Fast zwei Monate nach der vollständigen Einnahme von Aleppo hat der Atlantic Council eine Studie über das Vorgehen von Assads Armee und ihren Verbündeten verfasst. Die Veröffentlichung, die sich wie eine Anklageschrift liest, dokumentiert detailliert die systematische Gewalteskalation und den wahllosen Waffeneinsatz gegen die Zivilbevölkerung. Die Kriegsführung des syrischen Regimes und seines russischen Verbündeten in Aleppo war laut den Autoren unmenschlich, verlustreich und kam einem Kriegsverbrechen gleich.
Zu Beginn der Studie geben die Autoren den historischen Ablauf der Regimeoffensive auf Aleppo in groben Zügen wieder und konzentrieren sich im Hauptteil auf den Militäreinsatz des Assad Regimes und Russlands. Beispielhaft dokumentieren die Autoren, wie das syrische Regime die Strategie der „verbrannten Erde“ anwandte, um die von den Rebellen gehaltenen Stadteile in Ost-Aleppo „zu brechen“.
Aleppo war seit 2012 eine geteilte Stadt, der Westen wurde vom Regime kontrolliert und der Osten von Rebellengruppen, darunter auch verschiedene islamistische Milizen. Das Regime war zu schwach, um die verlorenen Stadtteile aus eigener Kraft zurück zu erobern. Daher griff es zu einer perfiden Abschreckungsstrategie, die es bereits in anderen Landesteilen angewandt hatte. Demnach sollte die Bevölkerung immer dort einen hohen Preis zahlen, wo die Rebellen an Boden gewannen. Ost-Aleppo wurde mit Artillerie beschossen und aus der Luft bombardiert. Die syrische Luftwaffe setzte dabei vor allem ungelenkte Bomben und improvisierte Fassbomben ein, die in dem dicht bebauten Stadtgebiet aufgrund ihrer mangelnden Treffgenauigkeit vorwiegend Zivilisten trafen. In Folge des russischen Eingreifens in den Konflikt im September 2015 nahmen die Luftangriffe massiv zu, weil sich nun auch russische Kampfjets an der Bombardierung Aleppos beteiligten.
Eine kurze Entlastung brachte erst ein von den USA und Russland vermittelter Waffenstillstand, der im Februar 2016 in Kraft trat. Laut den Autoren war die Kampfpause für das Regime lediglich ein nützlicher Vorwand, um eine Großoffensive zur vollständigen Einnahme der Stadt vorzubereiten. Die Feuerpause war daher nur von kurzer Dauer. Bereits im April nahm die syrische Luftwaffe ihre Angriffe wieder auf. Im Juni startete das Regime, unterstützt von Einheiten der Hezbollah, Russlands und des Iran, eine Bodenoffensive. In nur wenigen Wochen konnten die Regimekräfte die letzte Versorgungslinie zu den eingeschlossenen Rebellen, die sogenannte Castello-Straße, einnehmen. Daraufhin blockierte die syrische Armee die Lieferung von Versorgungsgütern, wodurch sich die humanitäre Krise in den belagerten Stadtteilen dramatisch zuspitzte. Im August gelang es den Rebellen durch einen Entlastungsangriff im Süden der Stadt den Belagerungsring zu durchbrechen. Dadurch wurden wiederrum die vom Regime gehaltenen Stadtteile im Westen der Stadt von der Außenwelt abgeschnitten. Auch hier kam es anschließend zu Versorgungsengpässen. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Belagerung von Siedlungsgebieten zum gezielten Aushungern der Bevölkerung im Syrienkonflikt von beiden Seiten angewandt, aber von Regimeseite weitaus häufiger und systematischer praktiziert wird.
Anfang September konnte die syrische Armee weitere Kräfte mobilisieren und den Belagerungsring um Ost-Aleppo erneut schließen. Kurz darauf trat erneut ein von Russland und den USA vermittelter Waffenstillstand in Kraft. Als Teil der Vereinbarung sollten Hilfsgüter in die belagerten Gebiete gebracht werden. Allerdings wurden die Transporte zunächst vom syrischen Regime blockiert. Erst nachdem die Blockade gelockert wurde, konnte der erste Hilfskonvoi passieren. Kurz darauf wurde dieser aus der Luft bombardiert, vermutlich durch die russische Luftwaffe. Nicht nur wurden daraufhin weitere Hilfslieferungen eingestellt auch der fragile Waffenstillstand fand sein jähes Ende.
In der finalen Phase des Konflikts erreichte die Gewalt ein neues Niveau der Eskalation. Das syrische und russische Militär intensivierten nicht nur die Luftangriffe auf die Rebellengebiete. Der Studie zufolge wurden dabei auch Brandbomben, Streumunition und immer wieder Fassbomben mit Chlorgas über Ost-Aleppo abgeworfen. Zudem gab es Hinweise, dass die russische Luftwaffe bunkerbrechende Bomben einsetzte, die tief in den Boden eindringen und dort ihre Ladung mit hoher Wucht detonieren. Tiefergelegenen Stockwerke und Keller, in denen Zivilisten Schutz vor dem Bombenhagel gesucht hatten, waren dadurch nicht mehr sicher. Zudem mehrten sich Luftangriffe auf Schulen, Bäckereien und Hilfsorganisationen. Vor allem aber traf es medizinische Einrichtungen, die teilweise wiederholt bombardiert wurden. Dahinter vermuten die Autoren einen gezielten Versuch, die medizinische Versorgung im belagerten Teil von Aleppo lahmzulegen.
Begleitet wurde die Offensive auf Aleppo von einer Desinformationskampagne, die darauf abzielte, die Realität in Aleppo in einem Gewirr aus Wahrheiten und Unwahrheiten zu verzerren. Systematisch wurden zivile Opfer als Terroristen dargestellt und damit zu legitimen Zielen erklärt. Gleichermaßen wurden Hilfsorganisationen, wie die Weißhelme, und andere Augenzeugen, die über Soziale Medien aus Aleppo über das menschenverachtende Vorgehen der syrischen und russischen Armee berichteten, die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Von syrischen und russischen Medien wurden sie wahlweise als Unterstützer von Extremisten oder Propagandaarm der NATO dargestellt.
Im November gelang den Regimetruppen ein Vorstoß in die Rebellengebiete und es häuften sich Hinweise auf Gräueltaten, die allerdings aufgrund der komplexen und unübersichtlichen Lage nicht verifiziert werden konnten. Mitte Dezember konnte Assads Armee den Großteil von Ost-Aleppo unter ihre Kontrolle bringen. Die Opposition vereinbarte daraufhin mit Russland eine Evakuierung von Zivilisten und Kämpfern aus den belagerten Vierteln. Doch die Evakuierung kam nur zögerlich voran, weil die genutzten Fahrzeuge von Regimekräften zunächst aufgehalten wurden. Im Zuge der Evakuierung soll es laut Augenzeugen zu Überfällen, Verhaftungen und Erschießungen durch die Armee und regimenahe Milizen gekommen sein. Zudem wurde berichtet, dass junge Männer aus den Konvois gezerrt wurden, um sie für den Wehrdienst in der syrischen Armee zwangszuverpflichten.
Am 22. Dezember 2016 verkündete das syrische Regime die vollständige Einnahme von Aleppo. Die Autoren bewerten dies als einen wichtigen Schritt für das politische Überleben von Assad. Gleichzeitig war es ein herber Rückschlag für die moderate Opposition, die laut den Autoren ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Extremismus ist. In ihrem Schlusswort appellieren die Autoren an die internationale Staatengemeinschaft, sich stärker gegen Menschenrechtsverletzungen in Syrien einzusetzen, notfalls auch mit militärischer Gewalt.
http://www.atlanticcouncil.org/images/publications/Breaking-Aleppo-web-0215.pdf
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Denis Volkov: Russian Elite Opinion after Crimea, Carnegie Moscow Center, 2016.
- Eugene Rumer: Russia and the Security of Europe. 2016.
- Mark Galeotti: Heavy Metal Diplomacy: Russia's Political Use of Its Military in Europe since 2014.
- Keir Giles: Russia's ‘New' Tools for Confronting the West Continuity and Innovation in Moscow's Exercise of Power. 2016.
- Deborah Yarsike Ball: Protecting Falsehoods with a Bodyguard of Lies: Putin's Use of Information Warfare. 2017.
- Alina Polyakova, Marlene Laruelle, Stefan Meister und Neil Barnett: The Kremlin's Trojan Horses. 2016.
- Orysia Lutsevych: Agents of the Russian World: Proxy Groups in the Contested Neighbourhood, Research Paper 2016.
- Andrew Monaghan: Russian State Mobilization: Moving the Country on to a War Footing. Chatham House. 2016.
- Michael J. Mazarr: Mastering the Gray Zone. Understanding a Changing Era of Conflict. 2015.
- Martin Murphy, Frank G. Hoffmann und Gerry Schaub, Jr.: Hybrid Maritime Warfare and the Baltic Sea Region. 2016.
- Heather A. Conley/ Kathleen H. Hicks/ Lisa Sawyer Samp/ Jeffrey Rathke/ Olga Oliker/ Anthony Bell/ John O' Grady: Evaluating Future U. S. Army Force Posture in Europe, Phase I Report 2016.
- Jan Joel Andersson and Erika Balsyte: Winter is coming. Chilly winds across northern Europe, European Union Institute for Security Studies (EUISS) 2016.
- Heather A. Conley and Matthew Melino: An Arctic Redesign. Recommendations to Rejuvenate the Arctic Council. 2016.
- Guillaume Lasconjarias and Alessandro Marrone: How to Respond to Anti-Access/Area Denial (A2/AD)? Towards a NATO Counter-A2/AD Strategy. 2016.
- Corentin Brustlein: Conventionalizing Deterrence? U.S. Prompt Strike Programs and Their Limits. 2015.
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- Maksymilian Czuperski, Faysal Itani, Ben Nimmo, Eliot Higgins, Emma Beals: Breaking Aleppo. 2017.
- Charlie Winter: War by Suicide: A Statistical Analysis of the Islamic State's Martyrdom Industry. 2017.
- Translated Articles (e-only)
- Understanding Trumpism: the New President's Foreign Policy
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