Europa. Wie ein Kontinent durch Mobilität und Kommunikation zusammenwächst. Wiesbaden: Springer VS, 2020. 272 S., kt., 29,99 €
- Einzelbesprechung Geld
- Hanno Pahl, Geld, Kognition, Vergesellschaftung. Soziologische Geldtheorie in kulturevolutionärer Absicht. Wiesbaden: Springer VS 2021, 524 S., kt., 54,99 €
- Einzelbesprechung Geschlecht
- Sarah Charlotte Dionisius, Queere Praktiken der Reproduktion: Wie lesbische und queere Paare Familie, Verwandtschaft und Geschlecht gestalten. Bielefeld: transcript 2021, 338 S., kt., 38,00 €
- Einzelbesprechung Gesellschaftstheorie
- Wolfgang Bonß / Oliver Dimbath / Andrea Maurer / Helga Pelizäus / Michael Schmid, Gesellschaftstheorie. Eine Einführung. Bielefeld: transcript 2021, 344 S., kt., 25,00 €
- Einzelbesprechung Klassiker
- Andrea Maurer (Hrsg.), Mit Leidenschaft und Augenmaß. Zur Aktualität von Max Weber. Frankfurt/New York: Campus Verlag 2021, 281 S., kt., 39,95 €
- Einzelbesprechung Mensch-Tier-Beziehungen
- Katharina Ameli, Multispezies-Ethnographie: Zur Methodik einer ganzheitlichen Erforschung von Mensch, Tier, Natur und Kultur. Bielefeld: transcript 2021, 216 S., kt., 29,00 €
- Einzelbesprechung Polizei
- Hannah Reiter, Women in Policing: Between Assimilation and Opposition. Baden-Baden: Nomos 2022, 229 S., br., 49,00 €
- Einzelbesprechung Selbstoptimierung
- Anja Röcke, Soziologie der Selbstoptimierung. Berlin: Suhrkamp 2021, 257 S., kt., 20,00 €
- Einzelbesprechung Sexualität
- Thorsten Benkel / Sven Lewandowski (Hrsg.), Kampfplatz Sexualität: Normalisierung – Widerstand – Anerkennung. Bielefeld: transcript 2021, 314 S., kt., 30,00 €
- Einzelbesprechung Transformation
- Michael Hofmann, Umbruchserfahrungen. Geschichten des deutschen Wandels von 1990 bis 2020, erzählt von ostdeutschen Sachverständigen. Münster: Westfälisches Dampfboot 2020, 219 S., kt., 25,00 €
- Rezensentinnen und Rezensenten des 4. Heftes 2022
- Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
- Gesamtverzeichnis 2022 der besprochenen Bücher
- Gesamtverzeichnis 2022 der eingegangenen Bücher