Abstract
Ever since Alberto Grandi advanced his thesis that Italian cuisine is a mere product, indeed an invention, of the 1970s, the Italian public has rebuffed this notion. The economic historian prominently publicized this interpretation of Italian cuisine in his 2018 book „Denominazione di origine inventata“, but the ensuing heated debate has never abated. In part, this is because Grandi continues to fuel the discussion with a constant media presence and his penchant for espousing combative theories. At the same time, his arguments have provoked a form of Italian culinary national pride, conducive to fostering the development of a collective identity. Against this backdrop, this article seeks to identify Grandi’s main points, his line of argument and the reasons for the strident nature of the debate. It does so specifically by positioning Grandi’s arguments within the broader context of gastronationalism, that is, the connections and interplay between cuisine, national identity and – to emphasize Grandi’s core point – marketing ploys. As the German translation of the 2018 book was published last year and attracted great interest in German media features, the article concludes with some remarks on the reception of Grandi’s theses in Germany.
Bücher sind wie Wale. Auch lange Zeit nach ihrem Erscheinen können sie noch hohe Wellen schlagen. So geht es jedenfalls Alberto Grandis 2018 erschienenem Buch, das aus wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive die vermeintlichen Traditionen der italienischen Küche als Mythos zu entlarven beabsichtigte.[1] Die Gründe, weshalb seine Kritik weiterhin leidenschaftlich diskutiert wird, sind vielfältig – denn je nach Situation könne die Küche „für Italienerinnen und Italiener weltweit zum Mittel der Distinktion, der Integration, der Befreiung und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch zum Geschäftsmodell“ werden (S. 73).[2] Solche Aussagen versprechen erhellende Einsichten, berücksichtigt man zumal die italienische Diaspora. Doch zielt Grandi mit seiner Streitschrift, welche die Entstehungsgeschichten einzelner, zu Berühmtheit gelangter Erzeugnisse dekonstruiert, so viel sei vorweggenommen, weniger auf einen Beitrag für die Fachwelt ab. Stattdessen richtet er sich an die breite Öffentlichkeit.
Vor allem mit einem Interview in der „Financial Times“ sorgte er im März 2023 für Furore.[3] Mit Matteo Salvini schaltete sich gar der radikalste Protagonist der italienischen Rechten in die Diskussion ein und unterstellte Grandi, von Neid „auf unseren Geschmack und unsere Schönheit“ erfüllt zu sein.[4] Eine Antwort darauf, warum ausgerechnet ein an der Universität Parma lehrender italienischer Wirtschaftshistoriker neidisch sein sollte, und wer genau in dem „unseren“ inkludiert war, blieb Salvini indes schuldig.[5] Weitere Stimmen witterten gar Verrat an der heimischen Kulinarik. Vorstellungen von Nation und Identität schwangen hier kräftig mit. So gesehen schloss man Grandi aus der nationalen Gemeinschaft aus, da dieser das vorgeblich homogene Konstrukt einer italienischen Küche hinterfragt hatte. Die Schärfe des öffentlichen Echos zu diesem Zeitpunkt war allerdings erwartbar, erfolgte sein Frontalangriff auf die italienische Kulinarik doch zu einem ungünstigen Moment: Am gleichen Tag, an dem die britische Wirtschaftszeitung Grandis Behauptungen abdruckte, hatte die italienische Regierung die heimische Küche für die UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes als einzigen Vorschlag eingereicht.[6] Der unter anderem für Ernährungssouveränität zuständige Minister (Ministero dellʼagricoltura, della sovranità alimentare e delle foreste) Francesco Lollobrigida hatte zuvor öffentlichkeitswirksam die peinlich genaue Einhaltung italienischer Rezepte und die Verwendung allein heimischer Zutaten in italienischen Restaurants weltweit gefordert.[7] Grandis wiederkehrende Zwischenrufe kamen, und kommen, mithin zur Unzeit. Er galt alsbald als ‚Nestbeschmutzer‘ der italienischen Nation, die sich seit der Nationalstaatswerdung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch über ihre Gerichte, Lebensmittel und Zubereitungsweisen kulturell definiert hatte.
Die deutsche Übersetzung von Grandis Buch erschien im vergangenen Jahr also vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen, die erklären mögen, dass auch die hiesigen Medien Grandis geschickt vermarktete Thesen und dessen Hang zur Provokation bereitwillig aufgriffen.[8] Bevor aber dessen Inhalte und Thesen nähere Betrachtung finden, erfolgen knappe Bemerkungen zur Food History unter Berücksichtigung des Gastronationalismus sowie des deutschen Italienbildes. Daran schließen sich Ausführungen zum Themenkomplex Identität und Ernährung in Italien an. Der Schwerpunkt liegt ferner aber auf der Vorstellung und Diskussion der hier zu besprechenden Veröffentlichung Grandis. Eine kurze Erörterung der Aufnahme von Grandis Thesen in Deutschland schließt den Beitrag ab.
Food History, deutsches Italienbild und Gastronationalismus
Provokationen haben hohe Erfolgschancen, wenn sie einen inneren, emotionalen, für die eigene Identität als konstitutiv betrachteten Kern treffen. Hinzu kommt, dass die Logiken des öffentlichen Diskurses weniger wirtschaftshistorischen Spielregeln folgen, für die der Autor eine breite Expertise besitzt. Vielmehr geht es ihm um kulturelle Verortung unter kulinarischen Vorzeichen. Die Debatte selbst, so ließe sich die Beschreibung zuspitzen, bietet daher ein Fallbeispiel praktischen Gastronationalismus. Damit ist ein wirkmächtiges Konzept bezeichnet, das den Stolz auf vermeintliche kulinarische Traditionen und Errungenschaften in Form eines ‚banalen Nationalismus‘ (banal nationalism) interpretiert, mithin der rekursiven Verhandlung und Aktualisierung einer im Alltag gelebten nationalen Identität.[9] In jedem Fall geben Grandis Thesen und die Diskussion derselben Einblicke in die Food History, die seit den 2000er Jahren speziell im englischsprachigen Raum rasant an Bedeutung gewonnen hat.[10] Was ein solcher Ansatz zu leisten vermag, deutet Grandis im renommierten Mailänder Mondadori-Verlag erschienenes Buch ein ums andere Mal an.
Folgt man Friedrich Nietzsche, dann ist die „für beide Parteien unangenehmste Art, eine Polemik zu erwidern, … sich zu ärgern und schweigen: denn der Angreifer erklärt sich das Schweigen gewöhnlich als Zeichen der Verachtung“.[11] So gesehen hat Grandi einen Nerv getroffen, denn Schweigen folgte auf seine Ausführungen sicher nicht. In zahlreichen Interviews, Podcasts und publizistischen Beiträgen bringt er seine Gedanken der Öffentlichkeit weiterhin näher.[12] Der gewählte Duktus, dessen Tonalität die deutsche Übersetzung beibehalten hat, passt zur Polemik. Dank der ihm zuteilwerdenden Aufmerksamkeit dürfte sich Grandi in der Wahl des Themas und Stils bestätigt fühlen. Auch im deutschen Feuilleton schlugen seine Thesen hohe Wellen, wenngleich wohl niemand ernstlich auf die Idee kommen würde, dass es sich bei der Bundesrepublik um eine kulinarisch distinguierte Nation handelt. Doch bildet demgegenüber ja gerade das südeuropäische Urlaubsland mit seinen – ob nun erfundenen oder althergebrachten, aber eben immer doch real verspeisten – Gaumenfreuden eine Kontrastfolie, deren Grenzen zwischen kulturellen Imaginationen, Zuschreibungen und sozialer Realität fließen. Über weite Strecken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert avancierte Italien zu einem Land der kulinarischen Verheißungen. Immer wieder wird reflexartig Goethes Bericht über seine Mitte der 1780er Jahre absolvierte Reise, knapp 30 Jahre später zu Papier gebracht, ins Feld geführt, um die deutsche Italienromantik ihrerseits in eine lange, intellektuelle Tradition zu stellen.[13]
Mit dem Strand- und Badeurlaub anstelle einer Goethe nachahmenden Bildungsreise – topografisch verdichtet ließe sich sagen: Rimini statt Rom – fanden dann in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg Heerscharen deutscher Urlauber*innen den Weg nach Süden.[14] Das Land, in dem die Zitronen blühen, wurde für die Konsumgesellschaft der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit stilbildend.[15] Immer mehr Menschen erschlossen sich Italien gerade kulinarisch. Gerichte wie die „Spaghetti al Pomodoro“ traten in diesen Jahren ihren Siegeszug an, die italienische Küche stieg zu einem globalen Phänomen empor.[16] Ebenso bildeten derartige Gerichte ein konkretes Erfahrungswissen deutscher Italientourist*innen, die im Sinne einer Demokratisierung des Tourismus nun ebenfalls Zugang zu dem kulinarischen und kulturellen Konsumerlebnis einer Urlaubsreise, die bis dahin privilegierten Schichten vorbehalten war, erhielten. Distinktionsbedürfnisse setzten alsbald ein. Die kulinarischen Annäherungen vermeintlich proletarischer Tourist*innen wurden etwa herabgewürdigt: Diese würden allein dem billigen Lambrusco und einfacher Pasta frönen. Demgegenüber setzten sich finanziell besser situierte Reisende über feine Geschmacksunterschiede ab.[17] So kamen exquisite Produkte wie Meeresfrüchte, Trüffel oder auch teure Weine ins Spiel. Dass man den Lambrusco als minderwertigen Schaumwein verunglimpfte, zeigte unterdessen bereits den geringen Kenntnisstand an, handelte es sich doch bis heute beim Lambrusco um einen geschützten Wein mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung, mithin ein Beispiel jener Produkte, denen sich Grandi in seiner Veröffentlichung widmet.[18]
Ein markantes Beispiel für die Betonung eigener kulinarischer Größe im Sinne des Gastronationalismus respektive Gastronativismus bietet die Geschichte des Trüffels.[19] Als „Diamanten der Küche“ bezeichnete sie der französische Schriftsteller und Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin.[20] Dass mal der schwarze, mal der weiße Trüffel die Nase in dem Rennen vorn hatte und dass hierüber eine Rivalität zwischen Frankreich und Italien ausgelebt wurde, weist auf die politischen Qualitäten von Speis und Trank hin. Über den Trüffel beanspruchte der Gastronationalismus die Überlegenheit der eigenen Lebensmittel und letztlich der gesamten Ernährungskultur.[21] Speziell für Food Nations wie Frankreich und Italien (vgl. auch S. 48–56) rückte das Feld der Kulinarik als Schauplatz von Identitätskonstruktionen, wie auch als Wirtschaftsfaktor ins Blickfeld.[22] In seiner Analyse dieser Trüffel-Rivalität hat Rengenier C. Rittersma einige Aspekte des kulinarischen Nationalismus beziehungsweise „Gastrochauvinismus“ herausgestellt.[23] Um die Bedeutung der Region für die Herstellung, aber auch Vermarktung im Sinne der Zuschreibung exklusiver Qualität von Trüffeln zu fassen, ist terroir konzeptionell in Anschlag gebracht worden.[24] Der unmittelbare, quasi naturwüchsige Zusammenhang zwischen dem Territorium und den Geschmackseigenschaften seiner kulinarischen Landschaft wäre indes kritisch zu hinterfragen.[25] Aber unabhängig davon, ob man mit Blick auf Italien nun den theoretischen Prämissen des Gastrochauvinismus, des kulinarischen Nationalismus oder schlichtweg einer Identitätskonstruktion folgt, bei der Essen eine entscheidende Rolle einnimmt, zeigen Wahl des Themas und Reaktionen auf Grandis Thesen klar, wie sehr ein Konnex von Kulinarik und nationaler Identität ungebrochen am Wirken ist.
Zur kulinarische Identität Italiens
Die angesprochene Rivalität mit Frankreich erfüllte zudem den Zweck einer Abgrenzung. Die cucina povera konnte als Gegenstück zur französischen haute cuisine gesehen werden. Zudem war sowohl die Distanzierung von einer aristokratisch geprägten Hofküche als auch von der französischen Restaurantkultur mit der Hervorhebung der italienischen Landküche möglich.[26] Eine gänzliche andere Speisefolge (Primo, Secondo, Contorno usw.), und nicht der Rückgriff auf das klassische Menü, bildete sich in späteren Jahren ebenfalls heraus.
Nun hatten die französische und italienische Küche, wenn man sie als derart monolithisch bezeichnen möchte, aber auch ihre Gemeinsamkeiten. Die unterschiedlichen Regionen – und die dort zum Beispiel vorhandenen Zutaten und Kochtechniken – machten einen integralen Bestandteil vielfältiger Küchen aus.[27] Sie zu einer homogenen Nationalküche zusammenzufassen, das heißt, eine Art von Kanon zu schaffen, sei es über Gerichte, Zutaten oder Zubereitungsweisen, war eine geteilte Herausforderung, zumal angesichts der Konkurrenzverhältnisse einzelner Regionen.[28] Der Gastronationalismus war daher an die lokale Ebene gebunden;[29] regionale Gerichte in nationale Speisen zu transformieren, gehörte deshalb zum Repertoire eines kulinarischen nation building.[30] Angesichts dessen hat Sydney Mintz argumentiert, dass gerade aufgrund der Existenz diverser regional geprägter Küchen von spezifischen Nationalküchen schwerlich die Rede sein könne.[31]
In Italien bedurfte es aber einer auch kulinarisch unterfütterten, auf die Nation bezogenen Identität besonders seit der Staatsgründung 1861. Anlässlich der Proklamation Viktor Emanuels II. zum König von Italien im März 1861 wird Massimo d’Azeglio gemeinhin der Ausspruch zugeschrieben, dass es nach der nationalen Einigung gelte, die entsprechenden Italiener*innen zu schaffen („fatta lʼItalia, bisogna fare gli italiani“).[32] Mit guten Gründen ließe sich anführen, dass der Kaufmann Pellegrino Artusi, der sich mit zunehmendem Alter als selbsternannter buongustaio hervortat, diesem Aufruf folgte (Grandi ironisierend-abwertend dazu ab S. 61). Mit seinem Kompendium „La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene“ schuf er 1891 die kulinarischen Grundlagen einer gelebten – und verspeisten – Italianità.[33] Auf den ersten Blick mochte es sich bei Artusis Kochbuch um eine bloße Rezeptsammlung handeln. Der pädagogisch-didaktische Ton ließ jedoch die weitreichendere Absicht erkennen, eine Definition des Italienisch-Seins anzubieten, die sich eben in Kochpraktiken und der vermutlichen Binsenwahrheit ausdrückte, dass die Art und Weise, was man wie aß, etwas über die eigene, nun national geformte Identität aussagte – oder, um das entsprechende Bonmot von Jean Anthelme Brillat-Savarin abzuwandeln: Ich sage dir, was du isst, und du sagst mir, wer du bist.
Wartete die erste Veröffentlichung mit 475 Rezepten aus den verschiedenen Landschaften Italiens auf, sahen kommende Auflagen Ergänzungen. Wenige Jahre später enthielt Artusis Kochbuch dann annähernd 800 Rezepte. Auch daher erkannten Zeitgenoss*innen bald die kulinarische unificazione Italiens aufziehen.[34] Dazu trug speziell der kollektive Akt der Weiterentwicklung bei, da Personen aus allen Landesteilen Artusi Rezepte schickten, die dieser dann teilweise aufgriff.[35] Das Kochbuch bildete allerdings weniger einen kulinarischen Kanon an Gerichten ab. Dieses Vorhaben lag etwa der nach dem Zweiten Weltkrieg in Bologna gegründeten Accademia italiana della cucina in Teilen zugrunde. Die dort annähernd 3000 hinterlegten Rezepte schreiben penibel Zutaten und Zubereitungsweise fest, während Artusi mit seinen essayistisch gehaltenen Rezepttexten wohl eher das italienische estro zu animieren suchte.[36] Hier wurden mithin eher Innovation und Kreativität als Identitätsmarker hervorgehoben.
Während des Faschismus kam es zur Zäsur bei der kulinarisch geprägten Identitätspolitik.[37] Zum einen beeinflusste die Autarkiepolitik das Konsumverhalten der Bevölkerung. Zum anderen waren ideologische Motive auszumachen, die auf eine veränderte Ernährungsweise hinwirkten. Die futuristische Bewegung sah etwa in der Pasta geradewegs den Inbegriff von Rückständigkeit. Angesichts des Bestrebens, eine neue Form der Kultur zu schaffen, war demnach ihr Verzehr verpönt. Sie passe schlichtweg nicht zur Dynamik der vermeintlich neuen Zeit, sondern würde schwer im Magen liegen und ihre Konsument*innen träge machen. Auch emotional würde der Pastakonsum Skeptizismus und Pessimismus fördern.[38] Patriotischer wäre der Reis. Neben der symbolischen Abkehr von traditionellen Ernährungsgewohnheiten waren hier Ausformungen des banalen Nationalismus zu beobachten, wenn über geänderte Gepflogenheiten beim Essen auch kulinarisch der Aufbruch in ein neues Zeitalter verkündet wurde.[39]
Dass sich nach den Jahren zwangsweiser Enthaltsamkeit – den anni del pane nero – bereits kurzfristig das Konsumverhalten maßgeblich änderte, hatte dann mit wirtschaftlichem Aufschwung und fortschreitender Technisierung speziell der Küchen zu tun. So wurden unter anderem Kühlschränke von Luxusgütern zu normalen Haushaltselementen. Ihre Produktion schoss in den 1950er Jahren von wenigen Tausend in millionenfache Höhe.[40] Als das ökonomische Wachstum indes abflachte und die krisenhaften 1970er Jahre anbrachen, brauchte es neue Impulse für die Wirtschaft und des Weiteren eine neue Erzählung „nach dem Boom“.[41] Infolgedessen entdeckten die nun auch politisch konstituierten italienischen Regionen ihr Potenzial, sich über kulinarische Erzeugnisse zu vermarkten. Das bedeutete zum einen, den Exportsektor zu stärken, zum anderen das Bild eines kulinarischen Schlaraffenlandes zu entwerfen, das in Zeiten des Massentourismus nicht bloßer Sehnsuchtsort blieb, sondern zur erreichbaren Realität wurde. In beiden Fällen, dem Export von Waren wie der touristischen Bewerbung von Orten, ging es darum, Einkommen zu generieren, und sich zugleich der eigenen Identität zu versichern, die hier weniger national denn lokal daherkam. Grandi identifiziert in diesem Sinne zurecht die 1970er Jahre als entscheidende Wegmarke, wo die von ihm untersuchten Phänomene, die Etablierung einzelner Erzeugnisse als Marke, eine enorme Aufwertung erfuhren.[42]
Dies traf mit Entwicklungen in der Bundesrepublik zusammen. Dass Italien zu diesem Zeitpunkt als massentouristisches Urlaubsziel erschlossen war, ist bereits angedeutet worden.[43] Mit Blick auf Ernährungsmuster und das grundsätzliche Konsumverhalten hatte zudem ein Paradigmenwechsel bei den Verbraucher*innen eingesetzt. Weniger die Logik, grundlegende Bedürfnisse zu decken, bestimmte noch Kauf- und Konsumentscheidungen. Vielmehr erfuhr der Genuss als Kriterium immer stärkere Gewichtung.[44] Der Durchbruch zur Massenkonsumgesellschaft erfolgte demnach in jenen Jahren, in denen Italien als Urlaubsort, Anlass für einen Restaurantbesuch oder Herkunft kulinarischer Produkte eine erhöhte Sogkraft entwickelte.[45] Damit differenzierte sich in der Bundesrepublik zunehmend das Bild einer italienischen Küche aus, die zumindest in den Anfangsjahren auf wenige Gerichte, in der Regel Pasta und Pizza, reduziert wurde.[46]
Zudem hatten die fortschreitende Technisierung und das Angebot von Feinkostläden wie von Supermärkten zu einer größeren Verfügbarkeit und Kenntnis italienischer Lebensmittel und Produkte geführt. Der Restaurantbesuch oder auch die Zubereitung von Gerichten in der eigenen Küche dienten als Ausweis kulinarischer Expertise, Distinktion und Genussfreude.[47] Mit anderen Worten war die italienische Küche hinreichend als Marke etabliert. Dies ist der Punkt, an dem Alberto Grandis Studie ansetzt, indem er die Erfindung regionaler Spezialitäten als Produkt und Ware im gleichen Zeitraum verortet.
Alberto Grandis Dekonstruktion der italienischen Küche
Eine wissenschaftliche Besprechung von Grandis Buch kann seinem Charakter nur bedingt gerecht werden. Dass der Autor sich mit seinen Thesen als diskursmächtige Stimme in der öffentlichen Debatte platzieren möchte, liegt auf der Hand. Es erklärt in Teilen wohl Stil und Methodik des Buches. Fraglos hat er ein breiteres Publikum im Blick, weniger die scientific community. Für letztere ist er als (Mit-)Autor profunder wirtschaftshistorischer Beiträge zur Thematik rund um den Faktor Regionalität und das damit verbundene Marketing sowie vor allem zum Konzept der „Typicality“ hervorgetreten.[48]
Grundsätzlich interessiert sich Grandi für die Emergenz von regionalen Spezialitäten und die Begeisterung für diese. In Italien gebe es mehr als anderswo solche Spezialitäten und „ein zuweilen völlig unverständliches Bemühen darum, bestimmte Produkte aufzuspüren und zu zertifizieren, deren Herstellung keinen ökonomischen, sondern nur einen kulturellen Nutzen zu haben scheint“ (S. 31). Konkret rückt für ihn dann der Aspekt, „Traditionen per Dekret zu kodifizieren“, in den Mittelpunkt (S. 11). Siegel sollen in diesem Prozess die Hervorbringung, Verarbeitung und Herstellung eines Produkts aus einem definierten Gebiet garantieren, wobei oftmals damit auch die Einhaltung spezifischer Verfahren verbunden ist. Abstrakter ist zudem die Verhandlung lokaler Identitäten in dieses Set an Erkenntnisinteressen eingewoben.
Grandi weist auf die mitunter kuriose Blüten treibende Jagd nach den Siegeln hin, die dazu führen kann, dass im gleichen Anbaugebiet verschiedene Etikettierungen miteinander konkurrieren oder ineinandergreifen (S. 157 f., 161). Vor allem wird deutlich, wie sehr nationale Logiken weiterhin bei supranationalen Vereinheitlichungsprozessen wirkmächtig bleiben. So sind etwa im Bereich der Weinvermarktung die italienischen Siegel „Denominazione di origine controllata“ (DOC) und „Denominazione di Origine Controllata e Garantita“ (DOCG) mittlerweile durch das europäische Siegel „Denominazione d’Origine Protetta“ (DOP), auf den der Titel von Grandis Buch im italienischen Original Bezug nimmt, abgelöst (S. 241). Angesichts der Vertrautheit mit den anderen Siegeln, die zumeist in den 1960er Jahren eingeführt wurden, existieren diese jedoch weiter, was mithin dem Ziel der Vereinheitlichkeit und Transparenz zuwiderläuft und vielmehr ein Dickicht an Siegeln hervorbringt.[49] Thesenstark beschreibt der Autor zudem, wie regionalen Spezialitäten eine Geschichte übergestülpt wurde. Das geschieht zumeist plakativ durch – positiv formuliert – geistreiche Bemerkungen.[50] Negativer interpretiert verbleibt die Argumentation des Öfteren auf einem oberflächlichen Niveau, das sich in polemischen Aussagen ergeht. Auch bei einer auf eine breite Öffentlichkeit abzielenden Streitschrift ist ein solcher Stil problematisch, da er gelegentlich zu Lasten eines überzeugenden Argumentationsganges führt. Bisweilen scheint Grandi seine Polemik zudem als intellektuelle Intervention verstehen zu wollen, wenn man die Referenzen an historische Figuren, popkulturelle Berühmtheiten oder wissenschaftliche Geistesgrößen betrachtet, die unterdessen weniger Ausweis tiefgründiger Argumentation sind als vielmehr als stilistisches Mittel und der Anrufung von Autoritäten dienen.
Gelegentlich fällt seine Argumentation hinter Erwartungen zurück, die man an eine reflektierte Erörterung stellen darf. Seine Thesen sind spannend, doch verbleiben sie auf dem Niveau von Behauptungen. Im Buch klingt das dann so: Regionale Spezialitäten „werden fast immer als Produkte alter (teils antiker) Traditionen dargestellt, die seit Jahrhunderten in der Geschichte, Kultur und Tradition bestimmter Orte fest verwurzelt seien“. Sie „sind aber zum großen Teil das Resultat relativ kurz zurückliegender Veränderungen und wurden im Großen und Ganzen zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren erfunden“ (S. 17 f.). So weit so gut. Direkt danach geht es allerdings wie folgt weiter: „Ungeachtet dessen soll diese Tatsache, der in einigen Fällen mit oberflächlichen Argumenten (und Aggressivität) widersprochen wird, die Qualität der Produkte gar nicht abwerten.“ (S. 18) Grandi erhebt seine Behauptung flugs zur apodiktischen Tatsache, sodass die aufgestellte These nicht mehr diskutiert werden muss. Der Kritik an ihm erweist Grandi demzufolge leider eine Steilvorlage, da sein Argumentationsgang ebenso oberflächlich bleibt, wie er es der Gegenseite vorwirft.[51] Anstatt seine Thesen zu belegen, bringt er sie immer wieder als Tatsachen in Stellung: „Ich will nicht um den heißen Brei herumreden: Die italienische Küche, wie sie wir heute kennen, ist in den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden.“ (S. 34)
Was die Anlage des Buches betrifft, ist dieses in zwei Teile zu unterscheiden. Von den 16 Kapiteln plus Einführung nehmen eben jene Einführung und der erste thematische Abschnitt („Die italienische Küche ist noch keine fünfzig“) 100 Seiten und damit überproportional viel Umfang der knapp 250 Seiten starken Schrift ein. Die restlichen Abschnitte sind als Vignetten einzelnen Erzeugnissen gewidmet. In aller Regel umreißt Grandi das Marketing rund um ein Produkt, um es dann als Konstruktion anzuprangern. Der Autor positioniert regionale Spezialitäten gewissermaßen als Feindbilder, an denen er sich abarbeitet, indem er deren Geschichte mit reichlich Brimborium mal mehr, mal weniger überzeugend und akkurat widerlegt (vgl. etwa die Bemerkungen zu Eisdielen im Ausland auf S. 234). Darüber hinaus bleibt anzumerken, dass Grandi über die Kriterien, warum er sich mit welchen Produkten beschäftigt, kaum Auskunft gibt. Doch ist offensichtlich, dass der Parmenser Wirtschaftshistoriker aus einem breiten Fundus an Wissen wie auch regionalen Spezialitäten schöpfen kann. Die Liste ließe sich also problemlos erweitern (so auch Grandi auf S. 220). Lohnender wäre es aber in meinen Augen gewesen, Schwerpunktsetzungen mit den Vignetten zu verbinden, anstelle immer wieder die gleichen Mechanismen zu beschreiben; Konsumverhalten, die Akteure hinter der Etablierung einer Marke, lokale Differenzen zwischen den involvierten Akteursgruppen oder Marketingzielgruppen sind nur einige Aspekte, denen man tiefgründiger hätte nachspüren können.
Nur sporadisch halten die Vignetten instruktive Einsichten bereit. Insbesondere die Erläuterungen zur Agrarpolitik, sowohl von den italienischen Regierungen als auch hinsichtlich EU-Verordnungen und Reformen, sind gewinnbringend. Grandi gelingt es hier, die konkreten Auswirkungen speziell supranationaler institutioneller Steuerungsmechanismen aufzuzeigen, indem er die Reaktion lokaler Produzenten auf neue agrarpolitische Rahmenbedingungen diskutiert (vgl. S. 119, 163). Als „Instrumente des Standortmarketings“ stieg der Stellenwert lokaler Essenstraditionen, um etwa die „Überlegenheit des italienischen Olivenöls zu beweisen“ (S. 120). Der Gastronationalismus lugt hier kräftig um die Ecke. Kochakademien, Genossenschaften oder auch Universitätsseminare waren Begleitwerk bei der Ausgestaltung dieser Politik (vgl. S. 98).[52] Auch der transnationale Aspekt bei der Geschichte des Marsalas und die sich ablösenden Marken, womit veränderte Qualitätsimages einhergingen, sind zweifelsohne spannend (vgl. S. 138). Gleichsam neugierig auf mehr machen jene Ausführungen zum Balsamico, die das komplementäre Verhältnis des Luxusprodukts (Aceto balsamico tradizionale) und des Massenprodukts Aceto balsamico di Modena beleuchten (vgl. S. 186). Hier griff man auf eine etablierte Marke zurück, um den gewünschten Werbe- und Verkaufseffekt zu erzielen.
Zumeist überwiegt jedoch der Eindruck, dass die Vignetten das historische Gewand, in das die regionalen Spezialitäten eingekleidet sind, allein oberflächlich entblößen. Die reißerische Wiederholung der kaum überraschenden Tatsache, dass ein Geschichtsmarketing nicht den historischen Tatsachen entspricht, erhöht die Überzeugungskraft der Argumentation allenfalls bedingt. Grandi kann demnach seinen Anspruch, eine „entzaubernde, teilweise entweihende, aber nichtsdestoweniger notwendige Sichtweise“ einzuführen, wie er unter Rückgriff auf Marc Bloch formuliert, bloß eingeschränkt einlösen (S. 22). Denn wie der Wirtschaftshistoriker sogleich einräumt, hat die Forschung dazu bereits gehaltvolle Studien vorgelegt, wenngleich diese in seinen Augen allein „ein paar Risse“ im größeren Narrativ der Erfolgsgeschichte italienischer Küche seien und damit nur „leichte Zweifel“ streuten (S. 23). Was man noch entzaubern möchte, wenn der Zauber doch größtenteils bereits verflogen ist, erschließt sich nicht.[53] Das liest sich spätestens dann ermüdend, wenn Grandi immer wieder meint, Legenden als unwahr aufdecken zu müssen. Ob der Autor die Quellen – sowohl die jahrhundertealten, von der Werbeindustrie als vermeintlicher Beleg für eine Historizität der Erzeugnisse zu Rate gezogenen, wie auch die aktuellen, von der Werbeindustrie produzierten – derart für bare Münze nimmt, dass er sie dann als konstruiert entlarven kann, wo es sich an verschiedenen Stellen im Buch doch einer professionellen Quellenkritik rühmt? Die „vielleichts“, „möglicherweises“ und „bestimmt“ nehmen jedenfalls öfters Überhand anstelle einer soliden Diskussion. Die zunächst als Behauptungen eingeführten Aussagen und manche kontextlos betrachteten Quellen werden gewissermaßen zum Fundament der provokativen Thesen (vgl. etwa die Kapitel zum Parmesan oder zur Schokolade von Modica).
Ob man diesen Stil gutheißen mag oder nicht, der Autor hat zumindest für seine kritischen, ebenso aber für die begeisterten Leser*innen insofern vorgebaut, als er zwei Literaturverzeichnisse anbietet. Für Letztere dient die „Literatur für diejenigen, die mir vertrauen“ (S. 246), während alle anderen, die ihm dieses nicht entgegenbringen wollen, auf eine längere Bibliografie zurückgreifen können. Hier finden sich einige Beiträge, die ein produktives Weiterdenken der von Grandi in Anschlag gebrachten Thesen ermöglichen. Doch ist Wissenschaft keine Glaubensfrage, zu der Grandi seine Forschung mit dieser Art der Verzeichnisse stilisiert, ein Punkt, der bisweilen in den Kapiteln ebenfalls aufflackert (vgl. etwa S. 179). Ein ums andere Mal inszeniert er sich als Anwalt einer Schicht von Käufer*innen, die durch das Geschichtsmarketing zum Kauf regionaler Spezialitäten verführt würde. Zu selten trägt seine Analyse dem Aspekt Rechnung, dass die Zielgruppen proaktiv die Erzeugnisse eingedenk ihrer konstruierten Ursprungsgeschichten kaufen möchten. Bei seiner Beweisführung tritt er zumeist als Staatsanwalt, Gutachter und Richter in einer Person auf, verzichtet jedoch weitestgehend auf die Konsultation von Zeugen. So können dann auch einmal Kochbücher des 18. und 19. Jahrhunderts mit einem Federstrich als anspruchslos und nutzlos abqualifiziert werden (vgl. S. 54). Wie all dies, selbst wenn die auf ein breites Publikum abzielende Veröffentlichungsabsicht in Rechnung gestellt wird, mit der für historischen Forschung geforderten „Seriosität und Sorgfalt“ zusammengeht (S. 180), erschließt sich zumindest dem Verfasser dieser Zeilen kaum.
Was sind nun im Einzelnen die Thesen und Argumente? Der Autor insistiert, dass die zu einem Kulturgut avancierte italienische Küche als Konglomerat verschiedener regionaler Spezialitäten erst seit den 1970er Jahren als solche geschaffen wurde und ihre gastrochauvinistische Ausgestaltung erfuhr (dargelegt unter anderem auf S. 11, 17 f., 34). Dies sei im Zuge eines Industrialisierung- und Vermarktungsprozesses geschehen, der einzelne Lebensmittel und Produkte als genuin typische und markttaugliche Ware anpries. Regionale Spezialitäten seien weder sonderlich alt noch charakteristisch für ihren Herkunftsort – zumindest nicht in dem Maße, wie die Werbe- und Ernährungsindustrie es glaubhaft machen wolle.
Grandis Argument lautet, dass der Rekurs auf die italienische Küche, die man in diesem Akt gleichsam (neu) schuf, eine diagnostizierte Identitätskrise der 1970er Jahre lösen sollte (S. 21, 85). Die einfache Gleichung, dass „wachsender Wohlstand (sprich: Konsum) im Tausch gegen Identitätsverlust“ die Bevölkerung zufriedenstellte, verfing nun nicht mehr (S. 90). Und weiter: „Der explosive Cocktail aus Regionalismus, Gesundheitswahn und Krise der Industrialisierung hatte eine Maschinerie zur Erfindung von Traditionen in Gang gesetzt, die von da an nicht mehr zu stoppen war.“ (S. 95) Ein Netzwerk aus wissenschaftlicher Forschung, Lokalpolitiker*innen und Lebensmittel- wie Tourismusindustrie arbeitete sodann an „einem für den Massentourismus tauglichen Mythos“ (S. 97), eben das „logische (und ideologische) Monster der Regionalküche“ (S. 92).[54]
All dies deckt sich mit dem Befund Eric Hobsbawms, den dieser in der Einleitung des von ihm gemeinsam mit Terence Ranger herausgegebenen Sammelbands Anfang der 1980er Jahre aufgestellt hatte: Namentlich, dass in krisenhaften Zeiten die eigenen Traditionen gestärkt oder überhaupt erst konstruiert werden.[55] Grandi nimmt quasi folgerichtig Bezug auf dieses Theorem (vgl. S. 12 f.) und die deutsche Übersetzung führt es sogar prominent im Untertitel. Ob die Strahlkraft Italiens nun, wenn man Grandi konsequent folgt, daran lag, dass sich ein italienisches Netzwerk aus Politik und Wirtschaft anschickte, die regionalen Spezialitäten offensiv auf dem Markt zu positionieren, oder ob nicht im gleichen Maße zum Beispiel die westdeutschen gesellschaftlichen Prozesse ebenso entscheidend für den Siegeszug der italienischen Küche waren, wäre weiter zu diskutieren.[56]
Es leitet zu einem weiteren Argument Grandis über. Denn als „zweite Grundthese“ führt der Autor an, dass „das Typische weniger von der Region her gedacht werden muss, aus der ein Lebensmittel stammt, als vielmehr von der Zielgruppe, die es konsumiert“ (S. 21). Gerade um den Konsum und das Zielpublikum geht es dann aber auffallend wenig, wenngleich Grandi gelegentlich einräumt, dass erst die „Nachfrage [ein] Gericht zur Spezialität“ macht (S. 224). Bis auf wenige Ausführungen zu Werbepraktiken, Marktmechanismen und -logiken wiederholt er im Prinzip allein sein Argument, dass ein bestimmtes Produkt mit einer Tradition versehen worden sei, die es so nie oder nur in Teilen gehabt habe. Die regionalen Spezialitäten suggerierten mithin eine Authentizität, die sie nicht hätten. Was ein solches Schattenboxen im engeren Sinne bezwecken soll, bleibt fraglich. Vielmehr leitet, so scheint es jedenfalls dem Verfasser dieser Zeilen, Grandi aus dem Marketing gleichsam die kulinarischen Praktiken ab. Ein allzu essentialistisches Verständnis von Authentizität scheint im Hintergrund der Überlegungen zu stehen, wenngleich diese als Behauptung oder Anspruch zu verstehen ist, „der von oder für jemanden, eine Sache oder eine Leistung erhoben und von relevanten anderen entweder akzeptiert oder abgelehnt wird“.[57] Dass diese Authentizität in ihrer Wirkung ohnehin nur eine begrenzte Bedeutung hat, stellt Grandi mitunter heraus, da es nicht der entscheidende Punkt sei, „ob die Geschichten der Spezialitäten wahr oder falsch sind oder wie nachhaltig sie sind, hier geht es darum, was Konsumentinnen und Konsumenten wahrnehmen (wollen)“ (S. 28). Warum trägt Grandi dann aber diesem Punkt so wenig Rechnung in seiner Argumentation? Gleichermaßen scheinen bei ihm Verlaufsformen und die Historizität von Lebensmitteln, Gerichten und ganz grundsätzlich Geschmack und Ernährungsverhalten auf einem simplifizierten Verständnis zu beruhen oder er stellt diese Aspekte mit seinem Buch zumindest simplifiziert dar. Schon Arjun Appadurai hat Mitte der 1980er Jahre darauf hingewiesen, dass jede Küche eine Geschichte hat. Diese sei vom Wandel der Geschmackspräferenzen, regionalen Unterschieden, die mal mehr, mal weniger prominent im Gesamtgefüge eines nationalen kulinarischen Kanons sind und darüber hinaus von neuen Techniken und Technologien geprägt, welche die Zubereitungsweisen und das Endprodukt immer wieder verändern.[58]
Immerzu geht es schlicht darum, einem bestimmten Produkt nachzuweisen, dass es gar nicht so alt sei wie behauptet, es ‚früher‘ ganz anders zubereitet wurde oder dass es keine regionale Spezialität sei, sondern aus außerhalb Italiens liegenden Landschaften kommt. Dass das Marketing eine Geschichte spinnt, die konstruiert ist, um sein Produkt zu bewerben, ist kein spezifischer Befund einer kritischen Food History, sondern eine Banalität. Der Autor verkauft hier Selbstverständlichkeiten als Sensationen. Dazu passt der Ton und Stil, da dem Effekt zumeist Vorrang gegenüber einer ausgewogenen Interpretation eingeräumt wird. Der deutsche Titel, für den der Wirtschaftshistoriker wohl nur bedingt verantwortlich ist, zielt ja mit der Akzentverschiebung auf den „Mythos Nationalgericht“ genau darauf ab. Dann dürften indes aber nicht der Parmesan, die Focaccia oder die Schokolade von Modica in den Fokus rücken, sondern man müsste sich tatsächlich Gerichte wie die Pizza Margherita oder besonders bekannte Pasta-Gerichte anschauen.[59]
Schließlich ist neben dem Aspekt des Regionalen der Raum noch für weitere Thesen Grandis wichtig, und zwar in physischer wie sozialer Hinsicht. Denn manche Gerichte und Charakteristika dessen, was als italienische Küche beschrieben wird, seien an Orten wie New York City entstanden. Grandi hebt demnach auf transnationale Einflüsse und wechselseitige Transferprozesse ab, die den Speisen ihre entsprechende Würzung gaben.[60] Für die Bundesrepublik ist gleichermaßen betont worden, dass gerade in den migrantischen Küchen in den Städten manche bis dahin allein in lokalen Settings bekannte Gerichte erst eine Aufwertung im Sinne einer Zugehörigkeit zu einem kulinarischen Kanon der anderen erfuhren.[61]
Anstelle einer reflektierten Einordnung seines Befundes, bevorzugt Grandi hier abermals eine vermeintlich gute Story anstatt einer kritischen Diskussion. Noch einmal: Das ist für die Anlage des Buches prinzipiell in Ordnung. Inwiefern es aber selbst für eine essayistische Streitschrift redlich ist, den Sachverhalt wie folgt zu präsentieren, sei dahingestellt: „Genauer gesagt war die italienische Küche in Amerika anfangs die Küche der Ausgegrenzten und (warum darum herumreden?) der Delinquenten, die in den Zielländern nicht unbedingt auf Wohlwollen stießen. … es ist kein Wunder, dass sich die amerikanische Meinung über die italienische Küche und italienische Restaurants just im Ersten Weltkrieg änderte, als Italien, das Land der Habenichtse und Diebe, sich als heroischer Bündnispartner erwies“ (S. 19 f.).[62] Viel Spannendes ist in diesen Zeilen enthalten, etwa der Zusammenhang zum Ersten Weltkrieg, wer überhaupt in die USA migrierte und so weiter. Doch wird die Formulierung spätestens in dem Moment problematisch, wo Grandi mit einem Federstrich Millionen von Ausgewanderten in die USA per se zu Straffälligen herabwürdigt. Führt man sich vor Augen, dass in aller Regel speziell Süditaliener*innen auswanderten, ist es misslich, dass ein norditalienischer Universitätsprofessor sein Faible für vermeintlich schmissige Formulierungen zu Lasten einer angemessenen Reflexion auslebt.[63] Seine ja richtige These, dass gerade in der Fremde die vergangene und imaginierte Heimat erkocht wird, bleibt davon unberührt, wie sie präsentiert und eingeführt wird, stößt hingegen sauer auf.
Das transnationale Argument einer italienischen Küche ist überdies vor dem Hintergrund wichtig, dass nahezu zeitgleich zur Aufwertung der regionalen Spezialitäten die Ernährungswissenschaft und auch allgemeine Öffentlichkeit den Mittelmeerraum als kulinarisch besonders verheißungsvoll unterstrich. Sowohl ein Gesundheits- als auch Genussaspekt avancierten in den 1960er und 1970er Jahren zu wirkmächtigen Faktoren. Die sogenannte Mittelmeer-Diät machte eine rasche Karriere zunächst in den USA, dann auch in der Bundesrepublik.[64] Sie propagierte einen besonders gesunden Lebensstil im Mittelmeerraum, wobei sich dieser in den gewählten Zutaten, Speisen und der Art, was es wann und wie zu essen gab, ausdrückte.[65] In dieser Hinsicht war die Mittelmeer-Diät ein Baustein des kulinarischen Italien-Mythos, und es nimmt mithin wenig Wunder, dass Grandi diese Diät beziehungsweise ihre kulturelle Überhöhung einer Kritik unterzieht.[66] Dass die italienische Küche dank des Konzepts Mittelmeer-Diät nicht allein als schmackhaft, sondern auch noch als gesundheitsfördernd galt, beförderte deren prominente Position im westdeutschen oder US-amerikanischen kulinarischen Diskurs fraglos.[67]
Wie für viele Teilaussagen seiner Publikation festzuhalten ist, hat Grandi durchaus einen Punkt mit seiner Kritik an der Oberflächlichkeit der Studie Keys. Doch verliert diese an Wert, da die Kritik leider selbst nicht in die Tiefe geht (S. 94). Anstatt seine Argumente auszuführen, setzt Grandi eher auf den Knalleffekt der polemischen Aussage. Ebenso wie er Regionalität und Typizität als entscheidende Merkmale (des Werbeerfolges) der italienischen Küche herausarbeitet, hält er treffend fest, dass im Prinzip die alleinige Inanspruchnahme der Mittelmeer-Diät, mithin eine bestens vermarktete Aufnahme der Studie Keys, den Erfolg ausmachte (vgl. S. 94). Zum einen gelang es, den Mittelmeerraum auf Italien zu reduzieren und so beispielsweise die griechischen Ernährungsgewohnheiten zu marginalisieren respektive den gesundheitsfördernden Effekt der Ernährung allein auf die italienische Esskultur zu münzen. Zum anderen deckte die propagierte Mittelmeer-Diät nicht einmal das gesamte italienische Staatsgebiet ab. Vielmehr beruhten die Erkenntnisse zumeist auf den Essgewohnheiten der süditalienischen Bauernbevölkerung, deren Auskünfte dann pars pro toto für Gesamtitalien herhielten.
Das Buch enthält weitere Thesen, die für sich genommen spannend sind. An vielen Stellen im Buch flackert ein Gegensatz zwischen urbanen und ländlichen Räumen (vgl. insbesondere S. 38–40) auf, sei es mit Blick auf eine glorreiche Vergangenheit italienischer Stadtstaaten, die den dortigen kulinarischen Praktiken ein Prestige verliehen hätten (S. 47), sei es hinsichtlich der regionalen Spezialitäten allgemein, die vorzugsweise aus ländlichen Gegenden kommen. Auch die cucina povera als ländliche Küche gehört zu diesem urban-ruralen Spannungsverhältnis. An anderer Stelle betont Grandi für die Jahre der Regierungen Giolittis die Bedeutung der Werte einer ländlichen Gesellschaft. Diese seien angesichts der fortschreitenden Industrialisierung betont worden. Der über landwirtschaftliche Traditionen forcierte Wertekonsens habe dazu geführt, dass Nahrungsmittel wie Brot, Käse, Nudeln oder Wein „zu Symbolen der ganzen Nation stilisiert wurden“ (S. 77). Das sei der Prolog zur faschistischen Ernährungspolitik gewesen. All dies sind spannende Befunde, wenngleich sie sich in Teilen mit der These zur italo-amerikanischen Küche ein wenig kreuzen beziehungsweise man gerne mehr über die Wechselwirkungen erfahren hätte. Schließlich kamen die Emigrant*innen vor allem aus diesen ländlichen Gesellschaften.
Das Verhältnis und Zusammenspiel urbaner und ruraler Gesellschaften und Faktoren durchzieht zumindest implizit das gesamte Buch. Denn wenn Grandi festhält, dass sich die italienische Politik zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen kulinarischen Anstrich verpasste, der gleichermaßen einer von traditionellen und modernen Aspekten geprägten Kultur das Wort reden wollte, ist diese Konstellation bedeutend für das, was Grandi als Mythen der italienischen Küche beschreibt. Eine modernen Marketing- und Marktlogiken folgende Ernährungsindustrie nutzt den Verweis auf eine konstruierte Vergangenheit, um ihren Produkten ein verkaufsförderndes Image zu verpassen.[68] Dabei werden traditionelle Praktiken und Techniken – die Handarbeit, die Nutzung topografischer Charakteristika, das mündlich tradierte Wissen um die Zubereitung eines Lebensmittels etc. – in einen industriellen Massenfertigungsprozess eingespeist. Zugleich gelingt es Grandi zu zeigen, dass es bei manchen Produkten genau andersherum lief oder zumindest der Anschein erweckt wird. Zu den stärkeren Kapiteln in dieser Hinsicht gehören die Ausführungen zum Panettone, der als Industrieprodukt Karriere machte, bevor er heutzutage als handwerklich hergestellte Lokalspezialität Bekanntheit genießt (S. 172). Aufschlussreich sind hier die Bemerkungen, auf welche Weise sich verschiedene Gruppen den Panettone aneigneten. Emigrierte Italiener*innen nutzten das Gebäck als Identitätsmarker, vor allem aber war es in den 1930er Jahren ein Marker faschistischer Wirtschaftspolitik. Als modernes, industrielles, aus dem reichen Mailand kommendes Produkt suggerierte es die Verheißungen der Autarkiepolitik und der kulinarischen Größe Italiens (S. 170). Nach dem Niedergang des Panettone habe dieser dann, ganz im Einklang mit Grandis Hauptthese, in den 1970er Jahren ein neues branding erhalten, was den Bezug zu Weihnachten stärker unterstrich.
Das finale Kapitel Grandis nimmt sich schließlich Nutella vor. Ausgerechnet beim industriellen Massenprodukt bestehe die Volte nun aber darin, dass es sich um eines der „wahren typischen italienischen Lebensmittel“ handele (S. 220). Es seien mithin die oftmals verpönten Industrieprodukte, die als wahrhaftige Spezialitäten Italiens zu gelten haben. Mit guten Gründen, und aus seiner wirtschaftshistorischen Expertise schöpfend, weist Grandi darauf hin, dass Innovation das eigentliche Wesensmerkmal der italienischen Kulinarik sei (S. 228). Handwerk, Industrie, Geschichte und Produktwerdung begegnen sich in verdichteter Form in der Nuss-Nougat-Creme, nicht ohne Ironie freilich: „Es ist das paradoxe System einer Handwerklichkeit, die durch Standardisierung die eigene Individualität festzurren will und die zur Industrie wird, um zu beweisen, dass sie anders ist als die Industrie.“ (S. 229) Diese Paradoxie gewinnt noch an Bedeutung, führt man sich die politischen Zuschreibungen an eine italienische Kulinarik vor Augen. So zeigte Maren Möhring auf, dass „die Verfechter italienischer Küche und Lebensart … ihre Kritik auch auf die standardisierten Konsumgüter der Lebensmittelindustrie [richten]. Die in Massenproduktion hergestellten, konservierten und tiefgefrorenen Nahrungsmittel und Fertiggerichte gerieten in den 1970er Jahren zunehmend in Verruf, weil sie zum einen als gesundheitsgefährdend und zum anderen als Inbegriff kapitalistischer Entfremdung betrachtet wurden“.[69] Demnach wären also die von Grandi als eigentliche Spezialitäten ausgemachten Produkte diejenigen, die zumindest von den Konsument*innen im Ausland kritisiert wurden und welche die Hinwendung zur italienischen Kulinarik in der Bundesrepublik in Teilen erst erklären. Das Kapitel ist des Weiteren aber auch deshalb eines der lesenswerteren, da der Autor kurz vor Ende konzeptionell über manche Dinge informiert, die seine Lesart und sein Verständnis von regionalen Spezialitäten prägen (etwa auf S. 224 f.). An dieser Stelle gelingt es ihm zudem häufiger, Ironie und Polemik wohldosiert einzusetzen und Paradoxien aufzuzeigen, die der „Geschichte des Marketings“ und des „Geschichtsmarketings“ zu eigen sind (S. 222). Mehr solcher Kapitel und vor allem jener aufschlussreichen Reflexionen hätte man sich gewünscht.
Fazit: Deutsche Reaktionen auf das Buch Grandis
Es ist so gesehen ein versöhnlicher Abschluss für ein auch wissenschaftlich interessiertes Lesepublikum. Dass sich eine Food History, wie immer sie sich im Einzelnen ausbuchstabiert und welchen Untersuchungsobjekten und erkenntnisleitenden Fragestellungen sie Vorrang einräumt, für Vieles eignet, zumal für gegenwärtige Gesellschaftsdiagnosen, zeigt Grandi ebenso wie die Reaktionen auf sein Buch. Fragen von kulinarischer Identität, des Gastronationalismus und der Rolle von Ernährung und Kulinarik in modernen Gesellschaften ließen sich jedenfalls vortrefflich mit Blick auf die teils heftigen Entgegnungen untersuchen, mit denen die italienische Öffentlichkeit den Behauptungen Grandis begegnet.
Dass sein Buch überdies gerade in Deutschland eine starke Resonanz erfahren hat, mag mit den langen Traditionslinien deutscher Italienromantik zu tun haben. Ein Italien, das man sinnlich konsumiert und eben auch verspeist, wenngleich es eine imaginierte Italianità so nie gab – das ist zwar allen Beteiligten irgendwie klar, doch möchte man es wohl kaum derart offen gesagt bekommen. Das mag jedenfalls die vereinzelten entrüsteten Besprechungen von Grandis Buch auch in Deutschland erklären.[70] In Teilen informieren diese wohl über den ungebrochen wirkmächtigen Mythos Italien.[71]
Überwiegend hat sich der deutsche Kulturbetrieb jedoch begeistert auf die Thesen Grandis gestürzt. Der Bayerische Rundfunk lud seine Leser*innen ein, die kulinarischen Traditionen Bayerns zu hinterfragen, ganz in dem Modus, in dem Grandi die italienische Küche demaskiert habe.[72] Im Deutschlandfunk attestierte Catherine Newmark Grandi eine „sozialgeschichtlich einleuchtende“ Darstellung.[73] Denis Scheck wiederum erkannte in seiner Sendung „Druckfrisch“ in der Veröffentlichung eine „köstliche Spurensuche“, die sich nicht allein in „harmloser Kulinarik erschöpfe“, sondern mit den heftig geführten Identitätsdebatten verknüpft sei.[74] Er stellte das Buch vor, während er in einem Gang eines Parmesan-Produzenten inmitten von massigen Käse-Laibern stand.
War dies des Klischees noch nicht genug, positionierte Max Moor nahezu zeitgleich in „ttt – titel, thesen, temperamente“ Grandi als kritische Stimme italienischer Gesellschaftszustände.[75] Anlass für das ARD-Kulturmagazin war die Einladung Italiens als Ehrengast bei der Frankfurter Buchmesse 2024. Der Umgang mit Grandi und dessen Thesen zeige indes, wie es um die Kunst- und Meinungsfreiheit südlich der Alpen bestellt sei. Ob diesem wichtigen Anliegen gerecht wurde, dass Moor es prätentiös vortrug, während er auf einem roten Motorroller saß, oder ob hierin eine ironische Brechung des Ganzen erkennbar werden sollte, die indes nicht thematisiert wurde, blieb offen. Die Verschränkung aus Italien-Mythos, Identitätsdebatte und dem Bestreben Grandis, als öffentlicher Intellektueller in Erscheinung zu treten, kondensierte der Beitrag geradezu.
Unterdessen eint die meisten positiven wie negativen Besprechungen, dass die eigentliche Fragestellung Grandis untergeht. Ausweislich seiner Buchpublikation unterzieht er die Vermarktungstechniken von regionalen Spezialitäten einer kritischen Betrachtung. Auf die fragwürdige These einer Erfindung der italienischen Küche verengt der mediale und politische Diskurs hingegen Grandis Intention. Zugleich fordert der Wirtschaftshistoriker diese Lesart genaugenommen ein, da er sich in den vergangenen Jahren marktschreierisch mit provokanten Aussagen etwa zur Entstehung einzelner Gerichte zitieren ließ. Sein Buch bietet demgegenüber gelegentlich eine tiefgründigere Analyse der Rolle von geschützten Ursprungsbezeichnungen im Zuge der Etablierung von kulinarischen Erzeugnissen als Marke. Noch mehr gilt dies für seine stärker auf ein wissenschaftliches Publikum ausgerichteten Veröffentlichungen. Mit dem „Mythos Nationalgericht“ zielt er hingegen öffentlichkeitswirksam auf eine breite Zielgruppe. Vielleicht aufschlussreichere Fragen – warum entfalten denn manche Gerichte und Produkte bei den Konsument*innen eine solche Wirkkraft? – geht Grandi aus dem Weg und arbeitet sich stattdessen an Selbstverständlichkeiten des Wirtschaftsmarketings ab. Doch zeigt er andererseits, dass er offenkundig eine ganze Menge von Marketing versteht, da es ihm stets gelingt, seine Thesen im öffentlichen Diskurs zu platzieren.
So liegt dann die umfassende Rezeption von Grandis Thesen daran, dass sie mit entsprechendem Getöse vorgetragen werden und in ihren Verkürzungen zu pointierten Diskussionen einladen. Zudem berühren sie mit der Esskultur einen neuralgischen Punkt, der die Lebenswelt und den Alltag aller Menschen betrifft, auch in der Bundesrepublik, wo der Italienmythos fester Bestandteil des kulinarisch-politischen Haushalts ist. Des Weiteren ließe sich mit einer Prise Polemik vielleicht vermuten, dass in dieser begeisterten Aufnahme selbst ein gastronationalistisches Element verborgen steckt, als so ein deutsches Publikum in dem Glauben bestärkt wird, dass selbst die Italiener*innen nur mit Wasser kochen.[76] Wenn indes in diesem Wasser eine Pasta zubereitet wird, gibt es wohl nach wie vor kein Land der Welt, was diesen Genuss zugleich so zelebriert und das damit verbundene kulinarische Versprechen einlöst. Das gibt auch Grandi zu verstehen, dennoch ist sein Buch als Angriff auf die kulinarische Identität einer ganzen Nation interpretiert worden. Das wird, bei aller Kritik, seiner Absicht nur wenig gerecht, will der Autor doch letztlich die Konstruktionslogiken des geschichtspolitischen Marketings bei der Bewerbung regionaler Spezialitäten aufdecken. Überdies ist damit die Formierung und Prägekraft regionaler Identitäten angedeutet. Wenn Grandi so gesehen einen größeren Beitrag zu Fragen von Identitätspolitiken im Angesicht der gegenwärtigen postfaschistischen Regierung beabsichtigt hat, kann dies aus politischer Sicht nur begrüßt werden. Aus einer dezidiert wissenschaftlichen Sicht bleibt sein Buch jedoch eine Enttäuschung. Denn auch leicht verdauliche Kost kann den Magen verstimmen. Sein im intellektuellen Schnellkochtopf zubereitetes Gericht ist leider überwürzt, was den Geschmack seines aufgetischten Gerichts beeinträchtigt. Dennoch mögen andere Leser*innen mehr Freude haben und Einsichten erhalten. In jedem Fall darf man gespannt sein, wie sich die an seiner Person und seinen Thesen entzündenden Diskussionen entwickeln, zumal wenn die Entscheidung der UNESCO über die Aufnahme der italienischen Küche in ihre Liste immateriellen Weltkulturerbes bekanntgegeben wird.
© 2025 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.
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