Zusammenfassung
Im vorliegenden Artikel wird untersucht, inwieweit es sich beim Berlinischen im späten 19. Jahrhundert um eine konsolidierte Varietät handelt und inwiefern sich diese Varietät auf die nähere Umgebung auswirkt. Gerade die in Alt-Berlin 1887/88 bei Schulkindern erhobenen Wenker-Materialien zeigen eine angesichts der gewaltigen Migration nach Berlin erstaunlich weit gehende Konsolidierung des Berlinischen. In Bezug auf eine mögliche Ausstrahlung des Berlinischen zeigt sich dagegen kein eindeutiges Bild: Während sich bei bestimmten Phänomenen (unverschobenes ick, Realisierung von mhd. ei bzw. mnd. ē) Berlinisch und Brandenburgisch im Verbund gegen die Hochsprache stellen, teilweise aber auch das Berlinische gegen das Brandenburgische mit der Hochsprache geht (frühneuhochdeutsche Diphthongierung bei mhd./mnd. ī), zeigen sich in nicht wenigen Fällen zwischen Berlinisch und Brandenburgisch auch gegen die Hochsprache differenzierende Ergebnisse, wobei teilweise nur das Berlinische (Entrundung), teilweise beide Varietäten (Obliquus des Personalpronomens der 2. Sg.) gegen die Standardsprache gehen.
Anmerkung
Der vorliegende Artikel stellt eine überarbeitete Fassung meiner Präsentation an der 15. Jahrestagung der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte (Passau, 25.–27.09.2023) dar. Für die anregende Diskussion danke ich dem Passauer Publikum, für Hinweise, Hilfe bei der und den Austausch zur vorliegenden Fassung danke ich Nele Arnold, Carsten Becker, Lena Haden, Christian Schwarz sowie zwei anonymen GutachterInnen. Natürlich stehen alle Fehler in meiner Verantwortung.
5 Zitierte Literatur
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