Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung
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Lydia Constanze Krenz
In den 1960er und 1970er Jahren wurden so viele Universitäten gegründet und bestehende Institutionen ausgebaut wie nie zuvor und nie wieder danach. Die Bauten sind geprägt durch kühne architektonische Konzepte und neue Technologien. Jede Anlage ist Zeuge einer Zeit, in der der Glaube an ein stetiges Wachstum noch ungebrochen war. Diese – aus heutiger Perspektive – naive Überzeugung spiegelt sich auch in den Entwurfskonzepten wider: Die meisten Campusuniversitäten beruhen auf einem strengen Raster, das den Grundstein für die kommende Entwicklung legen sollte. Diese Raster und der Sichtbeton sind mitverantwortlich dafür, dass es Großstrukturen dieser Zeit in der öffentlichen Akzeptanz noch immer schwer haben. Sie gelten in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin als Bausünden. Die bauliche Weiterentwicklung dieser Campusareale und der Umgang mit der Bausubstanz sind trotz ähnlicher Grundkonzepte und ähnlicher Probleme sehr unterschiedlich.[1] Der Befund erstreckt sich von Leerstand [2] über mehr oder minder gelungene Instandsetzungen bis hin zur Klassifizierung als Kulturdenkmal.
Die Entwicklung der Universität Konstanz kann in diesem Zusammenhang als positives Beispiel gelten. Sie wurde 1966 gegründet und bis circa 1983 errichtet. 2012 hat das Landesamt für Denkmalpflege sie inklusive ihrer Außenanlagen in die Denkmalliste der Stadt Konstanz aufgenommen.[3] Der Gesamtplan beruht auf einem einheitlichen Raster, das punktuell aufgebrochen wird, wodurch spannende räumliche Situationen entstehen. Alle Gebäude sind miteinander durch Brücken und Gänge verbunden, die die Universität zu einem kompakten und dennoch komplexen Gefüge machen.
Seit ihrer Fertigstellung hat sich die Anlage stetig vergrößert. Auffallend ist, dass bei allen neu hinzugekommenen Bauten[4] das ursprüngliche Entwurfskonzept und dessen Grundprinzipien – Raster, Verbindungen, Farb- und Höhenkonzept – beachtet wurden und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Universität dienten. Die Beibehaltung des Konzeptes führte dazu, dass die bauzeitlichen Ideen trotz des Zuwachses an Neubauten noch immer spürbar sind und die Universität Konstanz 30 Jahre nach Bauabschluss als Kulturdenkmal anerkannt werden konnte: Auch die Gebäude, die vor der Denkmalausweisung 2012 hinzugekommen sind, wären aus denkmalfachlicher Sicht genehmigungsfähig gewesen.[5] Das spricht nicht nur für die vorausschauende Arbeit der ursprünglichen Architekten, sondern vor allem für das Amt Vermögen und Bau in Konstanz, das für die bauliche Verwaltung verantwortlich ist. Den Mitarbeitenden ist es durch die direkte oder indirekte Auswahl von Architekturbüros sowie mittels eigener Planungen gelungen, das Areal über die Jahrzehnte hinweg qualitätvoll weiterzuentwickeln und die Wertschätzung gegenüber dem Bestand aufrechtzuerhalten (Abb. 1, 2).

Konstanz, Universität, Gebäude V, Entwurf und Ausführung: Schaudt Architekten Konstanz, 2009/10, Aufnahme 2020

Konstanz, Universität, Gebäude Y1 (links), Entwurf: Vermögen und Bau Amt Konstanz, 2007/08, Aufnahme 2020
Der Campus Lichtwiese der Technischen Universität Darmstadt, der zwischen 1967 und 1978 errichtet wurde, beruht ebenfalls auf einem Raster, besteht aber im Unterschied zur Universität Konstanz aus Solitären, die locker verteilt in einem großzügigen, an den benachbarten Stadtwald anschließenden parkartigen Areal liegen. Anders als in Konstanz wurde, nur einzelne Bauten, das Architekturgebäude und die Maschinenbauhallen, als Kulturdenkmale ausgewiesen. Eigens für die TU Darmstadt und den Campus Lichtwiese wurde das »Darmstädter Bausystem« entwickelt, dessen Vorbild das bekanntere »Marburger Bausystem« war. Das Staatliche Hochschulbauamt entwarf ein Fertigteilsystem, welches ein hohes Maß an Flexibilität in Konstruktion, Erweiterung und Gestaltung bot.[6]
Trotzdem hat es auf dem Campus Lichtwiese nur eine minimale Ergänzung im Darmstädter Bausystem gegeben: Das Bauingenieurgebäude wurde im Erdgeschoss um eine Achse erweitert (Abb. 3). Dieser unauffällige und trotzdem ablesbare Eingriff verdeutlicht jedoch die Haltung, mit der den Gebäuden auf der Lichtwiese begegnet wird: An vielen Stellen lässt sich beobachten, dass auch an nicht denkmalgeschützte Gebäude denkmalpflegerische Maximen angelegt werden. Sowohl am Bauingenieur- als auch am Maschinenbaugebäude und der Mensa lassen sich behutsame Eingriffe feststellen, die im Rahmen des Denkmalschutzes vermutlich nicht hätten realisiert werden können, jedoch die Gebäude in ihrem historischen Wert und ihrer architektonischen Qualität anerkennen. Obwohl es sich beispielsweise bei der Sanierung des Chemiegebäudes nicht um eine Instandsetzung der alten Fluchtbalkonkonstruktion, sondern um deren Austausch handelt, zeigt die Maßnahme ein generelles Interesse an der Wahrung des historischen Erscheinungsbildes des Bauwerks. Die Erfahrung einer Ideenfortschreibung, wie sie bei dieser Sanierung gemacht wurde, kann bei der Instandsetzung weiterer Gebäude von großem Interesse sein.

Darmstadt, TU Darmstadt Campus Lichtwiese, Bauingenieurgebäude 1968–1970, Sanierung: m+ Architekten Darmstadt, 2011–2013, Aufnahme 2020
Wie auch in Konstanz ist die positiv zu beurteilende Entwicklung am Campus Lichtwiese direkt den Zuständigen zuzuschreiben. Die eigene Bauverwaltung der TU Darmstadt beweist ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem historischen Bestand, egal ob denkmalgeschützt oder nicht.
Der Campus Technik der Universität Innsbruck wurde 1969/70 errichtet und beruht auf einem strengen Raster von 7,5 × 7,5 Meter. Sowohl die beiden Institutsgebäude als auch die Nebengebäude wurden aus diesem Raster heraus entwickelt, wodurch der Campus eine einheitliche Ensemblewirkung erhielt. Den Architekten gelang es, aus diesem Raster heraus eine vielschichtige und fein ausdifferenzierte Anlage zu planen. Ein Denkmalwert wurde gleichwohl vonseiten der Fachbehörden nicht gesehen. Zwischen 2013 und 2017 führte eine Sanierung zu einer starken Beeinträchtigung des ursprünglichen Entwurfskonzeptes. Obwohl man die Grundidee des Campus als Basis einer weiteren Entwicklung hätte nutzen können, wurde die einheitliche Platzgestaltung im Raster aufgegeben; der Campus ist so als Ensemble nicht mehr fassbar. Die beiden Institutsgebäude wurden zwar konstruktiv erhalten, die zeittypische Fluchtbalkonkonstruktion jedoch durch neue »intelligente Hüllen« ersetzt (Abb. 4). Die ursprünglichen Bauten sind in ihrer heutigen Gestalt nicht wiederzuerkennen.

Innsbruck, Universität, Gebäude Technische Wissenschaften 1967–1970, Sanierung: ATP Innsbruck, 2013/14, Aufnahme 2021
Neben dem fehlenden Denkmalschutz lässt sich auch die Verwaltungsstruktur als Ursache für den weitreichenden Eingriff anführen. Seit den 1990er Jahren werden die österreichischen Universitätsbauten durch eine bundeseigene Immobiliengesellschaft (BIG) verwaltet, deren Ziel die Gewinnoptimierung ist. Die Erneuerung des Campus Technik zeigt, dass der Erhalt sowie die Ertüchtigung eines historischen, nicht denkmalgeschützten, Bestands innerhalb einer gewinnorientierten Verwaltungsstruktur offenbar nicht möglich ist.
An der Gesamtmaßnahme lässt sich auch ablesen, wie eindimensional der Begriff Nachhaltigkeit in der Baubranche noch immer ausgelegt wird. Die Menge der eingesparten Heizenergie ist Messlatte für den Erfolg einer Sanierung, die verbaute Gebäudetechnik Gradmesser für einen angeblichen Stand der Technik. Architektonische Qualitäten, graue Energie, recycelbare Baumaterialien, eine lange Lebensdauer und die reale Nutzbarkeit der Räumlichkeiten spielen hingegen eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Die »intelligenten Hüllen« von heute werden uns aufgrund ihrer Komplexität in wenigen Jahrzehnten vor genauso große Herausforderungen stellen, wie die Bauten der 1970er Jahre es heute tun.
Denkmalgerechte Instandsetzungen sind enorm zeit- und planungsintensiv und scheinen dadurch teurer als konventionelle Lösungen zu sein. Dabei stellen sie maßgeschneiderte Konzepte dar, die vorhandene Potenziale voll ausschöpfen und Bauwerke jeder Zeitstellung gegenwarts- und zukunftsfähig machen können. Die Nachhaltigkeitsdebatte innerhalb der Baubranche sollte Baudenkmale nicht länger undifferenziert als »Klotz am Bein« verunglimpfen, sondern die Denkmalpflege vielmehr als A nlaufstelle für Fachwissen, Konzepte und Methoden nutzen.
Auch wenn der Umgang mit gebauten Strukturen der 1970er Jahre heute als schwierig gilt, zeigen die Beispiele in Konstanz und Darmstadt, wie man ursprüngliche Entwurfsprinzipien für die Weiterentwicklung nutzen kann. Es überrascht, dass obwohl die Bausysteme durch ihre große Anpassungsfähigkeit und Erweiterbarkeit ideal für universitäre Bauaufgaben geeignet sind, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Erweiterung bei keiner Campusuniversität auf das ursprüngliche System zurückgegriffen wurde.[7] Der Vergleich der drei Campusuniversitäten macht deutlich, dass die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen die Entwicklung und den heutigen Zustand maßgeblich verantworten. Sie sind somit ausschlaggebend dafür, ob die bereits vorhandenen Potenziale und Ressourcen erkannt und genutzt werden können.
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Abbildungsnachweis
1–4: Lydia Constanze Krenz, Innsbruck
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Artikel in diesem Heft
- Inhalt
- Vorwort
- Aufsätze
- Das Denkmal als Ressource?!
- Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
- Industriebauten als Ressource
- Im Baumgarten der Denkmalpflege
- Forum
- Ein Dorf als Ressource
- Berichte
- Ressourcenschonung im Baudenkmal
- Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen
- Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung
- Aktuelles
- Kurzberichte aus den Ländern
- Rezensionen
- Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening
- Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen
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- Das Denkmal als Ressource?!
- Denkmalschutz und Nachhaltigkeit
- Industriebauten als Ressource
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- Ein Dorf als Ressource
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