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Das ehemalige Parlaments- und Regierungsviertel in Bonn

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Published/Copyright: May 1, 2025
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Schyma Angelika / Janßen-Schnabel Elke Das ehemalige Parlaments- und Regierungsviertel in Bonn Topografie einer Demokratie (Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 87) Petersberg ( Verlag Michael Imhof ) 2024 304 Seiten, 227 Farb-, 39 SW-Abbildungen Hardcover, € 49,90 ISBN 978-3-7319-1398-6


Termingerecht zu den Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland hat das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland mit einer stattlichen Publikation aufgewartet, die sich eingehend mit den architektonischen Zeugnissen der »Bonner Republik« befasst. Mit einer elegant formulierten Intrada stimmt Angelika Schyma in die dichte Thematik des Buches ein. Kenntnisreich entwickelt sie das Szenario der architektonisch manifesten Geschichte des ehemaligen Parlaments- und Regierungsviertels, das seit Entstehen des zunächst provisorischen Regierungssitzes der Bundesrepublik Deutschland 1949 im Zuge der allmählichen Verfestigung Bonns als Bundeshauptstadt, vor allem nach der Hauptstadtvereinbarung 1975, kontinuierlich anwuchs. Signifikante Kronzeugen für diesen späteren Prozess sind namentlich das Langer Eugen genannte Abgeordneten-Hochhaus (1965–1969), das neue Kanzleramt (1973–1976), Neubauten für verschiedene Ministerien sowie schließlich der neue Plenarsaal (1988–1992). Die sukzessive Ausweitung des Regierungsviertels sollte sich nicht zuletzt positiv auswirken auf die Stadtentwicklung der vormaligen Bundeshauptstadt, weil sie wesentlich zum Zusammenwachsen der bis 1969 selbstständigen Städte Bonn und Bad Godesberg beitrug.

Die nach dem Mauerfall 1989 errungene Vereinigung beider deutscher Staaten läutete bereits zwei Jahre später durch den Beschluss des Deutschen Bundestages, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, den weitgehenden Funktionsverlust der Bauten im Regierungsviertel ein. Dadurch rückte das Regierungsviertel zunehmend in den Fokus einer besorgten Denkmalpflege. Diese war schon zuvor durch den Abbruch des alten Plenarsaals im Jahr 1987, der unter den Augen einer staunenden Öffentlichkeit als lichtdurchfluteter Anbau an die aus den Dreißigerjahren stammende Pädagogische Akademie nach einem Entwurf von Hans Schwippert 1948–1949 innerhalb von nur sechs Monaten errichtet und in dem das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verabschiedet worden war, aufgeschreckt und für die Problematik sensibilisiert worden.

Zur Wahrung dessen baulichen Erbes in Bestand und Struktur sowie mit Blick auf eine rücksichtsvolle Weiterentwicklung hatte der Rezensent in seiner damaligen Eigenschaft als rheinischer Landeskonservator unmittelbar nach Aufgabe des Regierungssitzes für das Regierungsviertel auf der Grundlage einer entsprechenden Satzung dringend die Ausweisung eines Denkmalbereiches gemäß dem nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetz empfohlen. Prompt wurde diese Anregung von politischen Spitzenvertretern, die sich ansonsten gerne kultur- und geschichtsbeflissen gerieren, medienwirksam als »Schnapsidee« diskreditiert. Deshalb ist es umso verdienstvoller, dass Elke Janßen-Schnabel in ihrem Beitrag über das ehemalige Regierungsviertel als gebauten Ausdruck des Grundgesetzes Sinn und Zweck eines solchen Denkmalbereichs subtil und mit guten Argumenten auffächert. Anhand von zahlreichen Karten und Plänen erläutert sie das wechselseitige Verhältnis von Bauten und Raumwirkung, die Bedeutung von Ensembles und Sichtachsen, wodurch Eigentümlichkeiten und Wesen des Regierungsviertels in ihrer Gesamtheit anschaulich werden. Wie hilfreich der Erlass einer Denkmalbereichssatzung zur Erhaltung des Charakters des Regierungsviertels sein kann, wird spontan evident beim Anblick des vor selbstbewusster Bedeutungshöhe strotzenden Post-Towers von 2000–2002 und des davon unweit 2014–2016 errichteten grauen Hotel-Hochhausriegels, die beide das Regierungsviertel im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellen.

Den Hauptanteil des Bandes beansprucht das Denkmälerverzeichnis, das die einzelnen Bauten und die Kunstobjekte ausführlich mit Angabe der Entstehungsdaten, Entwurfsverfasser, Veränderungen und des Denkmalstatus beschreibt sowie in ihrer künstlerischen und historischen Relevanz würdigt. Nach ihren Nutzern werden sie in quasi hierarchischer Abfolge vorgestellt: Am Anfang stehen die Bauten des Bundes, gefolgt von den Landesvertretungen und Parteizentralen; ihnen schließen sich die Botschaften und Residenzen, Kirchen und Kulturbauten, die U-Bahn sowie die übrigen Denkmäler im Regierungsviertel an, in denen unterschiedliche Verbände, Institutionen oder Organisationen ihre vorteilhafte Nähe zur Regierungszentrale suchten.

Als frühe und besonders prominente Gebäude ragen aus den Bundesbauten die Villa Hammerschmidt als Sitz des Bundespräsidenten und das benachbarte Palais Schaumburg als Sitz des Bundeskanzlers heraus. So wirkte es mehr als befremdlich, als mitten in die Festtagsstimmung zum Grundgesetzjubiläum die Nachricht platzte, der Bund beabsichtige das zu Instandsetzungsmaßnahmen im Inneren bis auf das Skelett abgehäutete Palais Schaumburg nicht länger als Zweitsitz für den Bundeskanzler zu nutzen. Damit ist die Zukunft dieser für die neu begründete Demokratie so zeichenhaften Wirkungsstätte völlig ungewiss. Die Rolle einer Kür übernahm in jenem Kontext das Museum Alexander Koenig, in dem am 1. September 1948 die Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rates stattfand, der hier das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorbereitete. Als Keimzellen der Demokratie sind diese drei Bauten programmatisch für deren Frühzeit, in der oft bestehende Gebäude für Zwecke des Bundes dienstbar gemacht wurden. Den ersten repräsentativen Neubau hatte dann Konrad Adenauer 1953–1954 mit dem Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen durchgesetzt, nach Plänen eines Architekten aus seinem Beamtenapparat, dem Oberpostdirektor Josef Trimborn mit seinem Team.

Während sich einige ausländische Vertretungen in ihren Neubauten bisweilen Anklänge an heimatliche Bautraditionen leisteten, ließen sich andere häufig in bestehenden Gebäuden nieder. Die Landesvertretungen fanden anfänglich, wie auch die SPD-Parteizentrale, in Baracken ihre Unterkunft, bevor sich die Länder mit Neubauten namhafter Architekten schmückten. So entwarf etwa Sep Ruf 1954–1955 einen wegweisenden Bau für den Freistaat Bayern. Sep Ruf war auch verantwortlich für den von stringenter Modernität bestimmten Kanzlerbungalow von 1963–1964, den Ludwig Erhard noch in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister in Auftrag gegebenen hatte. Insgesamt lässt erstaunen, in welch kurzer Bauzeit, ganz im Gegensatz zu heute, die öffentliche Hand damals ihre Bauvorhaben realisieren konnte.

Kulturell bereichert wird der historische und architektonische Fundus des Regierungsviertels durch die Museumsmeile, der nachbarschaftlichen Trias aus Bundeskunsthalle, Städtischem Kunstmuseum Bonn und Haus der Geschichte Bonn, das mit seinen Exponaten und Ausstellungen seinerseits die Relevanz auch des Regierungsviertels aufbereitet und erklärt. Dieses erhält darüber hinaus durch die zahlreichen Kunstwerke im öffentlichen Raum selbst den Charakter eines Skulpturenparks, der einen Besuch lohnt. Wohl am bekanntesten sind die Plastik Large Two Forms (1967 von Henry Moore) neben dem neuen Kanzleramt, die monumentale Konrad-Adenauer-Büste am Bundeskanzlerplatz (1981 von Hubertus von Pilgrim) oder die ausgreifende rote Stahlkonstruktion L’Allumé am Rheinufer vis-à-vis vom neuen Plenarsaal (1989–1992 von Mark di Suvero). Gemeinsam markieren sie mit weiteren Kunstobjekten wichtige Orte und prägen auf beeindruckende Weise den Stadt- und Landschaftsraum.

Die Publikation endet mit einem weniger erfreulichen Kapitel, dem Abgesang auf 27 abgerissene Bauten. Dazu zählen unter anderem Liegenschaften für die Regierung, Botschaften und Landesvertretungen. Ein Ausnahmeschicksal erfuhr hierbei der ursprünglich gegenüber dem Bundesratsgebäude gelegene Verkaufspavillon von 1957, jener Kiosk, an dem sich die Volksvertreter gerne zu Plausch und Tratsch trafen. Offenbar wegen seines für die 1950er Jahre so typischen Charmes erregte der Abbruch dieses kleinen Bauwerks 2006 die Gemüter weit über Bonn hinaus, was eine vorläufige Zwischenlagerung erzwang. Nach langem Warten 2020 in die Nähe des World Conference Bonn transloziert, bietet er nun als »Bundesbüdchen« Einheimischen und Touristen Erfrischungen an.

Vermisst wird in diesem Nekrolog die nochmalige Erwähnung des 1987 abgebrochenen denkmalgeschützten alten Plenarsaals, jenes Geburtsorts der im Aufbruch begriffenen Demokratie. Und zumindest einen Hinweis hätte in dieser Aufzählung auch das, wenngleich außerhalb des Regierungsviertels gelegene, 1985 niedergelegte und durch einen replizierenden Neubau ersetzte einstige Petersberg-Hotel verdient. Vollzog doch hier Konrad Adenauer seinen legendären Schritt auf den Teppich, um gleiche Augenhöhe mit den Alliierten Hohen Kommissaren zu demonstrieren, bevor er mit ihnen am 22. November 1949 das Petersberger Abkommen schloss. Mit diesem stieg die Bundesrepublik Deutschland zum eigenständigen außenpolitischen Akteur auf.

Für die Zeit nach dem rigiden Einschnitt durch den erlittenen Verlust des Regierungssitzes bietet die Präsentation der unterschiedlichen Gebäude im Bonner Regierungsviertel auch etwas Versöhnliches, indem sie aufzeigt, wie sein überkommener Baubestand durch gelungene Umwidmungen für andere oder neue Bundesbehörden, für die UN sowie sonstige Organisationen, aber auch zu kommerziellen und gastronomischen Nutzungen vor einem Niedergang bewahrt wurde.

Die gegenwärtig zunehmend vehementer vorgetragene Ermunterung, unsere Demokratie bewusster und engagierter zu leben, erfährt eine willkommene Unterstützung durch diese Veröffentlichung. Sie fordert dazu auf, die architektonischen Zeugnisse unserer Demokratie aufmerksamer zu erleben und sich entschlossen für ihre angemessene Erhaltung zu engagieren. Darüber hinaus darf das Buch über die zahlreichen neu errichteten Regierungsbauten, die weitaus mehr sind als lediglich gebaute Administration, für sich beanspruchen, hinsichtlich Form, Stil und Typologie eine komprimierte Architekturgeschichte für das 20. und 21. Jahrhundert abzubilden.

UDO MAINZER

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Published Online: 2025-05-01
Published in Print: 2025-05-26

© 2025 Udo Mainzer, published by De Gruyter

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Downloaded on 16.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dkp-2025-1014/html
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