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Corona an der Universitätsbibliothek Basel: Die zwei Seiten der Digitalisierungsmedaille

Ein Erfahrungsbericht
  • David Tréfás

    Dr. David Tréfás

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Veröffentlicht/Copyright: 10. Juli 2021
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Zusammenfassung

Die Maßnahmen, die in der Schweiz landesweit zur Bewältigung der Corona-Pandemie eingeführt wurden, betrafen auch die Universitätsbibliothek Basel. Auf den ersten Schock folgte während der ersten Welle eine regelrechte Digitalisierungseuphorie, die während der zweiten Welle einer Digitalisierungsmüdigkeit wich. In einer Erholungsphase im Sommer 2020 wurden die Mitarbeitenden über ihre Erfahrungen befragt, Lehren gezogen und Maßnahmen beschlossen. Es zeigte sich vor allem, dass die Bewältigung einer Krise vor allem nach guter Führung verlangt.

Abstract

Nationwide safety measures introduced in Switzerland to cope with the Corona pandemic obviously affected the University Library of Basel as well. Digitalisation euphoria set in after an initial shock moment during the first wave of the pandemic, subsiding to digitalisation fatigue during the second wave. A short recovery phase in the summer of 2020 was used to interview employees about their experiences, learn a few lessons and decide next steps. Good leadership and efficient management are key requirements in tackling the crisis, the survey suggests.

Am 28. Februar 2020 rief der schweizerische Bundesrat, gestützt auf das Epidemiengesetz, im ganzen Land die „besondere Lage aus“. Die Bibliothek reagierte mit der Teilnahme an der landesweiten Informationskampagne sowie einigen aus heutiger Sicht wenig einschneidenden Massnahmen. Die Lage verdüsterte sich jedoch täglich, so dass sich die Universitätsbibliothek Basel am 10. März 2020 gezwungen sah, eine 5-köpfige Taskforce einzurichten. Diese hielt den Kontakt zur Universitätsleitung aufrecht und definierte Massnahmen, um für eine weitere Verschärfung der Lage gerüstet zu sein. Am 16. März 2020 schliesslich erklärte der Bundesrat die „ausserordentliche Lage“, was für die Bibliothek bedeutete, dass sie ab sofort – wie auch Restaurants, Geschäfte, Kinos etc. geschlossen werden mussten. Die plötzliche Schliessung war auch für die Bibliothek eine Herausforderung. Die geltenden Homeoffice-Regelungen genügten den aktuellen Anforderungen nicht; viele Arbeiten konnten nicht ins Homeoffice verlegt werden; physische Medien waren nicht mehr zugänglich; viele Arbeitsabläufe waren nach wie vor analog oder nur teilweise digital. Erschwerend kam hinzu, dass Basel direkt an Deutschland und Frankreich grenzt, und in allen drei Ländern andere Regeln galten. Da die Grenzen geschlossen wurden, war es einigen Mitarbeitenden zeitweise nicht mehr möglich, zur Arbeit zu fahren. Obschon sich die Universitätsbibliothek wie auch andere Bibliotheken im Übergang von einer mehrheitlich analogen in eine mehrheitlich digitale Welt sieht, musste sie erkennen, dass sie nicht von einem Tag auf den andern die Grundlagen für digitales Arbeiten schaffen konnte.

Digitalisierungseuphorie

Nach dem ersten Schock stellte sich aber eine Art Digitalisierungseuphorie ein. Das Verharren der Mitarbeitenden im Homeoffice bedeutete, dass Arbeitsabläufe, wenn immer möglich, vollständig digitalisiert werden mussten. Für einige Abteilungen wie etwa die IT war dies kein Problem, für andere eine Umstellung, die man nolens volens vollzogen hat, für dritte wiederum schlicht unmöglich. Trotzdem dauerte es nur fünf Tage, bis der Großteil der Mitarbeitenden sich im Homeoffice eingerichtet hatte. Die Vielzahl von digitalen Möglichkeiten entfachte aber eine Euphorie: Sitzungen fanden ab dem 10. März 2020 praktisch nur noch über Zoom statt, man veranstaltete virtuelle Kaffeepausen, über Blog gab es das Gespräch am virtuellen Kaffeeautomaten. Immer mehr kollaborative Tools wurden entdeckt und ausprobiert, die Wohnungen in Büros umfunktioniert. Da in der Schweiz die Schulen geschlossen blieben und die Kinder im „Home Schooling“ unterrichtet wurden, wurde auch das Privatleben immer digitaler. Eltern überboten sich mit Ideen, wie man die Kinder digital beschäftigen könne, es wurden digitale Partys und Spielabende verabredet. Andere Eltern aber ächzten jedoch unter der Mehrfachbelastung von nicht lernwilligen Kindern, ungenügender technischer Ausstattung und einem nicht abreißenden Arbeitsberg. Denn die Euphorie erfasste sowohl die Benutzerschaft wie die Lieferanten und Verlage. Die Möglichkeiten, kostengünstig auf elektronische Bücher zuzugreifen, nahmen stetig zu, und eben auch der Wille der Bibliotheken, diese Möglichkeiten zu nutzen. Das bedeutete, dass einige Abteilungen deutlich mehr zu tun hatten als zuvor. Mit dem Dienst „DigiLit Plus“ wurden Buchkapitel oder Aufsätze gescannt oder, als dies erlaubt war, eine Pick-up-Ausleihe eingerichtet. Verlage überboten sich mit Angeboten unterschiedlicher Laufzeit, Fachreferent*innen und Spezialisten für elektronische Medien prüften jedes Angebot. Einzig nicht ausleihbare Medien wie Handschriften oder Zeitungen waren in dieser Zeit nicht zugänglich. Die Digitalisierungseuphorie half jedoch vorerst über diesen Zustand hinweg. Nach Abebben der ersten Pandemiewelle waren Belegschaft und Benutzerschaft gleichermassen froh, dass diese ohne zu hohe Ansteckungszahlen überwunden werden konnte.

Lockerung und Mitarbeiterbefragung

Schwieriger als der Lockdown erwies sich die Rückkehr in den Normalbetrieb. Diese erfolgte schrittweise nach dem 18. Mai 2020. Die meisten Mitarbeitenden konnten wieder an ihre angestammten Arbeitsplätze zurückkehren – die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten blieb jedoch bestehen. Die weiterhin wöchentlich tagende Taskforce hatte sich mit dem sich ständig verändernden Diskurs, der sich über offizielle und inoffizielle Medienkanäle verbreitete, zu beschäftigen, Hygienemassnahmen umzusetzen, Begegnungszonen zu reglementieren, Beschriftungen anzubringen, und vieles mehr. Der durch die Pandemie hervorgerufene Change-Prozess wurde von einer gezielten internen Mitarbeiterkommunikation begleitet.[1]

Im Rahmen des für das Jahr 2020 gesteckten Jahresziels „Lernende Organisation“ führte eine Arbeitsgruppe im Juni und Juli dieses Jahres Befragungen unter den Mitarbeitenden zum Arbeiten während des Lockdowns durch. Praktisch alle Abteilungen nahmen teil, und auch der Personalausschuss erhielt Meldungen zu diesem Thema. Die Arbeitsgruppe stellte die Antworten zusammen und verdichtete diese auf Themenfelder, die den Abteilungsleiter*innen präsentiert wurden. Zugleich wurden erste Massnahmen beschlossen. Die wichtigsten Aussagen der Befragung waren wie folgt:

  1. Viele Mitarbeitende und Teams haben gute Erfahrung mit Homeoffice gemacht und möchten dessen Vorteile weiterhin nutzen (Produktivitätssteigerung und Wegfall von Arbeitswegen).

  2. Homeoffice und hybride Teamarbeit verlangen aber auch nach klaren Regeln (etwa Erreichbarkeit, Präsenzpflichten) und stellen organisatorische sowie infrastrukturelle Herausforderungen.

  3. Teamführung und betriebliche Kommunikation sind dadurch anspruchsvoller geworden. In diesem Bereich brauche es Weiterbildungen.

  4. Digitalisierung und Nutzung von entsprechenden Arbeitstools erfuhren einen Anschub und sollen weiter vorangetrieben werden.

Auf dieser Grundlage identifizierte die Arbeitsgruppe sieben Maßnahmenfelder:

  1. Interne Kommunikation und sozialen Zusammenhalt stärken,

  2. Meetingkultur im ganzen Betrieb überdenken,

  3. Arbeitsatmosphäre und -produktivität am Arbeitsplatz fördern,

  4. „Arbeitsregeln“ präzisieren und bei Bedarf klären,

  5. Weiterbildung „Führung auf Distanz / mit Zielen“

  6. Nutzung von digitalen Arbeitstools unterstützen und

  7. Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse und Dienstleistungen voranbringen.

In einem weiteren Schritt wurden einzelne Maßnahmen beschlossen, die zu Teilen bereits umgesetzt werden konnten. Dazu gehört etwa ein internes Schulungsprogramm, in dem digitale Arbeitstools vorgestellt werden, sowie die Weiterbildung von Führungskräften bezüglich Sitzungsgestaltung. Bei der Planung der Umsetzung aller Maßnahmen zeigte sich jedoch auch, dass es nicht reicht, eine einzelne Arbeitsgruppe damit zu betrauen, sondern dass die dafür notwendigen Kompetenzen in der ganzen Bibliothek verteilt sind.

Digitalisierungsmüdigkeit

Mitte Oktober verdüsterte sich die epidemiologische Lage wieder, und auch in der Schweiz wurden die Regeln ständig verschärft. Homeoffice wurde zur Pflicht, jedoch konnte der Betrieb soweit wie möglich aufrechterhalten werden. Je länger die Pandemie andauerte, desto mehr zeigte sich die „Coronamüdigkeit“, die sich auch in einer Digitalisierungsmüdigkeit niederschlug. Die virtuellen Kaffeepausen und die Lust an neuen kollaborativen Arbeitsmethoden verblassten. In vielen Abteilungen machte sich eine abgespannte Stimmung breit, die Führungskräfte wurden vermehrt aufgerufen, sich aktiv um die Mitarbeitenden zu kümmern. Die Verantwortung der Führungskräfte erwies und erweist sich mehr und mehr als herausragender Faktor bei der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden. Eine Studie zur Umstellung auf Homeoffice in der Schweiz, die durch die Fachhochschule Nordwestschweiz und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften durchgeführt wurde, verweist darauf, dass es weniger die „Arbeitsbedingungen zu Hause (geeignete Arbeitsumgebung, ungestörtes Arbeiten)“ für das Wohlbefinden ausschlaggebend sind, sondern „gute Führung durch die vorgesetzte Person.“ Dazu gehört die ausbalancierte Ausgestaltung von persönlicher Autonomie und gleichzeitig enger Einbindung ins Team.[2]

Herausforderung für Führungskräfte

Die Erkenntnis der zitierten Studie unterstreicht die Erfahrungen an der Universitätsbibliothek Basel. Schon zu Beginn der Krise hatte sich manifestiert, dass der Umgang mit Corona vor allem nach guter Führung verlangte. Dies umso mehr, als sich ebenso gezeigt hat, dass Arbeit in erster Linie eine soziale Tätigkeit ist und nicht auf reine Leistungserbringung reduziert werden kann. Nicht nur was geleistet wird ist für das Gesamtergebnis der Organisation wichtig, sondern auch das wie. Mitarbeitende wollen in ihrer Ganzheit verstanden werden, mit ihren eigenen Zielen und vor allem ihrer ganzen Irrationalität. Auch hat sich gezeigt, dass, je digitaler die Arbeitswelt wird, desto menschlicher das Arbeitsklima werden muss. Das vermehrte Arbeiten im Homeoffice und die Hybridisierung der Arbeitsverhältnisse verlangen nach neuen Methoden der Zusammenarbeit im Team, aber auch zwischen den Abteilungen. Die Zeit, zu der alle Teammitglieder gleichzeitig anwesend sind, wird knapper und daher wertvoller. Und schliesslich verlangt die Hybridisierung der Benutzerschaft nach neuen hybriden Dienstleistungen, deren Entwicklung neue Arbeitsmethoden erfordert. Viele dieser Fragen müssen auf oberster strategischer Ebene entschieden werden. Grundsätzlich kann festgehalten werden: Die Pandemie hat gezeigt, welche Vorteile die digitale gegenüber der analogen Welt bringt, aber auch welche Vorteile die analoge Welt nach wie vor in sich birgt. Die Digitalisierungsmedaille hat ihre beiden Seiten offenbart. Mittelfristig werden wir uns wohl auf eine hybride Arbeitswelt einstellen müssen.

About the author

Dr. David Tréfás

Dr. David Tréfás

Published Online: 2021-07-10
Published in Print: 2021-07-27

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Editorial
  3. Aus den Verbänden
  4. Verabschiedung Urheberrechtsreform
  5. Deutscher Bibliotheksverband beteiligt sich am „Kultur macht stark“-Sommer des Bundesbildungsministeriums
  6. Bibliotheken: Orte der kulturellen Vielfalt und Toleranz
  7. „Kinder und Jugendliche benötigen verlässliche Bildungsangebote“
  8. Stärkung von Bibliotheken in ländlichen Räumen
  9. Wahlprüfsteine 2021
  10. Themenheft: Bibliotheken und die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie. Teil I
  11. Die Bewältigung der Corona-Pandemie durch das Team der Hochschulbibliothek Ludwigshafen/Rhein
  12. Corona an der Universitätsbibliothek Basel: Die zwei Seiten der Digitalisierungsmedaille
  13. Doing digital. Die Universitätsbibliothek Osnabrück und die Herausforderungen der Coronakrise
  14. Lehre in Zeiten von Corona – ein Erfahrungsbericht
  15. Wissenschaftliche Weiterbildung während und nach der COVID-19-Pandemie – der Versuch einer theoretischen Annäherung
  16. Vom Startbetrieb in den pandemie-bedingten Notbetrieb – wie kann aus widrigen Bedingungen eine neue Zukunftsausrichtung entstehen?
  17. Praxis adé? Der Mangel an Praxiseinblicken während der COVID-19-Pandemie
  18. Erweckt die Lücke an realer Begegnung und Ortswechsel eine neue bibliothekarische Vernunft, die der virtuellen?
  19. Wenn das Leben Dir Zitronen gibt … Pandemie als Chance?
  20. Notizen und Kurzbeiträge
  21. 10 Jahre 4. Erweiterungsbau in Leipzig – wann kommt der 5. Erweiterungsbau?
  22. Veranstaltungen
  23. Online Jahrestagung der IAML-Ländergruppe im September 2021
  24. Termine
  25. Termine
Heruntergeladen am 23.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2021-0072/html
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