Was bedeutet Reparatur? Der vom lateinischen Wort reparare abstammende Begriff verweist auf einen Prozess, der einen wie auch immer gearteten Schaden behebt, instand setzt, richtet. Offen bleibt dabei, ob Reparaturen neben der Funktionalität, wenn nicht die Unversehrtheit, so doch auch ein intaktes Erscheinungsbild wiederherstellen sollen. In diesem Zusammenhang interessant ist das traditionelle japanische Handwerk Kintsugi, das darin besteht, zerbrochene Keramik mithilfe eines speziellen Naturharzes mit pulverisiertem Gold zu reparieren. Dabei ist es das markante Ziel, das diese alte Handwerkskunst von landläufigen Vorstellungen von Reparatur unterscheidet, die Flickstellen als Einzigartigkeit zu visualisieren und nicht als Fehler oder fehlendes Teil (Abb. 1).[1] Die entstandene reparaturbedingte Oberfläche kippt dabei nie in ein ästhetizistisches Dekor um, da die Kontingenz der Bruchlinien ein Verwechseln mit Design oder bewusster Gestaltung verhindert. Oftmals ist die Schadstelle so klein, dass eine kaschierende Reparatur die Bruchstelle vergessen lassen könnte. Doch es geht um eine Ästhetik des Makels, die den Wert im Prozess der aufwendigen Reparatur sieht. Diese Technik erscheint geradezu als Lehrstück einer aufgeklärten Denkmalpflege, der es um die Ablesbarkeit von Prozessen geht, seien es historische, kulturelle, reparaturbedingte oder andere.

Teeschale, Joseon Dynastie, 16. Jahrhundert, Mishima-hakeme Typus, Berlin, Ethnologisches Museum, repariert in der Kintsugi-Technik
Das Beispiel zeigt aber auch, wie different die Konzepte sein können, die unter den Ausdruck »Reparatur« fallen. Dabei fällt auf, dass die Handwerkstechnik des Kintsugi nicht mit jenen der Denkmalpflege vertrauten Begriffen der Restaurierung, Instandsetzung oder Wiederherstellung zu greifen ist. Daher wird hier der Versuch unternommen, das seit einiger Zeit virulente Paradigma der Reparatur im Kontext des Arbeitsfeldes der Denkmalpflege hinsichtlich seiner Chancen und Risiken für das Fach zu evaluieren.
»Werkzeuge für alle« – Reparatur als postkapitalistische Praxis
Anlass dieses Textes ist die laufende Debatte um eine proklamierte »Reparatur-Wende«, die in den letzten Jahren durch Publikationen, Lehrkonzepte an Architekturhochschulen sowie bürgerschaftliche Reparatur-Initiativen einigen Aufschwung erfahren hat,[2] zuletzt durch die Berliner Ausstellung »The Great Repair« und die flankierende, gleichnamige Publikation der renommierten Architekturzeitschrift »Arch+« (Abb. 2).[3] Der Titel ist bezeichnend, steht doch mit der Anspielung auf Karl Polanyis »The Great Transformation« (1944) nicht weniger auf dem Spiel als die Hoffnung, die große Transformation, jene mit der Industrialisierung in Gang gebrachte Maschinerie rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur, durch das Paradigma der Reparatur umkehren zu können. Im Untertitel »Politiken einer Reparaturgesellschaft« wird der Umbau der Gesellschaft projiziert wie auch das paradigmatische Potenzial angesprochen, innerhalb zahlreicher Krisen- und Lebensbereiche eine wirkungsvolle, auf strukturellem Umdenken beruhende Formel abzubilden. Dringendster Anlass ist einmal mehr die drohende Klimakatastrophe, die als Spitze des Eisbergs auf ein zutiefst beschädigtes System zurückverweist, das sich aus (sozio-)ökonomischen, ökologischen sowie geopolitischen Abhängigkeiten herausgebildet hat und schließlich unser Weltverhältnis bis hin zu unseren sozialen Beziehungen determiniert. Das von den Herausgebern beschworene neue Paradigma ist als Gegenstrategie zu werten, die Pflege, Wartung und Reparatur als wesentliches Instrumentarium beinhaltet.

The Great Repair, Blick in die Ausstellung (2023), Vordergrund: Material Cultures, Paludiculture Construction Fragments, 2023. Hintergrund: Assemble, Methods of Assembly, seit 2020
Der politische Impetus des aktuellen Projekts ist eindeutig. Es bietet ein griffiges Konzept, das der geläufigen Kritik an den Visionen der Moderne und ihrem Fortschrittsglauben von der Praxis her gedachte Handlungsoptionen gegenüberstellt. Das neue Paradigma Reparatur impliziert weniger einen Aufruf zur Revolution als vielmehr die Aufforderung zu einem auf Handlung ausgelegten Widerstand. Dieser besteht insbesondere in der Wiederaneignung und Inkorporation von Praxiswissen und Werkzeugen, um die ewige Kette von (Über-)Produktion – Konsum – Abfall mittels Reparatur zu durchbrechen.
Mit ihrem Fokus auf »Reparatur« knüpfen die Autor*innen bewusst an das Konzept der Reparaturgesellschaft an, das bereits während der 1990er Jahre Konjunktur hatte. Der Politologe Claus Leggewie berief sich in seinem 1995 erschienen Buch »Die 89er – Portrait einer Generation« auf die Reparaturgesellschaft, eine Idee, die er zusammen mit Jürgen Bertling in ihrem gemeinsamen Aufsatz »Die Reparaturgesellschaft. Ein Beitrag zur großen Transformation« 2016 im Zusammenhang mit einer (technik)-geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Analyse weiterdachte.[4] Hinzu tritt aktuell aber eine ethische Dimension, die darauf abzielt, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die beschädigte Welt zu schaffen, das es erlaubt, Reparatur als Prozess und Wert in der Gesellschaft sichtbar zu halten.[5]
Reparaturgesellschaft im Denkmaldiskurs
Bereits 1993 beschrieb der damalige Landeskonservator von Oberösterreich Wilfried Lipp im Rahmen einer Denkmalpflege-Tagung die zukünftige Gesellschaft als »Reparaturgesellschaft«.[6] Fortan blieb der Begriff mit dem Namen Lipp verknüpft, der diese der Denkmalpflege ureigene Praxis des Reparierens als Konzept mit neuer semantischer Dichte umorientierte und ihm einen gesellschaftspraktischen und diskursiven Ort zuwies. Die Rückseite der herrschenden Konsum- und Wohlstandsgesellschaft und der dazugehörigen Wegwerfmentalität ist die Reparaturgesellschaft, die gleichsam zum Reparieren verdammt ist. Reparaturprozesse seien ohnehin bereits allgegenwärtig, konstatiert Lipp, sei es in der Biologie, der Psychologie und der Ökologie, wobei die Reparatur am System noch ausstehe.[7]
Vor dem Hintergrund der aktuellen Reparatur-Bewegung, deren Antriebsmomente zusammengefasst vor allem in globalisierungs- und konsumkritischen, ökologie- und klimabewussten Haltungen zu finden sind, sieht die Historikerin und Denkmalpflegerin Ingrid Scheurmann die Denkmalpflege als Schlüsseldisziplin, um nicht nur das bereits unter Schutz stehende baukulturelle Erbe vor den zerstörerischen Folgen des Klimawandels zu retten, sondern gleichermaßen den Schutzgedanken auf den gesamten Baubestand auszudehnen.[8] Denn angesichts der horrenden Bedrohung, bedingt durch die Klimakatastrophe, sieht sie die »Gegenwartsgesellschaften« im Zeitalter des »Anthropozäns« mit der Aufgabe konfrontiert, überhaupt »das Leben auf dem Planeten Erde zu erhalten […]«.[9] Damit scheint eine »Relativierung des Menschen und seiner (historischen) Leistungen indes unumgänglich«. Die im Konzept der Reparaturgesellschaft implizierte umfassende Reparaturkultur fordere auch die Denkmalpflege und ihr Selbstverständnis heraus, insofern sie Fachgrenzen, Methoden und Schutzinhalte einer Revision zu unterziehen habe. Es fehle nämlich eine allgemeine Ethik des Erhalts, die »die Bewahrung des Vielen und Vielfältigen« gegenüber dem Besonderen konzentriere.
Denkmalpflege in der Reparaturgesellschaft
Während die Bedrohungen durch Klimakrise und Umweltkatastrophen einerseits und das gesellschaftspolitische Potenzial andererseits den Ruf nach einer umfassenden Reparaturkultur mehr als nachvollziehbar machen, ist ihr Verhältnis zur Disziplin der Denkmalpflege nicht eindeutig beantwortet: Was kann die Denkmalpflege beitragen? Wie sollte sie sich einbringen? Welche Rolle nimmt »Reparatur« in der Denkmalpflege ein? Wo verschieben sich Grenzen, wo ergeben sich neue Betätigungsfelder?
Wenngleich das Reparieren immer schon genuiner, integraler Bestandteil der denkmalpflegerischen Praxis gewesen ist, so scheint es doch sinnvoll, seine denkmalrelevanten Aspekte systematisch zu durchdenken. Stefan Krebs, Gabriele Schabacher und Heike Weber unterscheiden in ihrem einleitenden Text zu dem Sammelband »Kulturen des Reparierens« fünf Typen bzw. Formen des Reparierens, von denen hier aus Platzgründen nur zwei näher diskutiert werden: 1. Flicken vs. Austauschen. Verweist das Flicken auf frühneuzeitliche Praktiken des Ausbesserns, die eng mit einer vormodernen Handwerkskultur verbunden sind, so bedingen industrielle Produktionsweisen im 19. Jahrhundert die Einführung des modularen, standardisierten Ersatzteils in das Reparaturgeschehen.[10] Reparieren meint hier vor allem das Ersetzen von Teilen. Das Flicken dagegen gehört zur Instandsetzung und tradiert Fertigkeiten, die nicht zwangsläufig in Handbüchern nachzulesen sind. In der denkmalpflegerischen Praxis finden sich beide Strategien, wobei das »Flicken« als substanzerhaltende Maßnahme dem Austausch vorzuziehen ist. Die ausbessernde Reparaturmaßnahme hinterlässt mitunter Spuren an der Oberfläche, zudem kann es ein Konzept sein, den Schaden mit (oder ohne) geschichtlichen Zeugniswert sichtbar zu lassen, wie das Beispiel eines Berliner Mietshauses zeigt. Dort wurden die kriegsbedingten Einschussstellen an den Fassaden durch geeignete Reparaturmaßnahmen – sie waren nötig, um um unter anderem Feuchteeintrag zu verhindern – konserviert und damit exponiert (Abb. 3). Das gleiche Vorgehen findet sich an einem Haus in prominenter Lage an der Museumsinsel in Berlin, wo Kriegsschäden eklatant zur Geltung kommen (Abb. 4). Ziel ist hier nicht die Rückführung in eine harmonische und geschlossene, wenn auch fiktive Einheit und Unversehrtheit, sondern die Sichtbarmachung der sich im Material manifestierenden Zeit und der mit ihr einhergehenden Ereignisse.[11] Angesichts solcher Projekte scheint es lohnenswert, den Reparaturbegriff als denkmalpflegerisches Konzept und als Zielstellung stärker zu etablieren sowie eine differenziertere Terminologie zu erarbeiten. »Reparatur« und ihre Sichtbarkeit könnten häufiger ein Ziel an sich sein, so wie bei der japanischen Technik des Kintsugi.

Berlin, Große Hamburgerstraße 29–31, Gemeinde- und Mietshaus, 1902–1905, nach der Instandsetzung blieben die Einschusslöcher in den Fassaden sichtbar, 2025

Berlin, Dorotheenstraße 1, 1879–1882, ehemaliges Preußisches Verwaltungsgebäude, nach der Instandsetzung, 2025
2. Recycling vs. Wiederverwendung: Recycling wird im Reparaturdiskurs mitunter als »zerstörerische Praxis« des Entsorgens gewertet.[12] Genauso gibt es aber auch Initiativen, die Baubranche als Kreislaufwirtschaft umzubauen, um Bauteile abgebrochener Gebäude einer Wiederverwendung zuzuführen. Die Denkmalpflege hat dagegen meist nur mit Wiederverwendung in Form von Spolien zu tun. Eine aktive Beteiligung an Recycling- und Wiederverwendungsprozessen scheint denkmalpflegerischen Belangen auf den ersten Blick nicht zu entsprechen, da der Prozess des Recyclings Bauteile radikal ihrem baulichen und damit historischen Kontext entzieht. Dennoch werden auch in denkmalpflegerisch betreuten Instandsetzungsprojekten nicht immer alle Bauteile weiterverwendet und es fällt Entsorgungsmüll an, zum Beispiel durch Teilabbrüche neuerer Bauteile. Hier wäre eine dezidierte Zusammenarbeit der Denkmalpflege mit entsprechenden Akteuren der »Reparaturszene« zielführend, um die notwendige Infrastruktur für solche Austauschprozesse aufzubauen.
Die beiden sehr unterschiedlich gelagerten Beispiele können veranschaulichen, dass sich zwischen den Dimensionen von »Reparatur« und der Denkmalpflege Schnittmengen ergeben, die ausbuchstabiert werden sollten. Die Chance liegt darin, das facheigene Repertoire an Konzepten und Techniken zu verfeinern, es auszudifferenzieren und ggf. neue Begrifflichkeiten zu etablieren, um reparaturbasierte Konzepte in der Öffentlichkeit besser vermitteln zu können.
Eine Zusammenarbeit könnte außerdem das allgemeine, ökologisch notwendige Reparaturbewusstsein in der Gesellschaft befördern; beispielsweise durch Projekte, wie sie in Berlin realisiert wurden. Im Umkehrschluss unterstützt das angestrebte Umdenken die Ziele der Denkmalpflege, wenn es darum geht, einen Wert im »Alten« zu erkennen. Denn am Ende spielt es eine untergeordnete Rolle, ob aus ökologischen Gründen oder aus Geschichtsbewusstsein der Abriss eines Gebäudes vermieden werden kann.
Gleichzeitig ist es wichtig, rechtzeitig die Grenzen zwischen den Praktiken einer umfassenden Reparaturkultur und jenen der Denkmalpflege zu markieren. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch Umweltveränderungen und Klimakatastrophen sind Natur und Kultur gleichermaßen in Gefahr. Notwendige Maßnahmen ihrer Rettung sind nicht notwendigerweise deckungsgleich, oftmals tendieren sie dazu, sich zu widersprechen. Es kann daher weder die Lösung sein, den Umwelt- und Naturschutz der Denkmalpflege einzuverleiben noch durch ein allgemeines Erhaltungsdiktat ihren Gegenstandsbereich zu entgrenzen, wie Scheurmann es fordert. Neben der schieren Überforderung würden die behutsamen, am Einzelfall zu entwickelnden Werkzeuge und Methoden der Denkmalpflege in einer unspezifischen, denkmalirrelevanten Reparaturpraxis in Vergessenheit geraten, was in der Konsequenz schließlich die Preisgabe unseres baukulturellen Erbes bedeuten würde.
Fazit
Die etablierten Praktiken der Denkmalpflege liegen innerhalb des Radius der ökologisch und politisch motivierten Reparaturpraktiken, sie sind gleichsam »Teil einer monumentalen Ökologie«.[13] Insofern wäre eine Zusammenarbeit zwischen Denkmalpflege und den Akteuren der »Reparaturgesellschaft« für beide Seiten profitabel. Die Überschneidungen im Mind Set liegen auf der Hand. Reparatur als etablierte soziale Praxis und ein neues Bewusstsein für den Schaden – im Sinne des »Great Repair«-Projekts – würden eine gesteigerte gesellschaftliche Akzeptanz der Denkmalpflege zur Folge haben. Die Denkmalpflege könnte als Dialogpartnerin zur Verfügung stehen und über gemeinsame Formate ihre gesellschaftliche Reichweite und Relevanz erhöhen. Dabei wäre aus den vielfältigen Facetten von »Reparatur« eine denkmalrelevante Reparaturpraxis zu definieren und gegenüber anderen abzugrenzen. Denn neben den vielen Gemeinsamkeiten existiert doch ein bedeutender Unterschied: Die Denkmalpflege ist nicht bloß die Hüterin des Wissens über konservatorische (Reparatur)-Techniken, sie ist in erster Linie die Hüterin von Geschichte und ihren baulichen Speichermedien. Wie man sie zum Sprechen bringt und wie man das, was sie uns mitteilen, vermittelt, weiß vor allem die Denkmalpflege.
© 2025 Pathmini L. Neuner-Ukwattage, published by De Gruyter
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