Startseite Ying Ma (2022): Code-Switching und Script-Switching zwischen Deutsch und Chinesisch. Eine empirische Untersuchung von Postings im sozialen Netzwerk Renren. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 454 S. (= Philologische Studien und Quellen 282) ISBN 978-3-503-20060-3 (gebundene Ausgabe, Hardcover), 978-3-503-20061-0 (E-Book). €99,95 (gebundene Ausgabe, Hardcover), € 91,40 (E-Book).
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Ying Ma (2022): Code-Switching und Script-Switching zwischen Deutsch und Chinesisch. Eine empirische Untersuchung von Postings im sozialen Netzwerk Renren. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 454 S. (= Philologische Studien und Quellen 282) ISBN 978-3-503-20060-3 (gebundene Ausgabe, Hardcover), 978-3-503-20061-0 (E-Book). €99,95 (gebundene Ausgabe, Hardcover), € 91,40 (E-Book).

  • Michael Szurawitzki Michael Szurawitzki, Dr. phil. habil.

    Seit 2020 Full Professor für Germanistische Linguistik am Beijing Institute of Technology. Forschungsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, Medienlinguistik, Interkulturelle Linguistik. 2014–2017 Full Professor für Germanistische Linguistik, Tongji-Universität Shanghai, dort 2015 Organisationschef IVG-Weltkongress Germanistik. Vertretungsprofessuren u. a. 2018–2020 Universität Duisburg-Essen, 2017–2018 Universität Hamburg, 2012–2013 Ludwig-Maximilians-Universität München. Website: www.szurawitzki.de

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Veröffentlicht/Copyright: 29. Juni 2023

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Ma Ying Code-Switching und Script-Switching zwischen Deutsch und Chinesisch. Eine empirische Untersuchung von Postings im sozialen Netzwerk Renren Philologische Studien und Quellen 282 Berlin Erich Schmidt Verlag 2022 €99,95 (gebundene Ausgabe, Hardcover), € 91,40 (E-Book). 978-3-503-20060-3(gebundene Ausgabe, Hardcover), 978-3-503-20061-0 (E-Book) 1 454


In der Interkulturellen Linguistik, die an deutschen Universitäten betrieben wird, sind kontrastive deutsch-chinesische Studien (zuletzt etwa die Monografie von Szurawitzki 2020) insgesamt seltener als an chinesischen Hochschulen. Insofern sind die Erwartungen einer interessierten deutschsprachigen Leserschaft potenziell groß, wenn man auf einschlägige Qualifikationsschriften aufmerksam wird. Die hier zu besprechende Monografie ist die Publikation einer von der Autorin Ying Ma im April 2020 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen eingereichten Dissertationsschrift, die von Evelyn Ziegler (Duisburg-Essen) und Wolfgang Imo (Hamburg) betreut wurde.

Die Monografie gliedert sich insgesamt in sechs Teile: Nach der Einleitung (1.) steht ein Kapitel zur Kommunikation im sozialen Netzwerk Renren (2.), das bisher Fokus anderer kontrastiver linguistischer (nicht germanistischer) Untersuchungen war (Eslami/Yang/Qian 2020), und zwar befasst sich dieses mit den technischen und sprachlichen Grundvoraussetzungen der Kommunikation in chinesischer Sprache in diesem Netzwerk. Dazu steht zunächst eine Reflektion zur speziellen Form der Keyboard-to-Screen-Kommunikation, die auf Renren vorliegt (2.1.). Hier erfahren wir allgemeine Informationen zum Netzwerk, seiner Struktur und zur Kommunikation. Hiernach steht ein Abschnitt zu chinesischer Sprache und Schrift (2.2.), mit Abschnitten zur logografischen Schrift Hanzi (‌汉字) sowie der lateinischen Umschrift Hanyu Pinyin (‌汉语拼音). Das zweite Kapitel wird von einem Abschnitt zur Eingabemethode für chinesische Schriftzeichen auf Renren beschlossen (2.3.).

Das dritte Großkapitel ist der einschlägigen Theorie und dem Forschungsstand gewidmet. Zunächst geht Ying Ma dabei auf das Code-Switching ein (vgl. als Standardwerk zum Code-Switching das Handbuch von Bullock/Toribio 2012), wobei zunächst Code und Code-Switching definiert werden, wonach dann weiter zwischen Code-Switching, Code-Mixing und Entlehnung differenziert wird. Der Fokus liegt danach auf dem Code-Switching in der Keyboard-to-Screen-Kommunikation. Von dort aus kommt die Verfasserin zum Script-Switching (vgl. Angermayer 2012), das den Wechsel von Schriftarten (hier sogar Schriftsystemen) meint. Nach den Begriffsklärungen analog zum Code-Switching erfolgt auch hier eine Fokussierung in Richtung der Keyboard-to-Screen-Kommunikation. Das Kapitel wird abgerundet von einer kurzen Diskussion von alternativen Begriffen für den Schriftsystemwechsel aus der chinesischen Forschungsliteratur (etwa Stylized English oder Transliteration) und Überlegungen zu deren Anwendung.

Das vierte Kapitel von Ying Mas Dissertationsschrift konzentriert sich auf Methode und Korpus. Hierbei steht zunächst die Interaktionale Linguistik im Fokus: Dies wird ausführlich anhand der Geschichte dieses Forschungsbereichs geleistet, wonach methodologische Prinzipien sowie Schwerpunkte interaktionaler Untersuchungen in den Blick kommen. Es erfolgt – analog wie an den relevanten Stellen in Kapitel 3 – auch hier eine Fokussierung mit Blick auf die Keyboard-to-Screen-Kommunikation. Danach sind Korpus und Datengrundlage beschrieben: „Die Datenbasis besteht aus 416 Postings, die zwischen 2013 und 2015 bei Renren erhoben worden sind. Die SchreiberInnen dieser Postings sind chinesische GermanistikstudentInnen an einer Universität in Nordwest-China“ (S. 139). Es schließt sich eine ausführliche Beschreibung der Aufbereitung der Daten an: Nach der Extraktion aller Postings wurden diese anhand der folgenden Kriterien annotiert und verschlagwortet: Sprache, Sprachwechsel, Schriftsystem, Schriftsystemwechsel, Posting-Wechsel, Richtung des Sprach- und Schriftsystemwechsels, Einmaliger Wechsel bzw. einmalige Einbettung, Eingewechseltes Element, Phrasentyp, Wortart, Syntaktische Funktion sowie Sonstige Anmerkung (S. 144). Dies ist praktisch an einer Tabelle mit typischen Beispielen aus dem Korpus veranschaulicht. Es schließt sich die zentrale dreiteilige Fragestellung übergeleitet, nämlich wie 1. Code-Switching und Script-Switching zwischen Deutsch und Chinesisch (gegebenenfalls auch Englisch) in der Interaktion von chinesischen DeutschlernerInnen auf Renren erfolgen. Die Fragestellung zielt 2. auch auf die Ermittlung möglicher Muster ab. Ebenso sollen 3. Überlegungen hinsichtlich der Nutzung der Resultate für den Fremdsprachenunterricht angestellt werden. Das zur Erreichung dieser Ziele verwendete Analysemodell steht anschließend. Es werden hierbei – zum Abschluss von Kapitel 4 – auf der Basis einschlägiger Vorüberlegungen fünf relevante Muster zu Grunde gelegt:

  1. Posting-Wechsel Code-Switching mit Script-Switching bei Schreiberwechsel (Untertypen entweder Alternation oder Insertion);

  2. Posting-Wechsel Code-Switching mit Script-Switching ohne Schreiberwechsel (Untertypen entweder Alternation oder Insertion);

  3. Code-Switching mit Script-Switching zwischen selbständigen Einheiten (Untertyp 3a, Alternationen: vom Chinesischen ins Deutsche, vom Deutschen ins Chinesische; sowie Untertyp 3b, Insertionen: Insertion des Deutschen ins Chinesische, Insertion des Chinesischen ins Deutsche, Mehrfache Insertionen des Deutschen oder Chinesischen);

  4. Code-Switching mit Script-Switching innerhalb einer kommunikativen Minimaleinheit (Untertyp 4a, Alternationen: vom Chinesischen ins Deutsche, vom Deutschen ins Chinesische; Untertyp 4b, Insertion: einfach oder mehrfach; sowie Untertyp 4c: Wortinternes Code-Switching mit Script-Switching);

  5. Code-Switching mit Script-Switching in Kombination unterschiedlicher Untertypen bzw. Muster (Untertyp 5a: Kombination von Untertyp 4a und 4b; Untertyp 5b: Kombination von Muster 3 und 4); sowie Code-Switching ohne Script-Switching (Chinesisch und Sinisierung des Deutschen; Deutsch und Latinisierung des Chinesischen), Script-Switching ohne Code-Switching und Sonderfälle.

Das fünfte Hauptkapitel bietet die empirischen Analysen des Dissertationsprojektes zu Code-Switching und Script-Switching in der Interaktion auf Renren (S. 173–412). In für eine Dissertation bemerkenswert klarer, übersichtlicher Form stehen die Erträge der Untersuchungen (oft mittels hilfreicher Tabellen dargestellt). Dies heißt aber nicht, dass aufgrund der Dichte der vermittelten Informationen, unter Einbindung relevanter Resultate aus der Sekundärliteratur, der Band im empirischen Teil sehr einfach lesbar wäre. Es lässt sich dennoch unter anderem ersehen, dass das oben genannte Muster 1 25 Mal auftritt, während das Muster 2 68 Mal vorliegt (S. 174). Innerhalb der analysierten Postings wird auch auf Frage-Antwort-Sequenzen eingegangen. Das Muster 3 liegt insgesamt 133 Mal vor, und zwar häufiger vom Chinesischen in das Deutsche als umgekehrt (S. 224–225). Für das quantitativ gesehen beliebteste Muster 4 liegen 140 Belege vor, wobei die Alternation (n = 72) knapp häufiger als die Insertion (n = 66) vorkommt (S. 275). Das Muster 5 ist mit n = 14 vergleichsweise selten anzutreffen (S. 339). Daran anschließend wird auf nicht den genannten Mustern zuzuordnende Sonderfälle eingegangen (S. 387–407). Die Zusammenfassung der Analyseergebnisse (S. 408–412) setzt die ermittelten Formen von Code- und Script-Switching innerhalb des Untersuchungskorpus in Verbindung mit konkreten Funktionen, dies ist sehr nachvollziehbar dargestellt und nützlich. So konnte diskursbezogenes Code-Switching mit Script-Switching für folgende Praktiken genutzt werden (S. 409–410): zur Markierung von Zitaten, Themenwechseln oder zur Hervorhebung, bei der Wahl von AdressatInnen, formelhafter Verwendung der Fremdsprache, zur Verdeutlichung, zur Ökonomisierung oder Präzisierung, zum Erzeugen von Aufmerksamkeit, zur Abschwächung möglicher gesichtsbedrohender Akte, Ironisierung, Wiederaufnahme, Tabuthemen, Sprachlernaktivität, Kulturspezifika, Kommentierung/Bewertung, in ludischer Funktion, zum Moduswechsel, als rhetorisches Mittel oder Illustrierung. Teilnehmerbezogenes Code-Switching mit Script-Switching konnte (S. 410–411) in den folgenden Bereichen festgestellt werden: bei Inkompetenz bei der Verwendung unterschiedlicher Sprachen; Anpassung im Sinne von Hinwendung zu einer verwendeten Sprache; Identitätsstiftung; Übersetzung sowie Selbstdarstellung. Bezüglich der oben angesprochenen Sonderfälle lassen sich weitere Funktionen (S. 412) festhalten: Verständnissicherung, Verdeutlichung, Ironie, bei der Sinisierung des Deutschen teils auch Dopplungen der deutschen Äußerung oder eine Ersetzung eines Buchstabens/Lautes durch chinesische Schriftzeichen, Latinisierung des Chinesischen, Euphemismus für Kraftausdrücke, Englisch als Verdeutlichung, um die wesentlichen zu nennen.

Insgesamt lässt sich ein klar positives Fazit ziehen: Der Autorin gelingt es, ihre Leserschaft durchweg informiert und detailliert anzuleiten, und zwar auch solche LeserInnen, die nicht im Detail mit der Komplexität chinesischer Gegenwarts-, Alltags- bzw. Social-Media-Kultur vertraut sind. Ein Forschungsdesiderat (vgl. S. 413) hinsichtlich Code- und Script-Switching zwischen Deutsch und Chinesisch (mit oder ohne Pinyin-Umschrift möglich, S. 414) ist in Verbindung von quantitativen und qualitativen Analysen ausgeräumt worden. Gumperz (1982) hatte die Theorie des Code-Switchings an sich für die Mündlichkeit entwickelt, jetzt überführt die Autorin diese in den Bereich der Keyboard-to-Screen-Kommunikation und trägt damit Androutsopoulos (2013) Rechnung, der Code-Switching in Interaktion fokussiert.

Es ist anzunehmen, dass diese nicht selbstverständliche Forschungsleistung auch mit der umsichtigen Betreuung in Verbindung stehen dürfte, in jedem Fall halte ich es für erwähnens- wie lobenswert, dass auf zahlreiche Kulturspezifika ausführlich eingegangen wird und somit eine an vielen Stellen hilfreiche Leserleitung erfolgt. Somit lassen sich die Resultate auch im Kontext kontrastiv deutsch-chinesisch angelegter universitärer Lehrveranstaltungen zur interaktionalen und interkulturellen Linguistik nutzen, v. a. auch aus der Perspektive von vielleicht noch gar nicht mit Renren vertrauten Deutschen. Hinsichtlich der Lernsituationen, in denen Code-Switching mit Script-Switching gebraucht wird, hält die Autorin folgendes fest:

Es kam vor, dass die chinesischen GermanistikstudentInnen über die deutschen Wörter redeten bzw. die Bedeutung dieser Wörter klärten sowie neue deutsche Wörter bzw. Formulierungen miteinander teilten. Folglich lernten sie voneinander und korrigierten sowie unterstützten sich gegenseitig. Ihre Interaktionen auf Rernen stellten somit eine Erkundung des Wissens und Verstehens des Deutschen dar. (S. 418)

Mit Blick auf die Analysen kann insgesamt festgehalten werden, dass diese sehr ausführlich geleistet und dokumentiert sind, die verwendete wissenschaftliche Prosa liest sich flüssig. Von den in den letzten Jahren entstandenen Qualifikationsschriften im deutsch-chinesischen Spannungsfeld gehört die Dissertation von Ying Ma ohne Zweifel zur Spitzengruppe.

About the author

Prof. Dr. Michael Szurawitzki

Michael Szurawitzki, Dr. phil. habil.

Seit 2020 Full Professor für Germanistische Linguistik am Beijing Institute of Technology. Forschungsschwerpunkte: Fachsprachenforschung, Medienlinguistik, Interkulturelle Linguistik. 2014–2017 Full Professor für Germanistische Linguistik, Tongji-Universität Shanghai, dort 2015 Organisationschef IVG-Weltkongress Germanistik. Vertretungsprofessuren u. a. 2018–2020 Universität Duisburg-Essen, 2017–2018 Universität Hamburg, 2012–2013 Ludwig-Maximilians-Universität München. Website: www.szurawitzki.de

Literaturverzeichnis

Androutsopoulos, Jannis. 2013. Code-Switching in Computer-Mediated Communication. In: Herring, Susan C./Stein, Dieter/Virtanen, Tuija (Hrsg.): Pragmatics of Computer-Mediated Communication. Berlin/Boston: de Gruyter Mouton. 667–694.10.1515/9783110214468.667Suche in Google Scholar

Angermeyer, Philipp Sebastian. 2012. Bilingualism Meets Digraphia. Script Alternation and Script Hybridity in Russian-American Writing and Beyond. In: Sebba, Mark et al. (Hrsg.): Language Mixing and Code-Switching in Writing. Approaches to Mixed-Language Written Discourse. New York: Routledge. 255–272.Suche in Google Scholar

Bullock, Barbara/Toribio, Almeida Jacqueline (Hrsg.). 2012. The Cambridge Handbook of Linguistic Code-Switching. Cambridge: Cambridge University Press.Suche in Google Scholar

Eslami, Zohreh R./Yang, Lu/Qian, Chang. 2020. A comparative study of compliment responses among Chinese Renren users and American Facebook users. In: Placencia, María Elena/Eslami, Zoreh R. (Hrsg.): Complimenting Behaviour and (Self-)Praise across Social Media. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. 21–48.10.1075/pbns.313.01eslSuche in Google Scholar

Gumperz, John R. 1982. Discourse Strategies. Cambridge: Cambridge University Press.10.1017/CBO9780511611834Suche in Google Scholar

Szurawitzki, Michael. 2020. Die chinesische Messaging-Applikation WeChat als virtuelle Sprachinsel. Studien zur Nutzung von WeChat durch deutschsprachige Expatriates in China. Tübingen: Narr Francke Attempto.Suche in Google Scholar

Published Online: 2023-06-29
Published in Print: 2023-11-01

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

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