Zusammenfassung
Chronisch Kranke benötigen Kompetenzen, die sie dazu befähigen, möglichst selbstbestimmt mit ihrer Erkrankung umzugehen (Selbstmanagement). Solche Kompetenzen können durch Patientenschulungen vermittelt werden (Empowerment). Kontrollierte Studien konnten Effekte innovativer, interaktiver Schulungsprogramme auf Gesundheitskompetenz und Selbstmanagement-Outcomes nachweisen. Außerdem zeigte sich, dass Verbesserungen der Gesundheitskompetenz Verbesserungen der Lebensqualität mit sich bringen.
Abstract
People suffering from chronic disorders need competencies enabling them to manage their condition in a self-determined way (self-management). Patient education programs are designed to provide them such competencies (empowerment). Clinical trials demonstrated effects of innovative, interactive education programs on health literacy and self-management outcomes. Moreover, improvements in competencies were shown to be followed by improvements in quality of life.
Chronische Erkrankungen stellen die Betroffenen vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Dazu gehören das Selbstmonitoring des eigenen Gesundheitszustands, die flexible Adhärenz an Behandlungsempfehlungen, die Modifikation des Gesundheitsverhaltens und Lebensstils, die Bewältigung belastender Emotionen, die Kompensation von Einschränkungen von Aktivitäten und Teilhabe, und die Kommunikation mit professionellen Experten, Arbeitskollegen und der Familie. Man kann nun nicht davon ausgehen, dass die Betroffenen die hierfür erforderlichen Kompetenzen in der Regel schon mitbringen. Patientenschulungen verfolgen deshalb das Ziel, ihnen diese zu vermitteln. Sie wollen die Betroffenen im Sinne von Empowerment dazu befähigen, möglichst selbstbestimmt mit ihrer Erkrankung und deren Folgen umzugehen (Selbstmanagement), d.h. informierte Entscheidungen bezüglich ihrer Gesundheit zu treffen und in entsprechende Handlungen umzusetzen [1].
Patientenschulungen sind strukturierte, manualisierte Gruppenprogramme, die sich aus mehreren Schulungseinheiten zusammensetzen, sowohl frontale als auch interaktive Methoden verwenden und auf mehreren Interventionsebenen (Kognition, Emotion, Motivation, Verhalten) ansetzen [2]. Sie enthalten in der Regel folgende Bausteine [1]: Information über die Krankheit und ihre Therapie, Training von Fertigkeiten für Selbstmonitoring und Selbstbehandlung, Motivationsstrategien zur Lebensstiländerung sowie Methoden der Stressbewältigung und Training sozialer Kompetenzen. In der Didaktik von Patientenschulungen haben sich neue Entwicklungen vollzogen, die den traditionellen Frontalunterricht in den Hintergrund treten ließen und die aktive Rolle der Schulungsteilnehmer stärkten [3]. Die damit einhergehende kognitive Aktivierung und persönliche Auseinandersetzung soll den Kompetenzerwerb der Patienten fördern [4]. Auch aus Patienten- und Schulungsleiterperspektive sind eine aktive Patientenbeteiligung, eine einfache Informationsvermittlung mit Alltagsbezügen, praktisches Üben sowie Motivation und Eigenverantwortung wesentliche Faktoren für die Verständlichkeit bzw. das Verständnis von Schulungen [5].
Das Wirkmodell der Patientenschulung unterscheidet proximale und distale Ziele [1]. Proximale Ziele, wie mehr Wissen und bessere Handlungsfertigkeiten zur Förderung von Gesundheitskompetenz und Selbstmanagementfähigkeiten, werden von Schulungen unmittelbar adressiert. Sie stellen Voraussetzungen dafür dar, schulungsfernere, distale Ziele wie die Verbesserung von Lebensqualität und Teilhabe anzustreben. Hinweise auf die Bedeutung der Gesundheitskompetenz für den Schulungserfolg gibt es auch aus vorliegenden Forschungsergebnissen: Schulungen zur Verbesserung des Gesundheitsverhaltens scheinen dann besonders wirksam zu sein, wenn sie anstreben, Selbstregulationsstrategien zu vermitteln, wie Zielsetzung, Selbstmonitoring, Handlungsplanung sowie Feedback über die Zielerreichung [6].
Während die Wirksamkeit von Schulungen bezüglich distaler Outcomes durch randomisierte kontrollierte Studien vielfach belegt wurde (Übersicht: [1]), wurden die proximalen Zielkriterien oft nicht ausreichend erfasst. Mit dem Health Education Impact Questionnaire (heiQ) liegt jedoch inzwischen ein dafür geeignetes generisches Messinstrument vor [7, 8].
In Deutschland sind Patientenschulungen ein fester Bestandteil der medizinischen Rehabilitation [1]. In diesem Setting konnten für viele indikationsspezifische Programme positive Schulungseffekte auf das krankheitsbezogene Wissen, krankheitsbezogene Einstellungen, Motivation und Selbstregulation sowie das Selbstmanagementverhalten nachgewiesen werden [z.B. 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15]. Ergänzend wurden zwischenzeitig auch generische Programme entwickelt, die allgemeine Gesundheits- und Selbstmanagementkompetenzen ansprechen [16, 17]. Diese erbringen zumindest kurzfristig zusätzliche Effekte auf proximale Zielparameter, wie Verhaltensintention, wahrgenommene Gesundheitskompetenz und Zielsetzung. Theoriegeleitete Programme zur Förderung des Gesundheitsverhaltens haben sich hinsichtlich der Motivation und Volition der Patienten und hinsichtlich der körperlichen Aktivität als effektiv erwiesen [z.B. 18, 19]. In diesen Studien im Rahmen der medizinischen Rehabilitation konnten meist keine Effekte auf distale Outcomes nachgewiesen werden. Wir konnten aber zeigen, dass, wie im Wirkmodell postuliert, die Verbesserung der wahrgenommenen Selbstmanagement-Fertigkeiten nach einer stationären Reha-Maßnahme die mittel- und langfristige Verbesserung der Lebensqualität vorhersagt [20, 21].
Die Bewältigung einer chronischen Erkrankung kann nur dann gelingen, wenn der Patient selbst die Regie führt. Dafür braucht er Kompetenzen, die ihm durch Patientenschulungen vermittelt werden können. Ein selbstbestimmter Umgang mit der Erkrankung in Kooperation mit professionellen Experten als übergeordnetes Ziel von Patientenschulungen spiegelt auch einen Wandel in der Gesundheitsversorgung hin zu mehr Patientenorientierung wider.
Conflicts of interest: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten haben. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.
Conflicts of interest: All authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Authors state no funding involved. Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.
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©2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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