Reviewed Publication:
Ford Christopher M. Williams Winston S. Complex Battlespaces. The Law of Armed Conflict and the Dynamics of Modern Warfare Oxford Oxford University Press 2019 1 536

Neue Kriege (Mary Kaldor, Herfried Münkler), Kriege der „dritten Art“ (Eward Rice oder Kalevi J Holsti), Stellvertreterkriege, gerechte Kriege, hybride Kriegsführung, der Krieg gegen den Terror, Cyberkriege, humanitäre Interventionen, asymmetrische Kriege – die Zeiten, in denen der Krieg als militärische Konfrontation zweier oder mehrere Staaten gedacht wurde, scheinen lange vorüber. Das zeigt sich auch in seiner rechtlichen Bewertung: Die großen Werke der Völkerrechtslehre des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren oftmals von einer simplen Krieg-Friede-Dichotomie getragen, die sich bisweilen auch in den Büchern selbst niederschlug: Bisweilen wurden sie zwei Volumes unterteilt, eine für die Regeln zu Friedens-, eine für Kriegszeiten – so etwa allen voran Oppenheim’s International Law, das diese Zweiteilung von der ersten Auflage aus dem Jahr 1905 bis zur letzten Bearbeitung aus dem Jahr 1992 beibehalten hat.
Heute kämpft sowohl das ius ad bellum als auch das humanitäre Völkerrecht mit neuen Erscheinungsformen und Sub-Elementen bewaffneter Konflikte. Das von Christoph M. Ford und Winston S. Williams herausgegebene Werk Complex Battlespaces. The Law of Armed Conflict and the Dynamics of Modern Warfare widmet sich sogleich im ersten von insgesamt vier Abschnitten der eingangs aufgeworfenen Frage. Galt bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs und den daran anschließend verabschiedeten Genfer Konventionen noch eine simple Unterscheidung zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten, muss das Recht heute auf mannigfaltige Zwittererscheinungen Rücksicht nehmen: Von transnationalen über gemischte bis hin zu internationalisierten bewaffneten Konflikten (siehe Kapitel 1 und 2). Keine bloße akademische Denksportübung, sondern eine juristische Notwendigkeit. Trotz der spätestens mit den Jugoslawienkriegen allgemein akzeptierte Annäherung der unterschiedlichen Regelungen bleibt die Feststellung, ob es sich um einen internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelt, von eminenter Bedeutung. Insbesondere sind die Regeln für Kriegsgefangene nach wie vor auf erstere beschränkt – woraus sich etwa die Notwendigkeit einer Klassifikation des Ukraine-Konflikts und der Rolle Russlands ergibt (Kapitel 7).
Die vier Kapitel des zweiten Abschnitts behandeln unterschiedliche Teilaspekte des Umgangs mit komplexen Konfliktszenarien – vom wirtschaftlichen und politischen Umgang mit politischen oder rein-kriminellen Gewaltakteuren (Kapitel 5) über hybride Kriegsführung (Kapitel 6 und 7) bis hin zu Legitimität als notwendigem Bestandteil langfristig erfolgreicher Befriedung (Kapitel 8). Ein disparates Themenfeld, das bisweilen ein wenig lose zusammengestückelt wirkt.
Der dritte Abschnitt versucht eine Annäherung an das weite Themenfeld technologischer Innovationen und ihre Auswirkungen auf ethische Bewertungen und die damit zusammenhängende (Völker-)Rechtslage im Spannungsfeld zwischen neuen Möglichkeiten einer höheren Standards genügenden Kriegsführung und den Gefahren autonomer Waffensysteme (Kapitel 9, 10 und 11). Um es plastisch auszudrücken: Wer fernab der Kampfzone in aller Ruhe eine Drohne steuert, könnte seine Zielobjekte dehumanisieren – gamification, Realität als Videospielen – aber ebenso gut rationalere, weil sorgenfreie Entscheidungen treffen. Am Ende steht allerdings das dystopisch anmutende Bild eines hyperrationalen, eigenständige Entscheidungen treffenden Kampfroboters. Abgerundet wird der Abschnitt mit einem etwas einsam daherkommenden Kapitel zur Cybersicherheit, ein Raum, in dem der fließende Übergang zwischen Krieg und Frieden besonders deutlich wird – aus völkerrechtlicher Sicht stellt sich hier die Frage der Zurechnung im Sinne der Staatenverantwortlichkeit oder der Schwelle von Gewalt im Sinne von Artikel 2/4 UN-Charta (das Kapitel beinhaltet außerdem eine ausgedehnte Behandlung der US-amerikanischen Rechtslage).
Abgeschlossen wird der Sammelband mit einem aus zwei Kapiteln bestehenden Abschnitt zur urbanen Kriegsführung, bei der die schwierige Balance zwischen dem Schutz von Zivilpersonen und den aus strengen Regeln zum Waffengebrauch entstehende Gefahren für Soldaten ebenso besprochen wird wie der ethisch schwierige Umgang mit „menschlichen Schutzschildern.“
Ford und Williams haben zweifelsohne einen gelungenen Sammelband zusammengestellt. Die Liste der Autorinnen und Autoren liest sich wie die Aufstellung eines All Star Games zu diesem Themengebiet. Ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt aber: Die einzelnen Kapitel haben kein gemeinsames Dach, die bloße Komplexität moderner Kriegsführung ist dazu zu allgemein. So bleibt ein Problem, das viele Sammelbände mit sich herumtragen: Zu detailliert für eine umfassende Abdeckung eines allgemeinen Phänomens und zu allgemein für Interessenten an Detailfragen. Wer sich über eine gute Übersicht zu den unterschiedlichen rechtlichen Teilproblemen gegenwärtiger Konflikte freut, wird allerdings gewiss mehr als zufriedengestellt.
© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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- Cornelius Friesendorf: How Western Soldiers Fight: Organizational Routines in Multinational Missions. Cambridge: Cambridge University Press, 2018, 320 Seiten
- Annette Idler: Borderland Battles. Violence, Crime, and Governance at the Edges of Colombia’s War. Oxford: Oxford University Press 2019, 466 Seiten.
- Sebastian Bruns: US Naval Strategy and National Security. The Evolution of American Maritime Power. Abingdon: Routledge 2018, 270 Seiten
- Linda Åhäll/Thomas Gregory (Hrsg): Emotions, Politics and War. Abingdon and New York: Routledge 2015 (2017 Paperback), 262 Seiten
- Bildnachweise
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