Kurzberichte aus den Ländern
Baden-Württemberg
Workshop Studentenwohnheim Pfaffenhof
Das Landesamt für Denkmalpflege hat 2020 das Studentenwohnheim Pfaffenhof I – 1972–1974 vom renommierten Schweizer Architekturbüro Atelier 5 geplant – im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Hochschulbauten als Kulturdenkmal ausgewiesen. Das Wohnheim auf dem Campus der Universität Stuttgart hat auch vor bundesweitem Hintergrund eine hohe Bedeutung für die Bewältigung der studentischen Wohnraumfrage sowie ganz allgemein für den Siedlungsbau im Deutschland der Nachkriegsmoderne.
Bald 50 Jahre alt hat die Anlage heute eine ungewisse Zukunft. Bautechnische und energetische Probleme, ein hoher Nutzerwechsel und gestiegene Ansprüche an das studentische Wohnen stellen den Eigentümer vor große Herausforderungen. Die Denkmalpflege hat deshalb einen Workshop initiiert mit dem Ziel, Wege für einen Erhalt und eine Weiterentwicklung unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit aufzuzeigen. Unterschiedliche Interessenvertreter*innen und denkmalerfahrene Planer*innen haben in dem Zusammentreffen Szenarien entwickelt, die aufzeigen, welche Lösungen denkbar sind.
Nach einer ausführlichen Besichtigung der Anlage und Impulsvorträgen zum Denkmalwert sowie einem Faktencheck zum baulichen Zustand haben sich über 20 Teilnehmer*innen, darunter altbauerfahrene Architekturbüros, Fachplaner*innen, namhafte Vertreter*innen von Land, Universität, Stadtverwaltung, Architektenkammer, IBA 2027 StadtRegion Stuttgart und Wüstenrot-Stiftung zusammen mit dem Eigentümer und den Sprecher*innen des Wohnheims ausgetauscht. In fünf Arbeitsgruppen im Format »World Café« wurde hochkompetent und offen zu den Themen planerische Potenziale, gesellschaftliche Relevanz, Prozess zur Um setzung, Wirtschaftlichkeit und Wohnheimnutzung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln debattiert und die Ergebnisse in Stichworten gesammelt. In der Zusammenschau und in einer abschließenden Feedback-Runde kamen die Teilnehmer*innen zum Fazit, dass das Kulturdenkmal durchaus eine Zukunft hat, wenn es keine Denkverbote gibt. Dies schließt Interventionen am Gesamtkomplex für eine tragfähige Entwicklung ausdrücklich ein. In einem dialogorientierten künftigen Planungsprozess sind Themen wie das Weiterbauen, das Verdichten, mögliche Klimaschutzstrategien, Aspekte der Aufenthaltsqualität und Wirtschaftlichkeit und natürlich die Prüfung unterschiedlicher Erhaltungs- und Sanierungsstrategien für Teilbereiche zu vertiefen.

Stuttgart-Vaihingen, die Teilnehmer*innen des Workshops vor dem Studentenwohnheim Pfaffenhof, 2021
Ist die Anlage ein einzigartiges, pionierhaftes Dokument dessen, was studentisches Leben vor 50 Jahren war, so könnte sich der Pfaffenhof zu einem Muster für adäquate studentische Wohnformen für das 21. Jahrhundert entwickeln. Dafür müssen positive Bilder gesetzt und ein schneller Einstieg in einen planerischen Prozess gefunden werden. Das historische Objekt hat in jedem Fall Potenzial als aktuelles Beispiel für nachhaltiges, gemeinschaftliches Wohnen. Das für die staatliche Denkmalpflege noch nicht allzu häufig angewandte Workshop-Format hat erste Wege für die Zukunft des jungen Kulturdenkmals aufgezeigt. Mit dieser Berichterstattung steht es jedoch erst am Anfang. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es gelingen kann, aktuelle Wohnansprüche, Kostenvorgaben und Überlegungen zur Nachhaltigkeit mit dem überlieferten Bestand in Einklang zu bringen, damit ein wertvolles Stück Baugeschichte in Stuttgart in die Zukunft transportiert werden kann.
MARTIN HAHN
Bayern
Rettung in Aussicht
Das Alte Schloss Gereuth im Landkreis Haßberge/Unterfranken ist der Kernbau einer städtebaulich bedeutenden Baugruppe, die das Neue Schloss mit Park, die Schlosskapelle, Pfarrhaus, Rentamt, Gasthaus und Ökonomie mit Ökonomiegarten umfasst. Das 1 605 mit a ufwendiger Bauzier in Werkstein errichtete Renaissanceschloss wurde in die für den Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau (1652–1719) vom Würzburger Hof baumeister Joseph Greissing (1664–1721, Lehrmeister Balthasar Neumanns) geschaffene Gesamtanlage integriert. Der bauzeitliche Grundriss mit Dürnitz, Küche und Rauchküche im Erdgeschoss und Diele, Großem Festsaal, Vorgemach und Wohngemach im Obergeschoss ist erhalten oder nachweisbar.

Gereuth, Schlosskirche St. Philippus, Altes Schloss, Neues Schloss, 2017

Limbach, Wallfahrtskirche Maria Limbach, Inneres vor der Restaurierung, 2017
Mit der barocken Überformung wurde das Dachwerk 1706 (d) erneuert und 1713 schließlich der ganze Bau – formgleich und historisierend – um sieben Fensterachsen verlängert. Dieser Teil enthielt das Jägerhaus mit Stallungen mit einer wandfesten Ausstattung in hochbarocken Formen. 1815 erwarb der nachmalige Königlich Bayerische Hofbankier Jakob Hirsch den gesamten Ort und baute diesen zum landwirtschaftlichen Mustergut um.
Nach weiteren Besitzerwechseln im 19. und 20. Jahrhundert und Jahrzehnten des Leerstands zeigten sich zunehmend Schäden an der Bausubstanz: Die noch weitgehend barockzeitliche Dachhaut wurde undicht und das schadhafte Dachtragwerk konnte dem Gewölbeschub nicht mehr standhalten. 2008 wurde eine maßgeblich vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege geförderte Notsicherung durchgeführt. Alle Versuche der Denkmalpf lege, eine weitere Instandsetzung zu erwirken, scheiterten an den unklaren Eigentumsverhältnissen. Erst die Bereitschaft des Landkreises Haßberge, das Eigentum zu übernehmen, brachte den Durchbruch. Nun konnte die seit Jahren fortgeschriebene Schadensermittlung letztmalig aktualisiert werden und ein Finanzierungsplan für die Sicherung unter Dach und Fach aufgestellt werden. Diese umfasst hauptsächlich die Instandsetzung des Mauerwerks, des Dachtragwerks und der Dachhaut einschließlich Gauben. Der Maßnahmenbeginn ist für 2022 geplant.
CHRISTIAN SCHMIDT
Wallfahrtskirche Maria Limbach restauriert
Eine Marienwallfahrtskirche in der schönen landschaftlichen Lage Limbachs im Maintal, Landkreis Haßberge/Unterfranken, ist urkundlich seit dem 15. Jahrhundert fassbar. 1743 stiftet der Würzburger Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn testamentarisch 1.200 Gulden zur »erweiterung«
und »instandsetzung« der »gnadenkirche«. Diese wurde 1751–1754 nach Plänen Balthasar Neumanns (1687–1753) errichtet und nach dem Tod Neumanns durch dessen Sohn Franz Ignaz Michael (1733–1785) vollendet. Umfangreiche Stiftungen der Bamberger und Würzburger Fürstbischöfe sorgten in den Jahren 1754 und 1762 für die wertvolle Ausstattung, deren Altäre und Kanzel zu den besten Werken des fränkischen Rokoko zählen. Die Ausstattung wurde im Rahmen der letzten Restaurierung 1975–1985 auf die bauzeitliche Fassung freigelegt bzw. möglichst originalgetreu rekonstruiert. Die Restaurierung der Außen- und Innenwände brachte die Wiederherstellung der monochromen bauzeitlichen Fassung von 1754. Die Kirche ist als letztes, posthum fertiggestelltes und spätbarock-frühklassizistisches Werk Balthasar Neumanns in Verbindung mit der bedeutenden Rokokoausstattung der Würzburger Hofkünstler einschließlich barockem Orgelwerk von nationaler Bedeutung.
Akute Sturmschäden am Dach, insbesondere im Anschluss des Chordachs zum Turm, verbunden mit Wasserschäden an der Raumschale erforderten ab 2018 eine Instandsetzung von Dach, Fassaden und der Raumschale. In einem Vorprojekt wurden die Schäden erhoben und das Sanierungskonzept erstellt. Denkmalfachliche Zielstellung war, das Ergebnis der denkmalpflegerisch, restauratorisch und ingenieurtechnisch aufwendigen letzten Restaurierungsmaßnahme zu respektieren und nur die zwischenzeitlich entstandenen Schäden bzw. die Schäden in den damals nicht bearbeiteten Bereichen zu beheben. Die unverfälscht erhaltene Dachkonstruktion Balthasar Neumanns wurde weitgehend belassen, da keine aufwendigen Additivkonstruktionen notwendig waren und nur wenige Bauteile erneuert werden mussten.
Der sehr harte Putz der Bauzeit ist überwiegend erhalten. Die nach Originalbefund und Quellen rekonstruierte letzte Sichtfassung wurde als Silikat anstrich wiederholt. Eine Herausforderung stellte die Harmonisierung der Anstrichsysteme für Putz und Naturstein dar, die im exakt gleichen Farbton erscheinen sollten. Für die Raumschale wurde das Maßnahmenkonzept an mehreren Mustern erprobt: Da eine bloße Reinigung nicht befriedigen konnte, wurde der Kalkanstrich wiederholt. Dafür mussten einige ölige Altanstriche reduziert werden, um einen tragfähigen G rund zu erzielen. Nachbefundungen brachten kleinere Konzeptänderungen bei der Farbigkeit der Weihekreuze, der Sockelgestaltung, des Stifterwappens und des den Hochaltar bekrönenden Auge Gottes. Die durch die Werkstätten des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege fachlich begleitete Maßnahme wurde unter anderem aus dem Bayerischen Entschädigungsfonds, mit Bundesmitteln und von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt.
CHRISTIAN SCHMIDT
Berlin
Beispielhafte Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit
Kaum ein gesellschaftspolitisches Thema hat derzeit so viel Relevanz, auch im Bereich des Bauens, wie der Klimaschutz. Folgen hat dies für die Wahl von Bauweisen und Materialien sowie für die Konzepte zur Energieversorgung eines Gebäudes. Die energetische Ertüchtigung ist bei der Bestandssanierung seit jeher mit besonderen Anstrengungen verbunden. Beim Umgang mit einem Baudenkmal erhöhen sich regelmäßig die Anforderungen an eine Instandsetzung, da die Gebote des Substanzerhalts, der Materialgerechtigkeit und der Bewahrung des Erscheinungsbildes den Rahmen vorgeben. Die Denkmalpflege verfolgt jedoch mit ihren Grundsätzen des Erhaltens und Reparierens und der Verwendung traditioneller Baustoffe in vieler Hinsicht ähnliche Ziele wie der Klimaschutz: Ressourcen werden geschont, allein durch die Weiternutzung bestehender Gebäude. Umso wichtiger erscheint es, dass Sanierungs- und Energiekonzepte für Baudenkmale auch unter dem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt verstanden werden.
Die jüngst abgeschlossene Instandsetzung der ehemaligen Bötzow-Brauerei in Berlin ist ein herausragendes Beispiel für ein Denkmalpflegeprojekt, das neben einer behutsamen Gebäudesanierung auch die Aspekte von Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit beispielhaft umgesetzt hat.
Voraussetzung dafür war ein Umwelt- und Klimaschutzfragen verpflichteter Eigentümer, der das Potenzial des seit Jahrzehnten brachliegenden Industrieareals erkannte und mit David Chipperfield Architects ein erfahrenes Architekturbüro für sein Vorhaben gewinnen konnte. In enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden entstand ein ganzheitliches Revitalisierungskonzept, das den gegenwärtigen Stand der Denkmalpflege vorbildlich berücksichtigt und in Bezug auf nachhaltiges Bauen im Bestand wegweisende Impulse gibt.
Das Ensemble, das heute als Industriedenkmal von der Bierbrautradition Berlins zeugt, wurde mit umfangreichen Kelleranlagen ab 1884 auf dem 24.000 Quadratmeter großen Areal des ehemaligen Windmühlenbergs im Pankower Ortsteil Prenzlauer Berg errichtet und nimmt damit gut die Hälfte eines Blocks ein.
Die vorgefundenen Gebäudehüllen, Raumstrukturen und Ausstattungen legten eine Herangehensweise an Instandsetzung, Umbau und energetische Ertüchtigung mit Augenmaß und einem Verständnis für die Leistungsfähigkeit und Ästhetik des historischen Bestands nahe.
An den Produktions- und Verwaltungsgebäuden zeigen sich die Spuren verschiedener Zeitschichten und Nutzungen bis hinein in die DDR-Zeit. Diesen gewachsenen Bestand zu respektieren und erfahrbar zu belassen war das Leitziel. Tragstrukturen, Wandoberflächen, Fußböden und Decken mit all ihren Störungen, auch später zugemauerte Fensteröffnungen, wurden in ihrer überlieferten Substanz bewahrt, in traditionellen Handwerkstechniken repariert und behutsam aufgerüstet. Neue haustechnische Anlagen sowie Elemente zum Brand- und Wärmeschutz wurden in den Bestand integriert. Dieses Prinzip wurde bis ins Detail eingehalten: In allen Bereichen erfolgten im Vorfeld umfangreiche Voruntersuchungen, Bemusterungen und Materialtests, um gemeinsam mit allen Verantwortlichen abzuwägen, welche Lösung die substanz- und ressourcenschonendste und gleichzeitig nutzungsgerechteste ist. Die Überlagerung der historischen, von Altersspuren und Rissen geprägten Wandoberflächen mit den neuen, sichtbar geführten technischen Leitungen schuf eine neue Raumästhetik und wahrte die spezifische Authentizität des Industriedenkmals.
Bauzeitliches Inventar, einschließlich der gusseisernen Rippenheizkörper und Narva-Industrieleuchten aus der DDR-Zeit, konnte umgerüstet und wiederverwendet wenden – eine Zweitnutzung vorhandener Ressourcen, die sich letztendlich sogar kostengünstiger darstellte als die Anschaffung neuer Produkte.
Zudem kam ein individuelles, bedarfsangepasstes Wärmeschutzkonzept zum Einsatz: Die Dämmung der Außenwände hätte das Erscheinungsbild der Klinkerarchitektur zweifelsfrei nachhaltig beeinträchtigt. Um die vorhandenen Wärmebrücken an den Gebäudeecken zu entschärfen, entschied man sich, die Steigleitungen der Heizungen entsprechend historischer Vorbilder innenseitig anzuordnen. Den dadurch entstehenden Energieverlusten konnte in der energetischen Gesamtbetrachtung gegenübergestellt werden, dass umfangreichere Wärmeschutzmaßnahmen, wie das Anbringen einer Innendämmung, zusätzlichen Energie- und Ressourceneinsatz bedeutet hätten.

Berlin-Pankow, Ortsteil Prenzlauer Berg, Prenzlauer Allee 242–246, ehemalige Bötzow-Brauerei, Ansicht Häuser 1–3, 2021

Berlin-Pankow, Ortsteil Prenzlauer Berg, Prenzlauer Allee 242–246, ehemalige Bötzow-Brauerei, Innenansicht Haus 5, 2021
Beachtenswert ist auch der Umgang mit den überlieferten Eisenfenstern. Da einfachverglast, erfüllten sie nicht die heutigen Wärmeschutzanforderungen für Büroräume. Daher wurde eine innenseitige Aufdoppelung durch ein thermisch entkoppeltes Stahlfenster konzipiert. Den damit verbundenen bauphysikalischen Herausforderungen (potenzieller Tauwasserausfall im Fensterzwischenraum) konnte durch ein in die Fensterlaibung eingelassenes Heizband begegnet werden, welches bei Bedarf zugeschaltet wird.
Die heutige Nutzung der Brauereigebäude, in weiten Teilen durch das bauherreneigene Medizintechnik-Unternehmen, erforderte eine barrierefreie Erschließung sämtlicher Bereiche. Auch hier galt es, innovative Lösungen zu entwickeln, die möglichst gering in die bauzeitliche Substanz eingreifen.
Der vorbildhafte, behutsame Ansatz für die Instandsetzung der BötzowBrauerei veranschaulicht das Nachhaltigkeitspotenzial denkmalpflegerischer Ansätze: Materialkontinuität, Eingriffsminimierung, Reparatur und Wiederverwendung anstelle von Austausch sparen Energie und Rohstoffe und schonen so auch Klima und Umwelt. Daneben ist der Standort aber auch repräsentativ für die Weiterentwicklung eines Denkmals in einer Metropole: Vier Neubauten und – wie einst – ein öffentlich zugänglicher Biergarten werden zukünftig den historischen Gebäudebestand ergänzen.
Die behutsame Revitalisierung des historischen Industrieareals wurde 2019 mit der Ferdinand-von-Quast-Medaille des Berliner Senats ausgezeichnet.
SUSANNE WILLEN UND KATJA KAMPMANN
Brandenburg
Blick ins All – Instandsetzung des Einsteinturms
Noch immer ist er ein Besuchermagnet, nicht nur für Architekten aus aller Welt. Der Einsteinturm erhebt sich am Südhang des Telegrafenberges in Potsdam und hat bis heute nichts von seiner Aura des Besonderen verloren. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass dieser bedeutende Bau der Moderne, ein Frühwerk des weltbekannten Architekten Erich Mendelsohn (1887– 1953), die letzten Jahrzehnte nicht ohne Schäden überdauerte hat. Zahlreiche Risse und Verfärbungen zeigen, dass die Witterung dem Bauwerk zusetzt.
Das ab 1920 errichtete Gebäude musste bereits wenige Jahre nach dem Bau ein erstes Mal repariert werden. Dann folgten nahezu in jedem Jahrzehnt Instandsetzungsarbeiten, da die extravagante Kubatur des Baukörpers eine starke Witterungsanfälligkeit verursacht. Der Bau wird auch nun wieder in einen würdigen Zustand gebracht. Die Planungen für die Bauarbeiten haben bereits 2021 begonnen und können von den umfangreichen Dokumentationen der letzten Maßnahmen von 1997 bis 1999 profitieren, bei denen das Denkmal bereits eingehend untersucht worden ist. Die damals durchgeführten Schritte haben sich weitgehend als wirkungsvoll gezeigt, das Bauwerk hinreichend zu schützen.

Potsdam, Telegrafenberg, Einsteinturm mit Eingang von Norden, 2021
Die notwendigen Arbeiten heute betreffen vor allem das Schließen von Rissen an den Fassaden, um das Eindringen von Feuchtigkeit zu verringern. Damit einher geht eine Neufassung der Oberflächen, teilweise auch derjenigen im Innenraum. Die Spannungsrisse am Außenpodest des Eingangs, ein schon früher aufgrund thermischer Beanspruchungen anfälliger Gebäudeteil, bedürfen ebenfalls erneut der Reparatur. Die historischen Fenster werden instand gesetzt und ihre Anstriche ausgebessert. Die für die Funktion als Observatorium so wichtige Kuppel muss zimmermannstechnisch überarbeitet und die Abdichtungsbahnen müssen erneuert werden. Bei der denkmalfachlichen Entscheidung zum zukünftigen Erscheinungsbild des Gebäudes ist die im Lauf des letzten Jahrhunderts geänderte Farbigkeit und Materialität zu berücksichtigen. Ein stures Rückführen auf die Farbigkeit der Bauzeit ist sowohl aus bauphysikalischer Sicht als auch aufgrund technischer Anforderungen des Observatoriums nicht sinnvoll.
Im Bereich der Außenanlagen zeigt sich nach den vielen Jahren, dass der ursprünglich auf einem weitgehend kahlen Sporn errichtete Turm heute von dichtem Baumbewuchs umgeben ist. Hier wird ein angemessener Rückschnitt des Grüns angestrebt, um ein besseres Abtrocknen der Fassaden zu ermöglichen und die Raumwirkung des Bauwerkes zu unterstützen.
Der visionäre Entwurf von Mendelsohn ist bis heute ein Anziehungspunkt für architekturinteressierte Menschen weltweit und entsprach der zu seiner Entstehungszeit visionären Nutzung des Gebäudes. Der Turm hatte anfangs den experimentellen Nachweis der Relativitätstheorie von Albert Einstein zum Hauptziel und dient bis heute als Observatorium zur Untersuchung des Sonnenlichts. Durch die tief greifenden Dokumentationen wurden umfangreiche Kenntnisse zum inneren Aufbau gewonnen. Diese offenbaren, dass das eigentlich als »Eisenbetonbau« berühmte Gebäude tatsächlich in wesentlichen Teilen als Ziegelbau errichtet worden ist. Anscheinend war zur Bauzeit die neue Technik des Eisenbetons noch nicht ausreichend in der Ausführung erprobt, weshalb man sich zumindest teilweise für eine konventionelle Konstruktion entschloss. Das Fehlen heute üblicher Vorkehrungen wie Dehnungsfugen gegen eine Rissbildung durch thermische Verformungen des Materials wird auch in Zukunft eine engmaschige Beobachtung des Bauzustands erfordern. Die Umsetzung der nun geplanten Arbeiten soll 2022 begonnen werden.
HAIKO TÜRK
Bremen
Ein Dokument des Kalten Krieges
Mit der Zivilschutz-Mehrzweckanlage Sedanplatz, die im Jahr 1975 mit einer Kapazität von 4.044 Plätzen unter dem zentralen Marktplatz des Bremer Stadtteils Vegesack errichtet wurde, ist im Jahr 2020 die mit Abstand größte Zivilschutzanlage der Nachkriegszeit im Land Bremen unter Denkmalschutz gestellt worden.
Öffentliche Zivilschutzanlagen aus der Zeit des Kalten Krieges, umgangssprachlich oft auch als »Atombunker« bezeichnet, wurden im Rahmen eines flächendeckenden Bauprogramms der Bundesregierung von den 1950er Jahren bis in die frühen 1990er Jahre sowohl durch Neubauten als auch durch die Modernisierung von Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Hierbei galt es, gänzlich andere An forderungen zu beachten, als sie die Kriegsführung in der Zeit des Nationalsozialismus an Luftschutzräume gestellt hatte: Für den nuklearen Ernstfall mussten die neuen Anlagen aufgrund der zu befürchtenden radioaktiven Verseuchung der Außenwelt eine temporäre autarke Versorgung der Schutzsuchenden gewährleisten. In diesem Rahmen entstanden auch sogenannte Mehrzweckanlagen (MZ A), die eine sinnvolle Nutzung in Friedenszeiten mit der Bereithaltung eines öffentlichen Schutzraums für den Notfall verbanden. Dabei handelt es sich überwiegend um unterirdische Verkehrsanlagen wie beispielsweise U-Bahnhöfe und Tiefgaragen, die sich für diesen Zweck besonders gut eignen.

Bremen, Zivilschutz-Mehrzweckanlage Sedanplatz, Küchenraum mit authentischer Ausstattung, 2020
Je nach Ausbaugrad werden bei Zivilschutzanlagen mehrere Stufen unterschieden, die ihre Eignung für einen Aufenthalt von wenigen Stunden bis zu mehreren Tagen definieren. Die Zivilschutz-Mehrzweckanlage Sedanplatz, eine Anlage der Stufe II, besitzt autarke Versorgungseinrichtungen für eine Belegung mit mehr als 4.000 Personen und ist für eine Aufenthaltsdauer von bis zu 14 Tagen ausgelegt. Sie ist Teil einer Tiefgarage, die im Jahr 1975 nach Plänen des Bremer Architekten Theodor Rosenbusch errichtet wurde. Die in der untersten Parkebene befindliche MZA untergliedert sich in zwei eigenständige Bunker von 1.286 bzw. 1.060 Quadratmetern Größe, die im Ernstfall mithilfe einer Schiebetoranlage voneinander abgetrennt und separat betrieben werden konnten. Der jeweils westliche Bereich der beiden Bunker dient dabei bis heute als Parkdeck. Hier sind Teleskopstangen unter der Decke befestigt, die ausgeklappt als Halterungen für die als Sitzbank sowie als Schlafmöglichkeit nutzbaren Metallpritschen fungieren. Im östlichen Bereich beider Bunkerteile schließen sich Räumlichkeiten mit den zur Eigenversorgung notwendigen technischen Anlagen und Versorgungseinrichtungen an. Würden im Ernstfall die Ein- und Ausfahrtsrampen des Parkdecks mit massiven Stahltoren hermetisch verschlossen werden, wäre die MZA nur noch über die vier, den Treppenhäusern vorgelagerten Druckschleusen mit integrierten Dekontaminierungsduschen zugänglich.

Bremen, Zivilschutz-Mehrzweckanlage Sedanplatz, Zugang vom Parkdeck zu den Versorgungsräumen, 2020
Nachdem das Schutzraumprogramm in den 1990er Jahren angesichts der veränderten weltpolitischen Lage eingestellt wurde und ab 2007 die sukzessive Entlassung aller Anlagen aus der Zivilschutzbindung erfolgte, wird die MZA Sedanplatz heute nur noch als Tiefgarage genutzt. Ihre komplette bauzeitliche Ausstattung inklusive aller technischer Anlagen und Versorgungsräume blieb jedoch unangetastet. Diese Unversehrtheit verleiht dem Objekt einen besonderen Seltenheitswert. Seine Authentizität führt eindringlich vor Augen, welche katastrophalen Folgen ein Atomkrieg für die Bevölkerung eines Landes nach sich ziehen würde. Die MZA Sedanplatz ist damit nicht nur ein herausragendes Geschichtsdokument der Stadt Bremen, sondern hat als vollständig erhaltenes bauliches Zeugnis des ehemaligen Schutzraumprogramms der Bundesrepublik auch im überregionalen Kontext einen hohen zeitgeschichtlichen Wert.
JESSICA HÄNSEL
Hamburg
Pilotprojekt Ökologisches Bauen
Im Hamburger Denkmalschutzamt wird gegenwärtig ein Projekt zur Erfassung und Erforschung der Architektur aus der Zeit 1975–1995 durchgeführt. Im Rahmen dessen wird auch der 1980 entstandene Stadtteil NeuallermöheOst untersucht, eines der großen städtebaulichen Projekte seiner Zeit. Ob es sich im Gesamten um ein Ensemble im Sinne des Hamburger Denkmalschutzgesetzes handelt, lässt sich noch nicht eindeutig sagen. Aber es kristallisieren sich bereits Teilbereiche als denkmalwerte Bausubstanz heraus, darunter eine Gruppe von Wohnhäusern, die im Rahmen eines ökologischen Pilotprojekts 1989 auf der Teilfläche XI der Siedlung am Fanny-Lewald-Ring gebaut wurden.
Bei diesen Ökohäusern, es sind Reihen- oder Doppelhäuser, handelt es sich um Holzbauten, deren »ökologische Ausstattung« überwiegend aus solchen Elementen besteht, wie sie auch an anderen Wohnhäusern vorkommen: Wintergärten, intensive Wärmedämmung, ein ökonomisches und umweltfreundliches Heizsystem und eine am Verlauf der Sonne ausgerichtete Grundrissdisposition.
Darüber hinaus besitzen sie im Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren ein ökologisches System: Sämtliches Abwasser wird in einer gemeinschaftlichen Pflanzkläranlage gereinigt, alle 45 Häuser sind mit Komposttoiletten ausgestattet, die weder Wasser noch Chemikalien verbrauchen. Grasdächer, Regenwassernutzungsanlagen und eine konsequente Verwendung umweltschonender Materialien ergänzen das Bauprogramm. Entworfen wurden diese Häuser unter anderem von den Architekten Vollbracht & Bäumer in Hamburg.

Hamburg-Neuallermöhe-Ost, Ökohaus, Fanny-Lewald-Ring, 2022

Hamburg-Neuallermöhe-Ost, Ökohaus, Fanny-Lewald-Ring, 2022
Projekte zum nachhaltigen Bauen wurden, ausgelöst von den Ölkrisen der 1970er Jahre, in den 1980er Jahren staatlich gefördert und legen Zeugnis davon ab, dass ökologisches Bauen und andere energiesparende, konsequente Maßnahmen den Klimawandel bereits damals hätten verlangsamen können. Die Ökohäuser in Neuallermöhe-Ost dürften vor Wärmedämmverbundsystemen sicher sein – die denkmalpflegerische Herausforderung wird darin bestehen, weitere Teile der Siedlung, deren Bauten vornehmlich Backsteinbauten sind, unbeschadet zu erhalten.
Neben dem Pilotprojekt »Ökologisches Bauen« wurde ein weiteres, nämlich das »Kosten- und Flächensparende Bauen«, im damaligen Bebauungsplan festgeschrieben. Hier ging es im Wesentlichen darum, auch im Geschosswohnungsbau Zugang zu kleinen Gartenflächen zu gewährleisten oder durch Reihenhausbebauung auf kleinem Grundstück den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen.
Nicht nur, dass man mit Blick auf den heutigen Wohnungsbau vermutlich eine Reihe von Erkenntnissen gewinnen könnte: Aus denkmalpflegerischer Sicht handelt es sich bei diesem Siedlungsvorhaben um ein herausragendes Zeugnis des »postmodernen« Bauens in der Hansestadt. Die Forschungsergebnisse lassen erkennen, mit welch hochwertiger Architektur wir es hier zu tun haben und dass deren Betrachtung und vor allem Beachtung nach mehr als 30 Jahren überfällig ist.
ASTRID HANSEN
Hessen
Kindertagesstätte in der Zehntscheune
Die Zehntscheune im nordhessischen Helmarshausen wurde 1749 auf den Grundmauern der Klosterkirche der bedeutenden ehemaligen BenediktinerReichsabtei St. Maria und Petrus unter Wiederverwendung der historischen Natursteinmaterialien errichtet. Bis 2013 diente das Gebäude wie ursprünglich als Speicher und war aufgrund nur weniger Veränderungen fast im bauzeitlichen Zustand erhalten. Aufgrund einiger statischer Probleme bestand für einen langfristigen Erhalt jedoch Handlungsbedarf.
Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurde ein nachhaltiges Instandsetzungs- und Nutzungskonzept erarbeitet, aus dem kurzfristig erste substanzsichernde Maßnahmen resultierten: die konstruktive bzw. statische Sicherung der Dachkonstruktion und des Mauerwerks sowie die Reparatur der regionaltypischen, aber selten erhaltenen Wesersandsteineindeckung. Auf die Notsicherungsmaßnahmen folgte ein intensiver Planungsprozess, der in Form eines Umbaus zu einer Kindertagesstätte mit separatem Indoor-Freizeitbereich ein positives Endergebnis fand. Für diese öffentliche Nutzung bot das Gebäude aufgrund der unmittelbaren Nähe zu einer bereits bestehenden Kindertagesstätte auf dem Klosterareal optimale Voraussetzungen, auch um jenen örtlichen Randbereich nachhaltig zu stärken. Denn durch Nutzung war nicht nur der Erhalt des Kulturdenkmals gesichert, es konnte zudem auf einen zuvor avisierten Neubau inmitten des ehemaligen Klosterareals verzichtet werden.
Die von Ende 2019 bis Anfang 2022 durchgeführte Instandsetzungs- und Umbaumaßnahme wurde als »Hausin-Haus-Konstruktion« realisiert, die sich durch ihre zeitgenössische Formensprache zurückhaltend in den historischen Bestand einfügt und als moderne Weiterentwicklung des Gebäudes zu erkennen ist. Der Innenraum wurde dabei nur in Teilbereichen ausgebaut und im Obergeschoss in Form reversibler Raum-Einbauten konstruiert. Insgesamt beschränken sich die Eingriffe in die historische Bausubstanz auf das Notwendige.

Helmarshausen, Poststraße 6, ehemalige Zehntscheune, Fassade nach Fertigstellung, 2022
Erschlossen wird das Gebäude durch die historischen Toröffnungen in der Ostfassade. Ein Foyer mit Garderobe und Toilettenanlage ermöglicht einerseits den Zugang in den K ITA-Gruppenbereich mit Kreativ-, Ruhe- und Waschraum sowie Küche und andererseits in den Indoor-Freizeitbereich mit geschossübergreifender Kletterwand, der ab 2023 für Kinder, Jugendliche und Familien am Nachmittag und am Wochenende zugänglich sein soll. Über eine Treppe im Foyer wird zudem der nur in Teilbereichen ausgebaute Dachraum erschlossen.
Die Natursteinwände blieben auch im Innenbereich weitgehend materialsichtig und erfuhren nur in intensiv genutzten und beheizbaren Räumen eine energetische Optimierung durch eine Lehmdämmung. Die Räumlichkeiten im Dachraum wurden als vollgedämmte Holzrahmenbauten mit einem Abstand von bis zu einem halben Meter zu den Außenwänden eingestellt. Die Deckenkonstruktion in der südlichen Gebäudehälfte wurde über das vorhandene Sprengwerk der Dachkonstruktion an ein Unterzug-Zangensystem gehängt. Dies ermöglichte im Erdgeschoss der Zehntscheune den Einbau eines über archäologischen Fundstellen (Grundmauern der Klosterkirche, Anfang 11. Jahrhundert) schwebenden und reversiblen Fußbodenaufbaus ohne Fundament.

Helmarshausen, Poststraße 6, ehemalige Zehntscheune, KITA-Gruppenraum, 2022
Für die natürliche Beleuchtung und Belüftung wurden beide Scheunentore durch Stahl-Glas-Elemente ersetzt. Zwischenzeitlich vermauerte historische Öffnungen in der Fassade wurden wieder geöffnet und fünf weitere, neue Einzelöffnungen in unterschiedlicher Größe ergänzt. Auffällig, aber nicht aufdringlich ist hierbei die Gestaltung und Anordnung der neuen Wandöffnungen, die durch Kastenfenster mit Stahlzargen in den Außenlaibungen umrahmt werden.
REBEKKA SCHINDEHÜTTE
Lübeck
Lernen unter Sternen
In den Jahren 1929–1931 entstand mit der Klosterhof-Volksschule im Lübecker Stadtteil St. Jürgen der erste städtische Schulneubau in sachlicher Formensprache nach Plänen des Lübecker Baudirektors Hans Pieper (1882–1946). Die räumliche Konzeption und Ausstattung folgte modernen pädagogischen Ansätzen und setzte damit neue Maßstäbe für Lübecker Schulbauten. In diesem Zuge wagte man den Versuch zur Umsetzung eines einmaligen sternkundlichen Lehrmittels. So wurde auf einem der beiden Treppenhalbtürme unter einer vier Meter breiten Kuppel ein Planetarium eingerichtet, die sogenannte Sternkammer.
Die knappen finanziellen Mittel erforderten dabei eine ebenso kleindimensionierte wie kostengünstige Alternative zu den damals produzierten Apparaten des konkurrenzlosen Marktführers Zeiss aus Jena. Nach derzeitigem Kenntnisstand entwickelte der technisch versierte Studienrat Dr. Hans Cassebaum in Zusammenarbeit mit dem Lübecker Elektriker Ernst Nachtigall einen einfachen, aber präzisen Projektor. Dieser funktioniert nach dem Prinzip einer Lochkamera. Innerhalb einer circa 40 Zentimeter großen, austauschbaren Kugel aus perforiertem Zinkblech befindet sich eine fest stehende Lampe. Die Kugel selbst ist drehbar, sitzt wiederum auf einer halbkreisförmigen Schiene, was eine Visualisierung der Erdachsen-Neigung und damit eine hemisphärische Darstellung des Sternenhimmels erlaubt. Im Gipsputz der Kuppel eingelassene kleine Telefonlämpchen bilden einzeln schaltbar die wichtigsten Sternenbilder sowie den Meridian und Äquator in jeweils unterschiedlichen Farben ab.
Über die Zeit kam es mehrfach zu technischen Anpassungen und damit einhergehend teils zu gestalterischen Veränderungen. So wurde aus dem einst filigranen Fuß ein kubischer Sockel mit integriertem Steuerungstableau. Ferner erhielt die umlaufende Wand um 1960 eine dunkle Holzverkleidung. Der Projektor selbst samt der Zinkblechkugel blieb hingegen im Wesentlichen unverändert.
Seit Eröffnung des Schulneubaus wurde die Sternkammer zunehmend als Lehrmittel eingebunden und genutzt, auch durch andere Lübecker Schulen sowie auswärtige Bildungsstätten. Im jüngeren schulischen Alltag spielte sie jedoch kaum mehr eine Rolle.

Lübeck-St. Jürgen, ehemalige Klosterhof-Volksschule, Sternkammer nach Fertigstellung, um 1931

Lübeck-St. Jürgen, ehemalige Klosterhof-Volksschule, Sternkammer nach Umbau, 2022
Eher zufällig wurde man sich 2018 der herausragenden technischen Bedeutung der Sternkammer wieder bewusst. In der Folge konkretisierte sich das Vorhaben, die Sternkammer teils zu modernisieren und damit als pädagogisches Lehrmittel zu reaktivieren. Ergänzend zur historischen Projektionstechnik sollte durch einen modernen Videoprojektor eine digitale 360 × 180-Grad-Wiedergabe im sogenannten Fulldome-Video-Format ermöglicht werden. Nach weitreichenden Vorarbeiten erfolgte im zweiten Halbjahr 2021 der eigentliche Umbau. Um einerseits den historischen Projektor in seiner vollen Funktionsfähigkeit zu erhalten sowie andererseits den ursprünglichen Raumeindruck zu bewahren, entstand eine außergewöhnliche Wechselmechanik, die es ermöglicht, durch händisches Drehen eines Rades beliebig zwischen altem und neuem Projektor umzuschwenken.
Ein neues Bedientableau wurde seitlich in die Wandverkleidung eingelassen. An dieser Stelle befand sich bereits ursprünglich ein Steuerungselement, das jedoch im Zuge späterer Umbauarbeiten versetzt worden war. Aufgrund der digitalen Steuerungstechnik ist zudem eine kabellose Bedienung des Videoprojektors wie auch der erneuerten Leuchtkörper im Kuppelrand mittels eines Tablets möglich.
Unter Erhalt der historischen Funktionalität und Technik sowie unter Wahrung des ursprünglichen Raumeindrucks gelang letztlich eine behutsame Modernisierung des Bestands, welche dieses einzigartige Lehrmittel in seiner pädagogischen Nutzung auch für künftige Generationen sichert.
FABIAN JUST
Mecklenburg-Vorpommern
Energetisch maßgeschneidert – eine Bilanz nach 15 Jahren
Das in der Altstadt von Schwerin in unmittelbarer Nähe zum Dom gelegene Fachwerkensemble Puschkinstraße 36 wurde ab 1572 errichtet und besteht aus einem giebelständigen zweigeschossigen Dielenhaus, einem zweigeschossigen Seitenflügel (Kemladen) und einem dreigeschossigen Speicherbau. Das Ensemble besitzt Umbauphasen des frühen 17. bzw. des späten 18. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts, als die nördliche Traufwand des Haupthauses wie auch die des Kemladens in massiver Ziegelbauweise erneuert wurden.
Das Haupthaus zeigt unterschiedliche Wandaufbauten wie Fachwerk mit ziegelsichtiger oder getünchter Ziegelausfachung, Ausfachungen mit Lehmstaken sowie massives Mauerwerk mit verschiedenen bauphysikalischen Eigenschaften. Der Kemladen weist Fachwerk mit Lehmstein- und Ziegelausfachung auf, während der Speicher in Ziegelmauer- und Sichtziegelfachwerk errichtet wurde.
Die Instandsetzung der Gebäude erfolgte 2007/08, wobei energetische Ver besserungen des Bestands an denkmalpflegerischen Vorgaben ausgerichtet wurden, die beispielsweise die teilweise sichtbare Erhaltung der unterschiedlichen Wandaufbauten, insbesondere der Fachwerktraufwand der hohen Diele und deren historischen Lagerdielen, oder den historisch wertvollen Fensterbestand des 18. und 19. Jahrhunderts beinhalteten.

Schwerin, Puschkinstraße 36, Wohn- und Geschäftshaus, 2011
Die Außenwände wurden mit einer Zellulose-Innendämmung Wärmeleitfähigkeitsgruppe (WLG) 040 von 16 Zentimetern, mit OSB (Oriented Strand Board)-Platte, Gipskarton und dünnem Lehminnenputz versehen. Die historischen Fenster wurden aufgearbeitet und von innen mit modernen zweiflügeligen Holzfenstern als Kastenfenster ertüchtigt (Wärmedurchgangskoeffizient U-Wert 1,3). Das Dach wurde mit einer kombinierten Zwischenund Aufsparrendämmung aus Zellulose versehen (U-Wert 0,217) Entsprechend erfolgte auch die Dämmung der Sohle (U-Wert 0,175). Diese Werte waren damals besonders gut und sind es auch aus heutiger Sicht. Auf der hofseitigen Dachfläche des Speichers wurde eine Solarthermieanlage errichtet, die weder substanziell in den Bestand eingreift, noch im Erscheinungsbild der Gebäudegruppe eine Beeinträchtigung darstellt.
Für das Ensemble wurde ein Kreditantrag bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus dem Gebäudesanierungsprogramm 130/430 bewilligt, Kategorie A Neubauniveau nach Energieeinsparverordnung (EnEV) mit einem Primärenergiebedarf von 95,7 kWh/m2und einer energetischen Qualität der Gebäudehülle von 0,441 W/m2K.
Seit der Sanierung des Gebäudes sind zahlreiche Novellierungen der Energieeinsparverordnung und das Gebäudeenergiegesetz verabschiedet worden. 2012 wurde das Programm »Energieberater für Baudenkmale« in Kooperation mit dem Bundesministerium für Wirtschaft (BMWI), der KfW, der Wissenschaftlich-technischen Arbeitsgemeinschaft (WTA) und der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger ins Leben gerufen. Der Befreiungstatbestand für Baudenkmale oder sonstiger erhaltenswerter Bausubstanz ist dankenswerterweise stets bestehen geblieben. Und dies zu recht: Baudenkmale machen nur einen kleinen Teil der Gebäudesubstanz in der Bundesrepublik aus. Sieht man auf die Nutzungsdauer eines Gebäudes, die bei Wohngebäuden üblicherweise auf 60–80 Jahre begrenzt wird, muss angemerkt werden, dass Baudenkmale in der Regel Gebäude sind, die wie das Schweriner Beispiel schon wesentlich länger bestehen. Sie haben ihren Beitrag zur Ressourceneinsparung geleistet. Baumaterialien wie Holz, Lehm und Kalkmörtel, die regional gewonnen wurden, entsprechen zudem den heutigen Ansprüchen an ökologisches Bauen und müssen in die Betrachtung der grauen Energie mit einfließen.
Der finanzielle Anreiz, Denkmale energetisch zu sanieren, bleibt auch nach 15 Jahren bestehen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, knapper werdender Ressourcen und steigender Primärenergiepreise stellt sich heute nicht die Frage, ob dieses Denkmal weiterhin seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Diese Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten; Denkmalpflege ist aktiver Klimaschutz. Die Frage zur Zukunft des Gebäudes in der Altstadt ist eher, ob jeder Hauseigentümer für seinen Strom mit Photovoltaikanlagen auf seinem Gebäude selbst sorgen muss oder ob zentrale Lösungen oder Ausgleiche geschaffen werden können. Der Hauptanteil an innerstädtischen Wohnhäusern in MecklenburgVorpommern, der aus kleinen ein- bis zweigeschossigen Gebäuden besteht, hätte bei festzustellendem, eher wachsendem Strombedarf keine Überlebenschance, würde man die individuelle Stromversorgung forcieren. Etwa ein Drittel des Energiebedarfs wird privaten Haushalten zugeordnet; Ressourcenschonung und zentrale Lösungen bei der Energieversorgung sind daher in den Altstädten anzustreben.
JAN SCHIRMER
Niedersachsen
»Ressource Kulturerbe«
Im Oktober 2021 startete das von der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung geförderte Projekt »Ressource Kulturerbe«. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege erarbeitet in Kooperation mit dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur der TU Braunschweig eine Wanderausstellung, die im Sommer 2022 in Hannover präsentiert werden soll. Weitere Ausstellungsstationen in Niedersachsen und auch über die Landesgrenzen hinaus werden aktuell geplant.
Inhaltlicher Kern und Ziel der Ausstellung ist es, das Thema Nachhaltigkeit in Bezug auf den erhaltenen Baubestand und das Kulturerbe neu zu denken. Kulturerbe wird in diesem Zusammenhang als kulturelle und ökonomische Ressource und Vorbild für nachhaltiges Bauen verstanden. Die Ausstellung richtet sich gezielt mit fünf Thesen sowohl an die professionell an Planung und Bau Beteiligten als auch an die Gesellschaft und Politik in der Bundesrepublik. Die erarbeiteten Thesen machen auf die Potenziale ganzheitlicher Betrachtung und Bilanzierung sowie kluger Weiternutzungskonzepte von Baudenkmalen aufmerksam.
Galt Energieeinsparung während des Betriebs innerhalb der »Systemgrenze Gebäude« in der Vergangenheit als Schlüssel für zukunftsfähiges Bauen, so zeigt sich heute, dass vor allem in der ganzheitlichen, auch die Bauproduktion betrachtenden Bewertung ein großes Potenzial für Nachhaltigkeit liegt. Dies gilt vor allem für den historischen Baubestand, in dem die Baudenkmale quantitativ zwar nur einen kleinen, aber hinsichtlich ihrer Qualität als Kulturressource bedeutenden Teil ausmachen: So wird beispielsweise die in ihnen gebundene graue Energie bei der Bilanzierung von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit derzeit nicht angemessen berücksichtigt, wenn man über Ersatzbauten oder Teilabrisse diskutiert. Allgemeingültige Strategien, wie zum Beispiel Prinzipien für ein nachhaltiges Handeln, fehlen in der täglichen Diskussion in Planung und Umsetzung.
Das Umdenken hin zu einem ressourcenschonenden Umgang mit dem Altbaubestand bedarf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz und zugleich einer wissenschaftlichen Fundierung, für welche die Ausstellung »Ressource Kulturerbe« mit ihrem Begleitprogramm werben will. Die Baudenkmale spielen hier über die aktuell gestellten Anforderungen an die energetische Optimierung hinaus eine besondere Rolle: Seit jeher wird an ihnen ein bestandsschonender, nachhaltiger Umgang gepflegt. Jetzt müssen diese Strategien und Konzepte auf den Umgang mit dem gesamten Baubestand überprüft und angepasst werden.

Die denkmalgerechte Ertüchtigung des Scharoun-Theaters in Wolfsburg (2014–2016): ein Best-Practise-Beispiel aus der Ausstellung des NLD und der TU Braunschweig
Die Erhaltung und Fortentwicklung der historischen Bausubstanz im Allgemeinen tragen zur Verminderung und Vermeidung von Ressourcenverbrauch bei. Zukünftig notwendig ist hierfür, Lebenszyklus-Bilanzierungen von »Denkmal« und »Bestand« im Stoffkreislauf als Faktor in Planung und Entwurf zu etablieren. Dafür ist ein vergrößerter, über aktuelle Systemgrenzen hinausweisender Betrachtungsmaßstab bei der Energiebilanzierung ebenso erforderlich wie ein umfassendes Wissen über verwendete Baumaterialien und -techniken hinsichtlich Dauerhaftigkeit und Reparaturfähigkeit (gerade im Hinblick auf den immensen Bestand jüngerer Bauten). Hier liefert die Wanderausstellung Beispiele und Argumente. Zudem stellt sich die Frage nach Nutzungsstrategien, welche die Eigenschaften der Gebäude respektieren, statt diese durch Implementieren aktueller Anforderungen an das Raumklima zu konterkarieren und einer technischen Aufrüstung auszuliefern.
Die Ausstellung will für das Zusammenspiel von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Bestandsbauten sensibilisieren und wirbt für den Nutzen ganzheitlicher Betrachtung. Des Weiteren bündelt und vermittelt das Projekt entsprechendes Fachwissen und verknüpft somit dynamisch aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaft und der Praxis sowie in Planung, Entwurf und Sanierung.
Die thematische Verknüpfung von Methoden der Denkmalpf lege und der Bauwerkserhaltung im Allgemeinen trägt zu einem schonenden Umgang mit den gegebenen Ressourcen bei und entlastet somit die Umwelt. Nicht zuletzt zielt das Ausstellungsprojekt »Ressource Kulturerbe« darauf ab, eine höhere Akzeptanz von bauwerkserhaltenden und denkmalpflegerischen Maßnahmen in Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft zu generieren, um Konflikte zu vermeiden: Denkmalpflege verhindert nachhaltige Entwicklung nicht, sondern gibt ihr eine solide Grundlage.
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Rheinland
Hochwasserkatastrophe 2021. Strategien – Erfahrungen – Erkenntnisse
Über ein halbes Jahr nach dem verheerenden Hochwasser infolge der Starkregenfälle am 14. Juli 2021 sitzen Schmerz und Trauer angesichts des Erlebten bei allen Betroffenen nach wie vor tief. Die existenziellen, menschlichen Schicksale begleiten – bei aller intrinsischer Motivation und Hilfsbereitschaft – auf belastende Weise auch die Arbeit der Referent*innen und Restaurator*innen des Amtes in den von der Flut besonders stark betroffenen rheinischen Gebieten an den Flüssen Erft, Inde, Olef, Swist, Urft, Vicht, Wupper.
In Anbetracht des mittlerweile erworbenen, außergewöhnlichen Erfahrungsschatzes und des um neue Themen angereicherten Fachwissens muss konstatiert werden, dass die Katastrophe die Fachämter in den betroffenen westlichen Bundesländern vollkommen unvorbereitet traf, fachlich wie organisatorisch. Der hier nur in verkürzter Form mögliche Blick auf die zwangsläufig spontan entwickelten Strategien, auf gewonnene Erkenntnisse und gezogene Lehren soll zum einen auf die im LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) erarbeiteten Materialien aufmerksam machen (siehe: https:// denkmalpflege.lvr.de/de/service/hochwasserinfos/inhaltsseite_17.html). Die Zusammenschau versteht sich zum anderen als Hinweis auf die in die Arbeitsgruppen der VDL hineingetragene Idee der Auf bereitung von Erkenntnissen und Materialien zur Umsetzung und Anwendung anlässlich künftiger Hochwasser-Notfälle. Die nachträgliche Betrachtung und Bewertung der Aktivitäten sollen dazu dienen, Strategien in ihrer Effektivität zu beleuchten, Hilfreiches zu sammeln und weiterzugeben.
Soforthilfen des LV R-ADR: Aussendung des Info-Mobils in besonders betroffene Orte: Interdisziplinäre Teams aus allen Abteilungen des Amtes beraten Betroffene ohne Voranmeldung vor Ort und unterstützen so auch die Gebietsreferent*innen | Entwick lung von Merkblättern (Bergung Kulturgut, Trocknung, denkmalgerechte Materialien) in Abstimmung mit LWLDenkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, Weitergabe nach Rheinland-Pfalz | Entwicklung eines Muster-Erfassungsbogens für geschädigte Denkmale und deren Ausstattung (»schlanke« Bauteildokumentationen in Fotos, Skizze, Text) | Angebot einer wöchentlichen Online-Hochwassersprechstunde für Untere und Obere Denkmalschutzbehörden sowie Bistümer und die evangelische Landeskirche mit fortschreibender Protokollierung der wichtigsten fachlichen Fragen-Antworten | Veröffentlichung, Weiterentwicklung und Fortschreibung aller Informationen auf der Website.

Der LVR-Infobus in Bad Münstereifel, Kreis Euskirchen, September 2021
Gewonnene Erkenntnisse : Die historischen Bauten und Materialien erwiesen sich als ausgesprochen widerstandsfähig, auch wenn teilweise große Schäden (unter anderem durch Unterspülungen) entstanden sind | Insgesamt sind nur wenige Denkmale ganz abgängig | Jüngere Bauteile und Einbauten (wie Rigipswände, Erdgeschossladeneinbauten) gingen oft verloren | In die Bauten eingebrachte Kunststoffe (wie Böden, Wandverkleidungen) müssen entfernt werden, um den Trocknungsvorgang zu ermöglichen | Moderne Dämmmaterialien halten, nachdem das Wasser abgelaufen ist, noch lange die Feuchtigkeit | Empfehlungen zur Trocknung müssen an die Jahreszeit angepasst werden.
» Lessonslearned « : Für das Rheinland / N RW: Wer koordiniert in künftigen Katastrophenfällen die Belange des Denkmalschutzes ab der ersten Stunde? Gemeinsame Klärung vor dem nächsten Ernstfall erforderlich (Oberste, Obere, Untere Denkmalschutzbehörden und Fachämter) | Im Rahmen einer proaktiven Notfallvorsorge müssen bei der Koordination von Hilfsanfragen auch die Hilfsangebote mitgedacht werden, damit Angebote nicht mangels Koordination ausgeschlagen werden müssen | Denkmalpflegeämter sind für die zahlreichen Fragen zum Thema Förderung und Soforthilfeprogramm der Landesregierung nicht die richtigen Ansprechpartner*innen | Kontakte knüpfen zu Katastrophenschutz (Feuerwehr und THW) und Blue Shield (Organisation zum Schutz des kulturellen Erbes in Konflikt-, Katastrophenund Notfallsituationen) zur Etablierung von Kommunikationswegen im Ernstfall.
Über NRW hinaus: Proaktives Vordenken fachlicher Hilfestellung für den Notfall muss überregional organisiert werden | beispielsweise durch einen »Notfallplan Denkmalschutz«, unter anderem für Kirchen, die Bergung mobilen Kulturgutes (im akuten Notfall aber auch in der Nachsorge) etc. | Die Erfahrungen aus NRW sollen einfließen in bundesweite Handreichungen der VDL zum Umgang mit Hochwasserschäden, ggf. auch in einen großen Katastrophenplan, damit für alle ein rascher Zugriff möglich ist.
CLAUDIA EUSKIRCHEN UND MARIA LÖRZEL
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Westfalen
Weitermachen, wo andere aufgeben
Kirchen und Kapellen – an ihnen kann man das bauliche Erbe eines christlichen Europas besonders gut ablesen. Einst gebaut für eine stetig wachsende Zahl von Gläubigen sind sie heute ein Ort des Wandels – ein Ort, an dem die Transformationsprozesse unserer Gesellschaft besonders deutlich werden.
Das Bistum Paderborn hat, wie andere Bistümer auch, für diesen Prozess einen Leitfaden entwickelt und darin Vorgaben zur perspektivischen Nutzung kirchlicher Immobilien gemacht. Der Leitfaden mit dem doppeldeutigen Titel »Aufgabe von Gebäuden« zielt neben der Reduzierung des Immobilienbestands vor allem auf die Frage, welche Aufgabe kirchliche Gebäude zukünftig haben sollen.
Das nachfolgende Beispiel berichtet von der Restaurierung der Rodentelgenkapelle in Arnsberg, deren Erhalt vor zehn Jahren noch völlig aussichtslos erschien. Angepackt, wo andere schon aufgegeben hatten – so muss man das Engagement des Fördervereins Rodentelgenkapelle e. V. beschreiben, dem es gelungen ist, eine Kapelle aus dem 15. Jahrhundert in der Ortsmitte von Bruchhausen, einem Ortsteil von Arnsberg, zu retten.
Die erste urkundliche Erwähnung einer Kapelle reicht in das Jahr 1424 zurück. 1458 wurde die Kapelle durch ein Ruhrhochwasser zerstört und wiederaufgebaut. Rodentelgen war über viele Jahrhunderte ein im Sauerland bekannter Wallfahrtsort. Doch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – die Wallfahrten hatten sich nach Werl und Menden verlagert – verfiel die Kapelle allmählich. 1837 forcierte der örtliche Gastwirt Engelbert Schuhmacher mit seinem Bruder eine Sammlung. Erneut konnte die altehrwürdige Kapelle »durch guder lüde hülp« umfassend restauriert werden. Mit dem Aufschwung der Industrie im benachbarten Hüsten veränderte sich die Sozial- und Wirtschaftsstruktur Bruchhausens von einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinde hin zu einem Industrieort. Um den stetig steigenden Einwohnerzahlen gerecht zu werden, errichtete man 1926 eine neue Pfarrkirche. Die Kapelle wurde sporadisch weitergenutzt und schließlich 1972 der evangelischen Kirchengemeinde zur Nutzung übergeben. Die baulichen Probleme nahmen nun stetig zu. Nach jahrelangem Leerstand war der Abbruch der Rodentelgenkapelle so gut wie beschlossen. Gründe für die geplante Aufgabe der Kapelle waren statische Probleme am Turm, Feuchtigkeitsschäden an den Wänden, ein desolater Außenputz sowie eine zweite, deutlich größere Kirche im Ortsteil. In dieser Phase gründete sich 2009 der Förderverein Rodentelgenkapelle e. V. mit dem Ziel, die Kapelle für nachfolgende Generationen zu erhalten und zu pflegen, und begann zügig mit der Notsicherung der Kapelle. In über 1.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit wurden die dringendsten Maßnahmen durchgeführt. Die Kapelle, die bis dahin ein Schattendasein führte, rückte wieder in den Blickpunkt des dörflichen Lebens. Nach einer aufwendigen Innensanierung 2016–2018 folgte 2020/21 eine umfangreiche Außeninstandsetzung, die im Herbst abgeschlossen werden konnte. Heute wird die Rodentelgenkapelle von vielen Gruppierungen, Vereinen, Kindergärten, Schulen und als Tagungsort genutzt.
Für die Restaurierung standen Bundesmittel, Fördermittel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe sowie der NRW-Stiftung zur Verfügung.

Arnsberg-Bruchhausen, Rodentelgtenkapelle, Dachraum: Holzschnitzerei mit einer der beiden Patroninnen der Kapelle, Maria Magdalena, 2021

Arnsberg-Bruchhausen, Rodentelgtenkapelle, Innenraum, 2021
Wesentlich für das Gelingen der Innenund Außeninstandsetzung war das außerordentliche Engagement des Vereins. Drei Mal in ihrer fast 500-jährigen Geschichte konnte die Kapelle »durch guder lüde hülp« gerettet werden, weil einige anpackten, wo andere schon aufgegeben hatten.
Und es geht weiter: Der Verein richtet sich jetzt mit einer Publikation an andere Vereine und Kirchengemeinden mit Hinweisen und Tipps, wie es möglich ist, frische Ideen und neue Nutzungen in eine denkmalwerte Kapelle oder Kirche zu integrieren und auf diesem Weg das Gebäude mit einer erweiterten Nutzung als Zeichen einer gemeinsamen Identität zu erhalten.
BETTINA HEINE-HIPPLER
Rheinland-Pfalz
Haus im Haus – Zurück ins Hochmittelalter
Eine vorher nicht zu erwartende, sehr frühe Datierung hat die Bauuntersuchung eines Fachwerkgebäudes in der Pfaffengasse in Diez zutagegebracht. Dass die ehemalige Lateinschule ein besonderes Gebäude darstellt, war allen am Projekt Beteiligten von Beginn an klar. Aber was für ein außergewöhnliches Denkmal sich hinter der lang gestreckten Fachwerkfassade verbirgt, konnte anfangs niemand ahnen.
Im Jahr 2019 entschloss sich die Eigentümerfamilie, das leer stehende Gebäude zu kaufen und mit einem ausgeklügelten Konzept instand zu setzen. Die Eigentümer beabsichtigen, in dem großvolumigen Bau Wohnraum für sich selber zu schaffen, es sollen aber auch weitere Wohnungen entstehen, die vermietet werden. Als besondere Qualität des Konzepts stellt sich dar, dass die äußerst verwinkelten räumlichen Strukturen des Gebäudes dabei so gut wie unangetastet bleiben.

Diez, Pfaffengasse 24, ehemalige Lateinschule, 2020
Da der verschachtelte Grundriss des Gebäudes auf eine komplexe Baugeschichte schließen ließ, wurde eine bauhistorische Untersuchung veranlasst, um genauere Informationen zum Bauablauf der Vergangenheit zu erhalten. Die Ergebnisse der bauhistorischen Forschung sind als spektakulär zu bezeichnen. Dendrochronologische Untersuchungen der verbauten Hölzer ergaben, dass sich hinter der Renaissance-Fachwerkfassade von 1602 (d) umfangreich ein hochmittelalterliches Fachwerkhaus erhalten hat, das im Jahr 1326 (d) erstellt worden ist. Auch die bei seiner Errichtung zur Anwendung gekommene Ständerbauweise weist auf das hohe Alter des Kerngebäudes hin.
Anders als das Renaissance-Gebäude, das sich traufständig entlang der Straße erstreckt, war der hochmittelalterliche Bau mit seinem Giebel zur Straße errichtet worden. Sein Obergeschoss besaß zur Straßenseite und zu einer der Längsseiten eine starke Auskragung. Auf dem ebenfalls zum hochmittelalterlichen Gebäude gehörenden tonnengewölbten Keller haben sich nicht nur zahlreiche Wandstrukturen bis hinauf ins Dachgeschoss erhalten. Auch ganze Deckenkonstruktionen aus dem frühen 14. Jahrhundert sind überliefert, sodass sich der Ursprungsbau bis hin zur Raumaufteilung heute noch recht genau nachvollziehen lässt.
Auch die Bauphase von 1602 (d) ist umfangreich im Bestandsgebäude bewahrt geblieben. Besonders erwähnenswert ist dabei, dass der große Saal der Lateinschule bei dem Umbau nur durch einen eingestellten, zweiräumigen Kubus ergänzt wurde, sodass sich in diesem Bereich hochmittelalterliche und renaissancezeitliche Strukturen in Art eines Hauses im Haus miteinander verbinden, so wie dies im Großen mit dem gesamten früheren Bestand durchgeführt worden ist, der in vielen Bereichen einfach durch den Renaissancebau ummantelt wurde. Die letzte bedeutendere Umbauphase fand nach 1719 (d) statt, als Fenster vergrößert und in ihrer Lage verändert wurden. Im Inneren wurden repräsentative Treppenläufe mit plastischen Holzbalustern eingebracht, über die noch heute der Zugang zu den Obergeschossen erfolgt.

Diez, Pfaffengasse 24, Bauphasenplan Grundriss 1. Obergeschoss, 2020
Unterlassener Bauunterhalt und die Verwendung falscher Materialien in den letzten Jahrzehnten führten schließlich zu den häufig anzutreffenden Schadensbildern. Die kleineren baulichen Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts griffen aber kaum in die vorhandenen Strukturen ein, sodass sich in Diez mit der Lateinschule ein Gebäude erhalten hat, das aufgrund seines frühen Entstehungszeitpunktes und der umfassend erhaltenen historischen Substanz seinesgleichen in RheinlandPfalz sucht.
Mit den neuen Eigentümern hat das Fachwerkgebäude glücklicherweise Bauherren gefunden, die äußerst behutsam mit der Substanz umgehen und bis auf einen kleineren Eingriff im Eingangsbereich die Raumstrukturen komplett beibehalten werden. Die sensible Herangehensweise der Bauherren und ein denkmalerfahrener Planer, der bereits in der Vergangenheit zusammen mit der Familie Baudenkmale instand gesetzt hat, sind Voraussetzung für dieses beachtenswerte Projekt.
KATINKA HÄRET-KRUG
Saarland
Gasmaschinenzentrale Heinitz – Der letzte Akt?
Das Saarland weist eine besonders hohe Dichte an Baudenkmalen der deutschen Bergbaugeschichte auf. Nicht nur ingenieurtechnische Innovationen, sondern auch die Vielfalt und Qualität der bei deren Bau angewendeten Architekturstile spiegeln die überregionale Bedeutung der Industriedenkmale wider, die seit der industriellen Blüte im späten 19. Jahrhundert und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Sie prägen bis heute maßgeblich die Saarregion.
Zu den herausragenden Beispielen dieser Blütezeit gehört die Gasmaschinenzentrale in Neunkirchen-Heinitz, die bereits 1978 in die Denkmalliste des Saarlandes aufgenommen wurde. Die 156 Meter lange monumentale Halle, in den Jahren 1904/05 in Stahlskelettbauweise errichtet, ist ein einzigartiges Beispiel der Industriebauten des Jugendstils und gilt mit ihrer Stahlskelettarchitektur im süddeutschen Raum als einmalig. Die mehrteilige, auf lang gestreckter rechteckiger Grundfläche errichtete Halle wird von drei vorspringenden Querhäusern unterteilt und an der nordöstlichen Schmalseite von einem um 1920 entstandenen Kopf bau abgeschlossen. Die talseitige Längsseite besaß ursprünglich eine Freitreppe, die den repräsentativen Charakter der Architektur unterstrich. An den Fassaden zieren feingliedrige Metallarbeiten die äußeren Ansichtsflächen der Tragwerkkonstruktion. Zudem gliedern großzügige, korbbogenförmig geschlossene Jugendstilfenster mit graziler Sprossengliederung in dichter Folge die Fassadenabwicklung. Bis heute ist der Architekt dieses einzigartigen Bauwerks unbekannt. Der Entwurf steht jedoch in unmittelbarer Tradition vergleichbarer Bauwerke des frühen 20. Jahrhunderts in Karlsruhe und Dortmund-Bövinghausen sowie von Beispielen der Düsseldorfer Gewerbe- und Industrieausstellung des Jahres 1902.
Auch nach Stilllegung der Grube Heinitz 1962/63 diente die Halle noch bis 1996 ihrer ursprünglichen Funktion. Bis 2006 fanden Teile des Bauwerks als Lager Verwendung. Zunächst erschien eine vergleichbare Folgenutzung erfolgversprechend. Als Baudenkmal von nationaler Bedeutung 2009 anerkannt, sollten Mittel aus den Denkmalförderprogrammen des Bundes den zunehmenden Verfall verhindern. Fehlende Entwicklungsperspektiven brachten jedoch die Bemühungen, eine längerfristige Nachnutzung zu gewährleisten, zum Erliegen. 2018 wurden dementsprechende vertragliche Zielplanungen zwischen der Ruhrkohle AG (RAG) und potenziellen Investoren aufgegeben.

Neunkirchen-Heinitz, Gasmaschinenzentrale, Außenansicht, Zustand 2020

Neunkirchen-Heinitz, Gasmaschinenzentrale, Innenraum, 2020
Bereits im Jahr 2011 entschied sich das Saarland nach Prüfung aller Bergbaustandorte, nur vier von 15 ausgewählten Standorten für künftige Entwicklungen zu priorisieren. Ziel war es, städtebauliche Entwicklungen anzustoßen, die private und öffentliche Ideen entfalten, um eine Integration und langfristige Nutzung der Areale nach der Entlassung aus der Bergaufsicht zu gewährleisten.
Zu diesen Standorten zählt die einzigartige Gasmaschinenzentrale Heinitz nicht, da zum damaligen Zeitpunkt weder Lösungen der Altlastenbeseitigung als Bestandteil eines kommunalen Entwicklungsmodells noch realistische Szenarien für eine Nachnutzung der Halle zur Verfügung standen.
Seit 2018 liegt dem Landesdenkmalamt (LDA) der Abschlussbetriebsplan zur Genehmigung vor, der einen vollständigen Rückbau der Halle vorsieht. Bislang konnte der Abriss verhindert werden. Aus Sicht der Denkmalpflege sind die vorhandenen Schäden an der Stahlkonstruktion und die damit ggf. verbundenen Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Standfestigkeit keine Grundlage für die Genehmigung eines Abbruchs. Allein die umfangreichen Instandsetzungen am Welterbe Völklinger Hütte zeigen modellhaft vergleichbare Chancen dieser Maßnahmen. Aufgrund der umfangreichen Untersuchungsergebnisse zum Gebäudezustand sowie einer vermeintlichen Kontamination des Bodens unter der Halle ist das LDA davon überzeugt, dass das bislang nicht verfolgte Konzept einer »modularen« Instandsetzung langfristig wirtschaftlich tragbar wäre und die Basis für eine Weiterentwicklung im Sinne des Denkmalschutzes darstellt.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung muss die Frage gestellt werden, ob die auf vier priorisierte Standorte beschränkte Erhaltungsstrategie den Verlust hochwertiger Baudenkmale wie der Gasmaschinenzentrale von Heinitz begünstigt.
Findet in dieser Situation nun der letzte Akt für die Gasmaschinenzentrale statt? Das hängt davon ab, ob in einem gemeinsamen Prozess aller Beteiligten ein langfristiges und tragbares Lösungskonzept für ein einzigartiges Industriedenkmal des Jugendstils von nationaler Bedeutung gefunden und entwickelt wird.
GEORG BREITNER
Sachsen
Wiederherstellung eines Art-Déco-Deckenbildes
Der größte Veranstaltungssaal der Stadt Leipzig wurde 1899 bis 1900 als Gesellschaftshaus des Zoologischen Gartens gebaut und diente öffentlichen Ereignissen und geselligen Treffen der unterschiedlichsten Nutzer. Der Architekt Heinrich Rust (1865–1931) konnte seinen Entwurf ohne Wettbewerb ausführen. Die künstlerische Ausgestaltung der Innenräume war vom Jugendstil beeinflusst und zeigte eine exotische Pflanzen- und Tierwelt.
Mitte der 1920er Jahre wurde das Gesellschaftshaus umgestaltet. Der neu angebaute »Weiße Saal« erhielt eine moderne dekorative Gestaltung im damaligen Zeitgeschmack, ebenso wie der bestehende Pfauensaal eine frische Malerei im Art-Déco-Stil, die durch Dekorationsmaler der Firma Richard Hesse ausgeführt wurden. Dieses Atelier war die führende Leipziger Werkstatt ihrer Art und gestaltete über 50 Jahre lang die malerische Dekoration des Gesellschaftshauses. Richard Hesse (1859– 1931) beschäftigte mehrere künstlerische Mitarbeiter, unter anderem Carl Jolas (1867–1948), 1902 bis 1924 Lehrer für dekorative Malerei an der Kunstgewerbeschule in Halle/Saale, der heutigen »Burg Giebichenstein«, und Emil Block (1884–1966), 1920 bis 1946 Lehrer für dekorative Malerei an der Gewerbeschule in Leipzig. Sie können als Ausführende des hier gezeigten, unsignierten Deckenbildes aus dem Hauptfoyer im Erdgeschoss infrage kommen. Wie die anderen in dieser Phase erfolgten Ausmalungen nahm es keinen Bezug auf den Zoo oder einen anderen irdischen Ort. Mit der Darstellung des Weltalls und darin schwebenden unbekleideten Menschenwesen sollte Überzeitliches zum Ausdruck gebracht werden. Das »O-Mensch!«-Pathos des Expressionismus, der Aufruhr dieser Jahre, sind hier bildlich umgesetzt, mit einem kräftigen Ocker als Grundton, kombiniert mit rotbraun sowie blau-grün-gelb schimmernden Menschenleibern.
Das Deckenbild war nur wenige Jahre sichtbar und wurde bald – spätestens in den 1940er Jahren – überstrichen. Erst um 1997 wurde es in dem heute als Kongresshalle bezeichneten Gebäude wiederentdeckt, musste aber schon 1999 für den Einbau eines Fahrstuhles entfernt werden. Die Abnahme des Bildes erfolgte mit der sogenannten Strappo-Methode, wobei die Malschicht vom Untergrund abgetragen wird. Das abgenommene Bildwerk konnte bis 2019 auf dem Dachboden der Kongresshalle eingelagert und anschließend für die Neuanbringung 2021 restauratorisch vorbereitet werden. Da für wurde es auf eine Trägerplatte aus Aluminiumwaben montiert. Die Aufhängung im Foyer, im Zugangsbereich zum neuen Veranstaltungssaal, erfolgt in einem Metallrahmengestell vor der Wand in Frontalansicht und nicht – wie ursprünglich – in Untersicht. Größere Verluste, Risse oder Fehlstellen konnten als farbige Komplettergänzung und mit Retuschen geschlossen werden. Ziel war dabei, die Geschlossenheit und ursprüngliche Farbigkeit des Kunstwerks wiederherzustellen.

Leipzig, Pfaffendorfer Straße 31, Kongresshalle, Fragmente des Art-Déco-Deckenbildes im Restaurierungsatelier in Vorbereitung für die Zuordnung der Einzelteile ausgelegt, 2020

Leipzig, Pfaffendorfer Straße 31, Kongresshalle, abgeschlossene Montage des Wandbildes am neuen Standort, hier noch mit großer Fehlstelle in der linken Figur, 2021
Die Bergung und Neuanbringung von wandfesten Bildern ist immer mit Verlusten verbunden, eine Translozierung kann nur der Ausnahmefall für besonders wertvolle Gemälde wie dieses seltene Art-Déco-Wandbild in Leipzig bleiben.
TORSTEN NIMOTH UND MATHIS NITZSCHE
Sachsen-Anhalt
Sachzeugnis der Deutschen Teilung
Der Beobachtungsturm bei Walbeck (Landkreis Börde) ist eines der wenigen baulichen Zeugnisse der tief gestaffelten, akribisch organisierten Sicherungssysteme an der ehemaligen 1.393 Kilometer langen innerdeutschen Grenze. Die Grenzsicherungsanlagen bestanden je nach Geländebeschaffenheit aus einem in Breite und Ausführung variierenden sogenannten Schutzstreifen, gefolgt von einer mehrere Kilometer ins Landesinnere der DDR reichenden Sperrzone.
Der Walbecker Turm steht seit 1997 als einer von zwölf im heutigen Sachsen-Anhalt erhaltenen Wachtürmen der DDR-Grenztruppen als wichtiges Geschichtsdenkmal der jüngeren deutschen Vergangenheit unter Denkmalschutz. Der Turm diente der Überwachung der Grenze an der Kreuzung des Kolonnenweges mit der alten Helmstedter Straße. Er wurde Anfang der 1970er Jahre aus vorgefertigten Stahlbetonelementen auf einer Grundfläche von circa 2 × 2 Meter errichtet. Aufgrund seiner Funktion als Beobachtungsturm, der viereckigen Grundfläche und der neun Schaftelemente wurde dieser Turmtyp als BTv 9 bezeichnet. Dieser Typ stellt die zweite Entwicklungsphase der als massive Typenbauten errichteten Wachtürme der innerdeutschen Grenze dar. Entlang der Grenze wurde das Netzwerk der Türme wie auch die übrigen Grenzsicherungsanlagen permanent verändert und im Sinne einer hermetischen Grenzabriegelung ständig ertüchtigt und »perfektioniert«. Nachdem die Grenze zunächst mit hölzernen Wachtürmen gesichert worden war, errichtete die Bauabteilung des Ministeriums für Nationale Verteidigung ab Ende der 1960er Jahre die ersten massiv konstruierten Wachtürme mit rundem Querschnitt und achteckiger Beobachtungskanzel. Aufgrund erheblicher statischer Mängel wurde dieser Typ jedoch Anfang der 1970er Jahre von Türmen über quadratischer Grundfläche (BTv) abgelöst. Ab Ende der 1970er Jahre entstanden schließlich auch Türme mit einer größeren Grundfläche von etwa 4 × 4 Meter, die als Führungsstellen innerhalb der Grenzüberwachung dienten.

Walbeck, Beobachtungsturm vor der Demontage, 2002

Walbeck, Beobachtungsturm, seit 2009 in seine Segmente zerlegt, 2021
Mehr als 30 Jahre nach der bundesweiten Grenzöffnung und dem weitgehenden Abbruch der Grenzsicherungsanlagen ist der Turm bei Walbeck wieder Gegenstand denkmalpflegerischer Bemühungen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hatte den Turm 2009 ohne Kenntnis der Kommune und der Denkmalbehörden an einen privaten Käufer veräußert, der den Turm in seine Einzelelemente zerlegen ließ. Im Boden verblieb lediglich dessen Grundplatte. Der geplante Abtransport der Bauteile konnte jedoch verhindert werden. Seitdem liegt der Turm in seine 15 Segmente zerlegt vor Ort.
Nach mehreren vergeblichen Anläufen der Kommune, Schaft und Kanzel mit Eigenmitteln und Fördergeldern wieder aufzustellen, hat sich nun der jüngst gegründete örtliche Heimatverein des Vorhabens angenommen. Das Landesamt für Denkmalpf lege und Archäologie Sachsen-Anhalt übernimmt neben der fachlichen Begleitung des Vorhabens und der historischen Erforschung des Grenzkontextes die Finanzierung der im Vorfeld anzufertigenden Dokumentation einschließlich eines Bauaufmaßes. Bei dem Projekt sollen ebenso Anliegen des Naturschutzes berücksichtigt werden, denn die ehemalige innerdeutsche Grenze genießt als »Grünes Band« im Abschnitt Sachsen-Anhalt (343 Kilometer) seit 2019 den Schutz als Nationales Naturmonument. Insofern stellt die geplante Wiedererrichtung des Turmes einschließlich der Einrichtung von Tierquartieren ein Modellprojekt dar, das in den in Arbeit befindlichen Pflege-, Entwicklungs- und Informationsplan für das »Grüne Band« in Sachsen-Anhalt aufgenommen werden soll.
SARAH SCHRÖDER
Thüringen
Älteste Blockbaustube Mitteldeutschlands
Wohl kurz nach Weihnachten 1434 wurden Tannen eingeschlagen, die im folgenden Jahr in Ranis, einer Kleinstadt im Südosten Thüringens, zum Bau einer Stube aus Blockstämmen verwendet wurden. Dieses Ergebnis erbrachte eine 2021 erfolgte bauhistorische und dendrochronologisch unterstützte Untersuchung. Damit ist der Nachweis gelungen, dass diese Konstruktionsform, die bisher vor allem aus dem fränkisch beeinflussten Südthüringen bekannt war, bereits im späten Mittelalter auch nördlich des Thüringer Waldes verwendet wurde. Der Blockbau in der Kirchgasse 20 von Ranis ist zugleich der älteste dingliche und in situ erhaltene Beleg dieser besonderen Konstruktionsart in Mitteldeutschland.
Das zweigeschossige Wohnhaus über L-förmigem Grundriss, in dem die Blockbaustube als Teil einer älteren Struktur eingebaut ist, liegt unweit der Stadtkirche St. Margarethen, südlich der Kirchgasse und wie die meisten Häuser der mittelalterlichen Kernstadt am Hang des Burgbergs. Das Gebäude wurde laut Bauakte 1860 auf einem älteren Kellergeschoss errichtet. Dabei hat man im Erdgeschoss des längeren, nach Süden weisenden Flügels eine bereits bestehende Blockbaustube von 1435 (d) in den Umbau eingebunden. Von diesem Raum sind zwei Blockwände der Fassaden nach Osten und Süden sowie eine halbe Innenwand erhalten. Diese Blockbaustube steht auf vier Deckenbalken von 1430/31 bis 1433 (d) bzw. 1434 (d) eines oberirdisch gelegenen Kellerraums. Bereits vor dem 19. Jahrhundert kam es zu baulichen Veränderungen. So wurden 1693 (d) zwei Längsunterzüge mit Fase und Kehlauslauf in den Blockbau eingefügt, wohl auch die Kellerwände in Bruchstein erneuert.
In der heute als innere Trennwand erhaltenen nördlichen Blockwand sind der östliche Ständer und der abgesägte Sturz einer Öffnung verblieben. Der Schwellenkranz des Blockbaus läuft unter dem Ständer durch. Die Öffnung war zur Bauzeit nur 1,14 Meter hoch und kann aufgrund der Rußablagerungen an dessen Außenseite als »Ofenstelle« angesprochen werden. Die traufseitige Blockwand nach Osten weist eine kleine bauzeitliche Spitzbogenöffnung, die sogenannte Neugier, mit innerem Fensterfalz in Sitzhöhe und Blick in den Hofraum auf. Beide Befunde und die gehobelte Unterseite der Halbholzdecke mit Fassungen – im Gegensatz zu den gespaltenen Halbhölzern der Kellerdecke – verweisen auf die Nutzung als Wohnstube.
Der Raum ist daher konstruktiv als eigenständiger Blockbau und funktional als Stube anzusprechen. Vermutlich wurde dieser Blockbau 1435 als Stube mit Ofenstelle an ein (steinernes?) Haus angefügt. Im Unterschied zu dieser in Ranis erhaltenen Blockbaustube bestehen die für Thüringen typischen Holzstuben in Blockbauweise aus Halbhölzern oder Bohlen und liegen zumeist gemeinsam mit der Wohnfunktion im Obergeschoss eines Gebäudes. Holzstuben aus Vollholzquerschnitten sind dagegen in Thüringen bislang nicht bekannt. Die nachweisbaren Blockbauten in den Dörfern südlich des Rennsteigs kennen keine separaten Stuben und entsprechen damit den fränkischen Blockbauten, so zum Beispiel das sogenannte Lutherhaus in Sonneberg, Lutherhausweg 19, das kurz nach 1552 (d) als Wohnstallhaus entstand und 1874 aus dem benachbarten Dorf Judenbach an seinen heutigen Standort umgesetzt worden ist. Die derzeit nördlich des Rennsteigs bekannten Blockbauten weisen dagegen eine separat gezimmerte Stube auf, so das Wohnstallhaus Triebes, Aumaer Straße 16, von 1617 (d).
Die spätmittelalterliche Blockbaustube von Ranis stellt mit einer Datierung in das Jahr 1435 (d) das älteste erhaltene architektonische Dokument dieser in Mitteldeutschland besonderen Konstruktions- und Stubenform sowie ein historisch außerordentlich wertvolles Zeugnis dar, das belegt, dass auch im spätmittelalterlichen Wohnbau das Wohnen im Erdgeschoss gebräuchlich war.

Ranis, Kirchgasse 20, Blockbaustube. Rechts der Tür Rahmen der Ofenstelle und in der rechten (östlichen) Blockwand kleines Fenster (»Neugier«), 2021

Ranis, Kirchgasse 20, Blockbaustube von 1435 (d), links im Bild die Stadtkirche St. Margarethen, rechts oben Burg Ranis, 2021
Zum Thema Blockbau und weiteren Aspekten des ländlichen Bauens in Thüringen ist im letzten Jahr ein Überblickswerk erschienen, das Interessierten empfohlen sei: Balken, Bohlen, Wellerwände. Ländliches Bauen in Thüringen, hrsg. von Franziska Zschäck und Torsten Lieberenz. Erfurt 2021 (Schriften der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen, Sonderband 1).
RAINER MÜLLER UND TORSTEN LIEBERENZ
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Abbildungsnachweis
1: Felix Pilz, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg — 2, 3: David Laudien, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege — 4, 5: Susanne Willen, Landesdenkmalamt Berlin — 6: Haiko Türk, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege — 7, 8: Uwe Schwartz, Landesamt für Denkmalpflege Bremen — 9, 10: Astrid Hansen, Denkmalschutzamt Hamburg — 11, 12: Architekturbüro Müntiga und Puy, Bad Arolsen — 13: Julius Appel, Fotoarchiv der Hansestadt Lübeck — 14: Fabian Just, Lübeck, Abteilung Denkmalpflege — 15: Jan Schirmer, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern — 16: Britta Knoche, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege — 17: Marc Peez, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland — 18, 19: Klein und Neumann KommunikationsDesign — 20, 21: Historische Bauforschung Frank & Mielke GbR, Mainz — 22, 23: Landesdenkmalamt Saarland — 24: Mathis Nitzsche, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen. — 25: Torsten Nimoth, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen — 26: Thorsten Neitzel, Untere Denkmalschutzbehörde Landkreis Börde — 27: Volker Seifert, Landesdenkmalamt Sachsen-Anhalt — 28, 29: Torsten Lieberenz, Büro für Bauforschung und Denkmalpflege, Weimar
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Artikel in diesem Heft
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Das Denkmal als Ressource?!
- Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
- Industriebauten als Ressource
- Im Baumgarten der Denkmalpflege
- Forum
- Ein Dorf als Ressource
- Berichte
- Ressourcenschonung im Baudenkmal
- Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen
- Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung
- Aktuelles
- Kurzberichte aus den Ländern
- Rezensionen
- Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening
- Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen
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