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Störende Statuen?

Zur Bewältigung und Instrumentalisierung unerwarteter Evidenzproduktion *
  • Michael Grünbart EMAIL logo
Published/Copyright: October 18, 2023
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Abstract

Ancient statues continued to be visible in the cityscape of Constantinople after Late Antiquity. Myths and legends often arose around them, as their original meaning and designation had been forgotten. This article discusses examples from the early and middle Byzantine periods in order to show which functions statues assumed in the understanding of imperial power and which messages they could convey. It is not surprising that statues were able to influence the public discourse on the one hand, and that the emperor could exercise dominion and assert his sovereignty of opinion with these visible monuments on the other.

[*]Wahrheit ist ein gern strapazierter, absoluter Begriff, der keine Halb- oder Viertelwahrheiten duldet. Wahrheit ist seit jeher bei den unsterblichen Göttern/Gott verortet: Das Göttliche kann durch seine Vorsehung bestimmen, was gut und wahr ist [1]. Problematisch wird es, wenn die Wahrheit auf die Erde kommt und auf menschliche Konkurrenzen trifft.

Da sich mit dem ersten byzantinischen Kaiser Konstantin die Göttlichkeit oder besser Gottähnlichkeit und Stellvertretung Gottes als ein konstituierendes und akzeptiertes Element im oströmischen Herrschaftsverständnis festsetzte, waren beim Kaisertum Wahres und Gutes in Eintracht monopolisiert.

Göttliche Wahrheit wird verkündet und ist – in rebus theologicis – nicht anzufechten. Bei der Auslegung des Glaubens und seines Bekenntnisses kann es allerdings zu Verwerfungen kommen, wie die Christenheiten bis 451 ( Chalkedon ) und später miterlebten. Hier soll aber nicht über religiöse Wahrheiten, also Orthodoxien und Heterodoxien, und hegemoniale Exklusivitätsansprüche gesprochen werden, sondern über Wahrheitskonkurrenzen bzw. den Umgang mit Evidenzen im politischen Alltag kaiserlichen Handelns.

Die Beschaffung und die Verarbeitung von Informationen erweisen sich gerade im Kontext von Herrschaft als eine heikle und folgenreiche Angelegenheit. Wissen wird durch Expertentum generiert, tradiert und auch verschriftlicht zur Verfügung gestellt. Gesichertes Wissen ist notwendig, um herrschaftliches Handeln möglich und verständlich zu machen. Dazu treten – auch in der Vormoderne – Nachrichten und Informationen, die gegenteilige Ansichten transportieren können [2]. Gesteuerte und erfundene Nachrichten spielen in der Spionage und im militärischen Sektor eine Rolle [3]. Und: Schlechte Nachrichten sollen nicht publik gemacht werden [4].

Wissen unterstützt bzw. ermöglicht führendes Handeln, doch ist Wissen verknüpft mit Akzeptanz und Konsens. Dieser Konsens gründet auf gesellschaftlichen Konventionen, die mit anderen ( oder neuen ) Meinungen kollidieren. Gleichsam einen Auftakt zur Thematik Wahrheitskonkurrenzen stellt die Arbeit von Marie Theres Fögen dar [5]. Sie zeichnet in klarer Weise den Weg von vielstimmigen, miteinander konkurrierenden Öffentlichkeiten und die zunehmende Einengung von Meinungs-, Deutungs-, sowie Kompetenzvielfalt in der Spätantike anhand von juristischen Texten nach. Sie subsumiert das Phänomen unter „kaiserlichem Wissensmonopol“. Das Streben nach Kontrolle von Information schlägt sich in den großen Gesetzessammlungen nieder, doch waren die Fabrikanten von Wissen durch den spätantiken Filter nicht vollständig enteignet. Zur Herstellung dieses Zustandes waren alle Mittel recht: Am wirksamsten wurde die physische Vernichtung von Dokumenten und Schriften gesehen [6], doch wurden ‚gefährliche‘ Texte weiterhin gesammelt und ‚gebunkert‘ [7].

Unbestritten basiert Regieren auf mannigfaltigen Ressourcen: Wissen, Information und Erfahrung stellen unerlässliche Grundlagen dar. Ergiebig erweist sich bei der Rekonstruktion leitenden Verhaltens das militärische Schrifttum, wo einerseits Geheimhaltung und andererseits Nachrichtensteuerung und Falschnachrichten behandelt werden. All dies kann den Gang der Ereignisse gezielt beeinflussen. Allerdings versuchte man auch in vormodernen Gesellschaften Regieren durch Meinungen und Gegenmeinungen ( oder negativ: Gerüchte, Falschmeldungen, Fehlinterpretationen ) zu beeinflussen, stören oder sogar zu behindern [8]. Um diesen Problemen zu begegnen, lassen sich zwei Hauptstrategien benennen: Entweder wird die ‚öffentliche‘ Meinung kontrolliert ( zensiert oder totgeschwiegen ) oder versucht, auftretende Nachrichten bzw. Gerüchte zu prüfen bzw. sogar zu verifizieren ( oder falsifizieren ). Zum letzteren gehören Debatten, Dialoge und Diskurse [9]. In allen Fällen handelt es sich um Bewältigungsstrategien, die der Behauptung der Meinungshoheit und letztendlich der Sicherung von Herrschaft dienen.

Evidenzen generierten Interpretationen, sie bedurften der Prüfung und sie konnten auch Deutungskämpfe entzünden ( dies vornehmlich in theologischen Debatten ). Dabei spielen ‚Wahrheit‘ ( auch als Argument der Behauptung im Diskurs ), Klarheit und Eindeutigkeit sowie Verifikation bzw. Beweisführung nachdrückliche Rollen. Bedeutsam ist dies bei Personen, die zu entscheiden haben, da die Kategorien ‚alle Optionen überlegt‘, ‚alle Zweifel ausgeräumt‘ und somit ‚richtig‘ den Machterhalt, aber auch das Wohl des Gemeinwesens begünstigen.

Um das Phänomen der Evidenzproduktion zu veranschaulichen, soll eine Objektgruppe in den Fokus genommen werden: Statuen. Das mag zunächst verwunderlich klingen, doch soll dies im Folgenden anhand einiger Beispiele herausgearbeitet werden. Standbilder verkörpern seit jeher heilige oder herrscherliche Autorität. Statuen sind symbolhaft aufgeladene Gegenstände, deren Verständnis sich über die Zeiten verändert. Statuen und Bildnisse können als Stellvertreter überirdischer und weltlicher Macht ( oder auch von Ideen, wie in der jüngsten Vergangenheit deutlich wurde ) willentlich beschädigt werden. Die Zerstörung imperialer Bildnisse wird in der römischen und byzantinischen Kaiserzeit als eine Majestätsbeleidigung verstanden und dementsprechend geahndet [10]. Bei Statuen kann es auch zu Grenzüberschreitungen zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen kommen: Schon in der antiken Tradition weinen, schwitzen, bluten oder bewegen sie sich [11]. Standbilder mögen als böse eingestuft werden, da sie – laut vormodernen Vorstellungen – Paganes vertreten, Magisches entwickeln oder Dämonen behausen können [12].

Statuen existierten weiterhin in der Hauptstadt am Goldenen Horn, doch kamen nach dem sechsten Jahrhundert kaum neue hinzu [13]. Mit der Zeit verloren sie ihre ursprüngliche Bedeutung und wurden mit Geschichten ausgestattet [14].

Statuen spielen in der byzantinistischen Forschung eine gewisse Rolle: Antiquarisches Interesse und Magie sind prominent in den Fragestellungen vertreten [15], doch die praxeologische Komponente, die Hinsicht auf Evidenzproduktion und ihre Bewältigung traten bislang eher wenig in Erscheinung [16].

1. Belebte Statuen

Kaiser Maurikios wurde am 27. November 602 in Konstantinopel ermordet [17]. Gleichzeitig ereignete sich fern der Hauptstadt eine Begebenheit, die der Historiker Theophylaktos Simokates für berichtenswert erachtet ( ἀξιαφηγητότατον ἔργον ) [18]. In Alexandreia war ein Kalligraph bei einem Händler zu Gast, der abends ( zur vierten Stunde ) das Fest der Geburt eines Knaben ( am siebten Tag nach dem freudigen Ereignis ) feierte. Man aß und trank, der Kalligraph verließ das Haus des Gastgebers. Er passierte eine Lokalität, welche Tychaion hieß, und wurde eines merkwürdigen Schauspiels gewahr. Die dort aufgestellten Statuen waren von ihren Standorten herabgestiegen und riefen mit lauter Stimme seinen Namen. Sie teilten dem Vorbeigehenden eindeutig mit, dass an dem Tag etwas mit dem Kaiser Maurikios passierte [19]. Der Kalligraph gelangte unter großer Furcht nach Hause und erzählte am folgenden Tag den Vorfall Petros, dem Präfekten Ägyptens ( eparchos ) [20], der den Mann zu sich hatte rufen lassen. Er bat ihn, niemandem die Information weiterzugeben [21]. Er trug auf, den Tag des Reports durch den Kalligraphen zu notieren, und wartete. Neun Tage danach überbrachte ein Bote ( ἄγγελος ) die Nachricht von der Ermordung des Maurikios nach Alexandreia [22]. Als Petros dies erfahren hatte, verkündete er die ( eingetretene ) Prognose in der Öffentlichkeit und nannte den Kalligraphen als ihren Urheber [23].

Theophylaktos Simokates, in dessen Werk selten übernatürliche Kräfte in das Geschehen eingreifen, bringt die konventionelle Meinung zum Ausdruck, dass in Statuen Dämonen wirkten; durch ihre Stimmen wurde evident, dass sie Leben eingehaucht bekommen hatten, durch ihr Herabsteigen, dass sie Menschen ähnlich waren [24]. Die Bedeutung der Begebenheit manifestiert sich noch in einem anderen Aspekt: Sie fand zu einem Zeitpunkt statt, als die Ordnung des Reiches auf dem Spiel stand [25]. Der Tod des Kaisers konnte zu einer Unordnung führen.

Der Kalligraph zeigte sich als ein treuer Diener seines Herrn und überbrachte die Nachricht – eine übernatürlich hergestellte Evidenz – seinem Vorgesetzten. Diesem ist das brisante Potential derselben ersichtlich, und er schließt die Information ( unter Aufzeichnung des Datums ) ein. An den Informationslieferanten ergeht der Befehl, das Geschehen bei sich zu behalten.

Der Präfekt entschied sich für dieses Vorgehen, um die Verbreitung eines Gerüchts zu vermeiden. Damit handelte er als verantwortlicher und kaisertreuer Würdenträger. Einige Tage später erwies sich die Nachricht als wahr. Neun Tage dauerte die Übermittlung der Botschaft vom Reichszentrum nach Alexandreia; in dieser Zeitspanne hätte jemand diesen Informationsvorsprung ausnützen und eventuell eine Usurpation anzetteln können.

2. Statuen als intentional aufgeladene Objekte

Am Kaiserhof in Konstantinopel hielten sich zu allen Zeiten Experten auf, die ihr Wissen zur Verfügung stellten oder vom Herrscher konsultiert wurden. Der Umgang mit Experten und Beratern war ein zweischneidiges Schwert [26]: Zum einen waren ihr Wissen und ihre Kompetenzen notwendig, andererseits bestand die Gefahr, sich ihnen zu sehr auszusetzen und nur auf sie zu hören. Mediziner und Sternbeobachter zählen zu den am häufigsten erwähnten Experten; ob sie einen eigenen Habitus wie im spätmittelalterlichen Westen entwickelten, kann nicht beurteilt werden [27]. Wenn man die Quellen liest, verschwimmen oft die Grenzen zwischen offiziellem Würdenträger und Kenner prognostischer Techniken.

Der Astronom Ioannes bietet sich Kaiser Romanos I. ( 920–944 ) an, eine Handlung in der Logik eines Bindezaubers durchzuführen [28]. Er meint, dass das Abschlagen des Kopfes einer nach Westen ausgerichteten Statue am Xerolophos ( Lokalität in Konstantinopel ) [29] sich negativ auf das Leben des bulgarischen Herrschers Simeon auswirken würde, da das Objekt mit dem Schicksal der Bulgaren verbunden sei [30]. Der Kaiser schenkt dem Experten und seiner Prognose Glauben ( und kann daran denken, seine Politik danach auszurichten ), lässt aber synchron prüfen ( ἀκριβωσάμενος ), ob das Ereignis eingetreten ist [31]. In der Tat: Simeon war zur selben Stunde an einem Herzinfarkt gestorben. Die Passage wirft Licht auf Ressourcen ( Expertenwissen ), die zu einer bewussten Handlung anleitet, um eine Evidenz zu produzieren. Um den Wahrheitsgehalt der Prognose ( der intentionalen Handlung ) zu kontrollieren, lässt der Kaiser das Ergebnis verifizieren.

Ein vergleichbares Ereignis fand im 12. Jahrhundert in Konstantinopel statt. Kaiser Manuel I. war gerade im Kampf gegen die Ungarn in Sardike stationiert, als ihn eine Nachricht aus der Hauptstadt erreichte: Eine als ‚Römerin‘ bezeichnete Statue war umgefallen. Sie stand auf dem Forum Constantini, wo sich eine weitere eherne Frauenstatue ( ‚Ungarin‘ ) befand. Der Kaiser ließ sofort ( εὐθύς ) nach der Hauptstadt schicken und den Schaden beheben. Die ‚Römerin‘ wurde wieder aufgestellt, während die ‚Ungarin‘ abgetragen wurde [32]. Choniates merkt an: „Er glaubte, er könne durch die Umordnungen ( μετασκευαί ) der Standbilder auch den Lauf der Dinge ändern und zugleich mit der ‚Rhomäerin‘ die Erfolgsaussichten der Rhomäer heben und durch den Sturz der ‚Ungarin‘ auch die Paionen niederwerfen.“ [33] Der kaiserliche praxeologische Eingriff wird hier sichtbar: Öffentlich setzt er auf dem wichtigsten Platz der Stadt ein Statement, in dem er einen negativ deutbaren Vorfall einzurenken versucht. Der Kaiser scheint hier die Meinung prägen zu wollen und jeglichen Zweifel oder Kritik an seiner Operation im Grenzraum zu Ungarn klein zu halten.

Interessant sind die unmittelbar folgenden Ereignisse, die Niketas in seine Darstellung einflicht. Ein Ungar sprengt in Richtung des Lagers des Manuel, stürzt aber und kann kein Unheil anrichten. Der Kaiser deutet dies sofort als ein glückliches Vorzeichen und schreibt es in seinen Erfolgsweg ein [34]. Kein Gedanke wird ( auch bei Niketas ) auf einen möglichen Anschlag verwendet, der Kaiser hat die Situation fest im Griff und sitzt sicher im Sattel. Und kurz darauf wird der Zeitpunkt der Schlacht ( 8. Juli 1167 = Namenstag des Hl. Prokopios ) von Manuel in einem Brief an den Oberbefehlshaber als ungünstig angesehen, worüber sich der Feldherr hinwegsetzte [35].

3. Fallende Standbilder

Eine Eigenschaft von Standbildern ist, dass sie stürzen oder gestürzt werden konnten. Seit jeher wird der Fall einer Statue als Affront gegen eine Autorität verstanden.

In einem weiteren Fall spielt abermals eine Statue eine Rolle: Die Konstantinssäule auf dem Konstantinsforum steht im Mittelpunkt [36]; die historische Vignette soll ihrer Informationsdichte wegen als Vollzitat wiedergegeben werden:

Es ereignete sich aber auch folgendes: Mitten auf dem Konstantinsforum stand eine Statue aus Bronze, nach Osten blickend, auf einer weithin sichtbaren Porphyr-Säule stehend, die in der Rechten ein Szepter, in der Linken eine aus Bronze gefertigte Kugel hielt. Man sagte, dass dies ein Standbild des Apollon sei. Die Einwohner der [ Stadt ] des Konstantin nannten es jedoch, glaube ich, Anthelios. Der berühmte Konstantin, der große unter den Kaisern, der Vater und Herr der Stadt, benannte es dann nach seinem eigenen Namen um, indem er es als Standbild des Autokrators Konstantin bezeichnete. Die ursprüngliche Bezeichnung, die man dem Standbild gegeben hatte, behielt jedoch die Oberhand, und es wurde von allen entweder Anhelios oder Anthelios genannt. Dieses Standbild stießen plötzlich heftige Sturmböen, starke Südwestwinde, von dort herab und warfen es zu Boden; die Sonne stand damals im Zeichen des Stiers.

Dies erschien den meisten als ein schlechtes Omen, besonders all denen, die dem Autokrator nicht freundlich gesonnen waren. Sie zischelten hinter vorgehaltener Hand, daß dieses Ereignis den Tod des Basileus ankündige. Dieser aber sagte: „Ich kenne nur einen Herrn über Leben und Tod; daß das Umfallen von Götzenbildern den Tod bringen soll, kann ich keinesfalls glauben. Wenn nämlich ein Pheidias zum Beispiel oder sonst irgendein Bildhauer ein Götzenbild erschafft, indem er es aus Stein herausmeißelt, kann er damit etwa Tote zum Leben erwecken und kann er so lebendige Wesen schaffen? Wenn er es könnte, was bliebe dann übrig für den Schöpfer aller Dinge? Denn er sagt: ‚Ich kann töten und lebendig machen.‘ Und nicht etwa das Umfallen oder Errichten dieses oder jenes Götzenbildes.“ Denn er [ Alexios ] stellte alles der allmächtigen Vorsehung Gottes anheim [37].

Zunächst geht es um die Verortung und Benennung des Monumentes. Kaiser Konstantin konnte der Heliosstatue nicht nachhaltig seinen Namen aufprägen [38]. Die öffentliche Meinung hatte den längeren Atem und überlagerte noch im zwölften Jahrhundert die Intention des Stifters, seinen Namen zu konservieren.

Das Denkmal wurde durch Sturm beschädigt ( 5. April 1106 ), was Anna Komnene gleich vorweg festhält: Es wird eine ‚natürliche‘ Ursache geltend gemacht. Allerdings liefert sie die Information des Sonnenstandes mit, der die Genauigkeit ( und Authentizität ) des Vorfalls untermauern soll. Sogleich entsteht ein Gerücht, das die Herrschaftsdauer betrifft. Fallende Statuen und zerbröselnde Bilder waren seit jeher autoritätsgefährdende Zeichen und konnten als üble Vorboten für das Schicksal der Herrschenden verstanden werden [39]. Unter Manuel I. Komnenos wurde die Säule wieder repariert und mit einem Kreuz anstelle der Statue versehen. Die Inschrift ist noch heute in situ zu lesen [40].

Die Autorin stellt den betroffenen Kaiser als schnell reagierend dar: Er versucht, eine allgemein gültige Erklärung für den – seiner Meinung nach – kontingenten Vorfall zu entfalten, um die Deutungshoheit zu behaupten ( die Argumentation des Kaisers klingt gelehrt, geht aber am Kern vorbei – es geht nicht um Belebtheit, sondern um die Anzeige eines Endes [ was auch durch unbeseelte Materie geschehen kann ] ).

Noch eine Komponente gilt es hier zu betrachten: Es handelt sich um eine Statue, die mit Apollon und Helios zusammengebracht wird. In der römischen Herrschaftstradition waren Apoll seit Augustus und Sol invictus spätestens mit Kaiser Aurelianus Teil des imperialen ikonologischen Inventars geworden [41]. Penelope Buckley hat darauf hingewiesen, dass es bei der Darstellung von Alexios I. auch um die Motivik des letzten Konstantin geht [42]. Sie betont, dass am Ende der Darstellung des Lebens des Komnenenkaisers heliotische Bilder eingeführt werden [43]. Wenn man den Fall der Statue, die den strahlenden Herrscher verkörpert, betrachtet, dann wird umso deutlicher, dass Anna von der negativen Zeichensprache ablenken will, indem sie einen Schritt zurücktut und ihren Vater über die Belebtheit von Standbildern reflektieren lässt.

4. Schluss

Anhand von Objekten, die Herrschaftssymbolik transportieren oder die mit kaiserlichem Wirken in Verbindung gebracht werden, kann das Thema Evidenzproduktion veranschaulicht werden: Abweichungen ihres fixen Zustandes wie Fall oder Beschädigung bewirken Unruhe. Seit jeher gilt es, die Standbilder zu bändigen und festzumachen [44]. Die Abweichungen können als Zeichen verstanden werden. Und Macht ist sensibilisiert, solche Zeichen zu bemerken, da sie Kritik oder sogar Gefährdung darstellen können. Als ständige Herausforderungen für den Machthaber gelten die Einordnung und die Bewältigung kontingenter Geschehnisse.

Wichtig ist es ( für den Herrscher ), seine Meinung zu behaupten und die Deutungshoheit zu behalten. Anna Komnene geht in ihrer Sequenz keineswegs auf die mögliche negative Implikation des Falles der Helios-/Konstantinsstatue für Alexios I. ein, sondern verlagert die Problematik auf eine Diskussion über die Beseeltheit von Statuen. Theophylaktos Simokates zeigt in seiner Alexandriner Episode, wie bemüht der kaiserliche Machtverwalter ist, eine negative Information unter Verschluss zu halten: Ihr Wahrheitsgehalt über den Tod Kaiser Maurikios’ offenbart sich erst mit der Bestätigung durch den eintreffenden Boten.

Die Verifikation und die Überprüfung von Meinungen ( auch unter Einbeziehung von Expertentum ) spielen bei der Absicherung eine Rolle, wie dies der Fall Simeon zeigt; hier sind einerseits Strategien der Authentifizierung und damit verbunden Autoritätszuschreibungen notwendig, anderseits wird die Verbindung zwischen Statuen und Astrologie evident.

Sichtbar wird die Brisanz der ( Vor )Zeichen beim Verhalten von Herrschern, die Hand an Statuen anlegen lassen, um gleichsam die Meinung zu formen bzw. gar keine negativen Gedanken aufkommen zu lassen. Der kontingente Fall der Statue der ‚Römerin‘ wird von Kaiser Manuel I. zum Anlass genommen, das kommende Geschehen zu beeinflussen ( oder es zumindest zu versuchen ).

Kurzum: Die nach wie vor im oströmischen Reich vorhandenen Statuen entfalten ihre Wirkung. Sie eignen sich zur Betrachtung der Bewältigungsstrategien kontingenter Vorfälle und zeigen ihre Instrumentalisierung zur Meinungsformung.

Published Online: 2023-10-18
Published in Print: 2023-10-12

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 25.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/fmst-2023-0003/html
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