Startseite Georg Ruppelt (Hrsg.): 350 Jahre Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (1665–2015). Hannover: Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek, 2015. 453 S., ISBN: 978-3-943922-12-7. 44,80 €
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Georg Ruppelt (Hrsg.): 350 Jahre Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (1665–2015). Hannover: Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek, 2015. 453 S., ISBN: 978-3-943922-12-7. 44,80 €

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Veröffentlicht/Copyright: 28. März 2017

„Bibliotheken sind zentrale Institutionen des geistigen Lebens der Gesellschaft.“ Diesen programmatischen Satz stellt Georg Ruppelt, ehemaliger Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, seinem Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Festschrift „350 Jahre Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (1665–2015)“ voran. Der gesamte Band ist diesem Leitsatz verpflichtet. Die Struktur des Buches ist darüber hinaus einem unausgesprochenen zweiten Leitsatz verpflichtet, der mit den im Bibliothekswesen so beliebten Leitsätzen wie aus „Tradition in die Zukunft“ oder aus „Tradition in die Moderne“ umschrieben werden kann und den Spagat zwischen Traditionsbildung und Modernität zu finden versucht.

In einem ersten Abschnitt wird in neun Beiträgen die Geschichte der Bibliothek thematisiert, während im zweiten Abschnitt die Bibliothek nach 1945 in ihren Aufgaben und Perspektiven in den Blick genommen wird. Für eine Landesbibliothek mit großer Geschichte stellt dies einen probaten Zugang dar. Die Geschichte wird exemplarisch entlang der amtierenden Direktoren dargestellt. Es geht dabei um verschiedene Bibliothekskonzeptionen im jeweiligen Zeithorizont, die von Leibniz bis zu Georg Heinrich Pertz, einem der Gründungsväter der „Monumenta Germaniae historica“, reichen: von der gleichsam akademischen Privatbibliothek Leibnizens über die repräsentative Hofbibliothek des 18. Jahrhunderts bis zur sich moderner bürgerlich geprägter Wissenschaft öffnenden Bibliothek des 19. Jahrhunderts.

Die spezifische Herrschaftsgeschichte Hannovers mit einer Dynastie, die nicht im Land regierte, und die Gründung der Universität Göttingen, die deutsche Reformuniversität der Aufklärungsepoche schlechthin mit einer entsprechend modernen Bibliothek, ließ die Hofbibliothek in Hannover immer mehr ins Hintertreffen geraten. Sinnfällig wurde ihre Marginalisierung durch umfangreiche Bestandsabgaben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

In gewisser Weise rangen die Direktoren des 19. Jahrhunderts mit der Frage, was diese Bibliothek sein solle. Eduard Bodemann, bekannt heute noch durch den Inkunabelkatalog der Bibliothek, und Karl Kunze bemühten sich um bauliche und bibliothekarische Fortschritte. Mit der hannoverschen Niederlage 1866 wurde die Bibliothek endgültig ihres dynastischen Fixpunktes beraubt. Die ungeklärte Eigentumsfrage, ob die Bibliothek zum Vermögen des Hauses Hannover gehöre oder Staatseigentum sei, stand einer Fortentwicklung der Bibliothek im Kaiserreich, wie wir es für die Universitäts- und historischen Hofbibliotheken beobachten können, hinderlich im Wege. Noch heute ist im Bestand diese ‚Marginalisierungsgeschichte‘ nachvollziehbar.

Erst nach 1945 wurde das grundlegende Strukturproblem der Bibliothek gelöst, indem das Land Niedersachsen die Bibliothek übernahm und die Welfen dafür entschädigte. In einem zweiten Schritt wurde die Landesbibliothek seit den 1960er-Jahren an die Universität Hannover herangeführt, indem ihr wichtige Aufgaben innerhalb des universitären Bibliothekssystems übertragen wurden. Peter Marmein, bis vor kurzem stellvertretender Bibliotheksdirektor, beschreibt in seinem Beitrag diesen Umbruch, den er viele Jahre selbst mitgestaltet hat. Neben der universitären Funktion wurden an der Landesbibliothek zentrale Aufgaben für die niedersächsische Bibliothekslandschaft beheimatet, wie die bibliothekarische Ausbildung und das Niedersachseninformationssystem mit Pflichtexemplarrecht und Landesbibliografie. Hinzu traten der Aufbau der Leibniz-Forschungsstelle und die Bearbeitung der Leibniz-Bibliografie. Die stürmische Entwicklung der Landesbibliothek gipfelte im Bibliotheksneubau der 1970er-Jahre.

Die Epoche seit 1946 definierte die Rolle der Bibliothek als Landesbibliothek mit universitären Aufgaben und endete 2002, als die Landesbibliothek aus der universitären Literaturversorgung ausgegliedert wurde, ein Zeitabschnitt, der wesentlich von Georg Ruppelt geprägt wurde. In manchen Fällen lässt sich Bibliotheksgeschichte am Bibliotheksbau ablesen. So wie der Neubau der Bibliothek in den 1970er-Jahren für die Landesbibliothek nach 1945 stand, so stehen die Umbaumaßnahmen der letzten Jahre für die Konstituierung der Landesbibliothek ohne universitäre Aufgaben. In einem umfassenden Sinne wird sie nun als Institution des kulturellen Lebens des Landes und als Forschungsbibliothek interpretiert, wie es Georg Ruppelt in seinem abschließenden Beitrag „Umbau und Neuorientierung 2009 bis 2015“ programmatisch ausführt.

Neben den genannten Aufsätzen von Peter Marmein und Georg Ruppelt werden die Aufgaben Restaurierungswerkstatt erläutert, neuerworbene Sammlungen und besondere Einzelstücke vorgestellt sowie auf das Engagement der Bibliothek beim Aufspüren von nationalsozialistischem Raubgut geblickt. Die Bibliothek selbst ist vom Raubgutproblem nur marginal berührt, da sie aufgrund ihrer ungeklärten Rechtsstellung weder herausragend bedacht wurde, noch sich sehr darum bemüht hatte. In dem Beitrag zum Raubgut wird die Bestandsgeschichte sehr detailliert aufgeschlüsselt. Es scheinen aber zwei kurze Hinweise erlaubt, die nicht angesprochen werden: Die Bibliothek fungierte nach 1945 als Auffangstation von herrenlosem Bibliotheksgut. Wahrscheinlich kamen Raubgutbestände auch über diesen Weg in die Bibliothek. Ebenfalls nicht erwähnt wird der umfangreiche Bestand an Raubgut in der Wehrbereichsbibliothek II, die seit 2004 in der Landesbibliothek aufbewahrt wird.

Der rundum gelungene, reich bebilderte und typografisch exzellent gestaltete Band gibt einen guten Einblick in Geschichte, Aufgaben und die zukünftigen Planungen der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsischen Landesbibliothek. Ausgewählte Quellenstücke aus der reichen Registratur der Bibliothek unterstützen die Darstellungen. Ein Verzeichnis der Nachlässe, Kurzbiografien der Direktoren und ein Register runden den Band ab.

Online erschienen: 2017-3-28
Erschienen im Druck: 2017-4-1

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Inhaltsfahne
  3. Die Zukunft des Publizierens
  4. Zur Situation des digitalen geisteswissenschaftlichen Publizierens – Erfahrungen aus dem DFG-Projekt „Future Publications in den Humanities“
  5. Von der Digitalisierung zur Digitalität: Wissenschaftsverlage vor anderen Herausforderungen
  6. Finanzierungsmodelle für Open-Access-Zeitschriften
  7. Best Practice
  8. Stadtbücherei Hilden – Bibliothek des Jahres 2016
  9. Next generation library systems
  10. A Step Towards a Distributed Model for Bibliographic Data in Sweden
  11. DARIAH
  12. CLARIN-D: eine Forschungsinfrastruktur für die sprachbasierte Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften
  13. Weitere Beiträge
  14. Informationsverhalten, sozialer Kontext und Bibliotheken: Annäherungen an Theorien der Small Worlds und Informationswelten
  15. Kultur und Wissen digital vermitteln – Stand und Perspektiven der Deutschen Digitalen Bibliothek – ein Überblick
  16. Bibliotheken auf dem Weg zu lernenden Organisationen – Entwicklung eines Selbstbewertungstools
  17. Die Niederösterreichische Landesbibliothek
  18. Lernzentren – eine kurze Bestandsaufnahme
  19. Aus der Frühzeit der Mainzer Skriptorien: Ein unbekanntes karolingisches Handschriftenfragment (Mainz, Wissenschaftliche Stadtbibliothek, Hs frag 20)
  20. Für die Praxis
  21. Befähigung im Wandel
  22. Bibliographische Übersichten
  23. Zeitungen in Bibliotheken
  24. Rezensionen
  25. Georg Ruppelt (Hrsg.): 350 Jahre Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (1665–2015). Hannover: Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek, 2015. 453 S., ISBN: 978-3-943922-12-7. 44,80 €
  26. Katrin Janz-Wenig, Monika E. Müller, Gregor Patt: Die mittelalterlichen Handschriften und Fragmente der Signaturengruppe D in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Teil 1: Textband; Teil 2: Tafelband. Wiesbaden: Harrassowitz, 2015 (Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Kataloge der Handschriftenabteilung; 4). 2 Bde., 453 + 553 S., 603 farbige Abb. ISBN 978-3-447-10514-9. 298,– EUR.
  27. Paul Ladewig: Katechizm biblioteki. Przelożył z języka niemieckiego na język polski Zdzisław Gębolyś; przy wspólpracy Bernharda Kwoki; przelożył z języka niemieckiego na język angielski Zdzislaw Gębolyś. Bydgoszcz: Wydawnictwo Uniwersytetu Kazimierza Wielkiego, 2016. 211 S., 35 s/w-Abb. Kart. ISBN 978-83-8018-050-5. 29,40 zł (ca. 6,60 €)
Heruntergeladen am 29.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2017-0001/html?lang=de
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