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Vollzugsöffnende Maßnahmen und Entlassungsvorbereitung – Gesetzgebung und Praxis in den Bundesländern

  • Frieder Dünkel , Stefan Harrendorf ORCID logo EMAIL logo , Bernd Geng , Ineke Pruin , Paul Beresnatzki and Judith Treig
Published/Copyright: December 12, 2023

Zusammenfassung

Der Beitrag behandelt die rechtliche und rechtstatsächliche Entwicklung vollzugsöffnender Maßnahmen in Deutschland im Vergleich der Bundesländer. Als vollzugsöffnende Maßnahmen werden hier vor allem die Verlegung in den offenen Vollzug, Ausgang, Langzeitausgang (regelmäßig 2–3 Tage) und Freigang, d. h. das regelmäßige Verlassen der Anstalt, um einer Arbeit oder Ausbildungsmaßnahme nachzugehen, zudem aber auch Ausführung und Außenbeschäftigung angesehen. Die Rechtslage unterscheidet sich angesichts der seit 2006 erlassenen Länderstrafvollzugsgesetze in einigen Detailfragen erheblich mit Blick auf ein mehr oder weniger stark öffnungsorientiertes Vollzugsregime. Die Praxis divergiert im Bundesländervergleich anhand der in den Ländern erstellten Statistiken. In Berlin und Nordrhein-Westfalen befinden sich stichtagsbezogen ca. 6–10-mal so viele Gefangene im offenen Vollzug wie in Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Ähnliche Unterschiede finden sich bei den Vollzugslockerungen, wo die Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sehr viel stärker von überleitungsorientierten Maßnahmen Gebrauch machen als die südlichen Bundesländer in Ost- und Westdeutschland. Weitere Details wie z. B. die während der Corona-Pandemie in unterschiedlichem Ausmaß rückläufigen Lockerungszahlen werden erörtert. Insgesamt zeigen sich einige Defizite und unausgeschöpfte Potenziale eines überleitungsorientierten Vollzugs, von dem offensichtlich nur ein Teil der Gefangenen profitiert. Dabei zeigt sich, dass eine »liberalere« lockerungsfreundliche Vollzugspraxis nicht zu einer Einbuße an Sicherheit für die Allgemeinheit führt, indem Gefangene Lockerungen missbrauchen.

Abstract

The article deals with the legal conditions and practical developments of relaxation of the prison regime through transfer to open prisons and different forms of prison leave in Germany in a comparison of the federal states. The main measures are transfer to an open prison, short-term and long-term prison leave (regularly 2–3 days) and release for work or educational or vocational training programmes (Freigang), i. e., the regular daily leaving of the institution to pursue work or training. Such leaves of absence include accompanied leaves and work outside the prison under supervision of prison staff. In terms of the federal state prison laws enacted since 2006, the legal situation differs considerably in some details of a regime oriented in varying degrees towards different forms of temporary release. The statistics compiled in the federal states show variations in practice. In Berlin and North Rhine-Westphalia, there were around 6–10 times as many prisoners accommodated in open prisons on a specific date compared to Bavaria, Hesse, Saxony, Saxony-Anhalt or Thuringia. Similar differences can be found in the relaxation of enforcement measures (prison leaves etc.), where the city states of Berlin, Bremen, Hamburg and North-Rhine Westphalia make much greater use of transition-oriented measures than the southern federal states in eastern and western Germany. Further details such as the statistics of prison leaves, which declined to varying degrees during the Covid pandemic, are discussed. Overall, there are some deficits and untapped potential of a transition-oriented prison system, from which obviously only some of the prisoners benefit. This shows that a more »liberal« prison practice that promotes transfer to open prisons and prison leaves does not lead to a loss of security for the general public due to prisoners abusing this relaxation.

Nachfolgend werden zunächst kriminologische Grundlagen des überleitungsorientierten Vollzugs als evidenzbasierte und internationalen Menschenrechtsstandards entsprechende Strategie erörtert (siehe 1.). Es folgt eine rechtsdogmatische Analyse der Regelungen zu vollzugsöffnenden Maßnahmen im Bundesländervergleich für den Bereich des Erwachsenen- und des Jugendstrafvollzugs (s. u. 2.). Die rechtstatsächlichen Entwicklungen bzgl. vollzugsöffnender Maßnahmen werden im Längs- und Querschnittsvergleich auf Bundes- und Länderebene unter 3. (Belegungsentwicklung im offenen Vollzug) und 4. (zu den Vollzugslockerungen) dargestellt. Abschließend ziehen wir ein Fazit (5.).

1 Vollzugsöffnende Maßnahmen als »evidenzbasierte« Strategie und internationale Standards

Zu den Grundüberzeugungen eines humanen und wiedereingliederungsorientierten Vollzugs gehört die Annahme, dass eine frühzeitige Entlassungsvorbereitung (beginnend im günstigen Fall bereits mit der Aufnahme in den Vollzug und der Vollzugsplanung) und eine überleitungsorientierte Gestaltung des Vollzugs mit verschiedenen gestuften Erprobungen in Freiheit die Wiedereingliederungschancen erhöhen. Dafür gibt es durchaus auch empirische Belege oder zumindest begründete Anhaltspunkte aus der Evaluationsforschung.[1] Danach ist einer der Faktoren erfolgreicher Resozialisierung, dass Programme möglichst weitgehend das Prinzip der Gemeindeorientierung oder besser gesagt der Öffnung des Vollzugs in Verbindung mit einer durchgehenden Betreuung und intensiven Nachbetreuung beachten. Dementsprechend setzt eine »wissensbasierte Kriminalpolitik«[2] zunehmend auf die Kontinuität der Betreuung, wie dies etwa im Projekt der »Integralen Straffälligenarbeit« in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt wird.[3] Es gibt zahlreiche weitere Programme einer berufsorientierten und sonstigen systematischen Eingliederung in einigen Bundesländern.[4]

Im Rahmen der Entlassungsvorbereitung sind vollzugsöffnende Maßnahmen von herausragender Bedeutung. Ähnlich wie der Lockerungsbegriff wird dabei auch derjenige der vollzugsöffnenden Maßnahmen uneinheitlich verwendet. Hier findet ein weiter Begriff Anwendung, der – ungeachtet der gesetzlichen Einstufung als Lockerung oder vollzugsöffnende Maßnahme[5] – Ausführung, Außenbeschäftigung, Ausgang, Langzeitausgang bzw. Urlaub sowie Freigang, aber auch den offenen Vollzug mit umfasst. Zwar wird man die resozialisierungsfördernde Wirkung derartiger Maßnahmen nicht isoliert evaluieren und einschätzen können, jedoch sprechen die o. g. Meta-Analysen zu resozialisierenden Maßnahmen dafür, dass ein integriertes Programm von Lockerungen, bedingter Entlassung und Nachsorge bessere rückfallvermeidende Erfolge aufweist als ein Vollzug ohne strukturierte Überleitung.[6]

Auf europäischer Ebene wird in verschiedenen Empfehlungen der Gedanke einer evidenzbasierten Sanktions- und Strafvollzugspolitik verankert (vgl. insbesondere die Empfehlungen des Europarats in der Recommendation (2003) 20 über »New ways of dealing with juvenile offending …«). Hierauf hebt das BVerfG in seiner Entscheidung zum Jugendstrafvollzug gleichfalls ab.[7]

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 (auch in der Überarbeitung von 2020, vgl. die Recommendation (2006) 2-rev 2020) fordern in Nr. 103.6, dass »verschiedene Arten von Urlauben vorzusehen« sind, »die integrierter Bestandteil des allgemeinen Vollzugs sind.« Hinsichtlich der Entlassungsvorbereitung wurden in Nr. 107.1–5 weitere Grundsätze einer systematischen durchgehenden Hilfe formuliert. Diese soll »frühzeitig« einsetzen, es soll eine schrittweise Überleitung, möglichst in Verbindung mit einer bedingten Entlassung und »wirksamer sozialer Unterstützung« erfolgen (Nr. 107.3). Eine enge Zusammenarbeit hat mit Einrichtungen der Entlassenenhilfe stattzufinden, denen der Zugang in die Anstalt zu ermöglichen ist. Dies ist nicht unbedingt neu, verdeutlicht aber, dass die Öffnung des Vollzugs auch aus dieser Perspektive nicht zur Disposition gestellt bzw. über das absolut erforderliche Maß hinaus eingeschränkt werden darf.[8]

Noch stärker betonen die European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions or Measures (ERJOSSM) des Europarats vom 5.11.2008 (Recommendation (2008) 11) die Notwendigkeit einer durchgehenden Betreuung, die frühzeitige Entlassungsvorbereitung (mit vielfältigen Lockerungsmaßnahmen) unter Mitwirkung der externen Sozialen Dienste und eine systematische Nachbetreuung;[9] darauf wird unter 2.2 noch näher eingegangen.

Die 2015 verabschiedeten sog. Nelson Mandela-Rules der Vereinten Nationen,[10] eine Aktualisierung der Standard Minimum Rules for the Treatment of Offenders von 1955, enthalten in den Rules 87–90 sowie 107–108 für Strafgefangene auch Regelungen zum Übergangsmanagement, indem ein progressiver Übergang vom geschlossenen Vollzug in offene bzw. gelockerte Vollzugsformen und die Zusammenarbeit mit Behörden und Institutionen der Nachbetreuung und Entlassenenhilfe gefordert werden. In Rule 88.2 und Rule 106 wird auf die Aufrechterhaltung familiärer Bindungen und Kontakte zur Familie besonders abgehoben.

Dies zeigt, dass auch die aktualisierten internationalen Menschenrechtsstandards der Vereinten Nationen an der Tradition eines Resozialisierungsvollzugs festhalten und einen schrittweisen und gut strukturierten Übergang in Freiheit verstärkt ins Bewusstsein bringen wollen.

2 Regelungen in den Landesstrafvollzugsgesetzen zu vollzugsöffnenden Maßnahmen

2.1 Erwachsenenstrafvollzug

Das deutsche Strafvollzugsrecht ist daher zu Recht auf entlassungsvorbereitende bzw. überleitungsorientierte Maßnahmen ausgerichtet. Schon das StVollzG von 1977 stellte entsprechende Maßnahmen zwar unter der Voraussetzung fehlender Flucht- und Missbrauchsgefahr in das Ermessen der Anstalt, jedoch wurde vor allem in der Rspr. der Obergerichte deutlich gemacht, dass mit zunehmender Vollzugsdauer und nahendem Ende der Verbüßung der Freiheitsstrafe der Gesetzgeber bereit war, (vertretbare) Risiken einzugehen.[11]

Das BVerfG hat zwar wiederholt betont, dass dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung des verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierungsvollzugs zusteht (vgl. u. a. BVerfGE 98, 169), hat aber andererseits – nicht zuletzt im Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvollzugs (BVerfGE 116, 69) – weitreichende Leitlinien formuliert, die diesen Spielraum begrenzen und die Notwendigkeit von Lockerungen betonen (vgl. BVerfGE 117, 71). An anderer Stelle wurde festgestellt, dass ein Vollzug, der Lockerungen im geschlossenen Vollzug ausschlösse, verfassungsrechtlich unzulässig wäre (vgl. BVerfG NStZ 1998, 430). In ständiger Rspr. wird betont, dass die Vollzugsbehörden nicht diejenigen Maßnahmen (hier Vollzugslockerungen) ohne ausreichenden Grund verweigern dürfen, die regelmäßig Grundlage einer Prognoseentscheidung i. S. v. §§ 57, 57a StGB im Rahmen einer Strafrestaussetzung zur Bewährung sind.[12] Geschieht dies dennoch, darf sich das Vollstreckungsgericht nicht einfach damit abfinden, sondern muss aufklären, warum die Vollzugsbehörde die prognostische Basis nicht durch entsprechende Maßnahmen erweitert hat.[13] Notfalls kann das Gericht sogar gem. § 454a Abs. 1 StPO auch ohne hinreichend erfolgte vollzugsöffnende Maßnahmen einen künftigen Entlassungszeitpunkt so festlegen, dass der JVA noch Zeit bleibt, die Entlassung durch solche Maßnahmen vorzubereiten.[14] Ferner gebietet es die Menschenwürde, dass Gefangene mit zunehmender Vollzugsdauer die Möglichkeit der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen erhalten (vgl. u. a. BVerGE 64, 261). Maßstab für die Gewährung ist dabei nicht, ob sie aktuell bei Entlassung noch gefährlich wären, sondern allein, ob Flucht- oder Missbrauchsgefahr in einem Maße vorliegt, dass sich schon der Einstieg in ein gestuftes Programm vollzugsöffnender Maßnahmen verbietet.[15] Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind zudem Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit und zur Gegensteuerung gegen schädliche Vollzugswirkungen bei langjährig Inhaftierten bereits ohne konkrete Entlassungsperspektive geboten; der dafür nötige Personalaufwand ist hinzunehmen.[16] Ähnliches dürfte auch für Begleitausgänge gelten.[17]

Mit der Föderalismusreform, aber auch schon zuvor[18] sind vollzugsöffnende Maßnahmen zeitweise in manchen Landesgesetzgebungen zum Spielball einer »restaurativen« Vollzugspolitik geworden. Ideologisch gefärbte Akzentverschiebungen in den Gesetzen einzelner Bundesländer (vor allem in Hamburg[19], Hessen und Sachsen-Anhalt) beeinträchtigen durch ihre restriktive Handhabung der vollzugsöffnenden Maßnahmen eine wiedereingliederungsorientierte Entlassungsvorbereitung erheblich.[20] Die Nachbetreuung leidet traditionell an der personellen Unterausstattung der Bewährungshilfe und der selten flächendeckend ausgebauten und vernetzten freien Straffälligenhilfe.[21] Die o. g. Entscheidungen des BVerfG sind dementsprechend als Kritik an einer teilweise zu restriktiven Lockerungspraxis anzusehen.

Nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 haben bis 2016 alle Landesgesetzgeber eigenständige Rechtsgrundlagen für den Vollzug der Freiheitsstrafe geschaffen.[22] Trotz terminologischer Unterschiede (insbesondere Unterschiede in der Definition der Begriffe der Lockerungen bzw. vollzugsöffnenden Maßnahmen sowie in der Benennung des Langzeitausgangs bzw. Urlaubs bzw. der Freistellung aus der oder von der Haft) besteht materiell dieselbe Typologie vollzugsöffnender Maßnahmen in allen Landesstrafvollzugsgesetzen fort, d. h. überall gibt es Ausführungen, Außenbeschäftigung, Ausgang, Langzeitausgang, Freigang und den offenen Vollzug als ausdrücklich benannte Maßnahmen.[23]

Die nachfolgende Darstellung fasst die besonders auffälligen Unterschiede in den Landesgesetzen im Hinblick auf die normative Ausgestaltung der vollzugsöffnenden Maßnahmen (insb. Ausgang, Langzeitausgang, Freigang und offener Vollzug) zusammen. Untersucht wird das landesspezifische Verhältnis zwischen offenem und geschlossenem Vollzug, der jeweilige Risikomaßstab für die Verlegung in den offenen Vollzug, die jeweiligen Kontingente des Langzeitausgangs pro Kalenderjahr und Mindestverbüßungsdauern (auch gesondert für zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte), der jeweilige Risikomaßstab für die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen sowie die Besonderheiten in der Entlassungsphase.

14 der 16 Landesstrafvollzugsgesetze kennen neben dem unbegleiteten Ausgang explizit auch noch den Begleitausgang.[24] In Bayern und Niedersachsen wird letzterer hingegen (wie auch früher im StVollzG Bund) nicht direkt im Gesetz genannt,[25] eine Begleitung beim Ausgang kann jedoch als Weisung vorgesehen werden.[26] Auffällig sind die als Soll-Regelungen ausgestalteten Mindestverbüßungsdauern in Hessen (10 Jahre) sowie in Niedersachsen (8 Jahre) für die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten.[27] Zwar sind Ausführungen, z. B. zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit (s. o.), sowohl in Hessen (§ 13 Abs. 3 S. 4, Abs. 6 HStVollzG) als auch in Niedersachsen (§ 13 Abs. 4) nicht von der Mindestdauer erfasst, jedoch ist in diesen Bundesländern bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten ein Ausgang (regelmäßig) vor Erreichen der Mindestverbüßungsdauer verwehrt. Solche Fristen sind zu kritisieren, da sie ein Einfallstor für negativ-generalpräventive oder vergeltende Strafzwecke sein können und kriminologischen Erkenntnissen eines modernen Behandlungsvollzugs widersprechen.[28] Gerade für diese Gefangenen sind regelmäßige Lockerungen essentiell, um familiäre Kontakte in einem einigermaßen »normalen« Setting aufrecht zu erhalten bzw. zu pflegen. Diese restriktive Ausrichtung des hessischen und niedersächsischen Vollzugs widerspricht eklatant der vorstehend bereits dargestellten Rspr. des BVerfG, das Lockerungen als allgemeines Mittel der Resozialisierung und der Gegenwirkung bzgl. schädlicher Wirkungen des Freiheitsentzugs nicht nur in der Entlassungsphase ansieht und wiederholt betont hat, dass Vollzugslockerungen gerade bei Gefangenen mit langen Freiheitsstrafen notwendig sein können, um schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit beizutragen.[29]

Im Bereich des Langzeitausgangs (bzw. Hafturlaubs bzw. der Freistellung aus bzw. von der Haft), d. h., je nach Landesgesetz, des Verlassens der Anstalt für mehr als 24 Stunden bzw. über Nacht, bestehen große Unterschiede durch die divergierenden Höchstgrenzen (in der Summe aller einzelnen gewährten Langzeitausgänge, wobei ein durchschnittlicher Langzeitausgang etwa 2 bis 3 Tage dauert) der maximal zu gewährenden Kalendertage pro Jahr (dazu vergleichend Tabelle 1, s. u.). Erfreulich ist, dass Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen sowie Thüringen keine Höchstgrenzen vorsehen.[30] Damit kann theoretisch unbegrenzt Langzeitausgang gewährt werden, sofern dieser für die Behandlung notwendig erscheint bzw. die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Schleswig-Holstein hat eine Begrenzung auf bis zu 30 Kalendertage festgelegt,[31] in Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind es 24 Tage.[32] Weiter auf dem Niveau des StVollzG Bund (§ 13 Abs. 1 S. 1 StVollzG) verharren Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen mit einer zwingenden Höchstgrenze von 21 Kalendertagen pro Jahr,[33] während diese Grenze in Sachsen-Anhalt als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist.[34]

Wesentliche Unterschiede innerhalb der Landesstrafvollzugsgesetze bestehen in der Ausgestaltung der Mindestverbüßungsdauer für die Gewährung des Langzeitausgangs für nicht zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte. Nach dem ursprünglichen Vorbild des § 13 Abs. 2 StVollzG Bund sollte Gefangenen in der Regel erst nach mindestens sechs Monaten verbüßter Freiheitsstrafe Langzeitausgang (früher Hafturlaub) gewährt werden. De lege lata haben bis auf Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sämtliche Länder eine allgemeine Mindestverbüßungsdauer in unterschiedlicher Art und Weise normiert.[35] Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Thüringen haben die sechs Monate identisch übernommen.[36] Berlin und Nordrhein-Westfalen führten diese Mindestverbüßungsdauer nur für Gefangene im geschlossenen Vollzug ein.[37] Sachsen ermöglicht alternativ die Gewährung vor den sechs Monaten Mindestverbüßungsdauer über die Feststellung der Eignung für den offenen Vollzug oder die Bewährung bei Ausgängen.[38] Sachsen-Anhalt hingegen kumuliert die sechs Monate mit der Bewährung bei Ausgängen oder Freigängen.[39]

Eine auffällige Regelung bestand für die Gewährung des Langzeitausgangs bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten mit der Mindestverbüßungsdauer von 10 Jahren nach § 13 Abs. 3 StVollzG Bund. Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein haben diese Mindestgrenze nun entfallen lassen, während in Hessen und Niedersachsen, wie bereits ausgeführt, die Mindestverbüßungsdauer auf weitere (Niedersachsen, dann dort aber 8 Jahre) oder gar alle (Hessen) vollzugsöffnenden Maßnahmen ausgedehnt wurde.[40] Beachtenswert ist auch, dass gemäß Art. 14 Abs. 3 BayStVollzG die Mindestverbüßungsdauer für diese Gefangenengruppe sogar auf 12 Jahre erhöht wurde. In den meisten Ländern entfällt diese Sperrfrist bei Gefangenen, die in den offenen Vollzug verlegt wurden; in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen genügt schon – wie auch früher gem. § 13 Abs. 4 StVollzG Bund – die Eignung für den offenen Vollzug (dazu später mehr).[41] Gem. § 54 Abs. 4 StVollzG NRW ist hingegen über die Verlegung hinaus eine Bewährung im offenen Vollzug für den Fortfall der Höchstfrist essentiell.[42]

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Freigangs, d. h. des regelmäßigen Verlassens der Anstalt, um einer Arbeit oder Ausbildungsmaßnahme nachzugehen, finden sich Unterschiede insbesondere in den zu den Landesgesetzen erlassenen Verwaltungsvorschriften. Bayern regelt den Freigang dort sehr detailliert, wobei insbesondere VV Nr. 6 Abs. 6 zu Art. 13 BayStVollzG kritisch gesehen werden kann. Dort ist eine monatliche Überprüfung durch Bedienstete des Justizvollzugs angeordnet, wobei diese sogar Dienstkleidung tragen dürfen. Solche Kontrollen bergen die Gefahr der Stigmatisierung und sind nicht resozialisierungsfördernd.[43]

§§ 11 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 StVollzG Bund normierten, dass Gefangene Vollzugslockerungen bzw. Hafturlaub erst erhalten konnten, wenn nicht zu befürchten war, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werden. Eine positive Eignungsprüfung war hingegen nicht vorzunehmen; anders ist dies mittlerweile in Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen-Anhalt.[44] Andererseits wurde in vielen Ländern die Befürchtungsklausel abgeändert; beibehalten wurde sie nur in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen und Niederachsen.[45] Die in vielen Ländern[46] nunmehr normierte Verantwortungsklausel besagt, dass Lockerungen gewährt werden können, wenn sie der Erreichung des Vollzugsziels dienen und verantwortet werden kann zu erproben, dass die Gefangenen sich weder dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen noch die Lockerungen zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden. Darin ist nach h. M. eine Absenkung des Risikomaßstabs für die Gewährung zu sehen, da in Anlehnung an den Prognosemaßstab des § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht das Risiko jeglicher erneuten Straftaten zum Ausschlussgrund gemacht, sondern ein »vertretbares« Risiko einzugehen gefordert wird (und damit Lockerungen u. U. auch bei neutraler oder unsicherer Prognose möglich sind, wenn allenfalls Bagatellstraftaten zu gewärtigen sind).[47]

Sachsen-Anhalt ist mit dem Wortlaut in § 45 Abs. 3 S. 1 JVollzGB I LSA einen Sonderweg gegangen und verlangt das Fehlen von tatsächlichen Anhaltspunkten, die eine abstrakte Gefahr begründen, dass Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Maßnahmen zur Begehung von Straftaten oder auf andere Weise missbrauchen werden. Das Abstellen auf eine abstrakte Gefahr ist verfehlt.[48] Ebenso ist es kritisch zu sehen, dass sich hier – wie auch in § 13 Abs. 2 S. 2 HStVollzG – die Missbrauchsgefahr nicht zwingend auf Straftaten beziehen muss.[49]

Bemerkenswert ist ferner die Modifikation des Prognosemaßstabs für die Gewährung von Lockerungen innerhalb der letzten sechs Monate vor der Entlassung (Entlassungsphase). Die auf dem Musterentwurf von 2012 beruhenden zehn Landesgesetze haben den Übergangsvollzug ausgebaut. In der großen Mehrzahl dieser Länder sind in den letzten sechs Monaten vor der Entlassung die erforderlichen Lockerungsmaßnahmen zu gewähren, es sei denn, Flucht oder Missbrauch sind mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten (vgl. i. E. Tabelle 1). Allerdings belässt es § 42 Abs. 4 SLStVollzG abschwächend bei einer Soll-Regelung und, was erheblich gravierender ist, verwendet § 49 Abs. 4 S. 1 JVollzGB I LSA den schon vorstehend kritisierten Prognosemaßstab, nach dem »keine tatsächlichen Anhaltspunkte die abstrakte Gefahr« eines Missbrauchs oder einer Flucht begründen dürfen. Schließlich nutzt § 42 Abs. 4 S. 1 StVollzG M-V die einschränkende Formulierung, dass die »zwingend« erforderlichen Lockerungen zu gewähren sind. Erläuterungen, was darunter zu verstehen ist, fehlen im Gesetzesentwurf. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Formulierung als Restriktion verstanden wird.[50]

Kritisch betrachtet werden müssen zudem landesspezifische Regelungen, die die Möglichkeit eröffnen, vollzugsöffnende Maßnahmen dann zu versagen, wenn Gefangene ihren »Mitwirkungspflichten« nicht nachgekommen sind, in Hamburg und Sachsen-Anhalt.[51] Solche Vorschriften können eine Scheinanpassung begünstigen und lassen außer Acht, dass eine Mitwirkungsbereitschaft im Vollzug gerade geweckt werden soll und Sanktionen bei ihrem Fehlen unzulässig sind.[52]

Darüber hinaus existieren in manchen Gesetzen erhöhte Prüfungserfordernisse und Regelausschlüsse für spezielle Personen- und Fallgruppen, so u. a. bei Gewalt- und Sexualstraftäter*innen.[53] Die entsprechenden Normierungen sind zu kritisieren. Schon die Vielzahl an Regelausschlüssen und erhöhten Prüfungsanforderungen in den VV unterlag der Kritik, weil sie zu einer zu schematischen Anwendung in der Praxis verleitete. Diese Gefahr hat sich nun durch die gesetzliche Normierung nochmals verstärkt, die Abweichungsmöglichkeiten haben sich reduziert.[54] So wird auch hier der programmatische Anspruch einer eher restriktiven Handhabung vollzugsöffnender Maßnahmen deutlich.

Eine weitere im Landesrecht divergierende Materie betrifft das Rangverhältnis zwischen offenem und geschlossenem Vollzug[55] (siehe Tabelle 1). Einzig Baden-Württemberg hat die Vorschrift des StVollzG dazu ohne inhaltliche Abweichung übernommen und dem offenen Vollzug den Vorrang eingeräumt (vgl. § 7 Abs. 1 JVollzGB III BW).[56] Eine neutrale Ausgestaltung haben hingegen die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gewählt.[57] Diese Bundesländer gehen de lege lata im Wortlaut von einer Gleichrangigkeit der Vollzugsformen aus, was jeweils auch in den Gesetzesbegründungen verdeutlich wird.[58] Bayern, Hessen, Niedersachsen und das Saarland haben die Systematik des § 10 StVollzG im Verhältnis offener/geschlossener Vollzug umgekehrt und den geschlossenen Vollzug programmatisch vorangestellt.[59] In Hessen wird dabei allerdings in § 71 Abs. 2 Nr. 2 HStVollzG das sog. Selbststellermodell[60] mit einer Direktladung in den offenen Vollzug (bei Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren) nunmehr gesetzlich geregelt.[61] Die Länder, die erhöhte Prüfungsanforderungen und Regelausschlüsse, die bisher nur in VV enthalten waren, nun bei den Lockerungen gesetzlich geregelt haben, haben vergleichbare Regelungen auch im Bereich des offenen Vollzugs geschaffen.[62]

Auch der Risikomaßstab für die Verlegung in den offenen Vollzug ist landesrechtlich unterschiedlich geregelt. Vorausgesetzt wird hier allerdings durchgängig eine positive Eignungsfeststellung, die über das Fehlen von Flucht- und Missbrauchsgefahr hinausgeht und in allen Landesgesetzen außer Hessen damit umschrieben ist, dass die Gefangenen den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen müssen. Zudem wurde in den meisten Ländern für den offenen Vollzug an der Befürchtungsklausel bei der Beurteilung der Flucht- und Missbrauchsgefahr festgehalten, was insbesondere dort, wo zugleich für die Lockerungen auf die Verantwortungsklausel umgeschwenkt wurde, einen strengeren Prüfungsmaßstab für den offenen Vollzug zumindest andeutet.[63] Lediglich in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wurde auch für den offenen Vollzug die Verantwortungsklausel und damit ein abgesenkter Risikomaßstab (s. o.) implementiert.[64] In Sachsen-Anhalt wiederum soll auch hier – verfehlt – auf das Fehlen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr abgestellt werden.[65]

2.2 Jugendstrafvollzug

Für den Jugendstrafvollzug gelten seit 2008 16 Landesgesetze, die sich zwar weitgehend ähneln, teilweise sogar auf einem gemeinsamen Musterentwurf basieren,[66] jedoch gerade im Bereich der vollzugsöffnenden Maßnahmen im Detail voneinander abweichen.[67] Dabei existieren separate Jugendstrafvollzugsgesetze nur (noch) in neun von 16 Bundesländern (Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein), alle anderen haben sich (mittlerweile) für eine Gesamtkodifikation zumindest zusammen mit dem Erwachsenenvollzug (so Bayern), oft zusätzlich auch dem Untersuchungshaftvollzug (Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen), zweimal dazu im Rahmen eines umfassenden Gesetzbuchskonzepts mit mehreren separaten Gesetzen auch dem Sicherungsverwahrungsvollzug (Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt [dort zudem auch Jugendarrest]) entschieden.

In Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen können vergleichbar der Regelung des § 11 Abs. 2 StVollzG Bund Lockerungen gewährt werden, wenn ein Missbrauch nicht »zu befürchten ist«.[68] Die übrigen Bundesländer außer Sachsen-Anhalt sehen hier die weniger restriktive Formulierung vor, dass »verantwortet werden kann zu erproben« (»Verantwortungsklausel«), dass weder Flucht noch Missbrauch erfolgt.[69] Auch für Jugendstrafgefangene verwendet Sachsen-Anhalt hingegen die unangemessen strenge Klausel, nach der »keine tatsächlichen Anhaltspunkte die abstrakte Gefahr« von Flucht oder Missbrauch begründen dürfen.[70] Beim Langzeitausgang bzw. Urlaub sind auch im Jugendstrafvollzug zumindest mittlerweile in mehreren Bundesländern die zeitlichen Obergrenzen entfallen,[71] teils wird dieser aber auch auf 21,[72] 24[73] bzw. 30[74] Kalendertage pro Jahr begrenzt. Im Vergleich zum Erwachsenenvollzug ist der Anspruch auf Langzeitausgang damit in Baden-Württemberg und Hessen für den Jugendstrafvollzug günstiger geregelt (24 statt 21 Tage), ungünstiger ist hingegen die Regelung im Jugendstrafvollzug in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern[75] und im Saarland (24 Tage statt keiner Begrenzung); das verstößt gegen das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher i. V. zu Erwachsenen (Nr. 13 ERJOSSM) und ist tendenziell verfassungswidrig.

Tabelle 1:

Vollzugsöffnende Maßnahmen in den Landesgesetzen sowie im StVollzG Bund

Land

Verhältnis o.V./g.V.

Risikomaßstab offener Vollzug

Höchstmaß LA

Risikomaßstab Lockerungen

LA zur Entlassungsvorbereitung

Risikomaßstab Entlassungsphase

StVollzG Bund

Vorrang o.V

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

21 Tage

Bef.-Kl.

6 Tage; bei Freigängern 9 Mon. vor Entl. 6 T. pro Monat

Bef.-KL.

Baden-Württemberg

Vorrang o.V.

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

21 Tage

G. + Bef.-Kl.

Keine Besonderheit

Bayern

Vorrang g.V.

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

21 Tage

Bef.-Kl.

Keine Besonderheit

Berlin

Gleichrangig

Muss-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Brandenburg

Gleichrangig

Muss-V.; G. + Verantw.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Bremen

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Kann-Regelung + Bef.-Kl.

Hamburg

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

24 Tage

Verantw.-Kl.

Keine Besonderheit

Hessen

Vorrang g.V.

Kann-V.; G. + Bef.- Kl.

21 Tage

G. + Bef.-Kl.

Keine Besonderheit

Mecklenburg-Vorpommern

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Verantw.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Niedersachsen

Vorrang g.V.

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

21 Tage

Bef.-Kl.

Keine Besonderheit

Nordrhein-Westfalen

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

24 Tage

Verantw.-Kl.

Keine Besonderheit

Rheinland-Pfalz

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchst- maß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Saarland

Vorrang g.V.

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchst- maß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Soll-Vorschrift

**

Sachsen

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Sachsen-Anhalt

Gleichrangig

Soll-V.; G. + keine »abstrakte Gefahr« ***

21 Tage

G + keine »abstrakte Gefahr«***

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Schleswig-Holstein

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Verantw.- Kl.

30 Tage

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

Thüringen

Gleichrangig

Soll-V.; G. + Bef.-Kl.

Kein Höchstmaß

Verantw.-Kl.

Bis zu 6 Mon.

Zwingend*

o.V. = offener Vollzug; g.V. = geschlossener Vollzug; Soll-V. = Soll-Vorschrift (Gefangene sollen verlegt werden …); LA = Langzeitausgang;

G. = Geeignetheit; Bef.-Kl. = Befürchtungsklausel (Zulassung, wenn Flucht und Missbrauch nicht zu befürchten sind); Verantw.-Kl. = Verantwortungsklausel (d. h., wenn »verantwortet werden kann zu erproben« …; das »vertretbare« Risiko schließt nicht jegliche Missbrauchsgefahr aus).

* Sind zu gewähren, es sei denn es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs.

** Sollen gewährt werden, es sei denn es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs.

*** Die »Verlegung in den offenen Vollzug« bzw. »Lockerungen dürfen gewährt werden, wenn der Gefangene geeignet ist, insbesondere keine konkreten Anhaltspunkte die abstrakte Gefahr begründen, dass sich der Gefangene« durch Flucht enziehen oder die Maßnahmen zu weiteren Straftaten missbrauchen wird. Die Verlegung in den offenen Vollzug und Lockerungen können versagt werden, wenn der Gefangene seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt (§§ 22 Abs. 2, 45 Abs. 3 JVollzGB I LSA).

Die gesetzlichen Vorgaben bzgl. Vollzugslockerungen sehen jedoch in mehreren Landesgesetzen (Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen)[76] die fehlende Mitwirkungsbereitschaft am Vollzugsziel ausdrücklich als Ablehnungsgrund für die Gewährung von Vollzugslockerungen vor. Außer in Hamburg und Sachsen-Anhalt, wo eine entsprechende (auch dort aber wegen der Förderung von Scheinanpassung abzulehnende) Regelung im Erwachsenenvollzug ebenfalls besteht (s. o.), liegt darin eine problematische Schlechterstellung der Jugendstrafgefangenen.

Die internationalen Standards der ERJOSSM fordern eine eindeutig auf eine frühzeitige Entlassungsvorbereitung ausgerichtete Vollzugsgestaltung (vgl. Nr. 100.1–3 ERJOSSM), zu der der offene Vollzug und vielfältige Formen von Vollzugslockerungen gehören, die eine »schrittweise« Überleitung in Freiheit ermöglichen sollen. Gem. Nr. 102.1 ist eine »enge Zusammenarbeit« und Vernetzung der Vollzugsbehörden mit sonstigen »Stellen und Institutionen«, die junge Gefangene bei dem Übergang in die Freiheit beaufsichtigen und unterstützen, vorzusehen. Gem. Nr. 102.2 sollen die Mitarbeitenden dieser Stellen schon während des Vollzuges Zugang zu den jungen Gefangenen erhalten und gem. Nr. 102.3 »verpflichtet sein, bereits vor dem Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung wirksame Vorabunterstützung zu leisten«. Die Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug konkretisieren diese Vorgaben in aller Regel nur relativ unverbindlich dahingehend, dass die Sozialen Dienste der Justiz und andere mit der Nachsorge betraute Stellen »frühzeitig«[77] oder, noch schwächer, »rechtzeitig«[78] einzubeziehen sind. Genauere zeitliche Vorgaben gibt es nur in Baden-Württemberg (»möglichst sechs Monate vor der voraussichtlichen Entlassung«; § 83 Abs. 1 JVollzGB IV BW), Hamburg (»in der Regel sechs Monate vor der voraussichtlichen Haftentlassung«: § 16 S. 5 HmbJStVollzG) und Hessen (»spätestens sechs Monate vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt«; § 16 Abs. 1 S. 1 HessJStVollzG). Die niedersächsische Regelung in § 68 NJVollzG macht zwar keinerlei zeitliche Vorgaben, jedoch gibt es in der »AV Übergangsmanagement« eine Regelung, nach der die Anlaufstellen für Strafentlassene als Freie Träger der Straffälligenhilfe spätestens 6 Monate vor der geplanten Entlassung zu informieren und einzubeziehen sind.[79]

Die meisten Bundesländer (Ausnahme: Baden-Württemberg) haben eine Regelung dahingehend getroffen, dass Lockerungen zur Entlassungsvorbereitung gewährt werden »sollen«,[80] wie dies auch schon in § 15 StVollzG Bund vorgegeben war, oder gar innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor der Entlassung zu gewähren »sind«.[81] Zudem sehen die Landesgesetze, ähnlich zu den Regelungen im Erwachsenenvollzug, zur Vorbereitung der Entlassung längerfristige Langzeitausgänge vor, wobei die zulässige Höchstdauer allerdings stark schwankt (von 14 Tagen bis zu sechs Monaten).[82] Auch hier finden sich teils wieder nicht zu rechtfertigende Schlechterstellungen gegenüber dem Erwachsenenvollzug, z. B. erneut in Mecklenburg-Vorpommern.

Die gesetzlichen Regelungen im Jugendstrafvollzug spiegeln damit insgesamt die allgemeinen Tendenzen einer mehr oder weniger stark auf vollzugsöffnende Maßnahmen orientierten Vollzugspolitik wider. Sie lassen teils weite Spielräume zu, zumal die frühere Vorschrift des § 91 Abs. 3 JGG in fast allen Bundesländern inhaltlich übernommen und der Vollzug »in weitgehend freien Formen« ermöglicht wurde (allgemein hierzu J. Walter 2009; Stelly 2015), wobei dieser allerdings meist (außer in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) nicht als eigene Vollzugsform, sondern als Lockerung implementiert wurde.[83] In Bayern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wurde hingegen keine entsprechende Regelung getroffen.

Nach wie vor werden je nach politischen Vorgaben unterschiedliche Akzentsetzungen der Vollzugspolitik erkennbar und unterschiedliche Traditionen, die sich schon unter den bundeseinheitlichen Vorgaben der VVJug herausgebildet haben, eher vertieft als nivelliert.

3 Die Entwicklung des offenen Vollzugs

Die Entwicklung des offenen Vollzugs entspricht den nationalen wie internationalen Vorgaben im Sinn einer möglichst weitgehenden Vollzugsöffnung kaum. Im Zeitraum seit 1996 ist der stichtagsbezogene Anteil von Gefangenen im offenen Erwachsenenstrafvollzug bis 2022 insgesamt von 20,8 % auf 14,7 % stetig gesunken.

In einigen Bundesländern war der Anteil von Gefangenen im offenen Vollzug schon in den 1990er und 2000er Jahren aufgrund veränderter kriminalpolitischer Akzentsetzungen drastisch gesunken. So ging dieser Anteil in Hamburg von über 30 % auf 13 % im Jahr 2010 zurück, stieg aber nach einer erneuten kriminalpolitischen Trendwende bis 2016 wieder auf 17,9 % an; mittlerweile liegt der Anteil bei 14,2 % (2022). In Hessen ging der Anteil Gefangener im offenen Vollzug bis 2004 ebenfalls von 27 % auf 10 % zurück; hier hat sich allerdings keine erneute Trendwende vollzogen, vielmehr liegt der Anteil sogar nur noch bei 4,9 % im Jahr 2022 (vgl. Abbildung 1). Niedersachsen zeigt einen deutlichen und kontinuierlichen Rückgang des Anteils Strafgefangener im offenen Vollzug von 28,4 % im Jahr 1996 über 20 % im Jahr 2010 auf 11,3 % im Jahr 2022.

Andere Bundesländer wie Berlin (2022: 27,3 % der Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen im offenen Vollzug) oder Nordrhein-Westfalen (28,6 %) haben ihr hohes Niveau halten können und dies ersichtlich ohne negative Konsequenzen. Entweichungen und Straftaten während Lockerungsmaßnahmen im offenen Vollzug sind überall die Ausnahme. Die liberalere Praxis in Berlin und NRW bei einer vergleichbaren Gefangenenstruktur widerlegt das (früher) aus Hamburg oder Hessen zu hörende Argument, dass die Gefangenen immer »schwieriger« bzw. »entweichungsgefährdeter« würden und damit ungeeignet für den offenen Vollzug seien.[84]

Nach wie vor auf einem sehr niedrigen Niveau liegen die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, in denen der offene Vollzug – ebenso wie traditionell in Bayern und Schleswig-Holstein – so gut wie keine Rolle spielt (jeweils 3–5 % der Stichtagsbelegung befindet sich im offenen Vollzug; negativer »Spitzenreiter« war Thüringen mit 2,8 % im Jahr 2022). Demgegenüber haben Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein für ostdeutsche Verhältnisse überdurchschnittliches Niveau erreicht (18,1 % bzw. 14,7 % im Jahr 2022) und erreichen damit den westdeutschen Durchschnitt oder nähern sich diesem an (vgl. Abbildung 1). Auch hier sind keine Negativerfahrungen durch den erheblichen Ausbau des offenen Vollzugs bekannt.

Schwierigkeiten der Nutzung offener Haftplatzkapazitäten (teilweise möglicherweise auch ein fehlender politischer Gestaltungswille einiger Länder) kommen zudem darin zum Ausdruck, dass die ohnehin geringen Haftplatzkapazitäten im offenen Vollzug in Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen-Anhalt zum Stichtag 31.3.2016 nur zur Hälfte genutzt wurden. Annähernd galt das auch für Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (vgl. Prätor 2016, 4).[85]

Die sehr unterschiedliche praktische Relevanz des offenen Vollzugs in den verschiedenen Bundesländern und im zeitlichen Verlauf dürfte sich vor allem mit der Abhängigkeit der Vollzugspolitik von der allgemeinen politischen Ausrichtung erklären, ein Phänomen, das sich durch die Föderalismusreform zweifellos verschärft hat. Damit läuft der Strafvollzug noch stärker als bislang Gefahr, zum Spielball populistischer Strömungen zu werden. Je nach Bedarf können Wähler*innenstimmen mobilisiert, Kriminalitätsängste geschürt und gesetzgeberischer Aktionismus gepflegt werden, der in der Sache nichts bringt, jedoch symbolisch Handlungsfähigkeit demonstriert.

Abbildung 1: Der Anteil von Strafgefangenen im offenen Erwachsenenstrafvollzug, 1996, 2004, 2010, 2016 und 2022
Abbildung 1:

Der Anteil von Strafgefangenen im offenen Erwachsenenstrafvollzug, 1996, 2004, 2010, 2016 und 2022

Im Jugendstrafvollzug ist der offene Vollzug mit wenigen Ausnahmen (Nordrhein-Westfalen und Hamburg sowie bis 2015 Niedersachsen) völlig unterentwickelt, was umso mehr schmerzt, als der 1953 gesetzlich erstmals erwähnte »Vollzug […] in weitgehend freien Formen« (vgl. § 91 Abs. 3 JGG a. F.) ein Vorreiter für die Öffnung des Vollzugs war. Für das eher marginale Erscheinungsbild des offenen Jugendstrafvollzugs gibt es allerdings auch eine Erklärung, da bei den überwiegend wegen Gewalttaten inhaftierten jungen Gefangenen die Gesetze oder Verwaltungsvorschriften vollzugsöffnende Maßnahmen erheblich erschweren.

Bemerkenswert ist immerhin die Praxis in Nordrhein-Westfalen und (eingeschränkt) neuerdings in Hamburg, die auch im Jugendvollzug den offenen Vollzug in beachtlichem Umfang praktizieren und damit bei einer keineswegs wesentlich unterschiedlichen Insassenstruktur im Vergleich zu den übrigen Ländern zeigen, dass eine weitergehende Öffnung möglich ist, wenn sie politisch gewollt wird (vgl. Abbildung 2). Ein gegenläufiger Trend zeigt sich in Niedersachsen, das 2005 (16,6 %) bis 2015 überdurchschnittliche Anteile von Jugendstrafgefangenen im offenen Vollzug auswies, 2022 aber mit 10,1 % nur noch Durchschnittsmaß erreichte.

In Bremen, Brandenburg (2022 im Gegensatz zu den Vorjahren), Hessen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es praktisch keinen offenen Jugendvollzug, stichtagsbezogen umfasst er absolut gesehen maximal 5 Personen (s. Abbildung 2).

4 Vollzugslockerungen

4.1 Überblick

Die Zahlen von Langzeitausgängen (bzw. Beurlaubungen bzw. Freistellungen aus der bzw. von der Haft) sind nach absoluten Zahlen nicht vergleichbar. Deshalb wurde als Vergleichsmaßstab die Zahl der Langzeitausgänge pro 100 Strafgefangene zu einem bestimmten Stichtag gewählt. Es handelt sich hier also nur um jeweils relative Aussagen. Da die Länderjustizverwaltungen an das Bundesjustizministerium die Zahl der Gefangenen mit Langzeitausgang erst seit 2015 melden, sind längsschnittbezogene Aussagen über den Anteil von Gefangenen, die überhaupt Lockerungen erhalten, nur eingeschränkt möglich. Dieser dürfte allerdings inzwischen im geschlossenen Vollzug eher gering sein. Nach einer Gefangenenbefragung in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern handelte es sich dort im Jahr 2003 z. B. nur um 30 % bzw. 29 % der männlichen erwachsenen Gefangenen.[86]

Abbildung 2: Der Anteil von Strafgefangenen im offenen Jugendstrafvollzug, 2005, 2010, 2015 und 2022
Abbildung 2:

Der Anteil von Strafgefangenen im offenen Jugendstrafvollzug, 2005, 2010, 2015 und 2022

Die Gesamtzahlen von Ausgängen und Langzeitausgängen sind im Zeitraum 1977–1990 auf das Drei- bis Vierfache des Ausgangswerts stark angestiegen, auch die Zahl der Freigänge stieg um mehr als 50 % an (vgl. Abbildung 3). Seither sind die Langzeitausgänge um ca. 40 % gesunken (seit 2004 blieben die Zahlen allerdings stabil) und die seit Mitte der 1990er Jahre sinkenden Freigangszulassungen lagen 2015 sogar unter dem Wert von 1977. Beim Ausgang stiegen die jährlichen Gewährungen bis 2000 stark an, nach einem vorübergehenden Einbruch Anfang der 2000er Jahre war bis zum Erfassungsjahr 2015 ein erneuter Anstieg zu verzeichnen (vgl. Abbildung 3).

Die rückläufigen Zahlen beim Freigang haben sicherlich auch mit den für lange Zeiten bestehenden Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt zu tun, im Übrigen möglicherweise mit der von den Vollzugsverwaltungen zunehmend als problematisch angesehenen Gefangenenstruktur,[87] jedoch ist diese Erklärung nicht ausreichend. Vielmehr dürfte sich das kriminalpolitische Klima – zumindest in einigen Bundesländern – in Richtung einer restriktiveren Lockerungspraxis gewandelt haben.

Abbildung 3: Vollzugslockerungen in Deutschland (Ausgang, Freigang, Langzeitausgang), 1977–2021
Abbildung 3:

Vollzugslockerungen in Deutschland (Ausgang, Freigang, Langzeitausgang), 1977–2021

Betrachtet man den Zeitraum 2019–2021, so sind die Zahlen für den Freigang mit den vorangegangenen Zeitperioden nur eingeschränkt vergleichbar, da nunmehr die Zahl der Gefangenen, denen Freigang gewährt wurden, gezählt werden, nicht die Zahl der Zulassungen, die u. U. dieselben Gefangenen mehrfach pro Jahr betreffen konnten. Eine Erweiterung der statistischen Erfassung ist ferner die Zahl der im Freigang verbrachten Tage außerhalb der Anstalt. Beim Ausgang und Langzeitausgang scheint die Vergleichbarkeit eher gegeben zu sein, jedoch gab es in der Zeit zwischen 2016 und 2018 unterschiedliche Zählweisen in einzelnen Bundesländern bei wiederholten Augangsgewährungen, weshalb diese Periode nicht in unsere Darstellung einbezogen wurde.

Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, dass die Gewährung von tageweisen Ausgängen 2019 in den alten Bundesländern in etwa den Zahlen von 2015 entsprach, 2020 gab es coronabedingt dann einen drastischen Rückgang. Im Jahr 2021, das im ersten Halbjahr weiterhin von der Pandemie geprägt war, gab es einen leichten Aufwärtstrend, der sich 2022 vermutlich fortsetzen wird.

In den neuen Bundesländern gab es schon zwischen 2015 und 2019 einen Einbruch, der sich 2020 coronabedingt fortsetzte und 2021 auf sehr niedrigem Niveau stagnierte.

Noch dramatischer stellt sich die Entwicklung beim Langzeitausgang (Hafturlaub) dar. Zwischen 2015 und 2019 brachen die relativen Zahlen von Langzeitausgängen pro 100 Gefangene der Stichtagsbelegung stark ein, ein Rückgang der sich in Coronazeiten kontinuierlich fortsetzte, ohne dass für 2021 eine Gegenbewegung erkennbar wird (vgl. Abbildung 3). Zu den Ursachen lassen sich mangels vertiefter auch qualitativer Forschung keine belastbaren Aussagen treffen.

Erwähnenswert ist, dass der Anstieg der Lockerungszahlen in den 1970er und 1980er Jahren nicht zu einem erhöhten Risiko der Bevölkerung durch vermehrte Missbräuche (Nichtrückkehr oder Straftaten während Lockerungen) geführt hat, im Gegenteil. Die Missbrauchsraten sind bezogen auf die jeweils gewährten Lockerungsformen ständig gesunken, und zwar besonders stark im Zeitraum, in dem die Maßnahmen stark expandierten (vgl. Abbildung 4). Inzwischen liegen die Missbrauchsraten nur noch im Promillebereich und verdeutlichen damit eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte der Lockerungspraxis im deutschen Strafvollzug.

Abbildung 4: Nicht rechtzeitige Rückkehr bei verschiedenen Lockerungsmaßnahmen in Deutschland, 1977–2021
Abbildung 4:

Nicht rechtzeitige Rückkehr bei verschiedenen Lockerungsmaßnahmen in Deutschland, 1977–2021

Allerdings ist zu beachten, dass die Missbrauchsraten in Abbildung 4 bis 2015 auf die jeweiligen Maßnahmen und nicht die Gefangenen bezogen sind. Die entsprechenden Missbrauchsraten bezogen auf die gewährten Maßnahmen liegen, wie Tabellen 2–10 (im separaten Online-Supplement; dort vorletzte Spalte) für alle drei Lockerungsarten zeigen, weiterhin im Promillebereich.

Da Gefangene, die sich bei Lockerungen bewährt haben, im Allgemeinen ein sehr geringes Missbrauchsrisiko aufweisen, erhalten sie häufig erneut Lockerungen, die zu dieser ausgesprochen niedrigen Missbrauchsquote beitragen. Bezieht man die Missbrauchsraten auf die gelockerten Gefangenen (Abbildung 4, Jahre ab 2019; vgl. auch Tabelle 2–10, Online-Supplement, letzte Spalte), so stellt sich die Missbrauchsquote erfreulicherweise nicht substantiell abweichend dar. Nach wie vor gilt der Befund, dass Gefangene in aller Regel Lockerungen nicht zur Flucht oder in Form von verspäteter Rückkehr missbrauchen. Hinsichtlich der Nicht- oder nicht rechtzeitigen Rückkehr bleiben die Misserfolgsraten jeweils unter 1,5 % (vgl. Abbildung 4). 2021 lagen sie gefangenenbezogen beim Ausgang und Langzeitausgang bei 1,3 %, beim Freigang sogar nur bei 0,6 %. Dies bedeutet, dass der Vollzug bei der Gewährung von Vollzugslockerungen die gesetzlichen Anforderungen (es darf nur ein »verantwortbares Risiko« eingegangen werden) sehr ernst nimmt und in der prognostischen Einschätzung außerordentlich treffsicher ist, andererseits die Gefangenen das in sie gesetzte Vertrauen (natürlich auch in der Erwartung auf weitere Lockerungen bei beanstandungsfreiem Verhalten) nicht leichtfertig missbrauchen.

4.2 Bundesländervergleich

4.2.1 Langzeitausgänge

Aus Tabelle 4 (im Online-Supplement) ergibt sich, dass die jährliche Anzahl von Langzeitausgängen pro 100 Gefangene der Stichtagsbelegung im Jahr 2021 (wie schon in früheren Jahren) zwischen 1 in Sachsen-Anhalt,[88] 20 in Bayern, 24 in Brandenburg einerseits und 401 in Berlin, 435 in Bremen und 750 in Hamburg erheblich variierte. Die neuen Bundesländer lagen bei maßnahmenbezogener Betrachtung (Durchschnitt: 49) alle unter dem westdeutschen Durchschnitt von 190. Dies bedeutet im West-Ost-Vergleich fast 4-fach so viele Langzeitausgänge pro 100 Strafgefangene in den alten Bundesländern. 2015 betrug das Gefälle »nur« 2,4 : 1 (berechnet nach Dünkel/Pruin/Beresnatzki/Treig 2018, S. 39, Abbildung 5).

Abbildung 5: Langzeitausgänge und Missbrauch (Nicht- oder nicht rechtzeitige Rückkehr) im Bundesländervergleich, 2021
Abbildung 5:

Langzeitausgänge und Missbrauch (Nicht- oder nicht rechtzeitige Rückkehr) im Bundesländervergleich, 2021

Allerdings variierten die Raten von Langzeitausgängen auch innerhalb der west- und ostdeutschen Bundesländer beträchtlich, wobei in Ostdeutschland Sachsen-Anhalt beim Langzeitausgang (1 pro 100 Gefangene) negativ, Mecklenburg-Vorpommern (96) positiv auffällt. Mecklenburg-Vorpommern hat damit eine konsequenter überleitungsorientierte Lockerungspraxis als die alten Bundesländer Bayern, Hessen und Niedersachsen. Auch innerhalb der alten Bundesländer ist die Variationsbreite zwischen 20 (Bayern) und 750 (Hamburg) ganz erheblich. Hamburg, Bremen und Berlin, eingeschränkt auch Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, gewährten ein Mehrfaches an Langzeitausgängen im Vergleich zu Bayern, Hessen, Niedersachsen und allen ostdeutschen Bundesländern. Das Saarland und Schleswig-Holstein lagen auf durchschnittlichem westdeutschen Niveau.

Die seit 2019 bundeseinheitlich erfolgende Erfassung der Zahl von Gefangenen, die jährlich gelockert werden, lässt Rückschlüsse darauf zu, wie hoch der Prozentsatz derer ist, die überhaupt von Lockerungen profitieren. Die gelockerten Gefangenen im Kalenderjahr auf die Stichtagsbelegung zum 31.3. des Jahres zu beziehen, ist zwar kein exakter Prozentwert bezogen auf die jährlich Entlassenen, jedoch kann man die in den Tabellen 2–10 (im Online-Supplement) jeweils in Spalte 4 ausgewiesenen Daten zu Gefangenen, denen Lockerungen gewährt wurden, als Indikator für den Anteil von Gefangenen, die vor ihrer Entlassung Lockerungen erhielten, werten.

Bei einer gefangenenbezogenen Betrachtungsweise relativieren sich die oben anhand der maßnahmenbezogenen Auswertung der Lockerungspraxis gefundenen Unterschiede teilweise, jedoch bleiben die bekannten Unterschiede zwischen den Bundesländern erhalten. So lag der Wert 2021 bundesweit bei 17,1, in Westdeutschland bei 18,9, in den neuen Bundesländern bei 6,2. Der West-Ost-Unterschied ist damit ähnlich stark ausgeprägt (Verhältnis 3,0 : 1) wie bei einer auf die Häufigkeit der Maßnahmen bezogenen Betrachtungsweise (3,9 : 1). Dies bedeutet, dass ein Teil der West-Ost-Unterschiede auf die vermehrte wiederholte Gewährung von Langzeitausgängen bei denselben Gefangenen in (einigen) westdeutschen Bundesländern beruht.

Die höchsten »Prävalenzraten« erreichten 2021 Hamburg (32,5), Bremen und NRW (jeweils 30,5) und Berlin (29,6), es folgten mit Abstand Baden-Württemberg (18,3), Schleswig-Holstein (16,6), Rheinland-Pfalz (15,3), Mecklenburg-Vorpommern (M-V) (12,7) und Niedersachsen (11,7, vgl. Tabelle 4 im Online-Supplement, Spalte 4 und Abbildung 5). Die anderen neuen Bundesländer (außer M-V), Hessen (8,0) und Bayern (4,4) haben anteilsmäßig erheblich weniger Gefangenen Langzeitausgang gewährt.

Bereits aus Abbildung 4 war deutlich geworden, dass die Missbrauchsraten insgesamt minimal sind und im Promillebereich liegen. Im Längsschnittvergleich waren sie seit 1977 rückläufig. Seit 2019 verfügen wir nunmehr auch über gefangenenbezogene Missbrauchsraten, die 2021 beim Langzeitausgang bei 1,3 % lagen und damit nur unwesentlich höher sind als bei einer maßnahmenbezogenen Betrachtung.

Der fehlende Zusammenhang zwischen einer mehr oder weniger weitgehenden Praxis der Vollzugsöffnung und Missbrauchsraten wird auch im Rahmen des Bundesländervergleichs immer wieder deutlich. Die auf die gewährten Langzeitausgänge bezogenen Missbrauchsquoten lagen 2019–2021 in keinem Bundesland über 0,2 %,[89] in vielen Ländern lagen sie bei 0,0 %, in Hamburg trotz der besonders extensiven Lockerungspraxis (s. u.) über alle drei Jahre hinweg nur bei 0,1 % (s. Tabellen 2–4 im Online-Supplement).

In Abbildung 5 sind die gefangenenbezogenen Missbrauchsraten ausgewiesen, die, wie schon frühere Analysen zeigten,[90] keinen Anlass geben, die sehr viel »liberalere« Lockerungspraxis z. B. in den Stadtstaaten in Frage zu stellen. Es handelt sich um wenige Einzelfälle, die Prozentwerte schwanken auf niedrigstem Niveau im Zufallsbereich (wie sich auch im Vergleich der einzelnen Jahrgangsdaten in Tabelle 2–4 im Online-Supplement zeigt). Die restriktivere Praxis in Bayern oder Niedersachsen zahlt sich nicht in statistisch signifikant geringeren Missbrauchsraten aus.

Die Tabellen 2–4 im Online-Supplement lassen auch Rückschlüsse auf die pandemiebezogenen Auswirkungen der Lockerungspraxis zu. Wurden im Jahr vor der Pandemie 2019 bundesweit 279 Langzeitausgänge pro 100 Gefangene gewährt (gefangenenbezogen waren es 22), so sank der Wert 2020 auf 181 (–35 %) bzw. gefangenenbezogen auf 19 (–17 %, berechnet nach Tabelle 2 und 3 Spalten 4 und 6). 2021 sanken die Werte nochmals leicht auf 169 bzw. 17. Der Rückgang war auf die beiden Pandemiejahre bezogen damit eher moderat. Offenbar haben die Landesjustizverwaltungen zwischen den verschiedenen Wellen der Pandemie häufig die Lockerungspraxis wieder auf ein »Normalniveau« ausgeweitet.

Diese bundesweite Entwicklung ist allerdings regionalspezifisch zu differenzieren. In Ostdeutschland ging der Langzeitausgang von 2019 bis 2021 um 37 % zurück, in Westdeutschland dagegen »nur« um 23 %. In Ostdeutschland war in Mecklenburg-Vorpommern kein Rückgang des Anteils von Gefangenen mit Langzeitausgang zu beobachten, im Gegenteil nahm die Zahl von Langzeitausgangstagen sogar zu, weil die Anstalten häufiger von der Möglichkeit, mehrwöchige Langzeitausgänge zu gewähren, Gebrauch machten, um die Infektionsgefahr im Vollzug zu senken (vgl. bereits Dünkel/Morgenstern 2020; 2022). Demgegenüber ging in Thüringen der Anteil von Gefangenen mit Langzeitausgang um 55 % zurück.

In Westdeutschland sind überdurchschnittliche Rückgänge in Niedersachsen (gefangenenbezogen –56 %, maßnahmenbezogen –59 %) und in Bayern (um nicht weniger als 72 % bzw. maßnahmenbezogen 84 %) zu beobachten gewesen, während in Schleswig-Holstein ein kaum spürbarer Rückgang zu registrieren war (gefangenenbezogen –10 %, maßnahmenbezogen –5 %). Im Ergebnis sind Länder mit einer ohnehin restriktiven Lockerungspraxis während der Pandemie und auch in der Zeit zwischen den einzelnen Pandemiewellen noch restriktiver geworden, während andere Bundesländer damit kreativer bzw. auch kompensatorischer umgegangen sind (s. das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern).

Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis in diesen Zusammenhang ist, dass die Dauer der Langzeitausgänge in den Pandemiejahren von durchschnittlich 1,7 Tagen 2019 auf 3,3 (2020) bzw. 3,2 (2021) anstieg. Auch hier gibt es länderspezifische Besonderheiten (Brandenburg 2020: 12,5 Tage, 2021: 22,6; Berlin: 8,2 bzw. 9,1). Sachsen-Anhalt hat den wenigen Gefangenen mit Langzeitausgang (n = 18 bzw. 11) durchschnittlich 8,7 bzw. 2021 13,8 Tage gewährt (vgl. jeweils Tabellen 2–4 im Online-Supplement, Spalte 13).

Wie erwähnt ist eine Längsschnittbetrachtung von Lockerungsmaßnahmen (hier dem Langzeitausgang) im Bundesländervergleich wegen der Änderungen der Erfassungsmethoden nur eingeschränkt möglich. Im Beitrag von Dünkel/Pruin/Beresnatzki/Treig (2018, S. 39 ff.) wurde die Entwicklung von 1977–2015 detailliert beschrieben und ein Bezug zu unter konservativen Regierungen restriktiven Politikphasen in Hamburg und Hessen Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre hergestellt. Auch in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz waren rückläufige Tendenzen erkennbar. Eine konsequent lockerungsfreundliche Vollzugsgestaltung war in Hamburg mit Regierungswechseln assoziiert, auch in Baden-Württemberg und neuerdings in Schleswig-Holstein kann man die »sozialdemokratische Handschrift« erkennen. Im letzten Jahrzehnt haben die Bemühungen um einheitliche Strafvollzugsgesetze jedoch unabhängig von Parteipräferenzen eine entscheidende Rolle gespielt, indem der Musterentwurf von 10 Bundesländern im Jahr 2012 (s. o. unter 2.1) eine überleitungsorientierte Ausrichtung vorgab (s. oben Tabelle 1).

Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen hatten über den gesamten Beobachtungszeitraum eine überdurchschnittliche Gewährungspraxis beim Langzeitausgang, Bayern war stets »Schlusslicht« und bewegte sich auf dem Niveau der neuen Bundesländer, die seit Anfang der 2000er Jahre statistisch erfasst wurden.

4.2.2 Ausgänge

Wie oben aus Abbildung 3 erkennbar wurde, ist die Gewährung von stunden- bzw. tageweisen Ausgängen 1977–2014 in den alten Bundesländern um das ca. 7-fache angestiegen, stagnierte danach bis 2019, um in den Pandemiejahren dann deutlich einzubrechen (s. o. 4.1). Für den Längsschnittvergleich stehen uns nur maßnahmebezogene Daten zur Verfügung, nicht die Anzahl der betroffenen Gefangenen, die erst seit 2019 vollständig registriert werden. Die Ausgangspraxis war im Durchschnitt der alten Bundesländer nach einem stetigen Anstieg seit 1977 im Zeitraum 2000–2005 leicht rückläufig, war danach bis 2015 (bei starken regionalen Unterschieden) aber wieder ansteigend. Die für den zeitweisen Rückgang hauptverantwortlichen Bundesländer waren Bremen, Hamburg und vor allem Hessen.[91] Eine gegen den allgemeinen Trend rückläufige Entwicklung war in Niedersachsen 1995–2000 erkennbar, seither ist die Zahl von Ausgängen pro 100 Strafgefangene zum Stichtag allerdings stark angestiegen und erreichte 2015 den höchsten Wert im Ländervergleich. Die maßgeblich politisch vorgegebenen Restriktionen oder Liberalisierungen der Lockerungspraxis führen im Bereich der tageweisen Ausgänge zu besonders stark ausgeprägten Ausschlägen der Verlaufskurven.

Im Querschnittsvergleich der Bundesländer variierte die Zahl der tageweisen Ausgänge 2021 noch ausgeprägter als diejenige der Langzeitausgänge (4.2.1): Die Werte lagen zwischen 35 (Bayern) bzw. 78 (Thüringen) einerseits und 1497 (Schleswig-Holstein), 1581 (Nordrhein-Westfalen), 1825 (Hamburg) sowie 3055 (Berlin) andererseits, d. h. im Extremfall wurden knapp 87-mal so viele Ausgänge gewährt (vgl. Tabelle 7 im Online-Supplement, Spalte 6). Mit Bayern einerseits und Berlin andererseits betreffen diese extremen Schwankungen die alten Bundesländer, in Ostdeutschland lag die Bandbreite zwischen 78 in Thüringen und 1035 in Mecklenburg-Vorpommern, was einem Verhältnis von 1 : 13 entspricht. Der generelle Befund eines starken West-Ost-Gefälles im Verhältnis von 3,2 : 1 trifft auch für den Ausgang nach wie vor zu (Ausnahmen: Bayern für Westdeutschland und Mecklenburg-Vorpommern für die neuen Bundesländer).

Betrachtet man die Ausgangsgewährung gefangenenbezogen (Tabelle 7, Spalte 4 und Abbildung 6), so variierten die Zahlen von Gefangenen mit Ausgang pro 100 der Stichtagsbelegung zwischen 7,7 in Bayern, 9,1 in Sachsen-Anhalt, 12,4 in Hessen und 13,9 in Thüringen einerseits und 55,9 in Mecklenburg-Vorpommern, 53,7 in NRW, 46,0 in Berlin, 45,4 in Bremen und 44,9 in Hamburg andererseits, was im Extremfall bedeutet, dass in Mecklenburg-Vorpommern ca. 7-mal so viele Gefangene von dieser Lockerungsform profitieren konnten wie in Bayern. Wie auch beim Langzeitausgang (s. o.) sind die Stadtstaaten, Nordrhein-Westfalen und eingeschränkt Niedersachsen, Brandenburg sowie Schleswig-Holstein beim Ausgang stärker lockerungsorientiert als Bayern, Hessen und die südlichen neuen Bundesländer (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen).

Zugleich gilt auch für die Praxis der Gewährung von Ausgängen, dass es keinen Zusammenhang zwischen einer extensiveren Praxis und der so oder so extrem niedrigen Missbrauchsquote gibt (vgl. Abbildung 6).

Abbildung 6: Ausgang und Ausgangsmissbrauch im Bundesländervergleich, 2021
Abbildung 6:

Ausgang und Ausgangsmissbrauch im Bundesländervergleich, 2021

Seit 2019 wird auch die »Inzidenz«, d. h. die Zahl von Ausgängen pro gefangener Person erfasst. Auch hier gibt es eine beträchtliche Varianz zwischen 4,6 (Bayern), 5,6 (Thüringen) und 40,6 (Hamburg), 48,6 (Schleswig-Holstein) und nicht weniger als 66,4 in Berlin, was im letzteren Fall mit dem starken Ausbau des offenen Vollzugs (s. o. 3.) zusammenhängen dürfte (ähnliches gilt für Nordrhein-Westfalen mit einer Inzidenz von 29,4).

Die pandemiebedingten Rückgänge der Ausgangsgewährung sind aus den Tabellen 5–7 im Online-Supplement zu entnehmen. Sie sind insgesamt gefangenenbezogen weniger ausgeprägt als maßnahmenbezogen hinsichtlich der Gesamtzahl gewährter Ausgänge. Wurden 2019 noch 37,5 pro 100 Gefangene zu mindestens einem Ausgang zugelassen, so waren es 2020 32,5 und 2021 31,3 (insgesamt –16,5 %), die Anzahl der Ausgänge insgesamt pro 100 Strafgefangene ging dagegen von 1262,8 auf 820,9 (2020) bzw. 876,1 (2021) zurück (2019–2020: –35,0 %; 2019–2021: –30,6 %). In den neuen Bundesländern sank ausgehend von einem niedrigeren Ausgangsniveau (s. o.) die Zahl von Gefangenen mit Ausgang um insgesamt 23,3 % und diejenige von Ausgangsmaßnahmen um 38,2 %, d. h. deutlich stärker als in den alten Bundesländern.

4.2.3 Freigang

Die jährlichen Zulassungen zum Freigang sind – wie unter 4.1 gezeigt – bis Anfang der 1990er Jahre gestiegen und seither bis 2015 rückläufig gewesen. Die Daten für 2019–2021 sind wegen der unterschiedlichen Zählweise nicht mehr vergleichbar mit dem Zeitraum davor. Die relativen Veränderungen sind jenseits vollzugspolitischer Orientierungen auch von der jeweils aktuellen Arbeitsmarktlage beeinflusst. Insoweit könnte man versucht sein, die an anderer Stelle detaillierter beschriebenen niedrigeren Zahlen in den ostdeutschen Bundesländern[92] mit der dortigen höheren Arbeitslosigkeit in Verbindung zu bringen. Allerdings muss dann überraschen, dass im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern 2015 relativ gesehen (pro 100 Strafgefangene der Stichtagsbelegung) mehr als doppelt so viele Freigänger*innen zugelassen wurden als in Schleswig-Holstein. In Berlin und Bremen erfolgten mehr als doppelt so viele Zulassungen wie in Bayern oder Hessen, was ebenfalls die Arbeitsmarktthese nicht plausibel erscheinen lässt. Die Unterschiede zwischen 4 (Sachsen) oder knapp 5 (Sachsen-Anhalt) einerseits und 42 (Bremen) bzw. 45 (Berlin) andererseits bedeuten eine etwa 9–10-fach erhöhte Freigänger*innenzahl in den letzteren Fällen.[93]

Die Freigangszulassungen waren zwischen 1990 und 2004 in Hessen und Hamburg besonders drastisch rückläufig, jedoch hat sich in Hessen seit 2004 (11 Zulassungen pro 100 Gefangene) bei erheblichen Schwankungen ein leichter Anstieg auf knapp 19 ergeben. Eine noch deutlichere Kehrtwende vollzog sich in Hamburg, wo sich die Zulassungszahlen zum Freigang im Zeitraum 2008–2015 verdreifachten. Demgemäß kann man die Entwicklung als Zeichen einer Rückkehr zu einer stärker überleitungs- bzw. resozialisierungsorientierten Vollzugsgestaltung werten, wie sie auch bei der Gesetzgebung zum Jugendstrafvollzug bereits zu beobachten war.[94]

Die Zulassung zum Freigang betraf im Zeitraum 2019–2021 durchschnittlich 10 Gefangene pro 100 der Stichtagsbelegung (2019: 10,5; 2020: 9,5; 2021: 10,1). Damit ergeben sich im Gegensatz zum Langzeitausgang und Ausgang keine wesentlichen coronabedingten Rückgänge der Freigangspraxis. Dies gilt auch für die Anzahl der Tage im Freigang: Pro Freigänger*in waren es 2019 64,3 Tage, 2020 65,5 Tage und 2021 59,9 Tage. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass der Freigang eine kleine Minderheit der Gefangenen betrifft, die in offenen Abteilungen oder Anstalten untergebracht sind, die von durch Corona veranlassten Einschränkungen von Vollzugslockerungen nicht tangiert wurden. Hierzu bedürfte es weiterer und vertiefter Forschung.

Auch für den Freigang gilt ein West-Ost-Gefälle (2019: 11,2 : 6,2; 2021: 11,0 : 4,4) bei erheblichen regionalen Unterschieden. Die z. T. deutlichen Schwankungen innerhalb einzelner Bundesländer mahnen zu einer vorsichtigen Interpretation, da es sich insoweit um Zufallsschwankungen oder auch Registrierungsfehler handeln kann.

Die höchsten Werte pro 100 Gefangene erreichten 2019 Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, während der Freigang in Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen so gut wie keine Rolle spielte. Die Extremfälle von Bremen (32,2) im Vergleich zu Sachsen-Anhalt (1,7) bedeuten fast 19-mal so viele Freigänge im ersten Fall (vgl. Tabelle 8 im Online-Supplement). Im Jahr 2021 haben sich die regionalen Unterschiede noch verstärkt: In Ostdeutschland gibt es mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern praktisch keinen Freigang mehr, in den alten Bundesländern schwankten die Raten zwischen 1,8 in Bayern und 29,2 in Berlin. Auch 2021 war die Freigangspraxis in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen am ausgedehntesten, neben Bayern dagegen auch in Hessen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen unterdurchschnittlich (vgl. Tabelle 10 im Online-Supplement).

Weniger stark ausgeprägt waren 2021 die »Inzidenzraten« bzgl. der Anzahl der Tage, die Gefangene im Freigang verbrachten. In Bremen und Hamburg, aber auch in Brandenburg (bei allerdings dort nur wenigen Personen, die dies betraf) verbrachten Gefangene 87–99 Tage im Freigang, die geringste Dauer ergab sich für Sachsen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Bayern mit 43–51 Tagen.

Auch beim Freigang zeigt sich, dass kein Zusammenhang besteht zwischen der Zahl von Zulassungen und der Quote an Widerrufen (die allerdings nicht immer von den Gefangenen verschuldet sein müssen, etwa bei betriebsbedingten Kündigungen u. ä.) bzw. Missbräuchen bzgl. der Rückkehrpflicht. Die Missbrauchsquote liegt z. B. in Bremen trotz einer offensichtlich extensiveren Zulassungspraxis nicht höher als in Hessen oder im Durchschnitt der besonders restriktiv verfahrenden ostdeutschen Bundesländer, auch wenn dort z. T. keinerlei Missbrauchsfälle gemeldet wurden (vgl. Abbildung 7). Da nur sehr wenige Gefangene insgesamt zum Freigang zugelassen werden, sind die Missbrauchsraten aufgrund von Einzelfällen in Berlin z. T. erhöht, die Abweichungen sind jedoch auch bei gefangenenbezogener Betrachtung statistisch nicht signifikant und von daher nicht interpretierbar (vgl. i. E. Tabellen 8–10 im Online-Supplement, Spalten 13 und gefangenenbezogen Spalte 14).

4.3 Langzeitausgänge, Ausgänge und Freigang im zusammenfassenden Bundesländervergleich, 2019–2021

Fasst man die Befunde zu den Vollzugslockerungen für die Jahre 2019–2021 nochmals mit Blick auf alle drei wesentlichen Lockerungsmaßnahmen zusammen, so ergeben sich »Cluster« von Bundesländern, die eine regionalspezifisch divergierende Praxis andeuten, die man als einigermaßen »gefestigt« ansehen kann. Dazu gehört für alle Maßnahmen ein mehr oder weniger deutliches West-Ost-Gefälle

Bei den Ausgängen waren die gefangenenbezogenen Anteile 2021 in den alten Bundesländern mit 32,8 gegenüber knapp 23,0 in den neuen Bundesländern um 40 % erhöht, beim Langzeitausgang konnten in den alten Bundesländern etwa viermal so viele Gefangene wie in den neuen Bundesländern von dieser Lockerungsform profitierten (189,6 : 49,0), beim Freigang waren die Zulassungsraten in Westdeutschland 2,5-fach erhöht (vgl. Tabelle 11).

Zu beachten ist hierbei, dass in Ostdeutschland Mecklenburg-Vorpommern bei allen drei Lockerungsformen, Brandenburg beim Ausgang »westdeutsches« Niveau erreicht haben, die südlichen ostdeutschen Bundesländer dagegen durchweg erhebliche Defizite erkennen lassen. In Westdeutschland gilt dies vor allem für Bayern und Hessen (für alle drei Lockerungsmaßnahmen), in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz für den Langzeitausgang und Freigang. Die weitestgehende Praxis vollzugsöffnender Maßnahmen zeigen wie schon in früheren Jahren Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

Abbildung 7: Freigang und Freigangsmissbrauch im Bundesländervergleich, 2021
Abbildung 7:

Freigang und Freigangsmissbrauch im Bundesländervergleich, 2021

In einem »Gesamtranking« für Ausgang, Langzeitausgang und Freigang liegen sowohl bei einer maßnahmen- wie gefangenenbezogenen Zählweise die Bundesländer Bremen, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen in der Spitzengruppe, Bayern, Hessen und die neuen Bundesländer (mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern) am Ende.

Die bereits früher im Hinblick auf Bayern geübte Kritik an der restriktiven Praxis vollzugsöffnender Maßnahmen[95] wird damit durch die vorliegenden Daten gestützt. Allerdings steht Bayern wie gezeigt nicht allein, auch die meisten neuen Bundesländer, Hessen und in Teilbereichen andere Länder verfahren sehr restriktiv.

5 Fazit

Die z. T. gegenläufige Entwicklung beim Ausbau des offenen Vollzugs und dem Einsatz von Vollzugslockerungen verdeutlicht unterschiedliche Akzentsetzungen im Hinblick auf das Vollzugsziel der Resozialisierung und die Aufgabe des Schutzes der Allgemeinheit. Einige Länder wie Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt haben eine restriktive Praxis in ihren Vollzugsgesetzen »legitimiert«. Allerdings hat sich in Niedersachsen trotz eines starken Rückgangs der Belegung im offenen Vollzug in den letzten Jahren eine Ausweitung von Lockerungsmaßnahmen ergeben, ein Ausdruck des politischen Willens, die Entlassung und Überleitung in Freiheit konsequenter vorzubereiten. Gleichwohl gibt es in diesem Bundesland neuerdings rückläufige Tendenzen, die weiterer empirischer Analysen bedürften.

Tabelle 11:

Lockerungspraxis im Strafvollzug insgesamt, 2021[96]

Bundesland/Region

Strafgefangene insgesamt (31.03.2021)

Ausgangsgewährungen pro 100 Strafgefangene

Gefangene mit Ausgang* pro 100 Strafgefangene

LA pro 100 Strafgefangene

Gefangene mit LA* pro 100 d. Jahresdurchschn.bel.

Freigang (Tage) pro 100 Strafge-fangene

Gefangene mit Freigang* pro 100 Strafgefangene

BW

5171

424,9

15,8

202,7

11,6

916,5

8,1

BY

7267

35,1

6,6

20,3

3,8

94,7

1,6

BE

2572

3055,1

25,5

401,3

15,1

k. A.

29,2

BB

925

299,9

18,4

23,5

3,2

449,0

5,2

HB

463

1000,4

28,3

434,6

17,9

2368,5

21,8

HH

1327

1824,8

17,9

750,0

15,9

1740,8

17,8

HE

3182

147,3

7,7

69,8

4,4

276,1

5,3

M-V

828

1035,1

38,6

96,4

8,8

808,8

9,9

NI

3923

649,1

20,3

84,1

7,8

680,1

7,8

NW

11 680

1581,4

27,7

252,7

16,5

1016,6

11,0

RP

2436

968,1

15,7

122,1

9,6

564,7

6,8

SL

626

192,5

15,2

171,2

9,3

429,7

5,9

SN

2258

253,1

12,9

63,2

3,6

137,0

1,8

ST

1480

152,9

6,1

1,3

,5

72,2

1,3

SH

871

1496,9

18,0

183,9

10,1

449,5

6,1

TH

1207

78,4

10,0

68,1

4,1

85,5

1,4

alte BL

39 518

973,3

18,3

189,6

10,9

665,3

9,2

neue BL

6698

302,6

14,8

49,0

3,6

239,5

3,1

D insg.

46 216

876,1

17,8

169,2

9,8

603,6

8,3

* erstmalige Zulassung im Kalenderjahr bzgl. der entsprechenden Lockerungsform

Bei einer Gesamtschau der vollzugsöffnenden Maßnahmen (Verlegung in den offenen Vollzug, Ausgang, Langzeitausgang und Freigang) kann man Bundesländer grob in folgende Cluster gruppieren: Berlin und Nordrhein-Westfalen liegen beim offenen Vollzug, aber auch bei den Vollzugslockerungen z. T. weit über dem Bundesdurchschnitt. Bremen und Hamburg, gehören zu den Ländern mit überdurchschnittlich hohen Lockerungszahlen, während die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in den alten Bundesländern Bayern und Hessen eine sehr restriktive Lockerungspraxis entwickelt haben. Bemerkenswert ist, dass sich in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern der politische Gestaltungswille für einen stärker überleitungsorientierten Vollzug auch in wachsenden Lockerungszahlen widerspiegelt. Damit gibt es im Osten ein Nord-Süd-Gefälle, wie es sich auch in den alten Ländern schon seit längerem herausgebildet hat.

Ferner zeigt sich, dass die gesetzliche Ausgestaltung nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, weil alle Gesetze ausreichenden Spielraum für eine liberalere oder restriktivere Handhabung lassen. Mit anderen Worten: Es fehlt in einigen Bundesländern schlichtweg der politische Wille, den Vollzug konsequent überleitungsorientiert zu gestalten. Für Justizminister*innen ist ein »ruhiger« Strafvollzug ohne besondere Vorkommnisse notwendige, wenngleich nicht immer hinreichende Garantie »politisch« zu überleben. Erst wenn es gelingt, den Vollzug aus dem potentiellen »Skandalisierungskreislauf« der Medien herauszubringen und wenn mit markigen Parolen eines harten Strafvollzugs nicht (mehr) erfolgreich Wahlkampf betrieben werden kann, wird sich ein Wettbewerb der »guten Praxismodelle«[97] entwickeln können, der den nationalen (BVerfG) und internationalen Vorgaben einer »wissensbasierten Kriminalpolitik«[98] Rechnung trägt. Wenig zufriedenstellend ist die Anfälligkeit der Lockerungspraxis für politische Zeitströmungen. Mit dem Wechsel zu SPD-geführten Regierungen oder Regierungsbeteiligungen von Bündnis 90/Die Grünen oder der Linkspartei (vgl. z. B. Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) steigen regelmäßig die Lockerungszahlen, unter CDU-Regierungen stagnieren die Zahlen oder sind – wie zeitweilig in Hessen oder Hamburg erkennbar – stark rückläufig (gewesen). Parteipolitische Differenzen auf dem Rücken der Gefangenen auszutragen, erscheint für einen Vollzug mit einer systematischen Entlassungsvorbereitung durch vollzugsöffnende Maßnahmen und einer Verzahnung mit den ambulanten Nachsorgeeinrichtungen der Sozialen Dienste der Justiz und der freien Straffälligenhilfe in keiner Weise zuträglich. Immerhin konnte mit dem Musterentwurf von 2012, der die Gesetzgebung seit 2013 in Berlin, Bremen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen maßgeblich geprägt hat, ein vernunftgeleiteter parteiübergreifender Konsens hergestellt werden, der einerseits den Unsinn der Föderalismusreform und andererseits das Konzept eines konsequent überleitungsorientierten Vollzugs verdeutlicht, auch wenn dieses in Sachsen, Thüringen sowie Sachsen-Anhalt ausweislich der hier vorgelegten statistischen Auswertungen noch nicht umgesetzt zu werden scheint. Für Sachsen-Anhalt verwundert dies allerdings nicht wirklich, wenn man bedenkt, dass die dortige Gesetzgebung aus der Vorlage des Musterentwurfs eines der restriktivsten deutschen Justizvollzugsgesetze gemacht hat – wenn es nicht sogar das restriktivste ist.

Zu einem konsequent überleitungsorientierten Vollzug gehört neben den in diesem Beitrag in den Mittelpunkt gestellten vollzugsöffnenden Maßnahmen auch eine Fortführung des Vollzugsplans ein Jahr vor der Entlassung im Rahmen eines sog. Eingliederungsplans, der eine den Vollzug verpflichtende Checkliste enthält. § 9 Abs. 3 StVollzG M-V fasst diese so:

»Insbesondere ist Stellung zu nehmen zu:

  1. Unterbringung im offenen Vollzug, Übergangseinrichtung,

  2. Unterkunft sowie Arbeit oder Ausbildung nach der Entlassung,

  3. Unterstützung bei notwendigen Behördengängen und der Beschaffung der notwendigen persönlichen Dokumente,

  4. Beteiligung des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit,

  5. Kontaktaufnahme zu Einrichtungen der Entlassenenhilfe,

  6. Fortsetzung von im Vollzug noch nicht abgeschlossenen Maßnahmen,

  7. Anregung von Auflagen und Weisungen für die Bewährungs- oder Führungsaufsicht,

  8. Vermittlung in weiterführende Betreuung,

  9. nachgehende Betreuung durch Vollzugsbedienstete.«[99]

Nicht zuletzt bedarf es ergänzend auch außerhalb der Vollzugsgesetze gesetzlicher Regelungen für den ambulanten Bereich, wie sie in den Resozialisierungsgesetzen in Hamburg und Schleswig-Holstein teilweise vorbildlich umgesetzt wurden (vgl. Schatz 2020; Tein/Wein 2021; zum Diskussionsentwurf für ein Landesresozialisierungsgesetz vgl. Cornel u. a. 2015; Dünkel u. a. 2018), um auch die Bewährungshilfe verpflichtend und die Freie Straffälligenhilfe auf freiwilliger Kooperationsbasis in den Überleitungsprozess einzubinden.

Das Fazit kann nicht ohne einen Hinweis auf viele offene Fragen und in einigen Fällen auf Zweifel an der Validität der von den Landesjustizverwaltungen zur Verfügung gestellten Daten bleiben.[100] Weitere und vertiefte Forschung ist notwendig, um tatsächlich evidenzbasiert das Konzept einer wirksamen Wiedereingliederung von Gefangenen fortzuentwickeln.


Anmerkung

Der Beitrag schreibt die früheren Untersuchungen zum Thema von Dünkel/Pruin 2015; Dünkel/Pruin/Beresnatzki/von der Wense 2016; Dünkel/Pruin/Beresnatzki/Treig 2018 fort.


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Online erschienen: 2023-12-12
Erschienen im Druck: 2024-01-29

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 17.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mks-2023-0042/html
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