Industriebauten als Ressource
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Leo Bockelmann
Denkmalpflege als gesellschaftliche Aufgabe und praktisches Handeln kann jahrzehntelange Erfahrungen und vielfältiges Wissen zur Nachhaltigkeitsdebatte beisteuern. Dennoch ist Denkmalpflege nicht mit Nachhaltigkeit gleichzusetzen und es ist wichtig, nicht in die »Nachhaltigkeitsfalle« zu tappen, die eigentliche Begründung der Denkmalpflege aufzugeben und sich damit ganz anders gearteten Bemessungsparametern auszusetzen. Stattdessen möchte dieser Beitrag auf die Bedeutung der Denkmalpflege zur Schaffung hervorragender Beispiele der Bauwerkserhaltung aufmerksam machen, um damit zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel im Umgang mit dem baulichen Bestand, vornehmlich der Industriekultur im ländlichen Raum, beizutragen.
30 Jahre nach der Desindustrialisierung – Leerstand im Vogtland
Wir beziehen uns dazu auf Beobachtungen in mitteldeutschen Regionen mit einem reichen baulichen Erbe der Industrie, welche insbesondere im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekts »Vogtlandpioniere – Zukunftsindex Heimat und Baukultur 2025« gemacht wurden.[1] Darin werden die Wahrnehmung des industriekulturellen Erbes im Vogtland im Grenzgebiet zwischen Sachsen, Thüringen, Bayern und Tschechien und dessen mögliche Potenziale für die Zukunftsentwicklung untersucht. Viele Gebäude, vor allem Produktionsbauten, stehen dort mittlerweile seit knapp 30 Jahren leer und sind in einem zunehmenden Verfall begriffen.

Falkenstein (Vogtland), in Supermarkt integrierte Fassade des ehemaligen Geschäftshauses der Gardinenfabrik Falgard, 2020
Auch bei den unter Denkmalschutz stehenden Industriegebäuden finden sich gerade im Vergleich zur Situation in den Großstädten nur wenige hervorragende Beispiele für eine Erhaltung und Umnutzung. Stattdessen werden die Bauten oftmals komplett abgerissen oder es kommt zu scheinbaren Kompromisslösungen wie beim Verwaltungsgebäude einer ehemaligen Gardinenfabrik in Falkenstein im östlichen Vogtland, dessen Straßenfassade in einen Supermarkt integriert wurde (Abb. 1). Dem waren intensive Diskussionen zwischen Stadt und Landesdirektion vorausgegangen, im Rahmen derer die Stadt sogar den Klageweg beschritt, weil das Land den vollständigen Abbruch untersagt hatte.[2]
Dieser Fall kann sinnbildlich für die grundsätzliche Wahrnehmung und Verhandlung des industriekulturellen Erbes in der Region stehen. Im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführte Erhebungen zeigen, dass vonseiten der Bevölkerung zwar grundsätzlich eine Bindung zum baulichen Erbe der Industrialisierung vorhanden ist. Praktisch werden in den Leerstandsbauten allerdings keine Nutzungsoptionen erkannt, sondern es wird mit Verweis auf das Schicksal anderer Bauwerke in der Region meist nur ein Abriss als realistisch angesehen. Dahingehend werden die Bauten funktional primär als »Altlast« verstanden und ihnen neben einem Schandfleck-Verdikt ein »Das passiert doch mit allen anderen Gebäuden auch«-Narrativ zugeschrieben.[3]
Diese Haltung ist sicherlich zu bedauern, aber kaum verwunderlich, wenn nicht einmal die formell geschützten Bauwerke Erhaltungsmöglichkeiten und -potenziale aufzeigen. Entsprechend ist zu fragen, wie es zu einem grundsätzlichen Wandel im Umgang mit dem baulichen Bestand kommen soll, wenn selbst Baudenkmale eindimensional auf Fassadenteile reduziert und nicht in ihrer vielschichtigen Bedeutung als historische Zeugnisse sowie ökologische, aber auch soziale Ressource erhalten werden. Die Entwicklungen im Vogtland zeigen diesbezüglich recht eindrücklich, dass die Bauwerkserhaltung als Ressourcenschutz unbedingt als Schnittstellenaufgabe mit den planenden Disziplinen gedacht werden muss. Zwar werden erhebliche Mittel in die sogenannte »Revitalisierung« von Brachflächen, insbesondere ehemaligen Industriearealen, in vestiert, darunter jedoch noch immer zumeist eine vollständige Beräumung verstanden, deren Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht kritisch hinterfragt werden sollte.

Oelsnitz (Vogtland), Straßenfassade der ehemaligen Halbmond-Teppichwerke kurz vor dem Abbruch, 2020

Lengenfeld, begrünte Brachfläche der ehemaligen Textilfabrik Gardeko, 2020
Beispielsweise wird derzeit das ehemalige Halbmond-Teppichwerk in Oelsnitz südöstlich von Plauen zugunsten eines neuen innerstädtischen Gewerbegebiets abgerissen, nachdem es die Stadt in vielfacher Hinsicht über ein Jahrhundert lang wesentlich geprägt hat (Abb. 2).[4] Der Abbruch wird mit insgesamt 7,5 Millionen Euro beziehungsweise 85 Prozent der Gesamtsumme vom Land gefördert.[5] Wenngleich Teile des Komplexes durch den langen Leerstand sicher nicht mehr zu retten sind, könnte zumindest eine differenziertere Strategie unter Erhalt einzelner Bestandsgebäude diskutiert werden. Allerdings ist der vollständige Abbruch die Regel und wird weiterhin in dieser Form auch von öffentlichen Stellen proklamiert. In der Folge lassen dann oftmals lediglich Erinnerungstafeln am Rande begrünter Flächen auf die industrielle Vergangenheit der Areale schließen (Abb. 3).
Dass diese Praxis nicht auf das Vogtland oder den Freistaat Sachsen begrenzt ist, zeigt aktuell der Fall der ehemaligen Schokoladenfabrik in der nordthüringischen Stadt Greußen. Obwohl sich verschiedene Akteur*innen, angeführt vom Ortsbürgermeister und unterstützt vom thüringischen Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), für den Erhalt der Reste der 1872 in neoromanischen Formen errichteten Fabrik einsetzten und Studierende der Fachhochschule Erfurt Konzepte zur Revitalisierung entwickelten, ließ es sich der Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) nicht nehmen, persönlich den mit 2,35 Millionen Euro Fördermittel dekorierten Abbruchbescheid zu überreichen (Abb. 4).
Fördermittel umlenken
Der Klimakrise zum Trotz und im Wissen, dass laut Umweltprogramm der UN (UNEP) Gebäude- und Bauwirtschaft weltweit 38 Prozent des Kohlenstoff dioxidausstoßes emittieren und das Baugewerbe gemäß Bundesumweltamt in der Bundesrepublik für 54 Prozent des Brutto-Abfallauf kommens verantwortlich ist, wird damit eine wenig zukunftsfähige Tradition fortgesetzt. 2016 publizierte das sächsische Innenministerium, zu dem damals notabene auch die Denkmalpflege gehörte, eine aufwendige Broschüre zur »Brachensanierung«. Darin werden Dutzende von staatlich geförderten Abbrüchen von Industriebauten und ihr Ersatz durch Parkplätze und Freiflächen als Erfolgsgeschichte präsentiert.[6] Minister Markus Ulbig (CDU) kommentiert dazu einleitend: »Brachen sind das sichtbarste Zeichen unserer Erblast aus der Vergangenheit, insbesondere aus 40 Jahren SED-Diktatur. Als eine direkte Folge der verfehlten Bau- und Wirtschaftspolitik der DDR gelten sie zurecht als Schandflecke in unseren Städten und Dörfern.« [7] Gestützt auf eine solche unterkomplexe Bewertung wurden demnach zwischen 2009 und 2014 in Sachsen allein aus dem sogenannten »Landesbrachenprogramm« 58,1 Millionen Euro in entsprechende Maßnahmen investiert.[8]

Greußen, Übergabe des Förderbescheids zum Abbruch der ehemaligen Schokoladenfabrik durch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee vor dem Protest lokaler Aktivist*innen und Studierender der FH Erfurt, 2022
So kann es nicht weitergehen. Stattdessen sollte das Ziel darin bestehen, die Fördermittel umzulenken und mit den zur Verfügung stehenden Geldern den Bauwerkserhalt zu sichern und ein solches Handeln selbstverständlich werden zu lassen. Die derzeitige Instandsetzung der Hempelschen Fabrik in Plauen zeigt, dass solche Lösungen bei entsprechendem Willen der beteiligten Akteur*innen durchaus umsetzbar sind. Der Komplex liegt in der Elsteraue unweit des Stadtzentrums und sollte vergleichbar den genannten Beispielen »revitalisiert« werden. 2012 wurde die Fabrik jedoch unter Denkmalschutz gestellt und im Zuge einer – letztlich gescheiterten – Bewerbung als Standort der ursprünglich für 2018 geplanten Landesausstellung zur Industriekultur in Sachsen ein Konzept zur Umnutzung als Gründungszentrum entwickelt.[9] Die Stadt verfolgte den Plan unabhängig von der Landesausstellung weiter und wurde mit erheblichen Mitteln vom

Plauen, Instandsetzung der Hempelschen Fabrik, 2020
Land und der EU unterstützt, sodass ein überwiegender Teil der Gebäudesubstanz derzeit instand gesetzt werden kann (Abb. 5). Mitte 2021 folgte schließlich der Verkauf an ein Softwareunternehmen aus der Region, das dort neben eigenen Arbeitsplätzen Räume für andere Unternehmen aus der IT- und Kreativwirtschaft anbieten möchte.[10] Zudem werden mit Förderung der EU, Bund, Land und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz im benachbarten Weisbachschen Haus, einer der ältesten noch erhaltenen Textilfabriken Sachsens, Angebote von Musealisierung und Forschung zur für die Region prägenden Textilindustrie gebündelt.[11] Damit hat das Areal Elsteraue das Potenzial, zu einem Leuchtturmprojekt mit weitreichender Strahlkraft zu werden, das industriekulturelle Erbe als Chance positiv besetzter Zukunftsnarrative zu begreifen und zu entwickeln.
Im weitergehenden Kontext eines grundlegenden Paradigmenwechsels im Umgang mit dem Vorhandenen sollte die Denkmalpflege daher als Vorreiterin verstanden werden, welche in engem Zusammenwirken mit den planerischen Disziplinen hervorragende Beispiele der Erhaltung schafft, die als Vorbilder dienen können.[12] Diese zeigen praktisch, dass Erhalten keine Ausnahme bleiben muss, sondern die Regel werden kann, und die Gebäude als Potenzialräume bzw. Ressource statt in erster Linie als Hemmnisse zu verstehen sind.
Reparaturgesellschaft, Denkmalpflege und Nachhaltigkeit
Die Denkmalpflege kann hier ihre große Erfahrung aus dem Bauwerkserhalt einbringen und dazu die seit Langem vorliegenden theoretischen Konzepte zur Reparaturgesellschaft von Uta Hassler und Wilfried Lipp aufgreifen. Dieser konstatierte bereits 1993, Denkmalpflege werde »Teil einer ›monumentalen Ökologie‹ sein, freilich nur ein Aspekt unter vielen«, wozu sie sich allerdings aus der »Verpuppung ins Gehäuse der ›Autopoiesis‹ zu lösen und sich in das vernetzte System des ›Reparaturprojekts der Postmoderne‹ einzubringen« habe.[13] Viele der in den 1990er Jahren gemachten Beobachtungen scheinen heute dringlicher denn je zu sein. Mit Blick auf Industriebauten stellte Uta Hassler beispielsweise 1996 fest, dass Abrissmaßnahmen in der Regel durchgeführt werden, »ohne die Möglichkeiten ›kontrollierten Rückbaus‹, der Weiterverwendung einzelner Teile auch nur zu bedenken.«[14] Trotz der vordergründig gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung ökologischer Werte hat sich am praktischen Handeln bisher nichts Grundlegendes geändert. Umso mehr gilt es, erfreuliche Signale wie die Proklamation eines »Hauses der Erde« vonseiten des BDA als Anlass für einen disziplinübergreifenden, praktischen Wandel im Umgang mit dem baulichen Bestand zu nehmen. [15]
Zugleich ist jedoch insofern Vorsicht geboten, als dass denkmalpflegerische Anliegen nicht zu eindimensional auf einzelne Belange und Werteebenen beschränkt, sondern die Vielschichtigkeit der Bedeutungsebenen in ästhetischer und historischer, aber auch sozialer und ökologischer Hinsicht als Begründung für die Bauwerkserhaltung herausgestellt werden. Auch bereits am Ende des vergangenen Jahrhunderts hat Georg Mörsch den Beitrag der Denkmalpflege zur Nachhaltigkeit nicht zuletzt darin gesehen, »eine Kultur des umsichtigen, gebildeten materiellen Umgangs mit kostbaren Dingen« zu stiften und damit die Bedeutung der noch heute oft – oder im Zeichen des Klimanotstands sogar wieder öfter – vernachlässigten vierten Säule der Nachhaltigkeit hervorgehoben.[16] Die Geschichte der Disziplin zeigt, dass die plakative Reduktion ihrer Belange sie nach einiger Zeit regelmäßig wieder eingeholt und nicht zu ihrer langfristigen Akzeptanz beigetragen hat. Eine allzu einfache Anknüpfung an die Nachhaltigkeitsdebatte und die bloße Beschränkung der Bauwerkserhaltung auf die Ressourceneffizienz kann daher nicht im Interesse der Disziplin und der im Fachbereich tätigen Akteur*innen sein.[17] Es ist zentral, dass die Denkmalpflege ihre Anliegen im Zusammenwirken mit anderen Disziplinen denkt und damit zu einem übergeordneten Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Vorhandenen beiträgt, ohne aber in die »Nachhaltigkeitsfalle« zu tappen und ihre Belange allzu eindimensional preiszugeben.
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Abbildungsnachweis
1–3, 5: Leo Bockelmann, Bauhaus-Universität Weimar — 4: Peter Georgi, Greußen
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Artikel in diesem Heft
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Das Denkmal als Ressource?!
- Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
- Industriebauten als Ressource
- Im Baumgarten der Denkmalpflege
- Forum
- Ein Dorf als Ressource
- Berichte
- Ressourcenschonung im Baudenkmal
- Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen
- Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung
- Aktuelles
- Kurzberichte aus den Ländern
- Rezensionen
- Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening
- Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen
Artikel in diesem Heft
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Das Denkmal als Ressource?!
- Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
- Industriebauten als Ressource
- Im Baumgarten der Denkmalpflege
- Forum
- Ein Dorf als Ressource
- Berichte
- Ressourcenschonung im Baudenkmal
- Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen
- Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung
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- Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening
- Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen