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Täuferische Kirchen in der Ökumene

Veröffentlicht/Copyright: 5. September 2024
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Liebe Leserinnen und Leser,

im Vorfeld des nächsten Reformationsjubiläums: des Täufergedenkens 2025, stellt sich die Frage nach dem aktuellen Verhältnis „täuferischer“ Kirchen zu denen, die (auch) kleine Kinder taufen. In der Vergangenheit sind nicht wenige, die die Kleinkindertaufe ablehnten, dafür mit dem Tod bestraft worden. Bis ins aktuelle Jahrhundert finden sich Nachteile für Vertreter*innen der ausschließlichen Glaubenstaufe, die zwar weit weniger drastisch sind, aber durchaus Lebenswege negativ beeinflussen. Zunehmend finden sich aber, zum Teil ebenfalls schon seit Jahrhunderten, Beispiele für Konvivenz oder sogar Koinonia (Gemeinschaft durch Teilhabe). Entsprechend trug die diesjährige Europäische Konfessionskundetagung des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim (KI) den Titel „Vom Konflikt zur Koinonia. Täuferische Kirchen in Deutschland in Geschichte und ökumenischer Gegenwart“.

Bei der federführend von Andrea Strübind (Oldenburg), seit vielen Jahren Ständiger Gast des Wissenschaftlichen Beirats des KI, und Lothar Triebel, Freikirchenreferent im KI, organisierten Tagung wurden diese Kirchenbeziehungen besonders in dreierlei Hinsicht untersucht:

  • Was hat die Vielzahl von theologischen Dialogen zwischen zum Beispiel Baptisten und Lutheranern oder Mennoniten und Katholiken, die in den letzten Jahrzehnten teils national, teils auf Weltebene stattfanden, theoretisch erbracht und in der Praxis verändert?

  • Wie sind die Prozesse von „Heilung der Erinnerungen“ verlaufen?

  • Was sind die Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben, und welche sind noch zu ziehen?

In dieser Ausgabe des MdKI werden die meisten Tagungsvorträge dokumentiert.

Den Eröffnungsvortrag hielten Strübind und Astrid von Schlachta (Regensburg/Hamburg) zum Thema „Die Geschichte der täuferischen Kirchen in Deutschland – Last und Lust“. Sie zeigten mit Beispielen aus dem 16., 19. und 20. Jahrhundert die grausame Last aus der Konfliktgeschichte mit den Großkirchen auf, konnten aber für das 19. Jahrhundert (in Bezug auf Mennoniten), das 20. und das 21. Jahrhundert auch schöne und Hoffnung machende Aspekte benennen; ebenso wiesen sie auf Desiderate hin. Abgedruckt wird in diesem Heft der Beitrag von Schlachtas.

Fernando Enns (Hamburg/Amsterdam) beleuchtet den Themenkomplex „Heilung der Erinnerungen“ am Beispiel des Versöhnungsprozesses zwischen Lutheranern und Mennoniten. Ausgehend von 2Kor 5 analysiert er diesen Prozess mit Hilfe eines Drei-Phasen-Modells und bringt abschließend Beispiele für die „ambivalente Rezeptionsgeschichte“. – Verena Hammes (Ökumenische Centrale der ACK, Frankfurt a.M.) kann bei der Frage nach „Römisch-katholischen Perspektiven auf die Heilung der Erinnerung mit den täuferischen Kirchen“ einerseits auf weltweite bilaterale Dialoge des Vatikans mit Mennoniten und mit Baptisten sowie auf den dreiseitigen Dialog mit Lutheranern und Mennoniten verweisen; andererseits gibt es hier noch keine dem lutherisch-mennonitischen Heilungsprozess vergleichbare Symbolhandlung. Hammes fragt abschließend, ob möglicherweise gemeinsames Wirken in der Gegenwart produktiver sei als „Heilung der Erinnerungen“.

Dem genannten dreiseitigen Dialog über „Die Taufe und die Eingliederung in den Leib Christi, die Kirche“ von Lutherischem und Mennonitischem Weltbund sowie der Römisch-katholischen Kirche ist der Beitrag von Knut Wormstädt (Aachen) gewidmet. Dieser trilaterale Dialog konnte auf mehreren bilateralen Gesprächsprozessen der beteiligten Kirchen(bünde) aufbauen. Als eines der Gesprächsergebnisse hebt Wormstädt folgende Formulierung aus dem Dialogdokument hervor: „Keine der Gesprächsparteien will Erlösung nur den Getauften vorbehalten.“ – Paul Fiddes (Oxford) hielt den Hauptvortrag der Tagung. Er gilt häufig als Begründer des Konzepts „Baptism and the Process of Christian Initiation“, welches besagt, dass die Taufe als ein Teil des lebenslangen Christ-Werdens angesehen werden muss, zu dem weitere Elemente gehören; betrachtet man die Taufe so, wird ihr Zeitpunkt innerhalb des Prozesses weniger bedeutsam. Dieses Konzept liegt im gegenwärtigen Jahrhundert den meisten Dialogen von täuferischen und nichttäuferischen Kirchen zugrunde. Fiddes zeigt allerdings in seinen „Reconsiderations“ dieses Konzepts auf, dass schon im ÖRK-Text „Baptism, Eucharist and Ministry“ (1982) bzw. in aufgrund dieses Textes in den 1980er Jahren geführten Gesprächen von „two total processes of initiation“ die Rede war. Außerdem präsentiert er einen aktuellen Text des Vatikans, in dem dieser das Konzept, die Taufe als Teil eines (lebens)langen Prozesses christlicher Initiation zu verstehen, auch für sich allein, die eigene Kirche, nutzbar macht. – Maria Stettner (Landeskirchenamt München) stellt das neueste Dokument eines Dialoges zwischen einer täuferischen und einer nichttäuferischen Kirche vor: In den Jahren 2017–2023 hatten die Baptisten im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland (VELKD) miteinander Lehrgespräche geführt. Stettner referiert aus der Vorgeschichte unter anderem die Magdeburger Tauferklärung von 2007, die bei allem Nutzen auch zur Folge hatte, dass die täuferische Tradition innerhalb(!) der ACK-Kirchen ausgegrenzt wurde. Stettner zeigt die Vorgehensweise der Dialoggruppe sowie den Dialog begünstigende Faktoren und Hindernisse auf, bevor sie Einzelheiten der nun erklärten „Kirchengemeinschaft auf dem Weg“ zwischen BEFG und VELKD nennt.

Zu den zwischen BEFG und VELKD verabredeten Maßnahmen gehört „die wechselseitige Einladung zum Predigtdienst“. Eine solche Einladung wird am 15. September 2024 in Berlin in noch weit größerem Maßstab ausgesprochen, nämlich zwischen der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und der EKD. Markus Iff (Ewersbach) reflektierte im letzten Vortrag der Konferenz, inwiefern diese Predigtgemeinschaft zwischen VEF und EKD als Schritt und Zeichen innerprotestantischer Ökumene zu verstehen ist. Während es im BEFG-VELKD-Text heißt, „Baptisten und Lutheraner verbindet eine Verkündigungsgemeinschaft“, wird von VEF und EKD (nur) eine „Predigtgemeinschaft“ angestrebt. Hintergrund ist, dass „Verkündigungsgemeinschaft“ auch „in der gegenseitigen Einladung zur Feier des Abendmahls“ von BEFG und VELKD zum Ausdruck kommt, was so noch nicht zwischen allen EKD- und VEF-Mitgliedskirchen möglich scheint. Iffs Vortrag wird in erweiterter Form in einer separaten Publikation erscheinen.[1]

Freikirchen waren in Deutschland schon immer in der Situation, in die die sogenannten Großkirchen immer schneller „hineinschrumpfen“: eine Minderheit zu sein. Deshalb widmete sich die von Lothar Peitz (ACK Hessen/Rheinhessen, Frankfurt a.M.) moderierte abendliche Podiumsdiskussion der Tagung dem Thema: „Täuferische und nicht-täuferische Kirchen: Gegenseitige Herausforderungen angesichts der postchristlichen Gesellschaft“. Zunächst referierte Marco Hofheinz (Hannover), wie im vorliegenden Heft abgedruckt, die typologische Unterscheidung Karl Barths von „Kirche im Defekt“ und „Kirche im Exzess“; diese Typologie wandte Hofheinz sogleich auf nichttäuferische und täuferische Kirchen an. In diesem Kontext fragte Enns kritisch nach dem Wert jedweder herkömmlichen Form, Gemeinde bzw. Kirche und auch ökumenische Gremien zu organisieren, und verwies demgegenüber auf die Bedeutung des Evangeliums selbst, um dessen Zukunft er sich keine Sorgen mache. So schloss diese Diskussion gut an den Vortrag von Alexander-Kenneth Nagel (Göttingen) an: „Kulturelle und konfessionelle Diversität als Herausforderung für die verfassten Kirchen. Religionssoziologische Perspektiven“. Nagel weitet den Blick durch die Schilderung von Grundlagen und vorläufigen Ergebnissen seiner religionssoziologischen Forschung zu Migrationskirchen. Dabei hat er unter anderem eine baptistische Gemeinde (Deutsche und Iraner), eine Brüdergemeinde (Spätaussiedler) und eine Gemeinde von Evangeliumschristen-Baptisten (Spätaussiedler und Ukrainer) untersucht. In seinem Fazit fragt er, ob Freikirchen als Avantgarde interkultureller Öffnung ein Lernmodell für die verfassten Kirchen sein könnten. Auf anderem Weg kommt Andreas Heiser (Ewersbach) zu ähnlicher Einschätzung. Nach Schilderung eines 2013 bis 2016 gelaufenen Forschungsprojekts mit dem Titel „Heilung der Erinnerungen: Freikirchen und Landeskirchen im 19. Jahrhundert.“ verweist er auf eine in diesem Zusammenhang 2015 publizierte Broschüre mit dem Titel „Die eine Welt reformieren. Freikirchliche Impulse für eine evangelische Aufgabe“.

Die genannten Referent*innen gehören unterschiedlichen Kirchen bzw. Bünden an: Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland, baptistische Bünde, Bund Freier evangelischer Gemeinden, Lutheraner*innen, ein Reformierter, Unierte und eine römisch-katholische Theologin. Die meisten haben Theologie studiert, aber auch eine Profanhistorikerin und ein Religionswissenschaftler und Soziologe waren dabei. So kommen in diesem Heft, wie vom gleichermaßen frei- und landeskirchlich besetzten Organisationsteam der Tagung erhofft, vielfältige Perspektiven auf das Thema zum Tragen. Hilfreich ist dabei, dass ein Teil der Vortragenden selbst in der Vergangenheit an den referierten Dialogen und Prozessen teilgenommen hat, andere dagegen eine von außen reflektierende Position einnehmen.

Zwei Rezensionen runden das Heft ab: Johannes Demandt bespricht einen der Christologie gewidmeten Tagungsband aus der Reihe der alle zwei Jahre zwischen der VEF und dem Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn durchgeführten Symposia. Dirk Spornhauer analysiert ein Buch zur Gotteslehre, das ein pfingstkirchlicher Pastor vorgelegt hat.

Im Namen des KI-Kollegiums danke ich allen Autorinnen und Autoren und wünsche den Lesenden gute Lektüre!

Lothar Triebel

Online erschienen: 2024-09-05
Erschienen im Druck: 2024-09-03

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 11.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mdki-2024-0019/html
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