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Orientierung an der Zeit. Logik, Paradoxie und Theorie nach Nietzsche und Luhmann

  • Werner Stegmaier
Published/Copyright: November 24, 2015

Zusammenfassung

Die Abhandlung ist Teil eines Forschungsprojekts Luhmann meets Nietzsche. Orientierung im Nihilismus. Das Projekt folgt der These, dass die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns (1927-1998) philosophische Grundentscheidungen Nietzsches erneuert und für das 21. Jahrhundert plausibel macht. Nietzsche hatte eine Wirkung seiner Philosophie erst für das „Übermorgen“ erwartet, und Luhmann schätzte ihn für seine damals „inkongruenten Perspektiven“. Im Übrigen ignorierte er Nietzsche jedoch fast völlig, weil er nur „theoretisch-hilflose Verlegenheit“ bei ihm sah. Eben das macht eine Begegnung beider besonders interessant. Luhmann dachte Nietzsches „radikalen Nihilismus“ als „radikalen Konstruktivismus“ weiter und führte die Entscheidungen für einen methodischen Immoralismus („Niemand lügt so viel als der Entrüstete“), einen reflektierten Realismus der Beobachtbarkeit („bleibt der Erde treu“), für die Evolution nicht nur des Lebens, sondern auch aller zu seiner Bestimmung gebrauchten Unterscheidungen („Die Form ist flüssig“), für die Steigerung der Komplexität der Unterscheidungen durch Selbstbezüge („Selbstaufhebung“) und in letzter Konsequenz für die Entscheidbarkeit als solche („warum nicht lieber …?“) in einer Theorie zusammen, die sich von Paradoxien nicht blockieren lässt, sondern sie zu Denkmitteln macht. Wenn Nietzsche die Logik in die Zeit einließ, den Ursprung aller logischen Paradoxien, so Luhmann auch die Zeit in die Logik. Doch Nietzsche hielt die Theorie, auf der Luhmann bestand, durch seine Formen philosophischer Schriftstellerei bewusst in Grenzen. Und auch bei Luhmann bleibt die Theorie ein in sich zeitliches Orientierungsinstrument.

Abstract

This paper is part of the research project Luhmann meets Nietzsche. Orientation within Nihilism. The project claims that the sociological systems theory of Niklas Luhmann (1927-1998) renews Nietzsche’s fundamental philosophical decisions and that it makes them plausible for the 21st century. Nietzsche expected the impact of his philosophy only “the day after tomorrow”, and Luhmann appraised him for his “incongruent perspectives”. Apart from that he ignored Nietzsche almost entirely seeing in his philosophy only “theoretical-helpless predicaments”. Precisely this is what makes the encounter between both particularly interesting. Luhmann continued Nietzsche’s “radical nihilism” as a “radical constructivism”. He joined Nietzsche’s decisions for a methodical immoralism (“nobody lies as much as the outraged man”), for a reflective realism of observability (“remain true to the earth”), for the evolution not only of life but also of all defining distinctions of life (“The form is fluid”), for the increase of the complexity of distinctions via self-referentiality (“self-overcoming”) and in last consequence for decidability as such (“Why not rather …?”) in a theory, which is not blocked by paradoxes, but makes use of them as a means to thinking. While Nietzsche drew logic into time as the origin of all logical paradoxes, Luhmann drew time into logic. But Nietzsche kept theory, on which Luhmann insisted, consciously within limits through his forms of philosophical writing. But also for Luhmann, theory remains a temporary instrument for orientation.

Online erschienen: 2015-11-24
Erschienen im Druck: 2015-11-27

© 2015 by Walter de Gruyter Berlin/Boston

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  1. Titelei
  2. Inhalt
  3. Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  4. Editorial
  5. Kontroverse zum Thema „Was heißt und wie kann man ,Werte schaffen‘?“
  6. 0.0 Einleitung
  7. 0.1–0.9 Selbstvorstellung der Teilnehmer(innen) der Kontroverse
  8. 1. Runde
  9. 1.1 Die Selbstüberschätzung des Philosophen und der Philosophie
  10. 1.2 Die Moral der anderen. Nietzsches Wertkritik
  11. 1.3 How hard is it to create values?
  12. 1.4 Der Journalist, die Presse, der informierte Leser. Nietzsche über Wertegeber, Werte und ihre Vermittlung im Medienzeitalter
  13. 1.5 „Ein Gott als Dienstbote“. Nietzsches Beitrag zu einer Ideen- und Kulturgeschichte der Dienstleistungsgesellschaft
  14. 1.6 Nietzsche’s Highest Value (Affirmation of Life) and its Limits
  15. 1.7 What we can learn from Plants about the Creation of Values
  16. 1.8 Wertschöpfung als kulturelle Praxis. Ein Beitrag Nietzsches zur Kulturphilosophie
  17. 1.9 On Creating Values
  18. 2. Runde
  19. 2.1 Die Vorzüge der Kritik und die Falle des Dekonstruktivismus
  20. 2.2 Aufwertung und Abwertung. Nietzsches Gegenhegemonie
  21. 2.3 What is it like to recognize values? (The hard problem of value 2)
  22. 2.4 Nietzsche über Werte. Zum kulturphilosophischen Aspekt der Rezeption
  23. 2.5 Nietzsches Ästhetik des Schaffens im Zeichen von Schwangerschaft und „Erfindlichkeit“
  24. 2.6 Why Nietzsche Opposes the Creation of Values
  25. 2.7 Are Values of Social or Individual Origin? And what is the Purpose of Values?
  26. 2.8 Normative Implikationen der Moralkritik. Kritische Bemerkungen zu Versuchen, Nietzsche als Metaethiker zu lesen
  27. 2.9 Defending the Creation of Values
  28. 3. Runde
  29. 3.2 Angriff als Verteidigung. Nietzsches Revolutionen
  30. 3.3 What Mary didn’t know about values (The hard problem of value 3)
  31. 3.4 Wie politische Interessen meinungsgesteuerte Werte werden. Nietzsches Kritik an massenmedialer Wertevermittlung im Kontext zeitgenössischer und aktueller Stimmen
  32. 3.9 Some Relevant Distinctions for Understanding the Creation of Values
  33. Abhandlungen
  34. Le rôle de Bacon et de Newton dans l’élaboration de la méthode de Nietzsche
  35. Die Moral eines freien Geistes
  36. What Zarathustra Whispers
  37. Nietzsche’s Science of Love
  38. Nietzsche on Objects
  39. Nietzsche, Selfhood, and the Limitations of the Transcendental Reading
  40. „Du solltest das Perspektivische in jeder Werthschätzung begreifen lernen“. Zum Problem des Perspektivischen in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches I
  41. Die Spuren von Nietzsches Schrei ben. Arbeit mit der KGW IX
  42. Orientierung an der Zeit. Logik, Paradoxie und Theorie nach Nietzsche und Luhmann
  43. Diskussion
  44. Contesting Nietzsche’s Agon. On Christa Davis Acampora’s Contesting Nietzsche
  45. Abhandlung zur Geschichte und Edition von Nietzsches Werken
  46. The ‘Entstehung’ of the second Untimely Meditation
  47. Beiträge zur Quellenforschung
  48. Editorial
  49. Nachweise
  50. Nachweis aus Plutarch, Ueber die gemeinen Begriffe. Wider die Stoiker (1861)
  51. Nachweise aus Jacob Bernays, Die Dialoge des Aristoteles in ihrem Verhältniss zu seinen übrigen Werken (1863)
  52. Nachweise aus Emil Heitz, Die verlorenen Schriften des Aristoteles (1865)
  53. Nachweise aus Erwin Rohde, Afterphilologie (1872)
  54. Abhandlung zur Rezeptionsforschung
  55. Friedrich Nietzsche and Jakob Wassermann: Brothers in Spirit?
  56. Bericht
  57. Die gegenwärtige Nietzsche-Forschung in China. Die straussianische Lesart im Fokus
  58. Miszelle
  59. Ritschl als Kollege Nietzsches in Basel? Ein Brief Friedrich Ritschls an Wilhelm Vischer-Bilfinger
  60. Rezensionen
  61. Neuerscheinungen der biographischen Nietzsche-Forschung
  62. Neuerscheinungen zu Nietzsches Denken des Politischen
  63. Furcht, Gewalt und Bejahung eines ausgesetzten Lebens
  64. Nietzsche und Benjamin als Sternbild
  65. Siglen
  66. Register
  67. Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten für die Nietzsche-Studien
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