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Wissensmanagement in KMU

Kriterien zur Identifikation von internen Schlüsselpersonen
  • Ina Schiedermair

    Ina Schiedermair, M. A., geb. 1995, studierte Integrative Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Kaiserslautern. Seit August 2022 ist sie Akademische Mitarbeiterin am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und ist an verschiedenen Projekten beteiligt, die sich der menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung widmen.

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    , Elena Kick

    Elena Kick, M. Sc., geb. 1994, studierte International Management an der Hochschule Karlsruhe. Seit September 2022 ist sie Akademische Mitarbeiterin am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und Teil der Nachwuchsforschungsgruppe zur menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung.

    , Marco Baumgartner

    Marco Baumgartner, M. Sc, geb. 1995, studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Karlsruhe. Seit Februar 2020 arbeitet er als Akademischer Mitarbeiter am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und forscht dabei unter anderem zu KI-bezogenen Kompetenzen, digitalen Wissensmanagementlösungen, menschenzentrierter und nachhaltiger Technikgestaltung und -einführung sowie Vertrauen bei der Mensch-Maschine-Interaktion.

    , Tobias Kopp

    Dr. Tobias Kopp, geb. 1988, studierte Wirtschaftsinformatik und Kognitionswissenschaft an der Hochschule Karlsruhe und der Eberhard Karls Universität Tübingen und promovierte am Karlsruher Institut für Technologie zu sozio-technischen Fragestellungen der Mensch-Roboter-Interaktion. Aktuell leitet er eine Nachwuchsforschungsgruppe zur menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung an der Hochschule Karlsruhe. Parallel unterstützt er als Berater bei der esentri AG verschiedene Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation.

    und Steffen Kinkel

    Prof. Dr. Steffen Kinkel ist Professor für International Management, Innovationsmanagement und International Business Networks im Fachbereich Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe. Er ist Gründer und Leiter des Instituts für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN). Von Juli 2004 bis Juli 2012 war er Leiter des Competence Center "Industrie- und Serviceinnovationen" im Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Prof. Kinkel koordinierte zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen globale und lokale Wertschöpfungsketten, Offshoring und Re-/Backshoring, Industrie 4.0, digitale Geschäftsmodelle, KI-unterstützte Arbeits- und Lernsysteme, digital unterstützte Kompetenzentwicklung, Produktions- und Innovationsnetzwerke, Standortbewertung sowie Technologieplanung und -vorausschau.

Veröffentlicht/Copyright: 30. Juni 2023
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Abstract

Demografischer Wandel und Fachkräftemangel stellen Unternehmen vor die Herausforderung, geschäftsrelevantes Wissen nachhaltig, transparent und strukturiert zu sichern und intern zu verteilen. Dabei spielen bestimmte Mitarbeitende, zum Beispiel aufgrund ihres exklusiven Wissens, eine besondere Rolle. Der Beitrag analysiert die Charakteristika dieser Schlüsselpersonen auf Basis von sieben leitfadengestützten Interviews mit Führungskräften und leitet daraus Implikationen für das interne Wissensmanagement ab.

Abstract

Demographic change and skills shortages are challenging organizations to secure and share knowledge in a sustainable, transparent, and structured manner. For this purpose, it is important for companies to know their key employees, and thus the central knowledge carriers. The article analyzes the characteristics of key employees based on seven guided interviews with executives and derives implications for internal knowledge management.

Notwendigkeit zur Identifikation von Schlüsselpersonen

Unternehmen stehen angesichts des Ausscheidens vieler langjähriger Mitarbeitenden im Kontext des demografischen Wandels und zunehmend komplexer und informationsgetriebener Geschäftsprozesse vor der Herausforderung, das implizit vorhandene, prozedurale Wissen ihrer Mitarbeitenden möglichst arbeitsintegriert und strukturiert zu dokumentieren und nachhaltig zu sichern. Dies dient dazu, einen erfolgskritischen Wissensverlust zu vermeiden, die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen sowie innerhalb des eigenen Unternehmens zu verbessern und Wettbewerbsvorteile sowie Wertschöpfungspotenziale zu erschließen [1, 2, 3, 4]. Neben dem Renteneintritt sind Kündigung und (kurzfristige/zeitweise) Abwesenheit von Mitarbeitenden sowie die Auflösung temporär gebildeter Strukturen, wie z. B. Projektteams, die häufigsten Gründe für einen Wissensverlust im Unternehmen [5]. Darüber hinaus haben viele Unternehmen, insbesondere aber kleine und mittlere Unternehmen (KMU), derzeit enorme Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen [6], also bei der Beschaffung neuer Kompetenzen am Arbeitsmarkt. Die für den Unternehmenserfolg entscheidenden Kompetenzen sind zudem oftmals überwiegend auf wenigen Schultern verteilt [7]. Da es nicht möglich ist, das gesamte Wissen aller Mitarbeitenden gleichzeitig strukturiert zu erfassen, ist die Kenntnis der kritischsten Wissens- und Kompetenzträger:innen notwendig, sodass im Idealfall deren Wissenssicherung Priorität eingeräumt werden kann. Dies führt zu der Frage, welches Wissen von welchen Mitarbeitenden aus welchen Gründen von zentraler Bedeutung ist. Erst wenn diese Schlüsselpersonen identifiziert sind, lässt sich ein gezieltes Wissensmanagement betreiben. Allerdings fehlt es bisher an geeigneten Leitlinien, die es Manager:innen erlauben, diese Personen ausfindig zu machen und Maßnahmen vorzuschlagen, um einem kritischen Wissensverlust vorzubeugen.

In der Literatur gelten Schlüsselpersonen als Mitarbeitende, die aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrung im Unternehmen und ihrer unternehmensspezifischen Kenntnisse sowie Fertigkeiten unverzichtbar geworden und somit schwer zu ersetzen sind [8, 9]. Ihr spezielles Wissen und Können liegt weder in gleicher Weise bei anderen Mitarbeitenden vor, noch können diese unternehmensspezifischen Kenntnisse über den Arbeitsmarkt beschafft werden [9], zumal diese auf vielfältigen Praxiserfahrungen beruhen [8]. Häufig betrachten Unternehmen in erster Linie die möglichen kritischen Auswirkungen beim Ausscheiden einer gewissen Person aus dem Unternehmen [10]. Führt der Unternehmensaustritt bzw. der Ausfall eines Mitarbeitenden zu größeren Herausforderungen oder gar Störungen im Geschäftsbetrieb, so handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Schlüsselperson [8]. Laut Ackermann [8] gibt es allerdings keine „stichfesten Kriterien“, mit deren Hilfe Schlüsselpersonen von anderen Mitarbeitenden unterschieden werden können. Dieser Artikel zielt darauf ab, diese Lücke zu schließen und typische Merkmale von Schlüsselpersonen zu identifizieren.

Interviews mit Führungspersonen

Die extrahierten Merkmale basieren auf einer umfassenden Literaturrecherche sowie den Ergebnissen aus sieben qualitativen, explorativen Expert:inneninterviews mit Unternehmensvertreter:innen deutscher Unternehmen, die entweder die Geschäftsführung oder eine Abteilungsleitung innehaben. Die jeweils ca. 45-minütigen Befragungen erfolgten leitfadengestützt und wurden zu Auswertungszwecken im Nachgang teiltranskribiert. Die Interviewten wurden im Vorfeld über die Auswertung informiert und erklärten sich zu einer Audioaufzeichnung und einer anonymen Auswertung bereit. In einem Fall wurde auf Wunsch der befragten Person auf eine Aufzeichnung verzichtet und die wichtigsten Aussagen während des Gesprächs protokolliert. Im Folgenden werden die Ergebnisse aus diesen Befragungen dargestellt und mit besonders plakativen und treffenden Originalzitaten der sieben Expert:innen (Exp 1–7) unterlegt.

Merkmale von Schlüsselpersonen

Die Ergebnisse der Expert:inneninterviews bestätigen einige der einleitend andiskutierten Merkmale von Schlüsselpersonen aus der Literatur, erweitern diese jedoch darüber hinaus auch um weitere Aspekte. Insgesamt konnten zehn zentrale Merkmale identifiziert werden, die sich wiederum folgenden Aspekten zuordnen lassen (Bild 1):

Bild 1 Merkmalscluster für Schlüsselpersonen
Bild 1

Merkmalscluster für Schlüsselpersonen

  1. exklusives Wissen,

  2. spezielle Kompetenzen,

  3. Vernetzung und Beziehung,

  4. mangelnde Ersetzbarkeit sowie

  5. kritische Auswirkungen bei Ausfall.

Laut Expert:innen verfügen Schlüsselpersonen in der Regel über exklusives Wissen, das auf deren spezialisierte Kenntnisse und Erfahrungen im Unternehmen zurückzuführen ist: „Auch wenn [die Tätigkeit] an sich kein total komplexer Prozess ist, […] muss [man] die Besonderheiten des Unternehmens kennen“ (Exp 1). Zusätzlich zu diesen spezifischen Unternehmenskenntnissen sind Schlüsselpersonen „tief in bestimmten Systemen eingearbeitet“ (Exp 4) und verfügen über „ein wirklich breites Know-how […] in ihrem Bereich“ (Exp 5). Allerdings kommt es auch vor, dass Schlüsselpersonen neben diesen „historische[n] Erfahrungen“ (Exp 1) und dem „tiefe[n] prozessuale[n] und unternehmerische[n] Verständnis“ (Exp 4) auch „Wissen aufbauen, anhäufen, aber nicht teilen können […] oder ihr Wissen nicht teilen wollen“ (Exp 2), um die Exklusivität ihres Wissens zu sichern. Diese mangelnde Bereitschaft bzw. Möglichkeit, ihr Wissen transparent zu machen, ist „natürlich […] ein großes Risiko für ein Unternehmen“ (Exp 5). Uneinigkeit besteht zwischen den Expert:innen, ob eine solche Person dann als Schlüsselperson bezeichnet werden kann. Während Expert:in 2 eine Person mit exklusivem „Königswissen“ als Schlüsselperson charakterisiert, spricht Expert:in 3 einer Person mit „Herrschaftswissen“ diese Schlüsselrolle ab: „Also wenn jemand mauert […] ist er aber auch keine echte Schlüsselfigur, weil der bringt mich ja überhaupt nicht weiter“ (Exp 3).

Darüber hinaus zeichnen sich gewisse Schlüsselpersonen durch eine strategische Denkweise im Sinne des Unternehmens aus, also „die Fähigkeit ein Team zu führen, ohne Chef zu sein, [...] eine[r] [eher] seltene[n] Kompetenz“ (Exp 1). Generell verfügen Schlüsselpersonen häufig über spezielle Kompetenzen, beispielsweise in der fachlichen Herangehensweise an Probleme im Unternehmen, wozu man „natürlich schon auch [etwas] mitbringen [muss] […] [z. B.] strukturiertes Denken“ (Exp 3). Auch weichere Kompetenzen „eher auf einer Soft Skill Ebene“ (Exp 5) sind ein „ganz guter Indikator“ (Exp 5) für die Schlüsselrolle einer Person: „Wenn wir über Kompetenzprofile sprechen, da gibt es ja nicht nur fachliche Kompetenz, [sondern] […] auch wie gut die im Team arbeiten können. [...] Diese sozialen Kompetenzen spielen da […] auch eine große Rolle“ (Exp 1). Allerdings lassen sich insbesondere weichere Kompetenzen kaum im Unternehmen dokumentieren und weitergeben: „Jeder hat ja seinen eigenen Stil. Und den Stil krieg ich nicht einfach übertragen“ (Exp 7) oder „diese Kernperson als Problemlöser [benötigt] […] sehr häufig persönliche Beziehungen zwischenmenschlicher Art. [...] Das lässt sich einfach schlecht bis gar nicht dokumentieren oder übergeben schon gar nicht“ (Exp 4).

Das letztgenannte Zitat deutet bereits an, dass sich Schlüsselpersonen neben besonderem Wissen und Kompetenzen auch durch interne und externe Beziehungen und Vernetzungen auszeichnen. Gemäß den Expert:innen sind Schlüsselpersonen „gut im Netzwerk integriert, weil jeder weiß, dass man quasi mit bestimmten Themen zu ihnen gehen kann und geholfen bekommt, oder sie spezielles Wissen haben, das andere zwar auch haben, aber nicht in dem Umfang“ (Exp 4). Dabei hilft die gute Vernetzung den Personen dabei, für zahlreiche Problemlagen geeignete Ansprechpartner:innen und Lösungen zu finden: „Und wenn [dieser Mitarbeitende] […] nicht unmittelbar helfen kann, dann weiß er, wer mir helfen kann“ (Exp 4). Ferner verfügen Schlüsselpersonen häufig über besondere Netzwerke über die Unternehmensgrenzen hinaus, welche zum Beispiel „wichtig [sind] […] für eine Kundenbeziehung“ (Exp 1) und dazu beitragen, „die individuellen Kundenvorgaben präzise zu kennen“ (Exp 6).

Mangelnde Ersetzbarkeit stellt ein weiteres Merkmal von Schlüsselpersonen dar. Grundsätzlich sind hierbei verschiedene Kritikalitätsstufen zu unterscheiden. Wenn Personen an besonders geschäftskritischen Positionen arbeiten oder mit Arbeitsaufgaben betraut sind, „die so kritisch sind, dass [ohne diese Person] irgendwie der Betrieb nicht mehr läuft“ (Exp 7), kann bereits ein kurzfristiger Ausfall problematisch sein, da eine solche Schlüsselperson „die Kernprozesse des Unternehmens […] [kennt und weiß] was das Unternehmen eigentlich trägt“ (Exp 2). Bei nicht unmittelbar geschäftskritischen Prozessen kann das Fehlen entsprechender Vertretungen aus kurzfristiger Perspektive als unkritisch angesehen werden, wohingegen bei einem längerfristigen Ausfall der Schlüsselpersonen auch solche Unterstützungsprozesse zu erheblichen Einschränkungen bei der Geschäftsfähigkeit führen können. Aus dieser längerfristigen Perspektive rückt die Frage in den Vordergrund, inwiefern die Kompetenzen am Arbeitsmarkt ausreichend zur Verfügung stehen und sich der drohende Engpass durch Neueinstellungen kompensieren lässt. Selbst wenn dies der Fall ist, startet mit einer Neueinstellung qualifizierter Mitarbeitender ein zeitintensiver Prozess, bis diese den Kenntnis- und Erfahrungsstand der zu ersetzenden Schlüsselpersonen erreicht haben: „Sie finden solche Leute auch auf dem Arbeitsmarkt, haben aber dann häufig das Problem, dass sie relativ viel investieren müssen, um dann dieses unternehmensindividuelle Wissen wieder auf diese Leute draufzuschaufeln […]. Wir stellen hier fest, dass wir häufig ein bis zwei Jahre brauchen [...] bevor dann die Mitarbeiter eigentlich voll einsatzfähig sind“ (Exp 1).

Dies deutet bereits darauf hin, dass Kritikalität der Auswirkungen beim Ausfall einer Person ein weiteres relevantes Merkmal von Schlüsselpersonen darstellt, welches im Normalbetrieb häufig schwierig identifizierbar ist: „Nehmen wir […] das Beispiel einer [Mitarbeiterin X], die war vor ein paar Jahren mal ein halbes Jahr ausgefallen. Dann ist mir wirklich aufgefallen, dass es da Wissen um Kunden und um Prozesse gibt, das nur sie hatte, das hatte niemand anders“ (Exp 1) oder „ist jemand [im Geschäftsbetrieb] wichtig, oder ist es kritisch, wenn jemand nicht da ist?“ (Exp 7). Mit der Herausforderung des vorübergehenden (z. B. krankheitsbedingten) oder kompletten Ausfalls (z. B. durch Kündigung oder Pensionierung) von Mitarbeitenden mit geschäftskritischen Aufgaben haben viele der befragten Expert:innen bereits Erfahrungen gemacht. Einige Befragte hat dies bereits zu Gegenmaßnahmen wie besseren Wissensaustausch und Doppelbesetzungen veranlasst: „Ja, wir versuchen natürlich immer alles doppelt zu besetzen […], dass nicht nur einer die Kompetenz hat. Wenn er ausfällt, dann haben wir für die wichtigsten Prozesse […] Gebrauchsanleitungen und […] Live-Schulungen, die wir dann auch aufzeichnen“ (Exp 3) oder „weil wir halt Erkenntnisse haben, […] wo man gemerkt hat: Hoppla! Da war mal […] eine Schlüsselperson, die ist ausgefallen, die ist weggegangen. […] Mittlerweile achtet man […] darauf, dass die Leute sich auch gegenseitig fit machen, […] oder gibt auch ganz klare Anweisungen raus: […] Sorg dafür in deiner Abteilung, dass ihr redundantes Wissen habt“ (Exp 2). Ein weiteres Unternehmen versucht den kritischen Auswirkungen eines Ausfalls der Schlüsselperson, was eine „mittlere Katastrophe“ (Exp 6) darstellen würde, mit der Etablierung von Stellvertretenden zu begegnen. Die Kritikalität des Ausfalls ist für die Geschäftsleitung zumeist schnell und unkompliziert zu erkennen und kann daher bei der Identifikation der Schlüsselpersonen im Unternehmen behilflich sein (Exp 1, Exp 6, Exp 7).

Die Ergebnisse der Expert:inneninterviews bestätigen einige der einleitend andiskutierten literaturbasierten Merkmale von Schlüsselpersonen, erweitern diese jedoch darüber hinaus auch um weitere Aspekte. So ist zum Beispiel exklusives Wissen ein Aspekt, der auch in der Literatur vorzufinden ist [8, 9]. Das Merkmal mangelnder Ersetzbarkeit von Mitarbeitenden intern sowie auch außerhalb des Unternehmens, kombiniert Wölwer [9] mit dem Merkmal speziellen Könnens und vereint somit zwei Kriterien, die sich auch im Rahmen der Interviews wiederfinden. Auch die Auswirkungen beim Ausfall eines Mitarbeitenden führt Ackermann [8] als relevantes Merkmal an. Der in den Interviews identifizierte Aspekt der Vernetzung geht jedoch über den Stand der Literatur hinaus.

Das hohe Maß an Überschneidung der Aussagen der befragten Führungspersonen und der Literatur unterstreicht die Aussagekraft der Expert:inneninterviews, auch wenn die Stichprobengröße zweifellos eine Limitation darstellt. Dennoch weist das adressierte Thema bei der Mehrheit der Befragten derzeit eine hohe Relevanz auf, was darauf hindeutet, dass sich diese bereits mit der Thematik auseinandergesetzt und entsprechende Überlegungen angestellt haben.

Identifikation von Schlüsselpersonen

Schlüsselpersonen zeichnen sich durch einen besonderen Stellenwert im Unternehmen aus. Während einige Führungspersonen in kleineren Unternehmen häufig instinktiv wissen, wer die Schlüsselpersonen im eigenen Unternehmen sind (u. a. Exp 3 und Exp 6), ziehen andere Führungspersonen weitere Indikatoren wie die interne Auslastung der Mitarbeitenden heran. So merkt man, wenn „ein Name in einem Unternehmen häufiger fällt“ (Exp 5) und „immer die gleichen Personen fokussiert werden“ (Exp 2). Eine einheitliche Systematik zur Erfassung des Wissens zentraler Personen scheint es allerdings in Unternehmen bisher nicht zu geben, was unter anderem dazu führt, dass viele Schlüsselpersonen häufig überlastet sind: „In aller Regel sind das gefühlt auch Leute, die dann schon heute extrem stark ausgelastet sind“ (Exp 4). Beim Ausfall dieser Personen droht ein hoher Wissens- und Kompetenzverlust für das Unternehmen: „[Mitarbeiterin X ist] für uns unverzichtbar […]. Wenn die jetzt ausfallen [...] oder […] kündigen sollte, dann haben wir ein Problem“ (Exp 1). Expert:in 2 fordert deshalb von den Mitarbeitenden: „Achtet darauf, sorgt dafür, dass ihr keine Schlüsselpersonen […] generiert“ (Exp 2). Unsere Ergebnisse zeigen in diesem Sinne, dass es sinnvoll ist, die Schlüsselpersonen im Unternehmen zu kennen, es aber noch besser ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um Verantwortung und Wissen auf mehrere Schultern zu verteilen und somit gar keine einzelnen Schlüsselpersonen entstehen zu lassen.

Zur Identifikation aktuell vorhandener Schlüsselpersonen konnten zehn charakteristische Merkmale identifiziert werden. Diese Merkmale sollen keinesfalls isoliert und klar abgetrennt voneinander betrachtet werden. Vielmehr stehen die im Merkmalscluster dargestellten Kriterien miteinander in Verbindung. So kann beispielsweise vorhandenes exklusives Wissen die mangelnde Ersetzbarkeit beeinflussen oder spezielle Kompetenzen die negativen Auswirkungen bei einem Arbeitsausfall verstärken. Außerdem ist es nicht zwingend notwendig, dass Mitarbeitende erst dann als Schlüsselpersonen gelten, wenn alle Kriterien zutreffen. Vielmehr repräsentiert die Anzahl zutreffender Merkmale die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dieser Person um eine Schlüsselperson handelt. In diesem Sinne generiert diese Arbeit nicht nur neue theoretische Erkenntnisse über die Merkmale von Schlüsselpersonen in Unternehmen, sondern leistet auch einen relevanten praktischen Beitrag für die Identifizierung von Schlüsselpersonen seitens der Führungskräfte. So kann das erarbeitete Merkmalscluster von Unternehmensvertreter:innen als Orientierung herangezogen werden, um systematisch zu untersuchen, inwiefern Schlüsselpersonen im eigenen Unternehmen vorhanden sind. Wie einige der zuvor aufgeführten Kommentare deutlich machen, ist z.B. der Aspekt der Kritikalität des Ausfalls ein Merkmal, das relativ einfach bewertet werden kann, indem die Führungskraft über kritische Ausfälle in der Vergangenheit reflektiert oder antizipiert, wessen Ausfall schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben könnte. Auch fehlende Vertretungsmöglichkeiten können beispielsweise anhand einer Qualifikationsmatrix überprüft werden, falls diese im Unternehmen vorliegt. Rückschlüsse auf besondere unternehmensspezifische Kenntnisse und Erfahrungen lassen sich u.a. aus der Dauer der Betriebszugehörigkeit ziehen.

Sofern Schlüsselpersonen bekannt sind, können Unternehmen der Silobildung von Wissen gezielt entgegenwirken. Dies kann beispielsweise durch interne Partnerschaften erfahrener und weniger erfahrener Mitarbeitender, Schulungen, Wissensdokumentation und weiterer Ansätze erzielt werden. Die Reduzierung der Abhängigkeiten von Einzelpersonen ist daher ein erster hochrelevanter Schritt in Richtung eines effizienten Wissensmanagements.

Um die Identifikation von Schlüsselpersonen in Unternehmen weiter zu erleichtern, ist die Entwicklung eines niederschwellig und praktisch einsetzbaren Tools auf Basis der ermittelten Kriterien in Planung. Darauffolgend gilt es Strategien auszuarbeiten, um die Kompetenzen der Schlüsselpersonen an anderen Stellen im Unternehmen redundant aufzubauen bzw. deren Wissen so zu sichern, dass es von Vertretungen zielgerichtet genutzt werden kann. Eine weitere Herausforderung besteht darin, das dokumentierte Wissen bedarfs- und termingerecht denjenigen Personen zur Verfügung zu stellen, die es benötigen. Hierbei könnten sich noch zu erprobende Ansätze basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) als besonders gewinnbringend erweisen und einen wichtigen Schritt zur Sicherung des relevanten Unternehmenswissens und der Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten steigender Personalfluktuation und vorherrschenden Fachkräftemangels darstellen.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Mitgliedern des ZWF-Advisory-Board wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer Review).



Tel.: +49 (0) 721 925-2957

Funding statement: Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ in der Fördermaßnahme „Innovative Arbeitswelten im Mittelstand“ (02L21B011) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autor:innen.

About the authors

Ina Schiedermair

Ina Schiedermair, M. A., geb. 1995, studierte Integrative Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Kaiserslautern. Seit August 2022 ist sie Akademische Mitarbeiterin am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und ist an verschiedenen Projekten beteiligt, die sich der menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung widmen.

Elena Kick

Elena Kick, M. Sc., geb. 1994, studierte International Management an der Hochschule Karlsruhe. Seit September 2022 ist sie Akademische Mitarbeiterin am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und Teil der Nachwuchsforschungsgruppe zur menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung.

Marco Baumgartner

Marco Baumgartner, M. Sc, geb. 1995, studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Karlsruhe. Seit Februar 2020 arbeitet er als Akademischer Mitarbeiter am Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken der Hochschule Karlsruhe und forscht dabei unter anderem zu KI-bezogenen Kompetenzen, digitalen Wissensmanagementlösungen, menschenzentrierter und nachhaltiger Technikgestaltung und -einführung sowie Vertrauen bei der Mensch-Maschine-Interaktion.

Dr. Tobias Kopp

Dr. Tobias Kopp, geb. 1988, studierte Wirtschaftsinformatik und Kognitionswissenschaft an der Hochschule Karlsruhe und der Eberhard Karls Universität Tübingen und promovierte am Karlsruher Institut für Technologie zu sozio-technischen Fragestellungen der Mensch-Roboter-Interaktion. Aktuell leitet er eine Nachwuchsforschungsgruppe zur menschenzentrierten Technikgestaltung und -einführung an der Hochschule Karlsruhe. Parallel unterstützt er als Berater bei der esentri AG verschiedene Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation.

Prof. Dr. Steffen Kinkel

Prof. Dr. Steffen Kinkel ist Professor für International Management, Innovationsmanagement und International Business Networks im Fachbereich Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe. Er ist Gründer und Leiter des Instituts für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN). Von Juli 2004 bis Juli 2012 war er Leiter des Competence Center "Industrie- und Serviceinnovationen" im Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Prof. Kinkel koordinierte zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen globale und lokale Wertschöpfungsketten, Offshoring und Re-/Backshoring, Industrie 4.0, digitale Geschäftsmodelle, KI-unterstützte Arbeits- und Lernsysteme, digital unterstützte Kompetenzentwicklung, Produktions- und Innovationsnetzwerke, Standortbewertung sowie Technologieplanung und -vorausschau.

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Published Online: 2023-06-30
Published in Print: 2023-06-01

© 2023 Ina Schiedermair, Elena Kick, Marco Baumgartner, Tobias Kopp und Steffen Kinkel, publiziert von De Gruyter

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