Zusammenfassung
Eine Verbesserung der gesundheitlichen Kompetenz bzw. Gesundheitskompetenz und eine Stärkung der Patientensouveränität sind 2003 als nationales Gesundheitsziel in Deutschland formuliert worden. Im Rahmen des Kooperationsprojekts „gesundheitsziele.de“ folgte 2010 eine Aktualisierung des Ziels. Mittlerweile wurde dieses Gesundheitsziel im Präventionsgesetz von 2015 aufgenommen.
Abstract
An improvement in the citizens’ health competence/health literacy and the strengthening of patient sovereignty were formulated as a national health target in Germany in 2003. As part of the cooperative project “health-targets.de” (“gesundheitsziele.de”), a revison of the target followed in 2010. In the meantime, this health target has been included in the 2015 Prevention Act.
Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität als Gesundheitsziel
„Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken“ – dieses nationale Gesundheitsziel ist 2003 im Rahmen des bundesweiten Kooperationsverbundes „gesundheitsziele.de“ der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) verabschiedet worden [1]. Etwa 70 Organisationen aus dem Gesundheitswesen mit Vertreter(inne)n von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen, Krankenkassen, Leistungserbringern, Bundesgesundheitsministerium, Landes- und Kommunalverwaltung, Gewerkschaft, GVG und Wissenschaft waren beteiligt [2]. Das Gutachten 2000/2001 des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen gab zur Zielentwicklung wichtige Impulse [3]. Ein Evaluationskonzept wurde 2009 im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht [4].
Da alle Beteiligten des Kooperationsverbundes freiwillig zusammenarbeiten, ist auch die Umsetzung des Gesundheitsziels den beteiligten Akteur(inn)en überlassen. Wie bei den anderen bis 2003 entwickelten Gesundheitszielen ging es bei diesem Querschnittsthema um gemeinsam verabredete Teilziele und Maßnahmen. Die Arbeitsweise des Verbundes, die Entwicklung von Gesundheitszielen, die bisher bearbeiteten Gesundheitsziele und viele Publikationen sind auf der Internetseite www.gesundheitsziele.de ausführlich dargestellt [5].
Aktualisierung des Gesundheitsziels und Einbindung in das Präventionsgesetz
Im Jahr 2010 ist das Gesundheitsziel überprüft und aktualisiert worden. Weitere prioritäre Maßnahmen wurden formuliert und die folgenden Zielbereiche bestätigt:
Bürger(innen) und Patient(inn)en werden durch qualitätsgesicherte, unabhängige, flächendeckend angebotene und zielgruppengerichtete Gesundheitsinformationen und Beratungsangebote unterstützt (Transparenz erhöhen).
Individuell angemessene und von Bürger(inne)n bzw. Patient(inn)en gewünschte gesundheitsbezogene Kompetenzen sind gestärkt; motivierende und unterstützende Angebote sind verfügbar (Kompetenz entwickeln).
Die kollektiven Patientenrechte sind ausgebaut; die individuellen Patientenrechte sind gestärkt und umgesetzt (Patientenrechte stärken).
Das Beschwerde- und Fehlermanagement erlaubt Patient(inn)en, ihre Beschwerden und Ansprüche wirksamer, schneller und unbürokratischer geltend zu machen (Beschwerdemanagement verbessern) [6].
Mittlerweile ist das Gesundheitsziel im Präventionsgesetz und § 20 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V verankert und so Grundlage für Prävention und Gesundheitsförderung auf Landesebene und in Kommunen.
Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität wechselseitig stärken
Ausgehend von dem Selbstbestimmungsrecht der Patient(inn)en hinsichtlich ihrer Entscheidung über gesundheitsbezogene Interventionen speziell bei Diagnostik und Therapie stellt sich die Frage, ob und wie dieses Recht wahrgenommen werden kann. Mehr Wahlmöglichkeiten z.B. bei der Therapie, bei der Krankenversicherung oder bei individuellen Gesundheitsleistungen erhöhten den Entscheidungs- und Handlungsdruck bei den Patient(inn)en bzw. Versicherten. Patientensouveränität kann auch überfordern, wenn die betroffenen Menschen nicht unterstützt und gestärkt werden, um dieses Recht kompetent wahrzunehmen. Denn partizipative und souveräne Entscheidungen sind die Grundlage einer rechtlich verbindlichen Einwilligung der informierten Patient(inn)en z.B. in eine Behandlung.
Als das Gesundheitsziel entwickelt wurde, fehlten Daten zur Gesundheitskompetenz der hiesigen Bevölkerung. Dennoch zeigte sich u.a. in der Praxis der Patientenberatung, dass die Menschen sehr unterschiedlich damit umgehen konnten, sich geeignete Informationen zu beschaffen, sie zu verstehen und zu bewerten und auf ihre gesundheitsbezogenen Entscheidungen und Handlungen anzuwenden. Gerade bei den weniger gebildeten, einkommensschwachen oder chronisch kranken Personengruppen schien ihre Gesundheitskompetenz deutlich eingeschränkt zu sein, wobei sie andererseits eine erhebliche Krankheitslast zu bewältigen hatten, oft ohne entsprechende Ressourcen [7].
Deshalb waren die Maßnahmen zu diesem Gesundheitsziel darauf ausgerichtet, vor allem
Gesundheitskompetenz zu stärken und motivierende und unterstützende Angebote verfügbar zu machen,
Selbsthilfemöglichkeiten zur Stärkung individueller und sozialer gesundheitsbezogener Kompetenzen anzuregen und zu erschließen und
patientenorientierte Arbeitsweisen und kommunikative Kompetenzen von Institutionen und Leistungserbringern im Gesundheitswesen weiter zu entwickeln.
Kitas, Schulen und Betriebe sollten einbezogen werden und die Angebote differenziert sein für spezifische Bevölkerungsgruppen (z.B. Frauen, ältere Menschen, sozial Benachteiligte, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund).
Eine gute Gesundheitskompetenz wurde auch für die kollektive Patientenbeteiligung als notwendig angesehen, eine Aufgabe für Patienten- und Selbsthilfeorganisationen [6].
Fazit
Heute ist die Datenlage zur Gesundheitskompetenz bzw. Health Literacy international und in Deutschland wesentlich verbessert, neue Erkenntnisse und Schlussfolgerungen bestätigen weitgehend die Einschätzung und die ausgewählten Ziele und Maßnahmen von 2003 [8]. Vor allem die Unterstützung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen wird angemahnt, aber nicht nur als individuelle sondern auch als institutionelle Gesundheitskompetenz. Gute Ideen und gute Praxisbeispiele werden gesucht, um die im europäischen Vergleich [9] relativ schlechte Gesundheitskompetenz in Deutschland zu erhöhen und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Thematik ist beim Gemeinsamen Bundesausschuss und in der Bundesgesundheitspolitik angekommen [10], ein nationaler Aktionsplan entsteht und beschleunigt hoffentlich ein wirksames Vorgehen.
Conflicts of interest: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten haben. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.
Conflicts of interest: All authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Authors state no funding involved. Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.
Literatur
1. GVG. Gesundheitsziele.de – Forum zur Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen in Deutschland. Bericht. Köln, 2003.Search in Google Scholar
2. Hölling G, Brasseit U. Gesundheitsziele zur Stärkung der gesundheitlichen Kompetenz von Bürgern und Patienten. Bundesgesundheitsblatt 2003;46:128–33.10.1007/s00103-002-0548-3Search in Google Scholar
3. SVR. Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Gutachten 2000/2001. Band I: Zielbildung, Prävention, Nutzerorientierung und Partizipation. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2001Search in Google Scholar
4. Horch K, Hölling G, Klärs G, Maschewsky-Schneider U, Sänger S, Schellschmidt H, et al. Ansätze zur Evaluation des Gesundheitsziels „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(inn)ensouveränität stärken“. Bundesgesundheitsblatt 2009;52:889–96.10.1007/s00103-009-0942-1Search in Google Scholar PubMed
5. aufrufbar unter http://www.gesundheitsziele.de (Zitierdatum 07.10.2016).Search in Google Scholar
6. GVG. Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(inn)ensouveränität stärken – Bilanzierung, Aktualisierung, zukünftige prioritäre Maßnahmen. Köln, 2011.Search in Google Scholar
7. Schaeffer D, Dierks M-L, Hurrelmann K, Keller A, Krause H, Schmidt-Kaehler S, et al. Evaluation der Modellprojekte zur Patienten- und Verbraucherberatung nach § 65b SGB V. Universität Bielefeld 2004.Search in Google Scholar
8. Schaeffer D, Quenzel G. Health Literacy – Gesundheitskompetenz vulnerabler Bevölkerungsgruppen. Bielefeld: Universität Bielefeld, 2016.Search in Google Scholar
9. The European Health Literacy Survey 2009 – 2012, http://ec.europa.eu/chafea/documents/news/Comparative_report_on_health_literacy_in_eight_EU_member_states.pdf.Search in Google Scholar
10. aufrufbar unter http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2016/pk-gesundheitskompetenz-in-deutschland.html (Zitierdatum 07.10.2016).Search in Google Scholar
© 2017 Günter Hölling, published by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 Public License.
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