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Lockerungen im österreichischen Maßnahmenvollzug –

Praxis ihrer Durchführung, Einbettung in die Behandlungsstrategie und Auswirkungen auf die Wiederkehr
  • Monika Stempkowski ORCID logo EMAIL logo
Published/Copyright: January 3, 2024

Zusammenfassung

Lockerungsmaßnahmen in Form von begleiteten und unbegleiteten Ausgängen sowie Phasen des Probewohnens ermöglichen während der Haft einen Kontakt zur Außenwelt und eine Vorbereitung des sozialen Empfangsraums für die Zeit nach der Entlassung aus dem Vollzug. Im Maßnahmenvollzug (dem österreichischen Pendant zum deutschen Maßregelvollzug) dienen sie darüber hinaus als wesentliche Informationsquelle, ob eine untergebrachte Person ausreichend für ein Leben in Freiheit vorbereitet ist und daher eine bedingte Entlassung erfolgen kann. In der vorliegenden Untersuchung wird die Praxis der Durchführung von Lockerungsmaßnahmen im Maßnahmenvollzug für psychisch kranke Personen beleuchtet. Die Ergebnisse zeigen auf, dass zwar die meisten Personen Lockerungen durchlaufen, aber individualisiert entschieden wird, welche und wie viele Formen von Lockerungen zu Einsatz kommen. Betrachtet man gleichzeitig die Behandlungen im Vollzug (bspw. durch den psychiatrischen oder den sozialen Dienst), Maßnahmen des Entlassungsmanagements, gerichtlich angeordnete Weisungen und die Häufigkeit einer Entlassung in eine betreute Nachsorgeeinrichtung, zeigt sich, dass sich Lockerungen in die jeweilige Behandlungsstrategie dahingehend eingliedern, dass jene Personen, die mehr Behandlung, mehr Nachbetreuung und mehr Kontrolle erfahren, auch häufiger Lockerungen durchlaufen. Bezogen auf die Wiederkehrerrate nach der bedingten Entlassung zeigen sich hingegen keine Unterschiede zwischen Personen mit mehr bzw. weniger Lockerungen. Im Sinne des Risk-Need-Responsivity-Modells kann vermutet werden, dass die Selektion für diese unterschiedlichen Behandlungsintensitäten in dem jeweiligen Rückfallrisiko der Personen begründet liegt. Ist dies der Fall, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Differenzierung zwischen Personen mit hohen und niedrigem Risiko gelingen dürfte. Mögliche Hintergründe dieser Auswahl und sich daraus ergebende Forschungsfragen werden diskutiert.

Abstract

Temporary absences allow contact with the outside world during imprisonment and preparation of the social reception area for the time after release. Concerning mentally ill prisoners deemed to be dangerous, they also serve as an important source of information as to whether a person in custody is sufficiently prepared for a life in freedom and can therefore be conditionally released. This study examines the practice of the implementation of temporary absences for mentally ill prisoners within the Austrian prison system. The results show that, although most people undergo some kind of short leave, decisions as to which and how many forms of temporary absence are used are individualised. When also considering treatment in prison (e. g. by the psychiatric or social services), release management measures, court-ordered directives and the frequency of release to a supervised aftercare facility, it becomes clear that the use of temporary absences is integrated into the respective treatment strategy in such a way that those people who receive more treatment, more aftercare and more supervision also undergo temporary absences more frequently. In terms of the return rate after conditional release, on the other hand, there are no differences between people with more or less temporary absences.

1 Einleitung

Vollzugslockerungen stellen ein wesentliches Instrument dar, um während aufrechter Freiheitsentziehung einen Kontakt zur Welt außerhalb des Vollzuges zu ermöglichen und auf diesem Weg auf das Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Lockerungsmaßnahmen leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung eines geeigneten Entlassungssettings und der Etablierung von Rahmenbedingungen, die ein Leben ohne Kriminalität unterstützen sollen. In Unterbringungsformen, die aufgrund einer besonderen Gefährlichkeit der Betroffenen angeordnet wurden, werden Erprobungsmöglichkeiten für das künftige Leben außerhalb des Vollzuges besonders benötigt. Dies trifft auch auf den österreichischen Maßnahmenvollzug zu, das Pendant zum deutschen Maßregelvollzug. Dieser kommt bei psychisch kranken Personen aufgrund ihrer prognostizierten Gefährlichkeit nach Begehung einer Anlasstat zum Einsatz. Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Praxis von Lockerungen im Maßnahmenvollzug, wobei hierbei besonderes Augenmerk auf die Häufigkeit der Durchführung von Lockerungen sowie mögliche Zusammenhänge mit einer späteren Wiederkehr der untergebrachten Personen gelegt wird.

Im Folgenden wird zu Beginn das System des österreichischen Maßnahmenvollzugs überblicksartig dargestellt, bevor auf die Möglichkeit der Durchführung von Lockerungen bei dieser Form des Freiheitsentzuges eingegangen wird. Im Anschluss werden die Ergebnisse von zwei empirischen Untersuchungen zum Maßnahmenvollzug vorgestellt, die sich unter anderem mit der Frage von Lockerungsmaßnahmen befassen. Daraus ableitbare Erkenntnisse werden diskutiert.

2 Der österreichische Maßnahmenvollzug

2.1 Allgemeines

Das österreichische Strafrechtssystem sieht neben der Geld- und Freiheitsstrafe als sog. »zweite Spur« die Möglichkeit von mit Freiheitsentzug verbundenen vorbeugenden Maßnahmen vor, geregelt in §§ 21 – 23 öStGB. In der Praxis besonders wesentlich ist die Unterbringung nach § 21 öStGB (Stempkowski, 2022). Diese betrifft Personen, die unter dem Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine strafbare Handlung gesetzt haben, weshalb sie ihr Verhalten nicht oder nur eingeschränkt kontrollieren konnten, und von denen aufgrund dieser Umstände auch künftig eine Gefährdung ausgeht (Lengauer, 2022). Neben dieser Gefährlichkeit muss eine Anlasstat in Form eines Delikts gesetzt worden sein, das mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Liegt die Strafdrohung allerdings unter drei Jahren Freiheitsstrafe, so ist zusätzlich die zu erwartende Prognosetat zu berücksichtigen. Nur dann, wenn entweder mit einer Tat gegen Leib und Leben mit mehr als zwei Jahren Strafdrohung oder einer Tat gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe gerechnet werden muss, ist eine Einweisung aufgrund einer solchen Anlasstat möglich.[1] Delikte gegen fremdes Vermögen können generell nur dann Anlasstaten darstellen, wenn sie unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben begangen werden (Ratz, 2011a). Anders als bei regulären Verurteilungen erfolgt die strafrechtliche Unterbringung auf unbestimmte Zeit. Die Notwendigkeit der weiteren Anhaltung muss gemäß § 25 öStGB jährlich durch das Vollzugsgericht überprüft werden (Ratz, 2011b).

§ 21 öStGB unterscheidet zwischen Personen, die im Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig waren (Abs. 1), und solchen, die zurechnungsfähig waren (Abs. 2), wobei beide unter dem Einfluss einer nachhaltigen psychischen Störung agiert haben müssen. Zurechnungsunfähigkeit umschreibt nach § 11 öStGB einen Zustand, in dem die betroffene Person das Unrecht ihrer Tat nicht einsehen und/oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (Höpfel, 2012). In der Praxis handelt es sich primär um Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Stempkowski, 2022; Stangl, Neumann, & Leonhardmair, 2012; Schanda & Stompe, 2010). Personen, die nach § 21 Abs. 2 StGB untergebracht werden, erhalten zusätzlich zu der strafrechtlichen Unterbringung auch eine Strafe. Die Zeit der Anhaltung in der Maßnahme, die zuerst durchgeführt wird und solange andauert, bis die einweisungsrelevante Gefährlichkeit abgebaut werden konnte, wird auf die Strafzeit angerechnet, so dass diese nur mehr dann absolviert werden muss, wenn die Unterbringung in der Maßnahme kürzer dauert. Dies ist in der Praxis äußerst selten der Fall, da in der Regel die Unterbringung weit über das Strafende hinausgeht. Die vorherrschende Psychopathologie bei Einweisungen dieser Art stellen Persönlichkeitsstörungen dar, gefolgt von oft komorbid attestierten Störungen durch psychotrope Substanzen. Darüber hinaus zeigen sich bei etwa einem Viertel der Untergebrachten Störungen der Sexualpräferenz (Stempkowski, 2022; Frottier, 2010; Stangl, Neumann, & Leonhardmair, 2012).

Der Vollzug einer Maßnahme nach § 21 öStGB hat grundsätzlich in einem forensisch-therapeutischen Zentrum zu erfolgen.[2] Nach § 21 Abs. 1 öStGB untergebrachte Personen können bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen alternativ auch in einem öffentlichen Krankenhaus für Psychiatrie angehalten werden, während bei nach § 21 Abs. 2 öStGB untergebrachten Personen gemäß § 158 Strafvollzugsgesetz (StVG) alternativ eine Unterbringung in besonderen Abteilungen von regulären Justizanstalten möglich ist (Drexler & Weger, 2022). Es erfolgt eine Behandlung und Betreuung durch ein multiprofessionelles Team, dem in der Regel der psychiatrische, psychologische und soziale Dienst angehört, darüber hinaus kommen ergotherapeutische Maßnahmen ebenso bedarfsbezogen zum Einsatz wie sozialpädagogische Betreuung (Kada, 2022). Wenngleich es sich somit um eine umfassende, ganzheitliche Betreuung handeln sollte, ist es im vollzuglichen Alltag aufgrund von Überbelag und Personalknappheit oftmals nicht möglich, sämtliche Behandlungsstandards einzuhalten (BMVRDJ, 2019).

Ist es nach Ansicht des Vollzugsgerichts gelungen, die einweisungsrelevante Gefährlichkeit abzubauen, ist die betroffene Person aus der Unterbringung unter Festlegung einer Probezeit von je nach Strafdrohung des Anlassdelikts fünf bzw. zehn Jahren bedingt zu entlassen. Dies kann unter Auflage verschiedener Weisungen erfolgen, die bspw. den Wohnort, die Tagesbeschäftigung, den Medikamentenkonsum oder die Inanspruchnahme therapeutischer Angebote betreffen können (Ratz, 2020; Birklbauer, 2022). Darüber hinaus kann Unterstützung durch die Bewährungshilfe angeordnet werden.

2.2 Lockerungsmaßnahmen und Unterbrechungen der Unterbringung

Zur Vorbereitung einer bedingten Entlassung stehen den Verantwortlichen im Maßnahmenvollzug verschiedene Lockerungsmaßnahmen zur Verfügung, die regelmäßig in Form eines Stufenplanes zur Anwendung kommen (Kada, 2022). Sie sollen die Betroffenen auf ein Leben außerhalb des Vollzuges und die damit einhergehenden Herausforderungen vorbereiten sowie eine Möglichkeit der Erprobung darstellen, ob die im Rahmen der Behandlungen erreichten Fortschritte eine solche Form der Freiheitsgewährung bereits erlauben (Müller, et al., 2017). Wenngleich das grundlegende Vorgehen hier österreichweit einheitlich ist, zeigen sich in der Praxis regelmäßig große Unterschiede zwischen den betreuenden Institutionen hinsichtlich der Kriterien für eine Lockerungsentscheidung sowie der konkreten Umsetzung dieses Vorhabens (Kitzberger, Engel, & Nosko, 2016). Im Folgenden wird ein prototypischer Verlauf geschildert.

In einem ersten Schritt erfolgen in der Regel durch das Personal begleitete Ausgänge (Kada, 2022). Voraussetzung hierfür ist eine grundsätzliche Paktfähigkeit, aufgrund derer den Betroffenen das Vertrauen entgegengebracht werden kann, die Lockerungsmaßnahmen nicht zu missbrauchen. Steuerungsmöglichkeiten bestehen sowohl hinsichtlich des zahlenmäßigen Verhältnisses von Personal und Untergebrachten als auch hinsichtlich der Umgebung, die für den Ausgang gewählt wird. So kann es sich bspw. um den Aufenthalt in einer reizarmen Umgebung handeln, wie einen Park oder ein Waldstück, oder um belebtere Orte, wie etwa einen Supermarkt. Im Fall einer Bewährung bei dieser Form der Lockerung kann es in weiterer Folge zu Ausgängen kommen, die nicht durch das Personal begleitet werden. Diese Ausgänge können somit entweder allein erfolgen oder gemeinsam mit anderen Personen, wie bspw. Angehörigen, Vertreter*innen der Bewährungshilfe oder auch verlässlichen Mitgefangenen (Aigner-Reisinger & Kitzberger, 2022).

Schließlich sieht § 166 Abs. 2 lit. b StVG eine besondere Lockerungsform für den Maßnahmenvollzug vor, die im regulären Strafvollzug nicht zur Verfügung steht, die sog. Unterbrechung der Unterbringung. Hierbei leben die Untergebrachten für einen längeren Zeitraum außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums, entweder in einer eigenen Wohnung oder – in der Praxis deutlich häufiger – in einer betreuten Einrichtung (Lengauer & Schmollmüller, 2022). Hierdurch soll ein möglichst realistisches Bild darüber gewonnen werden, ob die untergebrachte Person für ein solches Setting bereit und somit eine bedingte Entlassung möglich ist (Kitzberger, Engel, & Nosko, 2015). Dementsprechend wird angestrebt, die Unterbrechung der Unterbringung in jener Umgebung durchzuführen, die auch nach der Entlassung als Empfangsraum fungieren soll. Handelt es sich um ein Probewohnen in einer betreuten Einrichtung, kann auf diesem Wege auch ermittelt werden, ob die konkrete Institution in diesem Fall geeignet ist, zumal grundsätzlich unterschiedliche Einrichtungen mit variierendem Intensitätslevel an Betreuung und Kontrolle zur Verfügung stehen (Engel & Kitzberger, 2018). Die Dauer einer solchen Unterbrechung ist gesetzlich für maximal ein Monat vorgesehen, allerdings kommt es in der Praxis häufig zu einer konsekutiven Durchführung mehrerer Unterbrechungen, so dass ein mehrere Monate dauernder Aufenthalt in einer betreuten Einrichtung absolviert wird (Drexler & Weger, 2022). Über die Gewährung der Unterbringung entscheidet die Anstaltsleitung, handelt es sich aber um einen Zeitraum von über zwei Wochen, ist das Vollzugsgericht damit zu befassen (Lengauer & Schmollmüller, 2022). Die Gewährung kann von der Einhaltung bestimmter Auflagen abhängig gemacht werden, die als erforderlich angesehen werden.

3 Lockerungspraxis im österreichischen Maßnahmenvollzug

3.1 Untersuchungsbeschreibung

3.1.1 Fragestellung und Hypothesen

Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Praxis der Gewährung und Durchführung von Lockerungsmaßnahmen im österreichischen Maßnahmenvollzug. Hierzu liegen bisher nur wenig Daten vor. Für die Zwecke dieser Studie werden als Lockerungen begleitete und unbegleitete Ausgänge ebenso berücksichtigt wie Unterbrechungen der Unterbringung. Es wird untersucht, wie häufig welche Art der Lockerungsmaßnahme zum Einsatz gelangt und welchen Personen diese gewährt werden. Hierbei soll beleuchtet werden, ob Merkmale identifiziert werden können, die Prädiktoren für die Gewährung von Lockerungen darstellen.

In einem zweiten Schritt soll geprüft werden, ob zwischen der Durchführung von Lockerungsmaßnahmen und einer späteren Wiederkehr in das Vollzugssystem ein Zusammenhang feststellbar ist. Entsprechend den Ergebnissen aus der Literatur wird vermutet, dass Lockerungsmaßnahmen sich positiv auf die spätere Legalbewährung auswirken (Helmus & Ternes, 2017; Wong, Bouchard, Gushue, & Lee, 2018). Hierbei ist nicht nur die unmittelbare Korrelation zwischen diesen beiden Faktoren von Interesse, sondern es werden weitere Variablen miteinbezogen, die einen Einfluss auf eine Rückkehr in das Strafsystem haben können.

3.1.2 Stichprobenbeschreibung

Die dieser Auswertung zugrunde liegenden Daten wurden in den Jahren 2016 bis 2018 im Rahmen von zwei Forschungsprojekten erhoben, die sich mit der Frage der zum damaligen Zeitpunkt seit längerem sinkenden Wiederkehrerrate im Maßnahmenvollzug befassten, wobei eine Untersuchung auf zurechnungsfähige Personen abzielte, während die zweite Untersuchung zurechnungsunfähige Personen umfasste (Stempkowski 2020a; Stempkowski 2020b). Da es sich um dasselbe Forschungs- und Erhebungsdesign handelte, werden die Daten für die nunmehrige Auswertung zusammengenommen. Als Informationsgrundlage dienten verschiedene Akten der Strafverfolgungs- und -vollzugsbehörden, teilweise aus den gerichtlichen Verfahren (Hauptverhandlung, Verfahren zur bedingten Entlassung), teilweise Akten aus dem Vollzug selbst. Nicht in allen Fällen konnten sämtliche gewünschten Informationen erhoben werden, wo dies nicht der Fall war, wurde der Wert der betroffenen Variable als fehlend codiert.

Der gemeinsame Datensatz umfasste ursprünglich insgesamt 321 Personen. Jene 14 Fälle, zu denen gar keine Informationen bezüglich der Durchführung von Lockerungsmaßnahmen vorlagen, wurden aus der Datenbank entfernt. Nach ersten Analysen wurden darüber hinaus auch jene Personen, die nicht über eine österreichische Staatsbürgerschaft verfügten, für die Auswertungen nicht berücksichtigt. Hierbei handelte es sich um 39 Personen. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass es bei einem Teil dieser Personen nach ihrer Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug zu einer Abschiebung in ihr Heimatland kam. Ist bereits während des Vollzuges absehbar, dass die Person künftig nicht in Österreich leben wird, ist davon auszugehen, dass sowohl hinsichtlich Behandlungsmaßnahmen während der Unterbringung als auch hinsichtlich Lockerungen und Maßnahmen der Nachbetreuung andere Vorgehensweisen gewählt werden als dies bei Personen der Fall ist, die auf ein straffreies Leben in Österreich vorbereitet werden sollen. Da keine detaillierten Informationen darüber vorlagen, bei wie vielen Personen eine Abschiebung erfolgen würde, wurde entschieden, sämtliche Personen mit einer anderen Staatsbürgerschaft aus der Datenbank zu entfernen.

Die vorliegenden Daten betreffen somit nunmehr insgesamt 268 Personen, wovon rund zwei Drittel (67,8 % bzw. 171 Personen) nach § 21 Abs. 1 öStGB untergebracht gewesen waren und rund ein Drittel (36,2 % bzw. 97 Personen) nach § 21 Abs. 2 öStGB. Bei den untersuchten Personen handelte es sich rein um männliche Untergebrachte. Die Untersuchungsgruppe teilt sich in zwei Zeiträume auf: Etwa ein Drittel (31,3 % bzw. 84 Personen) der Untersuchten wurde in den Jahren 2000–2002 aus einer Maßnahmenunterbringung entlassen. Weitere zwei Drittel der Untersuchten (68,6 % bzw. 184 Personen) wurden in den Jahren 2010–2012 entlassen. Die unterschiedlichen Zeiträume wurden im Rahmen der ursprünglichen Untersuchungen gewählt, um jeweils einen fünfjährigen Beobachtungszeitraum zur Untersuchung einer möglichen Wiederkehr nach der bedingten Entlassung zur Verfügung zu haben.

Im Hinblick auf die gesamte Untersuchungsgruppe zeigte sich, dass insgesamt weniger als ein Fünftel (17,2 % bzw. 46 Personen) innerhalb eines fünfjährigen Beobachtungszeitraums nach der bedingten Entlassung in eine Form des Freiheitsentzuges zurückkehrte. Hiervon umfasst waren sowohl erneute Einweisungen oder Verurteilungen als auch eine Wiederkehr aufgrund eines Weisungsbruchs und eines daraufhin erfolgenden Widerrufs der bedingten Entlassung. Keine Daten liegen hingegen dazu vor, wie viele Personen nach ihrer bedingten Entlassung zu einer Geldstrafe oder einer bedingt nachgesehenen Haftstrafe/Einweisung verurteilt wurden bzw. eine Diversion erhielten.

Bezogen auf die Legalbiografie der Untergebrachten wurden unterschiedliche Zeitpunkte erhoben. Bei ihrer ersten Verurteilung bzw. Einweisung, die nur in wenigen Fällen deckungsgleich war mit der aktuellen Einweisung, waren die Probanden im Durchschnitt 32.3 Jahre alt (SD = 15.3), wobei sich die Bandbreite hier von 14 bis 79 Jahre erstreckte. Bei der Tat, die nunmehr zu der Einweisung führte, waren die Personen durchschnittlich 37.9 Jahre (SD = 13.4; mind. 14, max. 78 Jahre). Bei der Einweisung selbst lag das Durchschnittsalter bei 39 Jahren (SD = 13.2; mind. 14, max. 79 Jahre), bei der Entlassung bei 43.7 Jahren (SD = 13.2; mind. 20, max. 81 Jahre).

Im Durchschnitt wiesen die Probanden 3.9 Vorstrafen auf (Mdn = 1; SD = 6.5), wobei sich hier eine sehr große Bandbreite von keiner bis zu 34 Vorstrafen zeigte. Der Großteil der Untergebrachten (163 Personen, 67.4 %) hatte zum Zeitpunkt der Einweisung bereits Hafterfahrung, während rund ein Drittel (79 Personen, 36.6 %) bisher keinen Freiheitsentzug erlebt hatten.

Die nachfolgende Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die prozentuelle Verteilung der von den untergebrachten Personen gesetzten führenden Delikte, wobei diese nach Deliktskategorien aufgelistet werden.

Tabelle 1:

Übersicht über die von den Untergebrachten gesetzten führenden Deliktsbereiche in Prozent

  

Gesamtstichprobe

Zurechnungsunfähige Personen

Zurechnungsfähige Personen

Delikt gegen Leib und Leben

33.2

38.8

20.8

Delikt gegen die Freiheit

29.1

38

 9.1

Delikt gegen fremdes Vermögen

 7.3

 5.3

11.7

Gemeingefährdendes Delikt

 8.1

 7.6

 9.1

Delikt gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung

19.4

 6.5

48.1

Delikt gegen die Staatsgewalt

2.8

3.5

1.3

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bei den zurechnungsunfähigen Personen einerseits und den zurechnungsfähigen Untergebrachten andererseits jeweils andere Deliktsbereiche vorherrschend waren. Berücksichtigt man nur die drei vorrangigen Deliktsbereiche (Delikte gegen Leib und Leben, die Freiheit und die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung), so zeigt sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen (χ²(2) = 69.45, p < .001, V = .586).

Unterschiede zeigten sich auch hinsichtlich jener psychiatrischen Diagnosen, die im Zuge des Einweisungsverfahrens im obligatorisch einzuholenden Sachverständigengutachten genannt wurden. So wurde bei 117 Personen (60.6 %) eine Störung aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. 60 Personen (31.1 %) erhielten die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, 70 Personen (36.3 %) litten an einer Störung durch psychotrope Substanzen. Bei 20 Personen (10.4 %) wurde eine Intelligenzminderung festgestellt und 25 Personen (13 %) erhielten die Diagnose einer Störung der Sexualpräferenz. Häufig wurde mehr als eine Störung diagnostiziert, woraus sich die Überschreitung von 100 % ergibt. Auch hier zeigten sich Unterschiede zwischen der Gruppe der zurechnungsunfähigen und jener der zurechnungsfähigen Personen. Während bei den zurechnungsunfähigen Personen Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis mit 79 % vorherrschend waren (132 Personen), wurden den zurechnungsfähigen Personen wesentlich häufiger Persönlichkeitsstörungen attestiert (70.1 %, 61 Personen).

Durchschnittlich befanden sich die Personen für 57.6 Monate (Mdn = 43; SD = 49) in der Maßnahmenunterbringung. Auch hierbei zeigte sich eine große Spannbreite, der kürzeste Aufenthalt betrug zwei Monate, der längste 292 Monate.

Für die nunmehrige Auswertung von zentralem Interesse war die Frage der Durchführung von Lockerungsmaßnahmen. Diesbezüglich wurden sowohl begleitete und unbegleitete Ausgänge als auch Unterbrechungen der Unterbringung erhoben, soweit diese Informationen aus den Vollzugs- bzw. Gerichtsakten ersichtlich waren. Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse sind nicht Teil früherer Veröffentlichungen, da es sich um eigens durchgeführte Auswertungen handelt.

3.1.3 Analytisches Vorgehen

Zunächst wurde in der Gesamtstichprobe die Häufigkeit der verschiedenen Lockerungsmaßnahmen erhoben. Im Anschluss wurde die Gesamtstichprobe für die weiteren Untersuchungen in zwei Gruppen eingeteilt: i) Personen, die keinerlei Lockerungen durchlaufen oder lediglich Lockerungen in Form begleiteter Ausgänge absolviert haben und ii) Personen, die unbegleitete Ausgänge und/oder Unterbrechungen der Unterbringung durchlaufen haben. Bei der ersten Gruppe handelte es sich somit um Personen, die keine Form einer Freiheitserprobung erfahren haben, bei der sie selbständig und eigenverantwortlich agieren konnten. Demgegenüber umfasste die zweite Untersuchungsgruppe Personen, die in einem hohen Maß Freiheitserprobung ohne eine Form von Kontrolle absolviert haben. Obwohl bei Unterbrechungen der Unterbringung ein noch größeres Maß an Eigenständigkeit gegeben ist als bei unbegleiteten Ausgängen, wurde diese Unterteilung gewählt, da die Daten zum Teil einen schon recht lange zurückliegenden Zeitraum betreffen. Wenngleich Unterbrechungen der Unterbringung damals grundsätzlich bereits möglich waren und in manchen Fällen auch zum Einsatz gelangt sind, war häufig die notwendige Infrastruktur für ein Probewohnen außerhalb des Vollzugssystems noch nicht in einem Maße gegeben, wie dies in späteren Jahren der Fall war. So sind im Laufe der Zeit deutlich mehr Trägerorganisationen, in denen eine Unterbrechung der Unterbringung absolviert werden kann, hinzugekommen (Stempkowski, 2020b). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass für einen gewissen Anteil an untersuchten Personen unbegleitete Ausgänge im Rahmen der hier verwendeten Einteilung der Lockerungen die höchste Form selbständiger Freiheitserprobung dargestellt haben.

Mittels Chi2-Tests oder ungepaarten t-Tests wurde ermittelt, in welchen Merkmalen diese beiden Gruppen sich voneinander unterschieden. Waren die jeweiligen Voraussetzungen nicht erfüllt, wurde stattdessen auf den Fisher-Exact-Test/Fisher-Freeman-Halton-Exact-Test bzw. den Mann-Whitney-U-Test ausgewichen.

In einem weiteren Schritt wurde dann die Frage der Wiederkehr nach einer bedingten Entlassung aus dem Blickwinkel der Durchführung selbständiger Lockerungen näher beleuchtet. Hierfür wurde der Zusammenhang zwischen der Freiheitserprobung und der Wiederkehr zunächst bivariat untersucht. Im Anschluss wurden mit Hilfe einer binären logistischen Regression weitere Variablen in das Modell integriert, um deren Einfluss zu kontrollieren. Hierfür wurden zuerst mittels bivariater Tests (Chi2- bzw. t-Test bzw. bei Verletzung der entsprechenden Voraussetzungen Fisher-Exact-Test oder Mann-Whitney-U-Test) ermittelt, zwischen welchen in der Untersuchung erhobenen Variablen und der Wiederkehr ein statistisch signifikanter Zusammenhang vorhanden ist. Im Anschluss wurden ausgewählte Variablen, bei denen sich ein signifikanter Zusammenhang mit der Wiederkehr bzw. den selbständigen Lockerungen zeigte, in einem ersten Block in die logistische Regression integriert und in einem zweiten Block dann die Variable zur Durchführung von selbständigen Lockerungsmaßnahmen aufgenommen.

3.2 Ergebnisse

3.2.1 Durchführung von Lockerungsmaßnahmen

In einem ersten Schritt wurde die Häufigkeit der unterschiedlichen Lockerungsmaßnahmen beleuchtet. Es zeigte sich, dass beinahe sämtliche Personen eine oder mehrere Arten von Lockerungen erhalten hatten, bevor sie aus der Maßnahmenunterbringung entlassen wurden. So erhielten insgesamt 212 Personen (82.5 %) Lockerungen in Form der oben beschriebenen Ausgänge, davon 148 Personen (61.9 %) in Form begleiteter Ausgänge und 118 Personen (49.6 %) als unbegleitete Ausgänge, wobei regelmäßig eine Person sowohl begleitete als auch unbegleitete Ausgänge absolvierte. Jedoch kam es nicht in allen Fällen, in denen Personen unbegleitete Ausgänge absolvierten, zuvor zu begleiteten Ausgängen.

Unterbrechungen der Unterbringung als eine Form des Probewohnens außerhalb der Unterbringung im Vollzug bzw. der Psychiatrie wurden von 191 Personen (73.5 %) absolviert. Auch hierbei handelte es sich häufig um Personen, die zuvor bereits Ausgänge gemacht hatten.

Werden Ausgänge und Unterbrechungen der Unterbringung zusammengenommen, so zeigt sich, dass 243 Personen (90.7 %) irgendeine Form von Lockerung durchlaufen haben. Lediglich 25 Personen (9.3 %) wurden ohne Lockerungsmaßnahmen entlassen.

Somit zeigt sich folgende Verteilung der beiden Untersuchungsgruppen: Rund ein Fünftel aller Untersuchten (19.5 %, 52 Personen) erhielt während der Anhaltung im Maßnahmenvollzug keine Lockerungen oder maximal begleitete Ausgänge, während die übrigen vier Fünftel (80.5 %, 214 Personen) unbegleitete Ausgänge oder Unterbrechungen der Unterbringung absolvierten. Ein eingehender Vergleich der beiden genannten Gruppen offenbart interessante Unterschiede. Vorausgeschickt werden kann, dass primär Unterschiede hinsichtlich der Behandlung während des Vollzugs, des Entlassungsmanagements und der Nachbetreuung erkennbar sind, während sich die Differenzen kaum auf Merkmale der Personen beziehen, die Auskunft über ihr Leben vor der Unterbringung, die Psychopathologie oder die Delinquenz geben. Diese beobachteten Gruppenunterschiede zeichnen dementsprechend vorrangig ein Bild davon, welche unterschiedlichen Vorgehensweisen die betreuenden Institutionen und die Vollzugsgerichte gewählt haben und betreffen über weite Strecken keine Merkmale, die für die Frage einer Gewährung von Lockerungen von Bedeutung sind.

Tabelle 2:

Alter der Untergebrachten bei 1. Verurteilung/Einweisung, Tat, Einweisung und Entlassung, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen

  

keine selbständigen Lockerungen

selbständige Lockerungen

  

Alter bei …

M 

SD

M 

SD

T 

df

p 

1. Verurteilung bzw. 1. Einweisung

36.0

18.2

31.4

14.3

1.663

67.226

.101

einweisungsrelevanter Tat

41.6

15.7

37.1

12.7

1.899

63.489

.062

Einweisung

42.7

15.6

38.1

12.4

1.997

67.690

.050

Entlassung

47.0

15.8

43.0

12.4

1.700

67.295

.094

3.2.1.1 Alter und persönlicher Hintergrund

Hinsichtlich des Alters der betroffenen Personen an verschiedenen Punkten in ihrer Legalbiografie lassen sich keine signifikanten Gruppenunterschiede erkennen, wenngleich eine klare Tendenz an allen Punkten sichtbar wird: Sowohl hinsichtlich des Alters bei der ersten Verurteilung bzw. Einweisung, bei der für die nunmehrige Unterbringung relevanten Tat und Einweisung als auch hinsichtlich der Entlassung aus dieser Unterbringung ergab sich, dass jene Personen, die keine selbständigen Lockerungen durchliefen, durchschnittlich etwa vier Jahre jünger waren als jene Personen, die unbegleitete Ausgänge oder Unterbrechungen der Unterbringung absolvierten. Die Details können Tabelle 2 entnommen werden.

Es wurden verschiedene Merkmale erhoben, die den Zeitraum vor der Einweisung in die Maßnahme betrafen. Diese liefern eine gewisse Indikation, mit welchen Ausgangsbedingungen die Maßnahmenunterbringung begonnen wurde (siehe Tabelle 3).

Keine Differenzen in den beiden Untersuchungsgruppen zeigten sich hinsichtlich der Frage, ob die Personen vor ihrer Einweisung Alkohol missbraucht hatten, dies war jeweils etwa bei zwei Drittel der untergebrachten Personen der Fall. Ein signifikanter Unterschied fand sich hingegen hinsichtlich des früheren Missbrauchs illegaler Substanzen. Ein solcher war bei einem Viertel jener Personen, die später keine selbständigen Lockerungen durchlaufen würden, evident, hingegen bei 40 % jener Personen, die unbegleitete Ausgänge und/oder Unterbrechungen der Unterbringung absolvieren würden.

Psychiatrische, psychologische und/oder psychotherapeutische Unterstützung hatte der Großteil der Betroffenen bereits vor der Einweisung in die Maßnahme erhalten, hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Eine signifikante Differenz ergab sich allerdings bei der Frage, ob Personen bereits in der Vergangenheit zivilrechtlich nach dem Unterbringungsgesetz in einer Psychiatrie angehalten worden waren, da sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung akut selbst- und/oder fremdgefährdend agierten. Dies traf auf etwa ein Drittel der Personen ohne spätere selbständige Lockerungsmaßnahmen zu, hingegen auf mehr als die Hälfte der später selbständig gelockerten Personen.

Etwa ein Drittel der untergebrachten Personen hatte sich vor der nunmehrigen Einweisung bereits in einer Form des strafrechtlichen Freiheitsentzuges befunden, entweder in Strafhaft oder in einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug. Keine Unterschiede zeigten sich in diesem Zusammenhang bezüglich der Anzahl an Vorstrafen, die Personen vor der aktuellen Unterbringung erhalten hatten. Aufgrund ungleicher Verteilung in den beiden Gruppen (Kolmogorov-Smirnov p <.05) wurde ein Mann-Whitney-U-Test berechnet. Bei Personen ohne spätere selbständige Lockerungen lag der Median bei einer Vorstrafe, bei Personen, die selbständige Lockerungen durchlaufen würden, bei drei Vorstrafen, U = 5458.500, Z = – .114, p = .910.

3.2.1.2 Psychiatrische Erkrankungen

Erhoben wurden auch die bei den betroffenen Personen vorliegenden psychischen Erkrankungen (siehe Tabelle 4). Als Informationsquelle wurden hierfür die Sachverständigengutachten herangezogen, die während des Einweisungsverfahrens erstellt wurden.

Keine Unterschiede in der Häufigkeit zeigten sich bezüglich der Diagnosen Störung durch psychotrope Substanzen, Intelligenzminderung und Störung der Sexualpräferenz.

Signifikante Unterschiede ließen sich aber in der Häufigkeit der Diagnosen von Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis einerseits sowie von Persönlichkeitsstörungen andererseits erkennen. Während Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis bei Personen, die keine selbständigen Lockerungen durchlaufen würden, signifikant seltener diagnostiziert wurden, war bezüglich der Persönlichkeitsstörungen das Gegenteil der Fall. Diese wurden in der Gruppe jener Personen, bei denen es später zu selbständigen Lockerungsmaßnahmen kommen sollte, signifikant seltener festgestellt.

Tabelle 3:

Ausgangsbedingungen der Unterbringung, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen

  

keine selbständigen Lockerungen %

selbständige Lockerungen %

χ²

p 

V 

Alkoholmissbrauch

67.3

61.5

 .585

.513

  

Missbrauch illegaler Substanzen

24.5

40.0

4.081

.049

.127

Psychiatrische/psychologische/psychotherapeutische Betreuung

77.3

86.1

2.174

.166

  

Unterbringung nach dem UbG

31.8

51.8

5.738

.019

.156

Hafterfahrung

41.7

30.2

2.298

.168

  

Tabelle 4:

Psychiatrische Diagnosen bei der Einweisung, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen. *Aufgrund fehlender Voraussetzungen für einen Chi2-Test wurde ein Fisher-Exact-Test angewendet.

  

keine selbständigen Lockerungen %

Selbständige Lockerungen %

χ²

p 

V 

Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis

33.3

60.8

11.859

<.001

.217

Persönlichkeitsstörungen

52.1

30.9

 7.685

.007

.175

Intelligenzminderung*

12.5

11.3

  

1.000

  

Störungen durch psychotrope Substanzen

41.7

38.7

  .141

 .744

  

Störungen der Sexualpräferenz

12.5

 9.3

  .441

 .590

  

Persönlichkeitsstörungen und Störungen durch psychotrope Substanzen

27.1

15.2

 3.810

 .059

  

Da die Diagnosen einer Persönlichkeitsstörung und einer komorbiden Störung durch psychotrope Substanzen häufig zusammen gestellt werden und eine besonders negative Auswirkung auf die Risikoprognose haben (Balyakina, et al., 2014; Lund, Hofvander, Forsman, Anckarsäter, & Nilsson, 2013), wurde ein eventueller Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsgruppen überprüft. Auch wenn sich in der vorliegenden Untersuchung kein signifikanter Unterschied fand, war dennoch auch hier ein gewisser Trend erkennbar.

3.2.1.3 Deliktsbereiche und Einzeldelikte

Bemerkenswerterweise zeigten sich keinerlei Unterschiede zwischen den Gruppen in der Häufigkeit und Verteilung der Delikte, die zu der Einweisung führten (siehe Tabelle 5). In beiden Gruppen kam es am häufigsten zu Delikten gegen die Freiheit, gefolgt von Delikten gegen Leib und Leben, sowie gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. Da hier sämtliche Delikte und nicht nur die jeweils führenden Delikte erhoben wurden, unterscheidet sich diese Häufigkeit von der Angabe unter 3.1.2.

Betrachtet man die Delinquenz auf Ebene der einzelnen Delikte, zeigten sich auch hier keinerlei Unterschiede zwischen den Personen, die selbständige Lockerungen durchlaufen haben, und jenen, die ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen entlassen wurden.

3.2.1.4 Therapeutische Betreuung im Vollzug und vollzuglicher Alltag

Ganz anders gelagert stellen sich die Unterschiede dar, wenn die Behandlungen, die die Betroffenen während ihrer Unterbringung erhalten haben, genauer betrachtet werden. Erhoben wurden dabei verschiedene Therapieformen, konkret eine Betreuung im Einzelsetting und im Gruppensetting, außerdem Betreuung durch den psychiatrischen Dienst, den sozialen Dienst und ergotherapeutische Betreuung. Hinsichtlich des Gruppensettings wurde darüber hinaus erhoben, ob es sich um Therapiegruppen handelte oder um Beschäftigungsgruppen (wie bspw. eine Sportgruppe). Beinahe hinsichtlich sämtlicher dieser Betreuungsformen zeigte sich, dass jene Personen, die später keine selbständigen Lockerungsmaßnahmen durchlaufen würden, auch signifikant weniger therapeutische Angebote erhielten (siehe Tabelle 6). Lediglich bezüglich der Betreuung in einem Einzelsetting sowie im Rahmen einer Therapiegruppe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.

Bei anderen Variablen, die den vollzuglichen Alltag betreffen, zeigten sich keine Differenzen zwischen den Gruppen. So war jeweils der Großteil der Personen während der Zeit in der Unterbringung in irgendeiner Form beschäftigt. Wenngleich der Anteil an Personen, die aufgrund von Fehlverhalten Ordnungswidrigkeiten erhielten, in der Gruppe ohne selbständige Lockerungen etwas größer war, erwies sich dieser Unterschied dennoch nicht als signifikant.

3.2.1.5 Entlassungsmanagement

Hinsichtlich des Entlassungsmanagements sowie der Etablierung eines Betreuungsumfeldes nach erfolgter Entlassung zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen (siehe Tabelle 7). Einhergehend mit der geringeren Häufigkeit einer Betreuung im Vollzug ergab sich hier, dass auch hinsichtlich der Lebensumstände nach dem Vollzug jene Personen, die keine selbständigen Lockerungsmaßnahmen durchlaufen hatten, weniger Unterstützungsleistungen erhielten, aber auch weniger Kontrollmechanismen unterlagen. So wurden Personen ohne selbständige Lockerungen signifikant seltener in eine Nachbetreuungseinrichtung entlassen und sie erhielten im Zeitpunkt ihrer Entlassung auch seltener psychopharmakologische Medizin. Keine Unterschiede zeigten sich zwischen den Gruppen hingegen hinsichtlich der Häufigkeit, mit der ihnen nach ihrer Entlassung Unterstützung durch die Bewährungshilfe zukam.

Tabelle 5:

Durch die Untergebrachten gesetzte Delikte und Deliktsbereiche, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen. *Aufgrund fehlender Voraussetzungen für einen Chi2-Test wurde ein Fisher-Exact-Test angewendet.

  

keine selbständigen Lockerungen %

Selbständige Lockerungen %

χ²

p 

Deliktsbereiche

Delikt gegen Leib und Leben

30.8

37.6

 .834

 .422

Delikt gegen die Freiheit

34.6

41.3

 .782

 .431

Delikt gegen fremdes Vermögen

21.2

16.9

 .518

 .543

Gemeingefährdendes Delikt*

13.7

 8.5

  

 .286

Delikt gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung

26.9

17.4

2.454

 .168

Delikt gegen die Staatsgewalt

11.5

20.2

2.075

 .168

Einzeldelikte

Mord*

 5.8

 7.5

  

 .775

Körperverletzung

25

30.5

 .612

 .500

Nötigung

13.5

 15

 .081

 .832

Drohung

26.9

30.5

 .258

 .620

Sachbeschädigung*

 5.8

 8.9

  

 .584

Diebstahl*

 5.8

 4.7

  

1.000

Raub*

 9.6

 3.8

  

 .142

Betrug*

 3.8

 2.3

  

 .626

Brandstiftung*

13.5

 8.0

  

 .278

Vergewaltigung/geschlechtliche Nötigung

 9.6

 9.8

 .002

1.000

Sexualdelikt gegenüber Minderjährigen

19.2

11.7

2.047

 .171

Widerstand gegen die Staatsgewalt

11.5

20.2

2.075

 .168

Tabelle 6:

Therapeutische Maßnahmen und Informationen zum Alltag im Vollzug, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen.

  

keine selbständigen Lockerungen %

Selbständige Lockerungen %

χ²

p 

V 

Therapeutische Betreuung im Vollzug

Betreuung im Einzelsetting

56.5

63.3

  .733

 .404

  

Betreuung im Gruppensetting

63

79.9

 5.946

.020

.156

Therapiegruppe

65.9

77.8

 2.601

 .113

  

Beschäftigungsgruppe

22

40.6

 5.024

.032

.148

Betreuung durch sozialen Dienst

57.1

73.2

 4.845

.037

.138

Betreuung durch psychiatrischen Dienst

62.7

89.4

21.878

<.001

.291

Ergotherapeutische Betreuung

26.1

58.9

16.199

<.001

.256

Vollzuglicher Alltag

Arbeit im Vollzug

78.9

79.3

  .002

1.000

  

Ordnungswidrigkeiten

22

12.7

 2.282

 .142

  

Tabelle 7:

Entlassungsbedingungen, aufgeschlüsselt nach Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen. *Aufgrund fehlender Voraussetzungen für einen Chi2-Test wurde ein Fisher-Exact-Test angewendet.

  

keine selbständigen Lockerungen %

Selbständige Lockerungen %

χ²

p 

V 

Entlassung in eine Nachsorgeeinrichtung

 60.8

78

 6.408

.013

.157

Medikamentengabe im Entlassungszeitpunkt

 40.8

83.3

38.192

<.001

.389

Bewährungshilfe

 72

68.3

  .262

 .617

  

Weisungen

Weisungen allgemein*

100

99.5

  

1.000

  

mehrere Weisungen

 80.4

90.9

 4.576

.045

.133

Weisungen betreffend …

Wohnort

 70.6

84.7

 5.504

.026

.145

Arbeit

 15.7

21.5

  .863

 .440

  

Psychotherapie

 15.7

20.6

  .621

 .446

  

Medikamenteneinnahme

 31.4

63.6

17.443

<.001

.259

Alkoholkarenz

 25.5

50.2

10.131

.002

.197

Drogenkarenz

  5.9

29.5

12.263

<.001

.217

Suchtbehandlung*

  5.9

 6.7

  

1.000

  

Behandlung in einem forensischen Zentrum

 27.5

38.1

 2.018

 .194

  

psychiatrische Behandlung

 27.5

61.7

19.455

<.001

.274

Beinahe sämtliche Personen erhielten im Zeitpunkt ihrer bedingten Entlassung gerichtliche Weisungen, hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Jene Personen, die selbständige Freiheitserprobungen durchlaufen hatten, erhielten allerdings signifikant häufiger mehr als eine Weisung. Nachdem auch erhoben wurde, worauf sich diese Weisungen jeweils bezogen, waren in Bezug auf manche dieser Auflagen Unterschiede zwischen den Gruppen erkennbar, stets dergestalt, dass die Personen ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen weniger Weisungen erhielten. Dies war der Fall hinsichtlich folgender Weisungen: wohnen an einem bestimmten Ort, Einnahme psychopharmakologischer Medizin, Alkohol- oder Drogenkarenz (inkl. Kontrollmaßnahmen) und Inanspruchnahme von psychiatrischer Behandlung. Andere Weisungen, wie jene der Aufnahme bzw. Fortführung einer Arbeit oder Beschäftigung, der psychotherapeutischen Behandlung, der Inanspruchnahme von Unterstützung in einem forensischen Zentrum (hierbei handelt es sich um ambulante Therapieeinrichtungen mit einer Spezialisierung auf forensisch-psychiatrische Betreuung und Begleitung) und der Inanspruchnahme einer Suchtbehandlung, wurden nicht unterschiedlich häufig angeordnet.

3.2.1.6 Anhaltedauer

Anders als eine reguläre Freiheitsstrafe endet eine Unterbringung in der Maßnahme nicht zu einem vorweg festgelegten Zeitpunkt, sondern dann, wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die einweisungsrelevante Gefährlichkeit abgebaut werden konnte. Dementsprechend wurde die Anhaltedauer der Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen miteinander verglichen. Aufgrund ungleicher Verteilung in den beiden Gruppen (Kolmogorov-Smirnov p <.05) wurde ein Mann-Whitney-U-Test berechnet. Personen ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen waren zwar regelmäßig kürzer untergebracht (Mdn = 47), dies unterschied sie aber nicht signifikant von Personen, die unbegleitete Ausgänge und/oder Unterbrechungen der Unterbringung durchlaufen hatten (Mdn = 65), U = 4988.500, Z = –1.130, p = .367.

Bei jenen Personen, die nach § 21 Abs. 2 öStGB eingewiesen worden waren und somit neben der Unterbringung auch eine Freiheitsstrafe erhalten hatten, konnte außerdem ermittelt werden, ob sie vor dem Ende ihrer Strafzeit, mit dem Strafende oder erst danach aus der Maßnahmenunterbringung entlassen wurden. Hier zeigte sich ein signifikanter Unterschied. Während Personen, die selbständige Lockerungen erhalten hatten, in aller Regel erst nach dem Ende ihrer Strafzeit entlassen wurden, kam es bei den Personen ohne selbständige Lockerungen wesentlich häufiger zu einer Entlassung vor oder mit dem Strafende. So wurden bei den Personen mit selbständigen Lockerungen 89.1 % nach dem Ende ihrer Strafzeit entlassen, niemand mit Strafende und 10.9 % vor dem Strafende. Bei jenen Personen, die keine selbständigen Lockerungen erhalten hatten, wurden 65.6 % nach ihrem Strafende entlassen, 3.1 % mit dem Strafende und 31.3 % vor dem Ende ihrer Strafzeit. Nimmt man jene Personen, die vor und mit dem Ende ihrer Strafzeit entlassen wurden, in eine Kategorie zusammen, zeigte sich ein signifikanter Unterschied (χ² = 7.692, p = .011, V = 0.283).

Dementsprechend zeigten sich auch Unterschiede beim Vergleich der Differenz in Monaten, die sich zwischen dem Ende der Strafzeit und der bedingten Entlassung ergab. Bei Personen ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen lag der Median bei 13 Monaten, bei Personen mit selbständigen Lockerungsmaßnahmen hingegen bei 25 Monaten. Aufgrund ungleicher Verteilung in den beiden Gruppen (Kolmogorov-Smirnov p <.05) wurde ein Mann-Whitney-U-Test berechnet. Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied, U = 545.500, Z = –3.731, p = .002, r = – .316.

3.2.1.7 Geografische Verteilung

Schließlich zeigte sich kein Unterschied in der Frage, in welchem der vier österreichischen Oberlandesgericht-Sprengel die betroffenen Personen entlassen wurden. So wurden 46,9 % der Personen ohne selbständige Lockerungen und 41.2 % der Personen mit selbständigen Lockerungen im OLG-Sprengel Linz entlassen, 28.6 % der nicht selbständig gelockerten Personen wurden im OLG-Sprengel Wien entlassen, bei den selbständig gelockerten Untergebrachten waren es hingegen 34.6 %. 20.4 % der nicht selbständig gelockerten und 14.2 % der selbständig gelockerten Untergebrachten wurden im OLG-Sprengel Graz entlassen. Schließlich wurde über 4.1 % der Entlassungen der nicht selbständig gelockerten Untergebrachten und über 10 % der selbständig gelockerten Untergebrachten im OLG-Sprengel Innsbruck entschieden (χ² = 3.277, p = .351).

3.2.2 Lockerungsmaßnahmen und Wiederkehr

In nächsten Schritt wurde untersucht, ob sich Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Lockerungsmaßnahmen und einer eventuellen Wiederkehr in das Strafsystem innerhalb von fünf Jahren nach der bedingten Entlassung zeigten. Hierbei wurde zuerst ein bivariater Zusammenhang untersucht, wobei wieder Personen mit selbständigen Lockerungserfahrungen mit jenen ohne diese Freiheitserprobungen verglichen wurden, bevor in einem multivariaten Modell verschiedene Prädiktoren mitberücksichtigt wurden.

Es zeigte sich, dass Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen annähernd gleich häufig innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Entlassung in das Vollzugssystem zurückkehrten. So war dies bei 18.9 % der Personen, die keine selbständigen Lockerungen durchlaufen hatten, der Fall, bei den Personen mit diesen Freiheitserprobungen waren es 16.7 % (χ² = .135, p = .713).

Um sicherzustellen, dass dieses Ergebnis nicht durch weitere entscheidende Faktoren beeinflusst wurde, wurden im Anschluss mittels einer binären logistischen Regression weitere ausgewählte Variablen in das Modell integriert, die mit der Frage der Wiederkehr bzw. der Durchführung selbständiger Lockerungen in einem signifikanten Zusammenhang standen. Erst im Anschluss wurden die selbständigen Lockerungsmaßnahmen in das Modell aufgenommen. Doch auch bei Kontrolle dieser Einflussfaktoren zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Durchführung von Lockerungsmaßnahmen und einer Wiederkehr in das Justizsystem. Die folgende Tabelle 8 enthält die wesentlichen Details.

Tabelle 8:

Kennwerte binäre logistische Regression (n = 192), Block 1: ausgewählte signifikante Zusammenhänge mit ›Wiederkehr‹ bzw. mit ›Durchführung selbständiger Lockerungsmaßnahmen‹, Block 2: selbständige Lockerungsmaßnahmen

  

ß 

SE

Wald

p 

Odds Ratio

95 % Konfidenzintervall für Odds Ratio

  

  

  

  

  

  

unterer Wert

oberer Wert

Alter bei Entlassung

–0,055

0,024

5,163

0,023

0,947

0,903

0,992

Vorstrafenanzahl

 0,104

0,039

7,136

0,008

1,109

1,028

1,197

Alkoholmissbrauch

 0,232

0,546

0,18

0,671

1,261

0,433

3,675

Missbrauch illegaler Substanzen

 0,342

0,562

0,37

0,543

1,408

0,468

4,236

Delikt gegen fremdes Vermögen

 0,135

0,569

0,056

0,813

1,144

0,375

3,49

Widerstand gegen die Staatsgewalt

–1,742

1,109

2,469

0,116

0,175

0,02

1,538

Störung aus dem schizophrenen Formenkreis

–0,804

0,658

1,494

0,222

0,448

0,123

1,625

Persönlichkeitsstörung

–0,204

0,561

0,133

0,716

0,815

0,271

2,447

Betreuung durch sozialen Dienst

–0,976

0,54

3,271

0,071

0,377

0,131

1,085

Betreuung durch psychiatrischen Dienst

–0,237

0,642

0,136

0,712

0,789

0,224

2,776

Ordnungswidrigkeiten

–0,059

0,638

0,009

0,926

0,942

0,27

3,292

selbständige Lockerungen

 0,47

0,653

0,52

0,471

1,601

0,445

5,753

Konstante

 0,672

1,27

0,279

0,597

1,957

  

  

4 Diskussion

4.1 Individualisierte Durchführung von Lockerungsmaßnahmen

Lockerungen stellen ein wesentliches Instrument zur Erreichung des Vollzugszwecks einer Resozialisierung der Personen im Straf- und Maßnahmenvollzug dar. Für den Maßnahmenvollzug sind sie deswegen von besonders großer Bedeutung, weil in dieser Form des Freiheitsentzuges anders als im regulären Strafvollzug der (spätestmögliche) Zeitpunkt der Entlassung nicht von Beginn an feststeht. Vielmehr muss durch das Vollzugsgericht jährlich aufgrund der Berichte der Fachdienste aus dem Vollzug, gegebenenfalls eines Sachverständigengutachtens und des Eindrucks, den sich das Gericht in einer Anhörung von den Untergebrachten macht, entschieden werden, ob die einweisungsrelevante Gefährlichkeit abgebaut werden konnte, so dass eine bedingte Entlassung nunmehr möglich ist. Lockerungsmaßnahmen, sowohl in Form von begleiteten und unbegleiteten Ausgängen als auch in der Form der nur für den Maßnahmenvollzug vorgesehenen Unterbrechung der Unterbringung, stellen dabei ein zentrales Erprobungs- und Informationsinstrument dar, um die Bereitschaft der Untergebrachten für ein Leben außerhalb des Vollzugssettings zu eruieren. Dementsprechend häufig finden sie in der Praxis Anwendung. In der hier untersuchten Stichprobe von in den Jahren 2000 bis 2002 bzw. 2010 bis 2012 aus dem Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 öStGB entlassenen Personen durchliefen beinahe 90 % der Untergebrachten zumindest eine Form der Lockerungsmaßnahmen.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen allerdings auf, dass von Seiten der Vollzugsbehörden hier ein abgestuftes Vorgehen gewählt wurde. So erhielten nicht sämtliche Personen jede grundsätzlich zur Verfügung stehende Form von Lockerung. Vielmehr wurde im Einzelfall unterschieden, ob, welche und wie viele Lockerungsmaßnahmen durchgeführt werden. Bei einer Betrachtung, ob Personen selbständige Lockerungen in Form von unbegleiteten Ausgängen und/oder Unterbrechungen der Unterbringung durchlaufen haben, zeigt sich, dass dies in der Stichprobe bei über 80 % und somit der Mehrheit der Personen der Fall war. Demgegenüber wurden allerdings knapp 20 % der Personen aus der Unterbringung entlassen, ohne zuvor selbständige Freiheitserprobungen absolviert zu haben. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass durch die Vollzugsbehörden ein Selektionsprozess durchgeführt wird, in welchen Fällen Lockerungsmaßnahmen eingesetzt werden. Die Daten belegen, dass sich dieser Auswahlprozess aber nicht isoliert auf Lockerungsmaßnahmen bezieht, sondern vielmehr den gesamten Prozess der verschiedenen Behandlungen im Vollzug, des Entlassungsmanagements (etwa hinsichtlich einer Medikamentengabe im Entlassungszeitpunkt und der Häufigkeit verschiedener Weisungen) und der Strukturierung des Empfangsraums durch Entlassung in eine Nachsorgeeinrichtung betrifft. Lockerungen stellen somit nur einen Teil dieser Betreuungspakete dar und gliedern sich in die jeweilige Behandlungsstrategie ein.

Anhand der Unterscheidung, ob selbständige Lockerungen erfolgt sind oder nicht, lassen sich daher in der vorliegenden Stichprobe zwei Gruppe unterscheiden. So ergibt sich einerseits das Bild einer Gruppe von Personen, die die meisten Formen therapeutischer Maßnahmen im Vollzug häufiger durchlaufen, öfter Lockerungsmaßnahmen absolvieren, im Zuge ihrer Entlassung verschiedene Weisungen häufiger erhalten, öfter in eine Nachbetreuungseinrichtung entlassen werden und im Entlassungszeitpunkt häufiger psychopharmakologische Medizin erhalten. Diese Personen befinden sich tendenziell länger in der Unterbringung, wenngleich es sich hierbei nicht um einen signifikanten Unterschied handelt. Bei einer Einweisung nach § 21 Abs. 2 öStGB, bei der neben der Unterbringung auch eine Strafe verhängt wird, zeigte sich, dass diese Personen häufiger erst nach ihrem Strafende entlassen werden und die zeitliche Differenz zwischen dem Strafende und dem Zeitpunkt der Entlassung länger war. Demgegenüber steht eine Gruppe, deren Mitglieder weniger Behandlung, weniger Lockerungsmaßnahmen und weniger Weisungen erhalten. Diese Personen werden seltener in ein professionell geführtes Nachbetreuungssetting entlassen, sie erhalten im Entlassungszeitpunkt seltener Psychopharmaka und befinden sich insgesamt tendenziell kürzer im Vollzug.

4.2 Mögliche Hintergründe der Selektion

Anhand welcher Merkmale die Selektion in diese beiden Gruppen vorgenommen wird, geht aus den vorliegenden Daten nicht eindeutig hervor, wenngleich gewisse Hinweise für eine von Beginn an bestehende Unterschiedlichkeit der Gruppen erkennbar sind, die differenzierte Behandlungs- und Kontrollstrategien notwendig macht. Da es sich aber primär um Unterschiede in einzelnen Faktoren handelt, die kein gänzlich konsistentes Bild ergeben, kann es sich lediglich um Überlegungen hinsichtlich der zugrundeliegenden Strukturen handeln, deren Konkretisierung weiterer Untersuchungen bedarf.

Anzunehmen ist, dass der Selektion eine grundlegende Einschätzung der Behandlungs- und Kontrollbedürftigkeit der einzelnen Personen zugrunde liegt. Die vorliegenden Daten liefern einige Hinweise dafür, dass jene Personen, die mehr Behandlung, mehr Lockerungen und mehr Nachbetreuung erhalten haben, von Beginn an ein höheres Risiko einer erneuten Delinquenz aufgewiesen haben. So lag bei diesen Personen in der Vergangenheit häufiger der Missbrauch illegaler Substanzen vor. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass deren Konsum das Risiko einer Straffälligkeit deutlich erhöht (Karlsson & Håkansson, 2022; Balyakina, et al., 2014). Die häufigere Weisung einer Drogenabstinenz in Verbindung mit entsprechenden Kontrollmaßnahmen könnte auf diese Vorgeschichte zurückzuführen sein. Auch befanden sich diese Personen öfter in einer zivilrechtlichen Unterbringung, was den Schluss nahelegt, dass in der Vergangenheit öfter aufgrund akuter Selbst- oder Fremdgefährdung ein strukturierendes und kontrollierendes Umfeld benötigt wurde, ähnlich jenem, das nach einer bedingten Entlassung in einer Nachbetreuungseinrichtung vorgefunden werden kann. Auch zeigte sich, dass diese Personen an verschiedenen Punkten ihrer Legalbiografie (erste Verurteilung/Einweisung, aktuelle Tat, Einweisung, Entlassung) tendenziell jünger gewesen waren. Es ist bekannt, dass mit steigendem Alter die Wahrscheinlichkeit kriminellen Verhaltens abnimmt (sog. ›age-crime-curve‹, siehe McVie, 2005; DeLisi, 2015). Demgegenüber stellt das jüngere Alter eher einen Risikofaktor dar, den es durch Behandlung und Kontrolle abzufangen gilt. Ebenfalls als nicht signifikant, aber mit eindeutiger Tendenz erwiesen sich Unterschiede in der Vorstrafenbelastung der beiden Gruppen. So lag der Median der Gruppe, die mehr an Behandlung und Kontrolle erfahren würde, mit drei Vorstrafen deutlich über jenem der anderen Gruppe mit einer Vorstrafe. Gerade frühere Delinquenz und deren Ausmaß stellen einen wesentlichen Risikofaktor für künftige Straftaten dar (Bonta, Law, & Hanson, 1998; Witt, van Dorn, & Fazel, 2013). Es ist daher davon auszugehen, dass diese Information als ein wesentlicher Prädiktor für die Durchführung von Behandlungen und Lockerungsmaßnahmen herangezogen wird. Für diese Hypothese sprechen schließlich auch die Ergebnisse hinsichtlich der Häufigkeit von Behandlungen und Weisungen. So können ausbleibende Behandlungen ein Hinweis darauf sein, dass eine entsprechende Bedürftigkeit bei den Personen ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen als nicht oder zumindest weniger ausgeprägt eingeschätzt wurde. Die geringe Anzahl an Weisungen legt nahe, dass das jeweilige Gericht in diesen Fällen zu dem Schluss gekommen ist, einer Weisung würde es nicht bedürfen, um die künftige Legalbewährung der Betroffenen abzusichern. Dementsprechend unterstreicht die Tatsache, dass die Gruppe ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen keine Form von Weisung häufiger, aber einige Formen signifikant seltener erhalten haben, das vermutete geringere Risiko der Betroffenen.

Ein zweiter hervorspringender Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigt sich in der im Rahmen des Einweisungsverfahrens diagnostizierten Psychopathologie. So war der Anteil von Untergebrachten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis in der Gruppe der intensiver Behandelten signifikant höher. Hier lässt sich vermuten, dass ein Zusammenhang mit den häufigeren zivilrechtlichen Unterbringungen vor der Einweisung in den Maßnahmenvollzug besteht, da akute Selbst- oder Fremdgefährdungen eher durch diese Erkrankungen begründet werden als bspw. durch Persönlichkeitsstörungen. Auch das höhere Maß an psychiatrischer Behandlung im Vollzug, an psychopharmakologischer Medikation sowie die entsprechenden Weisungen der Medikamenteneinnahme und der Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlung nach der Entlassung könnten mit dem Vorherrschen dieser Psychopathologie in Zusammenhang stehen. Speziell bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis ist die medikamentöse Behandlung inhärenter Bestandteil der Therapie. Gleichzeitig ist bekannt, dass ein wesentlicher Faktor künftiger Legalbewährung die Medikamentencompliance der betroffenen Personen ist (Fazel, Zetterqvist, Larsson, Långström, & Lichtenstein, 2014; Seifert, Klink, & Landwehr, 2018). Diese ist krankheitsimmanent oftmals nicht gegeben (Schanda, 2005), weshalb diesbezügliche intensivierte Betreuung erforderlich ist. In einer betreuten Einrichtung, die als Wohnort nach der bedingten Entlassung dient, ist dies besser möglich, vor allem dann, wenn diese Betreuung durch die Weisungen der psychiatrischen Behandlung und Medikamenteneinnahme flankiert wird.

Der österreichische Maßnahmenvollzug baut sein Behandlungsprogramm auf dem Risk-Need-Responsivity-Modell auf (Schilling & Eichhübl, 2022; Eckhart, 2022). Dieses beruht auf der Erkenntnis, dass es nicht zielführend ist, allen Betroffenen eine einheitliche Behandlung in gleichem Ausmaß zukommen zu lassen. Vielmehr muss nach Bedarf unterschieden werden, wer (vorrangig) zu behandeln ist und welche therapeutischen Maßnahmen bei den verschiedenen Personen zum Einsatz kommen (Andrews & Bonta, 2017). Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse kann vermutet werden, dass es sich bei der Gruppe, die keine selbständigen Lockerungsmaßnahmen durchläuft, um jene Personen handelt, denen durch die Sachverständigen sowie die im Maßnahmenvollzug tätigen Fachdienste ein geringeres Risiko attestiert wird. Dem Risk-Prinzip folgend sollte in diesen Fällen auf eine (intensive) Behandlung verzichtet werden. Dieses Prinzip beruht auf der Erkenntnis, dass eine umfassende, intensive Behandlung von Personen, die nur ein geringes Risiko aufweisen, die Gefahr in sich birgt, dass das Rückfallrisiko dieser Personen nicht nur nicht gesenkt, sondern sogar erhöht werden kann (Andrews & Bonta, 2017; Lovins, Lowenkamp, & Latessa, 2009). Wenngleich dies das gewichtigste Argument gegen eine übermäßig intensive Behandlung ist, ist darüber hinaus auch der für Behandlungen und Lockerungen notwendige Ressourcenaufwand zu bedenken. Die Durchführung gerade auch mancher Lockerungsmaßnahmen ist mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. So führt etwa eine Unterbrechung der Unterbringung nicht nur dazu, dass der entsprechende Platz innerhalb des Vollzuges während dieser Zeit nicht genutzt wird, es fallen vielmehr auch Kosten für die Unterbringung und Betreuung bei der externen Trägerorganisation an. Ein Verzicht auf die Durchführung dieser Maßnahmen in jenen Fällen, in denen dies aufgrund des geringeren Risikos vertretbar erscheint, führt somit zu einer Eindämmung der Kosten und damit der Möglichkeit, die hierfür nicht aufgewendeten Ressourcen jenen Personen zukommen zu lassen, die diese dringender benötigen.

Es kann angenommen werden, dass die tendenziell längere Anhaltedauer sowie die größere zeitliche Differenz zwischen dem Strafende und dem Zeitpunkt der bedingten Entlassung bei den nach § 21 Abs. 2 öStGB untergebrachten Personen gerade darauf zurückzuführen ist, dass die Personen mehr Behandlungen und vor allem auch Lockerungsmaßnahmen durchlaufen haben. Extramurale Unterbrechungen der Unterbringung, die die Möglichkeit eines Lebens außerhalb des Vollzugs einerseits und in vielen Fällen in der konkreten Betreuungseinrichtung als mögliche Nachbetreuung andererseits erproben sollen, erfordern zeitliche Ressourcen, um hier zu einem verlässlichen Bild zu kommen. Zwar ist gesetzlich ein Höchstmaß von einem Monat vorgesehen, doch in der Praxis werden häufig mehrere Unterbrechungen in unmittelbarer Abfolge durchgeführt. Die betroffene Person befindet sich in dieser Zeit nicht mehr vollumfänglich im Maßnahmenvollzug, für die Anhaltedauer wird diese Zeitspanne aber natürlich ebenfalls berücksichtigt. Die häufigere Weisung eines bestimmten Wohnorts nach der bedingten Entlassung steht mit den häufigeren Unterbrechungen der Unterbringung und der Entlassung in eine Nachbetreuungseinrichtung ebenfalls in einem logischen Zusammenhang. Erst durch diese Weisung wird es gemäß § 179a StVG möglich, dass die Kosten für den Aufenthalt durch die Justiz übernommen werden (Drexler & Weger, 2022; Engel, 2022).

4.3 Auswirkungen auf die Wiederkehr

Betrachtet man die Wiederkehrerrate innerhalb von fünf Jahren nach der bedingten Entlassung, zeigt sich kein Unterschied zwischen Personen mit und ohne selbständige Lockerungsmaßnahmen. Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick verwundern, zumal eigentlich vermutet werden könnte, dass Lockerungsmaßnahmen eine rückfallspräventive Wirkung zukommt. Doch die bisher diskutierten Ergebnisse zeigen auf, dass dies ein zu kurzgegriffener Blickwinkel wäre, da die Besonderheiten des Maßnahmenvollzugs beachtet werden müssen, die diesen vom regulären Vollzug einer Freiheitsstrafe unterscheiden. Aus dem Strafvollzug werden die Gefangenen mit dem Ende ihrer zeitlich befristeten Strafe in jedem Fall entlassen, unabhängig davon, ob zuvor Lockerungsmaßnahmen durchgeführt wurden bzw. wie diese verlaufen sind. Eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug erfolgt hingegen erst dann, wenn die einweisungsrelevante Gefährlichkeit abgebaut werden konnte. Dies wird erreicht durch Durchführung verschiedener therapeutischer Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Erprobung, ob ein straffreies Leben außerhalb des engmaschigen Settings der Unterbringung bereits möglich ist. Umfassendes Entlassungsmanagement ist somit inhärenter Bestandteil der Betreuung im Maßnahmenvollzug. Erst dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist damit zu rechnen, dass das Vollzugsgericht eine bedingte Entlassung befürwortet.

Dementsprechend zeigt sich, dass Lockerungsmaßnahmen bei den meisten Untergebrachten durchgeführt werden, bevor diese bedingt entlassen werden. In der vorliegenden Studie kam es lediglich bei 9 % zu keiner Form von Lockerung, 91 % durchliefen zumindest begleitete Ausgänge. Die meisten Untergebrachten (80.5 %) absolvierten eine Form der selbständigen Freiheitserprobung in Form unbegleiteter Ausgänge oder eines Probewohnens im Rahmen einer Unterbrechung der Unterbringung. Dieser selektive Einsatz der verschiedenen Arten von Lockerungsmaßnahmen legt wie ausgeführt den Schluss nahe, dass von Seiten der betreuenden Institutionen im Vollzug sowie der für die bedingte Entlassung zuständigen Vollzugsgerichte nicht in allen Fällen die Notwendigkeit gesehen wurde, Erprobungen durchzuführen bevor es zur Entlassung kam. Es kann somit vermutet werden, dass die Tatsache, dass es in weiterer Folge keinen erkennbaren Unterschied in der Häufigkeit der Wiederkehr in das Vollzugssystem gibt, nicht etwa aufzeigt, dass die Durchführung von Lockerungsmaßnahmen keinen Effekt erzielen würde, sondern vielmehr, dass es gelingen dürfte zu selektieren, bei welchen Untergebrachten es zu Behandlungen bzw. zu Begleitmaßnahmen im Zuge der bedingten Entlassung kommen muss. Denn obgleich in den vorliegenden Fällen einer Entlassung ohne vorherige selbständig Erprobung deutlich weniger Ressourcen aufgewendet wurden, führte dies in weiterer Folge nicht zu einer erhöhten Wiederkehrerrate. Es scheint somit, dass auf Basis des RNR-Modells die Einschätzung des individuellen Risikos in diesen Fällen treffsicher erfolgt ist und das Ausmaß an Behandlung und Kontrolle für die jeweils individuellen Fälle korrekt angepasst wurde.

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Häufigkeit selbständiger Erprobungen, vor allem in Form einer Unterbrechung der Unterbringung, im Laufe der Jahre deutlich angestiegen ist. Dies ist auf gesetzliche Bemühungen einerseits ebenso zurückzuführen wie auf die verbesserte Verfügbarkeit entsprechender Betreuungseinrichtungen (Stempkowski, 2020b). In jenen Fällen, in denen es aufgrund des individuellen Risikos der Betroffenen notwendig ist, ihre Entlassung durch Betreuung und Behandlung einerseits und ein angemessenes Maß an Kontrolle andererseits zu begleiten, bieten Lockerungsmaßnahmen eine wesentliche und effiziente Möglichkeit der Freiheitserprobung. Sollte sich im Zuge beispielsweise einer Unterbrechung der Unterbringung zeigen, dass die betroffene Person für das Leben außerhalb der Unterbringung noch nicht ausreichend vorbereitet ist, können rasch und unbürokratisch entsprechende Maßnahmen gesetzt werden.

Die vorliegenden Ergebnisse könnten aber auch dahingehend interpretiert werden, dass es nicht in jedem Fall zwangsläufig zur Durchführung sämtlicher Behandlungs- und Kontrollmaßnahmen kommen muss, die grundsätzlich zur Verfügung stehen würden. Vielmehr deuten die hier untersuchten Daten darauf hin, dass die entsprechende Selektion durch die betreuenden Institutionen gelingen dürfte. Für die Vollzugsgerichte, die heute meist ein umfassendes Paket an Erprobungen als zwingende Voraussetzung für eine positive Entscheidung ansehen (Stempkowski, 2020b), bedeutet dies, dass in jenen Fällen, in denen eine rasche Entlassung durch die betreuenden Institutionen im Vollzug empfohlen wird, diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollte, um gegebenenfalls sowohl eine entsprechende Ressourcenschonung als auch ein früheres Wiedererlangen der Freiheit für die betroffene Person zu ermöglichen.

4.4 Limitationen und Ausblick

Die vorliegenden Daten zeichnen vorrangig ein Bild davon, wie die betreuenden Institutionen und die Vollzugsgerichte in den untersuchten Fällen agiert haben. Während somit beobachtet werden kann, in welchen Fällen welche Arten von Behandlungen und Freiheitserprobungen durchgeführt wurden, lassen sich die tatsächlichen Beweggründe dieses Vorgehens nicht mit Sicherheit aus den Daten erkennen. Vielmehr können nur anhand verschiedener vorliegender Indizien Rückschlüsse gezogen werden. Dieser Einschränkung könnte in künftigen Untersuchungen dadurch begegnet werden, dass Informationen nicht ausschließlich retrospektiv aus den verfügbaren Akten entnommen werden, sondern in Form einer begleitenden Forschung die Beweggründe und Motive der entscheidenden Institutionen hinsichtlich der Durchführung von Behandlungs- und Lockerungsmaßnahmen ebenfalls erhoben werden.

Die vorliegenden Ergebnisse unterliegen auch darüber hinaus gewissen Einschränkungen. So liegen keine Informationen darüber vor, wie viele Personen nach ihrer Entlassung zu einer Geldstrafe oder einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. Unterbringung verurteilt wurden bzw. bei wie vielen es ein diversionelles Vorgehen gab. Dementsprechend können keine Aussagen über Wiederverurteilungen oder erneute Kriminalität insgesamt gemacht werden.

Obwohl Informationen darüber vorliegen, ob und wie häufig eine Person vor der aktuellen Einweisung verurteilt oder eingewiesen wurde, können anhand der verfügbaren Daten diese beiden Formen strafrechtlicher Sanktionierung nicht differenziert werden. Auch ist nicht bekannt, wie lange die letzte Unterbringung zurückliegt. Es ist denkbar, dass es in manchen Fällen nicht zur Durchführung von Behandlungs- und Lockerungsmaßnahmen gekommen ist, weil aufgrund einer kurz zurückliegenden Unterbringung die betroffene Person relativ rezent bereits verschiedene Behandlungen und Lockerungen durchlaufen hat und deren erneute Notwendigkeit daher nicht gegeben erscheint. Erst die Erhebung entsprechender Informationen in künftigen Untersuchungen könnte dies näher überprüfen.

Darüber hinaus handelt es sich bei den vorliegenden Daten um Erkenntnisse, die sich auf einen mehr als zehn Jahre zurückliegenden Zeitraum beziehen. In der Zwischenzeit kam es im österreichischen Maßnahmenvollzug zu einem massiven und weiterhin andauernden Anstieg an untergebrachten Personen (Stempkowski, 2022). Inwiefern die vorliegenden Ergebnisse angesichts dieser deutlichen Veränderungen im Maßnahmenvollzug, die mit vielen neuen Herausforderungen einhergehen, weiterhin Bestand haben, müsste anhand neuerer Daten evaluiert werden.

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Online erschienen: 2024-01-03
Erschienen im Druck: 2024-01-29

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 9.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mks-2023-0050/html
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