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Denkmal Postmoderne. Bestände einer (un)geliebten Epoche

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Veröffentlicht/Copyright: 1. Mai 2025
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Angermann Kirsten / Meier Hans-Rudolf / Brenner Matthias / Langenberg Silke (Hrsg.) Denkmal Postmoderne. Bestände einer (un)geliebten Epoche Basel ( Birkhäuser Verlag ) 2024 264 Seiten, 120 farbige Abbildungen ISBN 978-3-0356-2783-1 (Broschur) ISBN 978-3-0356-2785-5 (eBook)


Die Bauten der Postmoderne sind eine besondere Herausforderung für die Denkmalpflege. Bei Instandsetzungen und energetischen Ertüchtigungen sind die oftmals intensive Farbigkeit, der Materialmix und Detailreichtum vieler Bauten der 1980er und 1990er Jahre in hohem Maße gefährdet. Zudem lassen diese Eigenschaften manch postmoderne Bauten als tendenziell zeitgeistig erscheinen, in den Augen einzelner Immobilienbesitzender mögen sie ästhetisch als etwas gestrig oder gar als überholt erscheinen. Andererseits erleichtert die Erzählfreudigkeit vieler postmoderner Bauten oftmals deren öffentliche Wertschätzung.

Die architektonische Postmoderne ist daher aktuell Gegenstand intensiver architekturhistorischer und denkmalfachlicher Debatten. Vielerorts wurden Bauten der 1980er Jahre unter Schutz gestellt, zu den prominenteren Beispielen im deutschsprachigen Raum zählen Wohnanlagen, die im Zuge der Internationalen Bauausstellung IBA 1984/87 im damaligen Westteil Berlins entstanden. Angesichts der Beteiligung prominenter internationaler Architekt*innen, aber auch der städtebaulichen Prägnanz zahlreicher Ensembles fiel die Auswahl und denkmalfachliche Begründung vermutlich in vielen Fällen nicht schwer. Begriffliche Instrumente und Kriterienkataloge, mit denen Bauten der 1980er Jahre valide eingeschätzt werden können, liegen bisher aber nur ansatzweise vor. Auch deshalb verdichtet sich derzeit eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Bauten der Postmoderne. In diesem Kontext war im Frühjahr 2022 eine Tagung zur postmodernen Architektur angesiedelt, die an der Bauhaus-Universität Weimar in Kooperation mit der ETH Zürich ausgerichtet wurde. Die Tagungsbeiträge bilden die Basis des nun vorliegenden Bandes. Herausgegeben von Kirsten Angermann, Hans-Rudolf Meier, Matthias Brenner und Silke Langenberg wird in den 37 Aufsätzen teils internationaler Autor*innen die enorme Bandbreite dessen deutlich, was europaweit unter dem Label Postmoderne firmiert. Die spezifischen Problemstellungen sowohl der wissenschaftlichen wie denkmalfachlichen Zugänge werden deutlich, die sich beispielsweise mit Blick auf die ostdeutschen und osteuropäischen Spielarten der Postmoderne abzeichnen. Kirsten Angermann steckt in ihrer konzisen Einführung das Terrain unter dem Titel Die Postmoderne und der Denkmalschutz ab. Der Band bietet ein denkbar abwechslungsreiches Portfolio, da mit dem Schweizer Architekten Arthur Rüegg und dem Architekturhistoriker Hans-Georg Lippert Zeitzeugen zu Wort kommen, gleichermaßen aus der Perspektive eines Entwerfenden wie aus der eines Forschenden. Darüber hinaus werden Fallstudien zur postmodernen Architektur vorgestellt, wenn etwa Oleksandr Anisimov das Wohnprojekt Rozenberg-Blöcke (1979–1988) in Kyjiw in die spezifische Situation der sowjetisch geprägten Postmoderne einordnet oder Sandro Scarrocchia den denkmalpflegerischen Umgang mit postmodernen Bauten in Italien problematisiert. Stephanie Herold unterzieht die bereits erfolgte Unterschutzstellung der Berliner IBA-Bauten einer kritischen Revision, während Christian Kloss den Blick auf bisher nicht gelistete Bauten des Berliner Architekturbüros Hinrich und Inken Baller lenkt. Deutlich wird dabei auch ein Paradigmenwechsel in der Forschung, insofern viele jüngere Wissenschaftler*innen und Denkmalpfleger*innen die 1980er Jahre inzwischen zwangsläufig als eine historische Epoche wahrnehmen. Vor allem repräsentiert der Band aber ein breites Verständnis postmoderner Architektur, indem auch neohistoristische Ansätze ausdrücklich mitverhandelt werden, so etwa das 1984 fertiggestellte Bezirksgebäude der Schweizer Gemeinde Unterkulm. Dabei ergibt sich unweigerlich die Frage, wie eine Trennschärfe zur neohistoristischen Architektur der 1990er und 2000er Jahre hergestellt werden kann, die mit ihrer Ernsthaftigkeit, ja Härte in die Nähe neofaschistischen Gedankenguts gerückt wurde und damit im Widerspruch zur Ideenwelt der Postmoderne zu stehen scheint.

So werden definitorische und terminologische Probleme deutlich, nicht zuletzt in den Beiträgen, die sich der Architektur der 1980er Jahre östlich des Eisernen Vorhangs widmen: In der DDR hat es eine Postmoderne nach westlichem Zuschnitt nicht gegeben, sieht man von punktuellen Ausnahmen wie dem 1988 in Weimar errichteten und inzwischen stark veränderten »Kiosk am Bratwurstglöck’l« ab, auf das Carina Kitzenmaier und Matthias Noell hinweisen. Die ostdeutsche Architektur der 1980er Jahre war bislang eher im Kontext einer historisierenden Stadtreparatur interpretiert worden, wie dies Florian Urban 2007 in seiner Studie Berlin/DDR, neo-historisch vorgeschlagen hatte. Dem setzt Kirsten Angermann mit ihrer jüngst erschienenen Dissertation Die ernste Postmoderne. Architektur und Städtebau im letzten Jahrzehnt der DDR eine andere Lesart entgegen, mit der sie nach einer spezifisch sozialistischen Postmoderne fragt.

Besonderes Augenmerk richtet der vorliegende Band auf die damaligen Tendenzen zu einer ökologischen und nachhaltigeren Architektur. Entsprechende Forderungen waren im Zuge der Umweltbewegung seit den 1970er Jahren aufgekommen und fanden in der Architektur der 1980er Jahre prominenten Niederschlag. Die Palette der Versuchsfelder reichte von Sonnenkollektoren über den Einsatz von Holzbauweise bis zu grünen Dächern und einer Rückgewinnung von Regenwasser. Dies hebt Florian Urban in seinem Beitrag Postmoderne und Ökobewegung – eine Einführung hervor und zeigt etwa anhand britischer und niederländischer Beispiele die europäische Dimension dieser Entwicklung. Gerade aus der aktuellen Situation heraus erscheint dabei die Architektur der 1980er Jahre in neuem Licht. Denn die verschiedenen Ansätze für eine ökologische Architektur waren im damaligen Kontext eher Randerscheinungen, stellten aber paradigmatische Lösungsansätze vor. Auch wenn diese im Detail als überholt oder gescheitert gelten müssen, waren sie vielfach bahnbrechend für aktuelle Entwicklungen.

Mit Blick auf die postmodernen Ansätze zu einer ökologischeren Architektur wird einmal mehr ein grundlegendes Definitionsproblem deutlich, das sich durch die Forschung zur Postmoderne zieht: Angesichts vielfältiger Spielarten – mal ironisch, mal historisierend, mal ökologisch, mal farbenfroh, mal dekonstruktivistisch – ist es schwierig, die Ränder geschweige denn das Zentrum dieses enorm facettenreichen Phänomens zu bestimmen. Diese Definitionsunschärfen waren bereits Charles Jencks als einem der wichtigsten Apologeten postmoderner Architektur bewusst, hatte er doch in seinem Evolutionary Tree genau diese Unschärfen abbilden wollen. In diesem wiederholt überarbeiteten Diagramm veranschaulichte Jencks in biomorphen Formen verschiedene Tendenzen und herausragende Namen in der Architektur des 20. Jahrhunderts in ihren Beziehungen zueinander. Postmoderne Entwicklungen separierte Jencks deutlich von Tendenzen wie High Tech oder Deconstruction, aber auch von einem Classical Revivalism, also einer ungebrochenen Adaption klassischer Architekturformen. Jencks hatte die fließenden Formen seines Diagramms so angelegt, dass zwischen den einzelnen Tendenzen immer auch Verbindungen unterschiedlicher Intensität deutlich wurden.

Die Herausgeber*innen des vorliegenden Bandes waren umsichtig genug, sich in diesen Definitions- und Abgrenzungsfragen nicht allzu eindeutig festzulegen. Dies wäre bei einem Aufsatzband mit einem derart breiten, auch internationalen Fokus kaum erfolgversprechend, dessen Qualität gerade darin liegt, dass die einzelnen Autor*innen jeweils eigene, fachspezifisch und national codierte Begriffe der Postmoderne vertreten. Während populärwissenschaftliche Publikationen nach dem Muster »Wie erkenne ich …« unverändert Kriterienkataloge für allerlei Epochen anbieten, versucht die kunsthistorisch grundierte Architekturforschung seit Längerem, sich von Stiletiketten und dem damit verknüpften Schubladendenken zu emanzipieren. Doch ganz lässt sich die Problematik nicht abstreifen, gerade mit Blick auf die denkmalfachlichen Konsequenzen, da Rubrizierungen und Kategorisierungen für eine Bewertung baukulturellen Erbes in gewissem Maße unumgänglich sind. Zumindest implizit nahmen die Herausgebenden eine Abgrenzung des Begriffs Postmoderne vor, etwa, indem sie jüngst einen zweiten Band in gleicher Aufmachung veröffentlicht haben, der sich unter dem Titel High-Tech Heritage: (Im)Permanence of Innovative Architecture den technizistischen Tendenzen der 1970er bis 1990er Jahre widmet. Die Herausgeber*innen suggerieren damit, dass High-Tech-Architektur eben nicht post­modern ist und umgekehrt. Dass hier aber nur eine relative Trennschärfe vorliegt, machen Silke Langenberg und Matthias Brenner deutlich, indem sie einen Beitrag zur High-Tech-Architektur zum vorliegenden Postmoderne-Band beisteuerten.

Es bleibt die Frage, warum die postmoderne Architektur die Denkmalpflege und die architekturhistorische Fachwelt aktuell so intensiv beschäftigt. Spielt hier allein der Lebenszyklus von Gebäuden eine Rolle, die nach drei oder vier Jahrzehnten instandsetzungsbedürftig werden, sodass sich Fragen nach ihrem Erhalt stellen? Ist es die gerade in der bundesdeutschen Praxis weiterhin verbreitete Auffassung, dass ein Generationenabstand erforderlich ist, um Denkmalwert zuverlässig erkennen zu können? Oder blicken wir vor dem Hintergrund einer gewissen Uniformität im aktuellen Wohnungsbau auch ein wenig neidvoll auf eine Ära, in der Architekt*innen sich offenbar größere Gestaltungsspielräume sichern konnten, um Risikobereitschaft und experimentelle Lust auszuleben?

FRANK SCHMITZ

Published Online: 2025-05-01
Published in Print: 2025-05-26

© 2025 Frank Schmitz, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Heruntergeladen am 16.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dkp-2025-1013/html
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