Reviewed Publication:
Bond Ian Godement François Maull Hanns W. Stanzel Volker Rebooting Europe’s China Strategy Berlin Stiftung Wissenschaft und Politik Mai 2022
Der Aufstieg des autoritären Riesen China ist für das bestehende internationale Gefüge und insbesondere auch für Europa eine grosse Herausforderung. Die Studie von Ian Bond, François Godement, Hanns W. Maull und Volker Stanzel beleuchtet, mit welchen Konsequenzen Chinas Aufstieg für Europa verknüpft ist. Die Bedrohungen, welche die Autoren herausarbeiten, betreffen Europas nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, seine politische Freiheit und internationale Handlungsfähigkeit, seine Werte und Interessen und letztlich auch seine Sicherheit. Diese Bedrohungen sind einerseits direkt, erwachsen aber auch indirekt infolge des sich unter Chinas Einfluss wandelnden internationalen Systems. Pekings (rhetorische) Unterstützung für Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine wird als Beispiel für den Schulterschluss der beiden Länder hervorgehoben. Dieser basiert darauf, dass China wie auch Russland die demokratisch-liberale internationalen Ordnung offensichtlich ablehnen. Unter dem Eindruck dieser aktuellen Ereignisse fordern die Autoren der Studie einen Neustart für eine Strategie Europas gegenüber China.
Eine Strategie setzt eine Definition von Zielen und Interessen voraus – im Falle Europas auch eine Klärung, was mit „Europa“ gemeint ist. Dem widmen sich die Autoren in einem ersten, kurzen Kapitel. Zu Europa zählen sie EU-Institutionen, EU-Mitgliedstaaten und weitere europäische Länder, wobei die EU als Ausdruck der kollektiven Identität Europas verstanden wird. Europa ist multilateral ausgerichtet und steht für liberal-demokratische – und zunehmend auch für „grüne“ – Werte. In der Vergangenheit hat Europa als Handels- und Regulationsmacht – auf der Basis seines großen Binnenmarktes – internationalen Einfluss ausgeübt. Um in der Zukunft, die durch den amerikanisch-chinesischen Weltkonflikt dominiert sein wird, Gestaltungsfreiheit zu bewahren, wird Europa, gemäß den Autoren, strategische Souveränität im Umgang mit Peking und Washington entwickeln müssen. Das würde die Formulierung und Umsetzung gemeinsamer außenpolitischer Strategien und Instrumente zur effektiven Verteidigung erfordern.
In europäischen Strategiepapieren wurde China als Partner, Wettbewerber und Systemrivale definiert. Es ist eine Formulierung, die der Komplexität, aber auch der Bedeutung der europäisch-chinesischen Beziehungen gerecht werden möchte. Die Autoren kritisieren die Formulierung, da sie die drei Aspekte als gleichwertig erscheinen lässt. Gemäß ihrer Analyse ist es jedoch die Dimension der Systemrivalität, die den Kern der Beziehungen zu China ausmacht und die die anderen Dimensionen durchdringt. Basierend auf dieser Analyse konzentrieren sich die Autoren in der Beschreibung der Problemfelder in den europäisch-chinesischen Beziehungen stark auf die Absicht und Motivation der Kommunistischen Partei Chinas. Diese Beschreibung ist der Inhalt des zweiten Kapitels, das gut die Hälfte der Studie einnimmt. Sie umfasst die im Allgemeinen zur Sprache gebrachten Konflikte und Reibungspunkte in Europas Beziehungen mit China, einschließlich die Konflikte innerhalb der Welthandels- oder Weltgesundheitsorganisation, die Uneinigkeit und die Schwierigkeiten in Bezug auf die „Neue Seidenstraße“ oder die Unterdrückung ethnischer Minderheiten in China – oder auch die Herausforderungen im Kontext des Technologiewettbewerbs.
Dass europäische Länder eine gemeinsame, grundlegende strategische Sicht auf China entwickeln, ist ein zentrales Anliegen der Autoren. Für die Formulierung einer effektiven Strategie müssten auch Instrumente definiert werden, mit denen die gesteckten Ziele erreicht werden können. Solche sind – zumindest ansatzweise – in der Schlussfolgerung der Studie zu finden, wo die Autoren fünf Hauptkomponenten für eine europäische Strategie festlegen und in einzelnen Unterpunkten ausführen. Erstens soll Europa seine Verletzlichkeit gegenüber China reduzieren. Zweitens soll Europa Hebel im Umgang mit China entwickeln. Drittens soll sich Europa durch verstärktes Engagement für die Stärkung der UNO und multilateraler Institutionen einsetzen – gegen chinesische Bemühungen diese umzudefinieren. Viertens soll Europa in seiner Zusammenarbeit mit China auf Reziprozität bestehen. Fünftens soll Europa sein Know-how bezüglich China erhöhen. Die Kooperation mit anderen Ländern, wie den USA oder Japan, wird in verschiedenen Unterpunkten als mögliche Maßnahme genannt. Im dritten und der Schlussfolgerung vorgelagerten Kapitel werden solche Drittländer und ihre Rolle in der sich ändernden, vom Großmächtekonflikt geprägten, internationalen Ordnung diskutiert und ihre Eignung als mögliche Kooperationspartner beleuchtet. Alle Kapitel der Studie möchten möglichst umfassend und vollständig sein – manchmal auch zulasten einer gewissen analytischen Schärfe und Tiefe.
https://www.swp-berlin.org/10.18449/2022Special01/
© 2022 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Russland-Politik in der Ära Merkel
- Strategische Irrtümer, Fehler und Fehlannahmen der deutschen Energiepolitik seit 2002
- Strategische Irrtümer deutscher Außenpolitik im Rückblick – die Jahre von 1890 bis 1914
- Alles schon mal dagewesen? Der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine in historischer Perspektive
- Das Schwert, der Schild und der Igel – Die Stärkung der Abschreckung im Rahmen des neuen Strategischen Konzepts der NATO
- Kurzanalyse
- Die strategische Bedeutung von Belarus im Ukraine-Krieg – interne und externe Entwicklungen
- Besprechungen strategischer Analysen
- Ukraine-Krieg
- Jeffrey Mankoff: Russia’s War in Ukraine. Identity, History and Conflict. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), April 2022,
- Jack Watling/Nick Reynolds: Ukraine at War. Paving the Road from Survival to Victory. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2022
- James Byrne/Gary Somerville/Joseph Byrne/Jack Watling/Nick Reynolds/Jane Baker: Silicon Lifeline: Western Electronics at the Heart of Russia’s War Machine. London: Royal United Services Institute (RUSI), August 2022
- Bryan Frederick/Samuel Charap/Scott Boston/Stephen J. Flanagan/Michael J. Mazarr/Jennifer D. P. Moroney/Karl P. Mueller: Pathways to Russian Escalation Against NATO from the Ukraine War. RAND Corporation, Juli 2022.
- Jeffrey A. Sonnenfeld/Steven Tian/Franek Sokolowski/Michal Wyrebkowski/Mateusz Kasprowicz: Business Retreats and Sanctions Are Crippling the Russian Economy. Measures of Current Economic Activity and Economic Outlook Point to Devastating Impact on Russia. New Haven: Yale University, Juli 2022
- Europa und China
- Ian Bond/François Godement/Hanns W. Maull/Volker Stanzel: Rebooting Europe’s China Strategy. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2022
- Bücher von gestern – heute gelesen
- Karen Dawisha: Putin´s Kleptocracy. Who owns Russia? New York, London, Toronto, Sydney, New Delhi: Simon & Schuster 2014, 464 Seiten
- Buchbesprechungen
- Rüdiger von Fritsch: Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen. 1. Auflage. Berlin: Aufbau Verlage 2022, 176 Seiten
- Gert R. Polli: Schattenwelten. Österreichs Geheimdienstchef erzählt. 1. Auflage. Graz: Ares Verlag 2022, 320 Seiten
- Ashley J. Tellis: Striking Asymmetries. Nuclear Transitions in South East Asia. Washington, D.C.: Carnegie Endowment 2022, 318 Seiten
- Bildnachweise
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Russland-Politik in der Ära Merkel
- Strategische Irrtümer, Fehler und Fehlannahmen der deutschen Energiepolitik seit 2002
- Strategische Irrtümer deutscher Außenpolitik im Rückblick – die Jahre von 1890 bis 1914
- Alles schon mal dagewesen? Der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine in historischer Perspektive
- Das Schwert, der Schild und der Igel – Die Stärkung der Abschreckung im Rahmen des neuen Strategischen Konzepts der NATO
- Kurzanalyse
- Die strategische Bedeutung von Belarus im Ukraine-Krieg – interne und externe Entwicklungen
- Besprechungen strategischer Analysen
- Ukraine-Krieg
- Jeffrey Mankoff: Russia’s War in Ukraine. Identity, History and Conflict. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), April 2022,
- Jack Watling/Nick Reynolds: Ukraine at War. Paving the Road from Survival to Victory. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2022
- James Byrne/Gary Somerville/Joseph Byrne/Jack Watling/Nick Reynolds/Jane Baker: Silicon Lifeline: Western Electronics at the Heart of Russia’s War Machine. London: Royal United Services Institute (RUSI), August 2022
- Bryan Frederick/Samuel Charap/Scott Boston/Stephen J. Flanagan/Michael J. Mazarr/Jennifer D. P. Moroney/Karl P. Mueller: Pathways to Russian Escalation Against NATO from the Ukraine War. RAND Corporation, Juli 2022.
- Jeffrey A. Sonnenfeld/Steven Tian/Franek Sokolowski/Michal Wyrebkowski/Mateusz Kasprowicz: Business Retreats and Sanctions Are Crippling the Russian Economy. Measures of Current Economic Activity and Economic Outlook Point to Devastating Impact on Russia. New Haven: Yale University, Juli 2022
- Europa und China
- Ian Bond/François Godement/Hanns W. Maull/Volker Stanzel: Rebooting Europe’s China Strategy. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2022
- Bücher von gestern – heute gelesen
- Karen Dawisha: Putin´s Kleptocracy. Who owns Russia? New York, London, Toronto, Sydney, New Delhi: Simon & Schuster 2014, 464 Seiten
- Buchbesprechungen
- Rüdiger von Fritsch: Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen. 1. Auflage. Berlin: Aufbau Verlage 2022, 176 Seiten
- Gert R. Polli: Schattenwelten. Österreichs Geheimdienstchef erzählt. 1. Auflage. Graz: Ares Verlag 2022, 320 Seiten
- Ashley J. Tellis: Striking Asymmetries. Nuclear Transitions in South East Asia. Washington, D.C.: Carnegie Endowment 2022, 318 Seiten
- Bildnachweise