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Das Bibliotheksgesetz Schleswig-Holstein

Ein erster Blick auf das fünfte deutsche Bibliotheksgesetz
  • Eric W. Steinhauer

    Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer

    Dezernent für Medienbearbeitung, Fachreferent für Recht und Allgemeines, sowie Literaturwissenschaft (komm.), Universitätsbibliothek Hagen, Universitätsstr. 21, 58097 Hagen

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Published/Copyright: December 1, 2016
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Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag schildert das Gesetzgebungsverfahren für das neue Bibliotheksgesetz in Schleswig-Holstein. Die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes werden in einem kursorischen Überblick vorgestellt. Einen Schwerpunkt bildet dabei das neue Pflichtexemplarrecht. Abschließend wird das Bibliotheksgesetz Schleswig-Holstein bibliothekspolitisch eingeordnet. Dabei zeigt sich, dass mit dem fünften deutschen Bibliotheksgesetz eine neue Dimension bibliothekarischer Gesetzgebung erreicht wurde, die auch finanzielle Aspekte umfasst.

Abstract

This article describes the legislative procedure for the new library law in Schleswig-Holstein. It gives an overview of the individual provisions of the law, focussing on the new legal deposit. Finally, the Schleswig-Holstein Library Law is assessed from a political point of view. The assessment shows that with the fifth German library law, a new dimension of library legislation is reached that also covers financial aspects.

1 Vorgeschichte

Als der Landtag Schleswig-Holstein am 22. Juli 2016 mit breiter Mehrheit – nur die CDU war dagegen – das „Gesetz für die Bibliotheken in Schleswig-Holstein“ (BiblG) verabschiedet hat, ist eine über viele Jahre recht intensiv geführte Diskussion zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Bedingt durch die Nähe zu Dänemark, wo es seit vielen Jahrzehnten ein Bibliotheksgesetz gibt, und verstärkt auch noch durch die politische Präsenz der dänischen Minderheit in Gestalt der Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) im Landtag, die immer wieder die Erfahrungen der dänischen Kulturpolitik auch im Bibliotheksbereich in die parlamentarische Diskussion eingebracht haben,[1] war der Erlass eines Landesbibliotheksgesetzes ein kulturpolitisches Dauerthema.

So wundert es nicht, dass als Reaktion auf den Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages die damalige, von der CDU geführte schwarz-rote Landesregierung auf eine Große Anfrage des SPD-Abgeordneten Hans Müller zur Landeskulturpolitik den Erlass eines Bibliotheksgesetzes mit deutlichen Worten in Aussicht gestellt hat: „Die Landesregierung befürwortet eine gesetzliche Regelung in Schleswig-Holstein, die unter klar definierter finanzieller Beteiligung des Landes die Aufgaben und die Finanzierung der Öffentlichen Büchereien als Pflichtaufgabe regelt und wird dazu die Diskussionen beginnen.“[2] Passiert ist nach dieser vielversprechenden Ankündigung freilich nichts.

In der folgen Legislaturperiode hat dann der SSW im Juni 2010 einen Entwurf eines „Gesetz für die Bibliotheken in Schleswig-Holstein (BiblG) und zur Änderung des Landespressegesetzes“ in den Landtag eingebracht.[3] Das Gesetz wurde intensiv in einer schriftlichen sowie einer mündlichen Anhörung beraten. Auch wenn der Landtag dieses vom oppositionellen SSW eingebrachte Gesetz am 26. April 2012 kurz vor der Landtagswahl erwartungsgemäß in zweiter Lesung abgelehnt hat, so waren die Redebeiträge aller Fraktionen doch bemerkenswert wohlwollend. Die CDU äußerte die Hoffnung, „dass es dem neuen Landtag gelingen möge, Regelungen für die zu erwartenden Probleme unserer Bibliotheken zu finden.“. Die SPD betonte, dass „uns niemand daran [hindert], ihn [den Gesetzentwurf, Anm. Steinhauer] sehr bald nach der Wahl wieder einzubringen und zu beraten.“ Selbst die in Fragen der Kulturgesetzgebung traditionell zurückhaltende FDP „steht … einer entsprechenden gesetzlichen Neuregelung positiv gegenüber.“ Und die Grünen betonten, „dass wir ein Bibliotheksgesetz wollen und brauchen, um das Bibliothekswesen in unserem Land zu stützen.“ Dass der SSW für das von ihm eingebrachte Gesetz war, versteht sich von selbst.

Nach der Landtagswahl kam es zu der überraschenden und ungewöhnlichen Situation, dass eine Regierungsbildung in Schleswig-Holstein nur unter Beteiligung des SSW möglich war. Dabei wurde nicht nur das Thema Bibliotheksgesetz im Koalitionsvertrag als eindeutiger Arbeitsauftrag für die neue Regierung verankert,[4] sondern mit Anke Spoorendonk auch eine SSW-Politikerin zugleich Kultur- und Justizministerin, eine Konstellation, die für das Vorhaben eines Bibliotheksgesetzes überaus günstig war. Trotz der vielversprechenden Ankündigungen zu Beginn der Legislaturperiode wurde freilich erst im Sommer 2015 öffentlich vernehmbar am Bibliotheksgesetz gearbeitet. Dabei hat die Landesregierung im Vorfeld des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens in ungewöhnlich breiter Weise versucht, die Interessen und Erwartungen der betroffenen Kreise zu berücksichtigen. Zunächst fanden vier als Regionalkonferenzen bezeichnete Veranstaltungen mit Ministerin Spoorendonk statt, auf denen Eckpunkte des geplanten Gesetzes vorgestellt wurden. Im Spätherbst 2015 wurde dann ein erster Kabinettsentwurf vorgestellt und eine Kabinettsanhörung durchgeführt. Als Ergebnis dieser Anhörung wurde dann im Februar 2016 ein an mehreren Stellen noch deutlich überarbeiteter Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht.

Nach dem Durchlaufen des üblichen parlamentarischen Verfahrens mit schriftlicher und mündlicher Anhörung wurde das Gesetz dann in einer als Reaktion auf Hinweise in den Anhörungen leicht veränderten Fassung im Sommer 2016 vom Landtag verabschiedet.[5] Leider hat in der zweiten Lesung im Plenum keine Aussprache mehr zu dem Gesetz stattgefunden, so dass im Gegensatz zur intensiven Diskussion außerhalb des Parlaments im Vorfeld der Gesetzgebung im parlamentarischen Verfahren selbst nur noch wenig debattiert wurde. Schwerpunkt der dortigen Diskussion war vor allem in der Anhörung im Ausschuss die Finanzierung der Öffentlichen Bibliotheken. Die kulturpolitische bedeutsame Ausweitung des schleswig-holsteinischen Pflichtexemplarrechts auf Netzpublikationen und die im Detail sowohl interessanten als auch mutigen Regelungen zu diesem Thema, blieben praktisch unerörtert. Das „Gesetz für die Bibliotheken in Schleswig-Holstein und zur Änderung des Landespressegesetzes“ wurde am 30. August 2016 ausgefertigt und am 29. September im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet.[6] Es ist am Folgetag in Kraft getreten.

2 Die Regelungen im Überblick

Das verabschiedete Gesetz ist ein Artikel-Gesetz, das neben dem Bibliotheksgesetz selbst als dessen ersten Artikel, in einem zweiten Artikel Änderungen im Landespressegesetz enthält. Der dritte Artikel bestimmt das Inkrafttreten. Das Bibliotheksgesetz selbst besteht aus einer Präambel und drei Abschnitten mit insgesamt zwölf Paragraphen.

2.1 Präambel

Die Präambel gewährleistet die allgemeine Zugänglichkeit von Bibliotheken und hebt sie in ihrer Bedeutung für das Grundrecht der Informationsfreiheit hervor. Bemerkenswert ist die Formulierung, dass Bibliotheken zum „Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge“ gehören. Mit Bildung, Kultur, Wissenschaft und lebenslangem Lernen werden die wesentlichen Aufgabenbereiche und Handlungsfelder von Bibliotheken beschrieben. Sie werden als bedeutender Teil der kulturellen Infrastruktur bezeichnet sowie zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen des Landes gerechnet. Schon in der Präambel werden Bibliotheken zur Zusammenarbeit verpflichtet.

2.2 Der erste Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Der erste Abschnitt enthält in zwei Paragraphen grundlegende Begriffsbestimmungen sowie Aussagen zu den Aufgaben von Bibliotheken. Als zentrale Aufgabe nennt § 1 Abs. 1 BiblG die Sicherung der bestehenden Bibliotheksstruktur in Schleswig-Holstein sowie deren Weiterentwicklung. § 1 Abs. 2 BiblG definiert Bibliotheken als Sammlungen von Büchern und andern Medien in Trägerschaft der öffentlichen Hand. Wohl in Abgrenzung zu Medienzentren und dergleichen wird hier dem Buch die Funktion eines Leitmediums zugebilligt, wobei offenbleiben kann, ob physische oder auch digitale Bücher gemeint sind. Für die im dritten Abschnitt des Gesetzes geregelte Pflichtablieferung enthält § 1 Abs. 3 BiblG in Anlehnung an den Sprachgebrauch des Gesetzes über die Deutschen Nationalbibliothek eine Begriffsbestimmung von körperlichen und unkörperlichen Medienwerken.

In § 2 BiblG werden die Aufgaben von Bibliotheken beschrieben. Der erste Absatz charakterisiert sie als Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sowie Gedächtnisinstitutionen. Der Vermittlung von Medien-, Informations- und Lesekompetenz widmet sich § 2 Abs. 2 BiblG. Nach § 2 Abs. 3 BiblG haben die Kommunen in Schleswig-Holstein eine gemeinsame Verantwortung für die bibliothekarische Grundversorgung im Land, ohne dass dies freilich in eine konkret einzufordernde Leistung mündet. § 2 Abs. 4 BiblG nennt Themenfelder bibliothekarischer Zusammenarbeit wie etwa die Aus- und Fortbildung sowie die Fernleihe. In § 2 Abs. 5 BiblG werden Handlungsfelder für soziale Bibliotheksarbeit beschrieben mit dem Ziel, gesellschaftliche Benachteiligungen auszugleichen. § 2 Abs. 6 BiblG schließlich nennt Kriterien, die Bibliotheken bei der Erfüllung ihrer Aufgaben beachten müssen. Hier werden keine konkreten Vorgaben gemacht, wohl aber Qualitätsaspekte genannt, die künftig bei Evaluationen oder der Zuteilung von Fördermitteln eine Rolle spielen sowie Schwerpunkte bei der Weiterentwicklung von Bibliotheken darstellen können.

2.3 Zweiter Abschnitt: Bibliotheken in Schleswig-Holstein

Im zweiten Abschnitt, der von den Bibliotheken in Schleswig-Holstein handelt, werden in §§ 3 bis 6 BiblG unterschiedliche Bibliotheken und Bibliothekstypen mit ihren spezifischen Aufgaben charakterisiert. In § 7 BiblG finden sich Aussagen zur Finanzierung und in § 8 BiblG Bestimmungen zum Datenschutz sowie zur Ablieferung von Belegexemplaren bei der Benutzung von Sonderbeständen.

§ 3 BiblG behandelt als Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft die Öffentlichen Bibliotheken. Ihnen steht das Recht auf unabhängige Medienauswahl zu. Besonders betont wird ihre Rolle bei der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz bei Kindern und Jugendlichen. Bibliotheken privater Träger können mit Zustimmung der jeweiligen Kommune die Funktion einer Öffentlichen Bibliothek übernehmen. Das wird insbesondere für Bibliotheken in kirchlicher Trägerschaft zutreffen. Nach § 3 Abs. 2 BiblG sollten Öffentliche Bibliotheken hauptamtlich von Fachkräften geleitet werden. In § 3 Abs. 3 BiblG ist die wohnortnahe Versorgung mit bibliothekarischen Dienstleistungen als gesetzliches Ziel genannt. Hier können sich die Kommunen auch kooperativer Versorgungsmodelle bedienen sowie Fahrbüchereien unterhalten.

Den Wissenschaftlichen Bibliotheken ist § 4 BiblG gewidmet. In § 4 Abs. 2 BiblG wird die Rolle dieser Bibliotheken bei der Förderung von Open Access besonders hervorgehoben. In § 4 Abs. 3 bis 6 BiblG werden die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften in Kiel, die wissenschaftliche Stadtbibliothek in Lübeck und die Eutiner Landesbibliothek mit ihren Aufgaben als wichtige wissenschaftliche Bibliotheken in Schleswig-Holstein besonders hervorgehoben. An dieser Stelle sowie dort, wo das Gesetz die Bibliotheken der sprachlichen Minderheiten in Schleswig-Holstein ausdrücklich erwähnt, kommt der Anspruch des Gesetzes gut zum Ausdruck, das schleswig-holsteinische Bibliothekswesen in seiner vollen Breite abzubilden.

In § 5 BiblG werden die Schul- und die Behördenbibliotheken geregelt. Bei den Schulbibliotheken wird deren Bedeutung bei der Lese- und Lernförderung herausgestrichen. In § 5 Abs. 2 BiblG wird die in der Präambel eröffnete allgemeine Zugänglichkeit der Bibliotheken der öffentlichen Hand für Behördenbibliotheken insoweit eingeschränkt, als dass sich der Benutzungsanspruch allein auf unikalen Bestand bezieht. Allerdings bleiben die einzelnen Dienststellen frei, ihre Bibliotheken generell dem Publikum zu öffnen.

Die Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek in Kiel wird in § 6 Abs. 1 BiblG als Landesoberbehörde errichtet. Mit dieser organisationsrechtlichen Bestimmung sind im Wesentlichen nur kulturpolitische Folgen im Sinne einer Aufwertung der Einrichtung verbunden. Die Aufgaben der Landesbibliothek, die teilweise auch eine museale Funktion hat, werden in § 6 Abs. 2 BiblG beschrieben.

Die Finanzierung der Bibliotheken ist in § 7 BiblG normiert. Nach § 7 Abs. 1 BiblG sind grundsätzlich die Träger für die Finanzierung zuständig. In § 7 Abs. 2 BiblG wird die schleswig-holsteinische Besonderheit, dass in §§ 17, 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 Finanzausgleichsgesetz (FAG) explizit Mittel für die Bibliotheksförderung vorgesehen sind, bestätigt. In der Zusammenschau mit dem FAG ist das Bibliotheksgesetz Schleswig-Holstein damit das erste seiner Art, das auf der gesetzlichen Ebene eine Mindestsumme für die Arbeit der Bibliotheken garantiert. In § 7 Abs. 3 BiblG geht es um Bibliotheksgebühren. Sie sind sozial ausgewogen zulässig, allerdings werden Eintrittsgelder verboten.

§ 8 BiblG enthält in Abs. 1 eine datenschutzrechtliche Klarstellung, dass Bibliotheken bei der Verzeichnung ihres Bestandes personenbezogene Daten verarbeiten dürfen. Bedeutender ist die in § 8 Abs. 1 S. 2 BiblG normierte Erstreckung der Vorschriften des Landesarchivgesetzes auf in Bibliotheken gesammelte Nachlässe und sonstige unveröffentlichte Materialien. Bibliotheken erhalten damit Rechtssicherheit im Umgang mit diesem Bestand.

2.4 Dritter Abschnitt: Pflichtexemplare

Der dritte Abschnitt des Bibliotheksgesetzes regelt in den §§ 9 bis 12 BiblG das früher im Pressegesetz enthaltene Pflichtexemplarrecht. Die dabei notwendige Folgeänderung im Landespressegesetz wird in Art. 2 des Gesetzes nachvollzogen. Die Integration des Pflichtexemplarrechts in das Bibliotheksgesetz wertet dieses Gesetz auf, da es hier, im Gegensatz zu manchen Bestimmungen im Bibliotheksgesetz, nicht bloß um kulturpolitische Planungsaussagen geht, sondern um aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf Eigentum notwendige gesetzliche Bestimmungen.[7] Strukturell wird das Bibliotheksgesetz damit dem Landesarchivgesetz gleichgestellt, das neben organisatorischen Bestimmungen ein ebenfalls zwingend durch ein Parlamentsgesetz zu regelndes bereichsspezifisches Datenschutzrecht enthält. Überdies ist es sachgerecht, die Pflichtablieferung im Zusammenhang mit den Landesbibliotheksaufgaben und den für die Sammlung der Pflichtstücke zuständigen Bibliotheken zu regeln. Schließlich ist das Pressegesetz als Regelungsrahmen für das Pflichtexemplarrecht nicht mehr sachgerecht, da hier noch der heute überwundene Zusammenhang von Pflichtablieferung und Zensurwesen nachwirkt.[8] Ein weiterer Grund für eine Ausscheidung des Pflichtexemplarrechts aus dem Presserecht ist zudem die Ausweitung des Sammelauftrages der Pflichtbibliotheken auf unkörperliche Medienwerke, also Netzpublikationen. Internetinhalte passen nicht in einen presserechtlich geprägten Regelungszusammenhang.

§ 9 BiblG normiert eine Anbietungspflicht für körperliche und unkörperliche Medienwerke, die auf Verlangen an die zuständigen Pflichtbibliotheken abzuliefern sind. In Schleswig-Holstein sammelt die Universitätsbibliothek Kiel, die in der Gesetzesbegründung sogar als „Staatsbibliothek“ des Landes Schleswig-Holstein bezeichnet wird, am umfassendsten. Landeskundliche und historische Literatur sind darüber hinaus an die Landesbibliothek Schleswig-Holstein sowie die bei entsprechendem Ortsbezug an die Bibliothek der Hansestadt Lübeck abzuliefern.

In Härtefällen kann für die Ablieferung körperlicher Medienwerke eine Entschädigung nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 BiblG beantragt werden. Diese Härtefallregelung ist eine direkte Folge der Pflichtexemplarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981,[9] die jetzt nach 35 Jahren (!) mit dem Erlass des Bibliotheksgesetzes endlich auch in Schleswig-Holstein umgesetzt wird.

§ 11 BiblG enthält eine Verordnungsermächtigung, um die Details der Pflichtablieferung sowie die Entschädigungszahlung zu regeln. In § 12 BiblG finden sich Bestimmungen über Ordnungswidrigkeiten im Falle der Nichtablieferung.

Besondere Beachtung verdienen § 9 Abs. 6 und 7 sowie § 10 Abs. 5 S. 2 BiblG, die im Zusammenhang mit der Pflichtablieferung unkörperlicher Medienwerke Bestimmungen urheberrechtlicher Art enthalten. Im Gegensatz vor allem zu gedruckten Büchern, bei denen die Bibliotheken Sacheigentum „am Papier“ erwerben und auf dieser Grundlage ihre Dienstleistungen anbieten können, erhalten sie bei Netzpublikationen nur Vervielfältigungen auf ihren Servern. Jede Nutzung dieser Inhalte ist aus technischen Gründen mit weiteren Vervielfältigungen verbunden. Gleiches gilt für Maßnahmen der Langzeitarchivierung. Als funktionales Äquivalent zum Sacheigentum bei den gedruckten Büchern benötigt die Pflichtbibliothek daher urheberrechtliche Nutzungsrechte. Wie weitreichend diese Rechte sind, die mit der Ablieferung schlüssig eingeräumt werden, bestimmt § 9 Abs. 6 und 7 BiblG. Darüber hinaus enthält § 10 Abs. 3 S. 2 BiblG die Befugnis, nicht abgelieferte Netzpublikationen selbständig einzusammeln.

Man könnte diese Bestimmung als eine urheberrechtliche Schrankenbestimmung verstehen, für die der Landesgesetzgeber nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG gar nicht zuständig ist. Allerdings würde ein grundsätzlicher Vorrang des Urheberrechtsgesetzgebers in kulturrechtlichen Sachverhalten dazu führen, dass die Kulturhoheit der Länder im Internet, wo es stets auch um Vervielfältigungen geschützter Werke geht, zum Erliegen kommt. Richtigerweise wird man daher für enge Randbereiche urheberrechtsbezogene Regelungen wie die in Schleswig-Holstein erlauben müssen. Es ist zudem kein Grund ersichtlich, warum im Bereich des so genannten „geistigen Eigentums“, das in gleicher Weise wie das Sacheigentum durch Art. 14 GG geschützt wird, andere Maßstäbe als beim Sacheigentum gelten sollten. Nach der Pflichtexemplarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das Sacheigentum des Verlegers bereits bei der Produktion seiner Bücher mit der Pflichtabgabe belastet. Insoweit stellt die Pflichtexemplargesetzgebung eine Ausgestaltung des Eigentumsrechts dar. Für das geistige Eigentum kann nichts anderes gelten. Damit aber nimmt der für die Materie der Pflichtablieferung zuständige Gesetzgeber durch die Normierung des Rechts auf Sammlung und Nutzung von Netzpublikationen letztlich ebenfalls nur eine Eigentumgsausgestaltung im Schutzbereich von Art. 14 GG vor. Kompetenzrechtliche Probleme ergeben sich hier im Ergebnis nicht.

3 Ausblick und Perspektiven

Mit dem Bibliotheksgesetz wurden in Schleswig-Holstein große Erwartungen verbunden. Vor allem die Kolleginnen und Kollegen aus den Öffentlichen Bibliotheken hatten sich die Einführung einer Pflichtaufgabe erhofft, zumal in der politischen Diskussion eine solche Pflichtaufgabe durchaus ernsthaft ins Auge gefasst wurde. Auf dem Weg zum Kabinettsentwurf aber wurde klar, dass man sich wegen des Konnexitätsprinzips in Art. 57 Abs. 2 S. 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, wonach das Land für sämtliche Kosten der Öffentlichen Bibliotheken hätte aufkommen müssen, den finanzpolitischen Realitäten beugen musste.

Gleichwohl ist das verabschiedete Bibliotheksgesetz keine Ansammlung bloßer Absichtserklärungen. Indem es etwa alle Bibliotheken des Landes zur Kooperation verpflichtet, wird erstmal ein verbindliches Netz bibliothekarischer Versorgung aufgespannt, das Schließungen einzelner Bibliotheken von der Konzeption her jedenfalls wird abfangen können. Insofern stimmt die Aussage in § 1 Abs. 1 BiblG, dass das Gesetz der Sicherung des Bibliothekswesens in Schleswig-Holstein dient.

Darüber hinaus bündelt das Gesetz tatsächlich das bibliotheksrelevante Recht in Schleswig-Holstein und enthält einige, notwendigerweise vom parlamentarischen Gesetzgeber zu erlassene sinnvolle Bestimmungen für die praktische Bibliotheksarbeit. Richtig ist auch die Integration des Pflichtexemplarrechts. Spätestens jetzt kann niemand sagen, dieses Gesetz sei ein bloßes Schaufenstergesetz.

Was die finanziellen Auswirkungen angeht, so muss man die besondere Situation in Schleswig-Holstein in Rechnung stellen, dass im Finanzausgleichsgesetz bereits Bibliotheksmittel in beachtlicher Höhe gesetzlich garantiert sind. Darüber hinaus wurden beim Erlass des Gesetzes zusätzliche Haushaltsmittel für die Landesbibliotheksarbeit bereitgestellt. So gesehen ist das jetzt in Kiel verabschiedete Bibliotheksgesetz auch mit Blick auf die finanzielle Seite immerhin ein kleiner Erfolg.

Wie soll man das jetzt verabschiedete fünfte Bibliotheksgesetz insgesamt einordnen? Betrachtet man die Entwicklung seit dem Thüringer Bibliotheksgesetz von 2008, so könnte man drei Phasen der Bibliotheksgesetzgebung ausmachen. Das Thüringer Gesetz, aber auch das in Sachsen-Anhalt und in Hessen waren vor allem planerisch angelegte Gesetze mit relativ geringer normativer Substanz, sieht man von den gleichwohl vorhandenen und für sich genommen auch nicht unwichtigen bibliotheksrechtlichen Detailregelungen einmal ab. Die wesentlichen Aussagen dieser Gesetze waren die Allgemeinzugänglichkeit der Bibliotheken und ihre Rolle als Bildungseinrichtung in der sich formierenden Wissens- und Informationsgesellschaft.

Mit der Novelle zum Hessischen Bibliotheksgesetz wurde das Pflichtexemplarrecht aus dem Pressegesetz in das Bibliotheksgesetz integriert. Diesem Beispiel folgte Rheinland-Pfalz mit seinem Landesbibliotheksgesetz. Auch Schleswig-Holstein hat es so gemacht. Mit der Integration des Pflichtexemplarrechts beginnt die zweite Phase der Bibliotheksgesetzgebung. Sie bedeutet eine Vertiefung des bibliotheksrechtlichen Ansatzes, trägt dem sachlichen Zusammenhang von im Bibliotheksgesetz ohnehin geregelten Landesbibliotheksaufgaben und Pflichtablieferung Rechnung und gestaltet das Bibliotheksgesetz strukturell vergleichbar den jeweiligen Landesarchivgesetzen, bei denen der bereichsspezifische Datenschutz die Rolle des Pflichtexemplarrechts als jeweils zwingend parlamentsgesetzlich zu regelnder Materie übernimmt. Ein Bibliotheksgesetz, das auch das Pflichtexemplarrecht beinhaltet, ist als notwendiges Parlamentsgesetz über jeden Zweifel an seiner gesetzgeberischen Sinnhaftigkeit, die ja in der ersten Phase nicht selten zu hören waren, erhaben.

Eine dritte Phase von Bibliotheksgesetzen würde jetzt auch die finanzielle Seite verbindlicher betrachten und konkrete Fördersummen oder vielleicht sogar eine Form der Pflichtaufgaben festschreiben. Solche Gesetze gibt es noch nicht. Allerdings hat man in Schleswig-Holstein schon einen kleinen Schritt auf die dritte Phase hin gemacht, da das dort verabschiedete Bibliotheksgesetz jetzt erstmals auch ein wenig finanziell unterlegt ist und im Finanzausgleichsgesetz auch finanziell begleitet wird. Man darf daher mit einem gewissen Recht sagen, dass mit dem fünften Bibliotheksgesetz eine neue Dimension der Bibliotheksgesetzgebung eröffnet wurde, die beispielhaft auch für andere Bundesländer sein sollte. Man darf gespannt sein, ob die übrigen elf Bundesländer dem schleswig-holsteinischen Ansatz in den nächsten Jahren folgen und ihn vielleicht sogar weiterentwickeln werden.

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Eric W. Steinhauer

Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer

Dezernent für Medienbearbeitung, Fachreferent für Recht und Allgemeines, sowie Literaturwissenschaft (komm.), Universitätsbibliothek Hagen, Universitätsstr. 21, 58097 Hagen

Published Online: 2016-12-01
Published in Print: 2017-01-01

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