Abstract
Heuristic is the first step to provide a good critical text edition. It allows to collect all the manuscripts of a work, as well as to order them according to their content. This preliminary work phase is also important in order to obtain essential information about the genre and type of a work, thus providing useful new starting points for a comprehensive study. The paper provides the first results of this work phase within the project that involves editing, translating and providing a commentary on Dionysius of Halicarnassus’ ‘Epistula ad Ammaeum II’. All the manuscripts of the ‘Epistula’ can be divided into two groups, which are almost always characterised by two specific and different compositions: the first one allows us to consider the ‘Epistula’ as a rhetorical treatise providing rhetorical and grammatical remarks about the style of Thucydides; the second clarifies the importance of the ‘Epistula’ as necessary support to the comprehension of the ‘Historiae’ of Thucydides. Within these two groups of manuscripts there are some witnesses which present an unusual composition, such as the Parisinus gr. 2755. This case study sheds light on interesting and sometimes neglected aspects of the ‘Epistula’ and provides a complete analysis of its genre and use.
La première démarche du philologue soucieux d’éditer quelque texte ancien conformément aux lois de la critique moderne est évidemment l’établissement d’une liste aussi complète que possible des manuscrits qui nous ont conservé ce texte, ce qui suppose l’exploration des différents fonds où il a chance de découvrir des témoins de l’oeuvre qui l’intéresse [1].
Mit diesen Worten betonte Marcel Richard die Wichtigkeit einer – soweit möglich – vollständigen Heuristik als ersten Schritt für eine wissenschaftlich fundierte Textedition. Die nächsten Arbeitsschritte im Editionsprozess sind ebenfalls wohlbekannt: Die Analyse des Inhaltes aller Manuskripte sowie der Reihenfolge der jeweils enthaltenen Schriften führt zu einer ersten grundlegenden Anordnung der Textzeugen. Diese stellt naturgemäß die erforderliche Voraussetzung für eine solide recensio und damit für eine entsprechende kritische Ausgabe dar. Darüber hinaus liefert sie eindeutige Hinweise auf die Verwendung und die Rezeption eines Textes sowie wertvolle Indizien für die Bestimmung seiner Gattung und Typologie. Die Erarbeitung dieser Anordnung bildet somit einen wichtigen Ansatzpunkt für die Entwicklung von Denkanstößen, die ansonsten unerkannt geblieben wären. Dementsprechend hat diese Arbeitsphase mich dazu veranlasst, bestimmte Aspekte der ‚Epistula ad Ammaeum II‘ in den Fokus zu stellen, von denen ich nachstehend berichten werde [2].
Die ‚Epistula‘ gehört zu den rhetorischen Schriften – den sogenannten ‚Opuscula Rhetorica‘ – des Dionysios von Halikarnass [3] und behandelt in literarisch-stilkritischer Briefform einige spezifische stilistische Grundsätze des Thukydides. In dieser Schrift greift Dionysios einige bereits in seinem Traktat ‚De Thucydide‘ betrachtete Themen auf. Er liefert also eine Präzisierung einiger Aspekte von ‚De Thucydide‘, keine retractatio [4].
Usener untersuchte als Erster die gesamte Textgeschichte der ‚Opuscula‘ [5]. Seine Forschung stellt eine unabdingbare Voraussetzung für sämtliche Folgestudien zur Textüberlieferung der rhetorischen Schriften des Dionysios dar. Selbstverständlich gilt das auch für die von mir durchgeführte Recherche zur ‚Epistula‘ [6], die Useners Rekonstruktion an einigen wesentlichen Punkten verbessert. Die handschriftliche Überlieferung der Schrift lässt sich folgendermaßen umreißen [7]: Die Textzeugen können in zwei Gruppen gegliedert werden. Die Haupthandschrift der ersten Gruppe ist der Parisinus gr. 1741 ( siglum P ) [8], der um die Mitte des 10. Jahrhunderts datiert wird [9]. Der Kodex enthält verschiedenartige rhetorische Texte, darunter die Dionysios zugeschriebene ‚Ars Rhetorica‘ ( fol. 1r–37r ) [10], sowie Dionysios’ ‚Epistula‘ ( fol. 102v–106r ), ‚De compositione verborum‘ ( fol. 200r–225r ) und ‚De imitatione‘ ( fol. 299r–301r ) [11]. Die in P überlieferte Sammlung wurde eingehend untersucht und mit anderen zeitgenössischen collectanea rhetorica verglichen [12]. Obwohl sie nicht als corpus verstanden werden kann [13], wurde sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem bestimmten Ziel angefertigt. Die Intention, „[ … ] ein Anti-Corpus zu den in Byzanz dominierenden rhetorischen Schriften des Aphthonios, des Hermogenes und ihrer Erklärer [ … ]“ [14] zu erschaffen, ist ersichtlich und kann auf einen circolo di scrittura zurückgeführt werden [15]. Zu der Deszendenz von P gehören 22 Handschriften, die fast alle aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammen [16] und fast immer, wenn auch in verschiedenen akolouthiai, die gleiche oder eine immerhin sehr ähnliche rhetorische Sammlung wie der Parisinus überliefern. Die zweite Gruppe besteht aus 32 Textzeugen, die – mit einer einzigen Ausnahme – zwischen dem Ende des 13. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts angefertigt wurden [17]. In diesen wird die ‚Epistula‘ meistens mit den ‚Historiae‘ des Thukydides und oft auch mit erklärenden Begleittexten zu diesem Autor verbunden: den zwei Viten des Historikers ( der ‚Vita‘ des Markellinos und der anonymen ‚Vita‘ ), fünf Hexametern ( AP 2,372–376 ) und zwei elegischen Distichen ( AP 9,583 ). In einem Fall – dem Vaticanus Palatinus gr. 84 – erfolgt auch eine Kombination mit dem Encomium Thucydidis aus den ‚Progymnasmata‘ ( 8 ) des Aphthonios. In der Rekonstruktion der Filiationsverhältnisse dieser Gruppe spielt ein bisher nicht berücksichtigter Textzeuge der ‚Epistula‘ eine entscheidende Rolle. Es handelt sich um ein wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts stammendes Pergament-Fragment, das heute im Staatsarchiv in Modena aufbewahrt wird. Das Fragment überliefert zwei Textstellen der ‚Epistula‘ [18] und wurde sehr wahrscheinlich mit den membranae mutinenses der ‚Historiae‘ des Thukydides überliefert [19]. Nach meiner Einschätzung stimmt der Text des Modena-Fragments ( siglum Mu ) mit der thukydideischen Handschriftengruppe gegen P überein [20]. Ein weiterer Befund ist, dass diese Manuskripte und Mu an verschiedenen Stellen bei Fehlern und Auslassungen von P und den anderen Handschriften der ersten Gruppe den richtigen Text überliefern. Die thukydideische Gruppe bewahrt somit eine Texttradition, die nach Ausweis des Fragmentes Mu deutlich älter ist als bisher vermutet. Sie liegt zeitlich nicht weit von P entfernt. Folglich müssen die Lesarten dieser Gruppe anders interpretiert werden als bei Usener [21]. Dieser sah in den häufigen textuellen Abweichungen Verbesserungen eines byzantinischen Lehrers aus dem 12.–13. Jahrhundert [22]. Jetzt zeigt sich jedoch, dass wir es mit Varianten zu tun haben, die ebenso alt sind wie P und die daher für die constitutio textus zu berücksichtigen sind.
Ohne weiter ins Detail zu gehen [23], ist an dieser Stelle Folgendes hervorzuheben: Die in fast allen Manuskripten vorgefundene Zusammenstellung legt nahe, dass die ‚Epistula‘ entweder als rhetorischer Traktat oder als erklärender Begleittext zu Thukydides verwendet wurde. Und in der Tat bietet sie Charakteristika, die sie mit beiden Textsorten verbinden. Denn zum einen stellt sie unterschiedliche rhetorische und grammatische Überlegungen über die Richtigkeit – oder, aus Dionysios’ Perspektive, Unrichtigkeit – von Thukydides’ Ausdrucksweise an. Zum anderen eignet sie sich aufgrund ihres Inhalts und ihrer Struktur bestens als didaktisches Mittel – besonders in Kombination mit den ‚Vitae‘ [24] –, um die Lektüre und das Verständnis der ‚Historiae‘ nachhaltig zu unterstützen.
Innerhalb der zwei Handschriftengruppen der ‚Epistula‘ überliefern jedoch einige Zeugen eine ungewöhnliche Zusammenstellung. Beachtenswert ist diesbezüglich insbesondere der Parisinus gr. 2755 ( siglum Pe ) [25], der in der zweiten oben genannten Handschriftengruppe der ‚Epistula‘ eingeordnet werden kann. Pe ist ein Sammelkodex, der sich im Besitz von Gian Francesco d’Asola ( ca. 1495/1498–1558 ) befand [26]. Er wurde zwischen der Mitte und dem Ende des 15. Jahrhunderts angefertigt und besteht aus unterschiedlichen Produktionseinheiten ( I–VII ), die jeweils verschiedenartige kodikologische Eigenschaften zeigen [27]. Jede Produktionseinheit wurde von einem bestimmten Schreiber, der manchmal von einem anderen abgelöst wurde, angefertigt:
I |
fol. 1r–53v |
Hephaestionis Enchiridion cum commentariis veteribus ( excerpta ) |
fol. 54r–55r |
Trichae De novem metris |
|
Kopist |
Michael Suliardus [28] ( subscriptio: fol. 55r ) |
II |
fol. 61r–71v |
Dionysii Halicarnassei Epistula ad Ammaeum II |
fol. 72r–74v |
Ps.-Iuliani et Ps.-Basilii Epistulae [29] |
|
fol. 74v–75r |
Eustathii Epistula [30] |
|
fol. 75r–77r |
Ps.-Iuliani Epistula [31] |
|
fol. 77r–81r |
Ps.-Libanii et Ps.-Basilii Epistulae [32] |
|
fol. 81r–100v |
Basilii Oratio ad adolescentes de legendis libris gentilium |
|
fol. 101r–103v |
Ps.-Aeschinis Epistulae [33] |
|
fol. 103v–114r |
Ps.-Platonis Epistulae [34] |
|
fol. 114v–128v |
Ps.-Diogenis Sinopensis Epistulae [35] |
|
fol. 128v–131v |
Ps.-Cratetis Thebani Epistulae [36] |
|
fol. 132r–153v |
Iuliani Epistulae [37] |
|
fol. 154r–161r |
Ps.-Euripidis Epistulae |
|
fol. 161r–187r |
Ps.-Hippocratis Epistulae [38] |
|
fol. 187r–197r |
Ps.-Heracliti Epistulae [39] |
|
Kopist |
Michael Apostoles ( subscriptio: fol. 197r ) [40], Georgios Alexandru ( fol. 121r–122v; marg. fol. 124r–193r ) [41] |
III |
fol. 200r–247v |
Euripidis Hecuba |
Kopist |
Zacharias Kallierges [42] |
IV |
fol. 248r–303v |
Sophoclis Electra |
Kopist |
Demetrios Moschos [43] |
V |
fol. 304r–318r |
Homerocentra |
Kopist |
Ioannes Moschos ( fol. 306r, Z. 20–306v; 309v, Z. 4–310r, Z. 8 ) [44]. Die restliche Folia wurde von einem unbekannten Kopist angefertigt. |
VI |
fol. 320r–343v |
Oppiani Halieutica ( excerpta ) |
Kopist |
Unbekannt |
VII |
fol. 345r–357r |
Ps.-Aristotelis De virtute |
Kopist |
Unbekannt |
Leer: fol. 55v–60v, 197v–199v, 318v–319v, 344rv, 357v |
Der zweite Teil der Handschrift ( fol. 61r–197r ), der die ‚Epistula‘ ( fol. 61r–71v ) enthält, wurde auf Kreta von Michael Apostoles geschrieben, wie der Kopist selbst berichtet [45]. Die ‚Epistula‘ wurde in diesem Teil mit anderen Briefen vereint. Diese Tatsache verdient meines Erachtens Beachtung und wirft die Frage auf, ob die ‚Epistula‘ unter einem bestimmten Gesichtspunkt mit den anderen Briefen verbunden wurde und in welcher Weise die in Pe angestrebte Corpusbildung für die Untersuchung der Gattung und der Typologie der ‚Epistula‘ genutzt werden kann.
Aus thematischem und inhaltlichem Blickwinkel scheint die ‚Epistula‘ in keiner offensichtlichen Verbindung mit den anderen in Pe ( fol. 72r–197r ) überlieferten Schriften zu stehen. Sicher ist jedoch, dass es in allen Fällen immer um Briefe geht. Die einzige Ausnahme könnte die ‚Oratio ad adolescentes‘ des Basileios darstellen. Es ist aber allgemein bekannt, dass dieses Werk des kappadokischen Kirchenvaters nicht als Homelie betrachtet werden kann [46]. In ihrer Eigenart passt sie vielmehr sehr gut zu einer Briefsammlung, eben wie – um nur einige Beispiele aus der lateinischen Literatur anzuführen – die Briefe 22 ( ‚Ad Eustochium‘ ), 57 ( ‚Ad Pammachium de optimo genere interpretandi‘ ) und 107 ( ‚Ad Laetam de institutione filiae‘ ) des Hieronymus. Damit soll nicht behauptet werden, dass der Text des Basileios auf die epistolographische Gattung zurückzuführen ist. Es soll lediglich festgehalten werden, dass seine Anwesenheit in der epistolographischen Sammlung von Pe nicht unbegründet ist [47]. Neben der ungewöhnlichen Zusammenstellung von Pe ( fol. 61r–197r ) sind zwei weitere Punkte ebenfalls wichtig. Sie ergeben sich aus zwei eng zusammenhängenden Aspekten: erstens aus der Stellung von Pe sowohl in der Textüberlieferung der ‚Epistula ad Ammaeum II‘ als auch in der griechischen epistolographischen Überlieferung, zweitens aus dem intellektuellen Setting, in dem Pe und die ihm stemmatisch nahen Zeugen angefertigt wurden.
Die Überlieferung der ‚Epistula‘ gibt eindeutige textkritische Hinweise darauf, dass Pe verwandtschaftliche Beziehungen mit bestimmten Textzeugen zeigt [48]. Die betreffenden Manuskripte wurden entweder von Michael Apostoles [49] ( wie Pe ) geschrieben, oder von Schreibern seines Kreises oder jedenfalls von Kopisten kretischer Herkunft [50]. Stemmatisch sind diese Handschriften in der Textgeschichte der ‚Epistula‘ und darüber hinaus – fast immer – in derjenigen der ‚Historiae‘ [51] und der anonymen ‚Vita‘ des Thukydides [52] miteinander verbunden. Auch für die Überlieferung von AP 2,372–376; 9,583 bestätigen die Lesarten diesen Befund [53].
Pe überliefert jedoch neben der ‚Epistula‘ weitere Briefe. Einige davon sind in die Ausgabe griechischer Epistolographen bei Aldus Manutius ( 1499 ) [54] eingeflossen. Im Rahmen der Studien zur Aldina wurde anhand textkritischer und paläographischer Hinweise die Zugehörigkeit von Pe zu einer bestimmten kretischen Handschriftengruppe bewiesen. In dieser Gruppe wiederholen sich bestimmte Zusammenstellungen von Briefen – darunter die des Hippokrates, Herakleitos, Diogenes, Krates, Aischines und Euripides – mehrfach [55]. Die Herkunft dieser Gruppe aus dem kretischen Scriptorium des Michael Apostoles wurde als bedeutsamer Beweis für die Bestimmung der verwandtschaftlichen Beziehungen der Textzeugen betrachtet [56].
Zusammenfassend lässt sich anhand der bisher gesammelten Informationen feststellen, dass die ‚Epistula‘ auf Kreta und überwiegend im intellektuellen Umfeld von Michael Apostoles zirkulierte. Sie wurde von Apostoles selbst oder von anderen kretischen Schreibern mehrmals mit den ‚Historiae‘ und einmal, ebenfalls von Apostoles, mit einer Sammlung von Briefen zusammengestellt – dieses Manuskript haben wir in Pe erhalten. Dieser Befund legt nahe, die ungewöhnliche Zusammenstellung von Pe auf eine bestimmte Intention und nicht auf den Zufall zurückzuführen. Die literarische Gattung der Epistolographie hat sowohl in der lateinischen als auch in der griechischen Literatur unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen. Ihr wurden zahlreiche und bedeutende Untersuchungen gewidmet, die die Vielschichtigkeit des Genres hervorgehoben haben [57]. Im Rahmen einer so komplexen Tradition könnte die Zusammensetzung von Pe als ein Versuch verstanden werden, die ‚Epistula‘ durch die Kombination mit Briefen in einen neuen Deutungsrahmen zu stellen. Wie bereits erwähnt weichen die anderen in Pe überlieferten Briefe ( fol. 72r–197r ) thematisch und inhaltlich von Dionysios’ ‚Epistula‘ ab. Zu manchen wurden Forschungsfragen gestellt, die die ‚Epistula‘ nicht betreffen: Bei vielen wurde die Authentizität eingehend überprüft und dann meistens ausgeschlossen [58], bei einigen wurden mögliche Gemeinsamkeiten mit dem griechischen Briefroman diskutiert [59], bei anderen wurde die Bedeutung unter historischen Gesichtspunkten hervorgehoben [60]. Angesichts einer solchen Vielfalt sollte die Anwesenheit beispielweise der ‚Epistula ad Ammaeum II‘ sowie der Homelie des Basileius ‚An die Jugend‘ in Pe nicht verwundern. Wenig überraschend ist auch die Tatsache, dass beide – sowie andere Briefe der Sammlung – nicht in die Aldina aufgenommen wurden.
Eine so besondere Sammlung erfordert in ihrer Vielfalt einen passenden Interpretationsschlüssel. Die Ungewöhnlichkeit von Pe ( fol. 61r–197r ) ermöglicht, die Verschiedenartigkeit der epistolographischen Gattung anhand von ungleichartigen Briefbeispielen deutlich zu machen. Mit diesem Manuskript ist ein Dokument geschaffen worden, dass die Verwendung des Briefes als multifunktionales Kommunikationsmedium in ihrer ganzen Breite und in ihrem Reichtum vor Augen führt [61]. Die Eingliederung der ‚Epistula‘ konnte eine mit dieser Absicht konzipierte Briefsammlung aufwerten. Wahrscheinlich ist diese neuartige Manuskriptsammlung auf den dezidierten Wunsch eines unbekannten Auftraggebers oder auf Michael Apostoles selbst zurückzuführen. Sicher ist, dass diesem Versuch kein Fortleben beschieden war. Dies wird aus der handschriftlichen Überlieferung der Schrift deutlich: Pe bleibt nämlich ein Einzelfall. Dies zeigt sich in der Folge auch in der Aldina der ‚Epistolographi graeci‘, der die ‚Epistula‘ nicht beigefügt wird.
Die Ergebnisse der bisher erfolgten Untersuchung haben mich veranlasst, die ‚Epistula‘ als Traktat in Briefform eingehender zu analysieren. Im Laufe meiner Forschung wurden die bereits erkannten Merkmale, die die ‚Epistula‘ als lettera-saggio charakterisieren [62], genauer geprüft. Dabei ergaben sich unter anderem folgende Beobachtungen: Die ‚Epistula‘ fokussiert sich auf ein einziges und konkretes Thema, nämlich die Darstellung einiger bestimmter Eigenschaften von Thukydides’ Stil. Sie richtet sich an einen einzigen Adressaten, ist aber tatsächlich für ein breiteres Publikum konzipiert: Der Adressat ist zwar Ammaios/Ammaeus [63], doch das Thema, die Struktur und die Art und Weise der inhaltlichen Darstellung lassen eindeutig erkennen, dass die ‚Epistula‘ zu Lehrzwecken ausgearbeitet [64] bzw. für ein breiteres Publikum verfasst wurde. Die Ergebnisse der umfassenden Studie zu diesen Aspekten werde ich an anderer Stelle vorstellen [65]. Hier soll vor allem die Bedeutung der Analyse der Zusammenstellung der Handschriften für die Bestimmung der Verwendung der ‚Epistula‘ hervorgehoben werden. Sie ermöglicht, die Verwendung dieser Schrift als rhetorischen Text und als didaktische Einführung in die ‚Historiae‘ durch klare Evidenzen zu belegen. Durch dem Anschein nach bedeutungslose Ausnahmen erlaubt sie außerdem, die ‚Epistula‘ als Traktat in Briefform zu betrachten.
Die hier vorgestellten Überlegungen machen deutlich, dass die inhaltliche Zusammensetzung der Handschriften, wie Richard schrieb, eine unabdingbare Basis für eine wissenschaftliche Textedition ist. Gleichzeitig ist sie aber auch ein wertvolles Mittel, um bedeutsame – und manchmal nicht ausreichend untersuchte – Aspekte zu beleuchten.
© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.
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