Home Musik – Wissenschaft – Makerspace
Article Open Access

Musik – Wissenschaft – Makerspace

Schlaglichter der musikbibliothekarischen Jahrestagung vom 5. bis 9. September 2016 in Detmold
Published/Copyright: December 1, 2016
Become an author with De Gruyter Brill

Es ist ein bisschen wie ein großes Klassentreffen, die jährliche Tagung der Association Internationale des Bibliothèques, Archives et Centres de Documentation Musicaux (AIBM), Gruppe Bundesrepublik Deutschland.[1] Im September reist man für ein paar Tage an einen Ort mit musikbibliothekarischem/musikarchivarischem „Mehrwert“ und trifft Experten eines Fachgebietes, das immer wieder um seine Bedeutung und Anerkennung kämpfen muss.

Detmold macht gleich mal vor, wie dieser Weg zwischen Auflösung und Aufbruch gehen kann. Im 2015 neu errichteten FORUM Wissenschaft | Bibliothek | Musik sind die Bibliothek der Hochschule für Musik Detmold, die Theologische Bibliothek und Mediothek der Lippischen Landesbibliothek, die Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn, das Netzwerk Musikhochschulen und das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe vereint. Architektonisch ein Highlight in der (Musik-)bibliothekslandschaft, im Inneren mit vielen Veränderungen versehen, die erst im Laufe der Woche klar werden. Das neue FORUM bedeutete, sich von liebgewonnen Gewohnheiten zu lösen, seine Organisationsstrukturen zu vergleichen, anzupassen, Prozesse neu zu denken, zu gestalten und einzuüben, Lokalsysteme zu ändern, gemeinsame IT-Services aufzubauen, RFID einzusetzen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden regelmäßig Workshops mit professioneller Unterstützung durchgeführt für die Bau- und Organisationsplanung. Auflösung und Aufbruch – das Ergebnis hat beeindruckt.

Die Detmolder/Paderborner Musikwissenschaftler beschäftigen sich in verschiedenen Projekten mit der „Anwendung digitaler Methoden in der Musikwissenschaft“. Erforscht werden die Veränderungen und neuen Möglichkeiten beim Übergang von analogen zu digitalen Musik- und Medieneditionen. Es geht beispielsweise um die Möglichkeiten des Einsatzes des Musikcodierungsstandards MEI, der z. B. in der Werkausgabe des Komponisten Max Reger[2] schon genutzt wird.

Im Verbundprojekt „Zentrum Musik – Edition – Medien“ (ZenMEM)[3] ,[4] ,[5] werden sowohl „Erfahrungen und Kompetenzen als auch Konzepte und Methoden aus der Musikwissenschaft, verschiedenen Bereichen der Informatik (Kontextuelle Informatik, Mensch-Computer-Interaktion, Musik- und Filminformatik sowie Softwaretechnik) und den Medienwissenschaften (Medienpädagogik und Medienökonomie)“ gebündelt. Wird so zukünftig der Medienbestand einer Musikbibliothek aussehen? Welchen Stellenwert hat die Originalquelle, wenn alles digital verfügbar ist? Dr. Andreas Münzmay bekräftigte in seinem Vortrag über das „digitale Dickicht“ und die hybride Musikbibliothek, dass das kulturelle Objekt immer als Denkgrundlage dienen muss. Der neue Erschließungsstandard RDA kann hier sinnvolle Hilfestellung geben, indem beispielsweise die Beziehungen zwischen der Originalquelle und einer Reproduktion/einem Digitalisat hergestellt werden. Für den Nutzer muss immer klar sein, wie seine Quelle beschaffen ist – mobil digital lesbar oder als Handschrift im Lesesaal unter Aufsicht einsehbar.

Wer aber soll beispielsweise diese Erschließungsarbeit zukünftig durchführen? Ausbildungsmöglichkeiten sind in Deutschland rar für Studierende, die ihren beruflichen Schwerpunkt im musikbibliothekarischen Bereich sehen. Das musikbibliothekarische Zusatzstudium, das die damalige Fachhochschule Stuttgart anbot, existiert nicht mehr. Stattdessen gibt es in Stuttgart an der Hochschule der Medien nun im Kontaktstudium Bibliotheks- und Informationsmanagement zwei Module zum Musikinformationsmanagement. Die Hochschule Hannover bietet im Bachelorstudiengang Informationsmanagement eine Veranstaltung zu Formalerschließung von Musikalien an, scheint aber die Erschließung anderer Musikmedien zumindest im Titel der Veranstaltung zu ignorieren. An der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig wird im Bachelorstudiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft im Wahlpflichtmodul Musikbibliotheken der RAK-Musik in der Modulbeschreibung noch viel Raum eingeräumt. Vielleicht liegt es auch daran, dass es bisher nur wenige Fachkolleginnen oder -kollegen gibt, die RDA für Musik so sicher aus der Praxis anwenden können, dass sie sich auch als Lehrkräfte engagieren wollen.

Und wie geht das bestehende Personal in den Musikbibliotheken mit dem neuen Standard um? Für die Öffentlichen Musikbibliotheken ist die Situation ungleich schwieriger, denn ihnen fehlt meistens die Vernetzung in einem Bibliotheksverbund, der sich um die notwendigen Schulungen für die Anwenderbibliotheken kümmert. Aus diesem Grunde fand in Detmold erstmals eine zweitägige RDA-Schulung des Moduls 6M Musik statt, die hauptsächlich von Kolleginnen und Kollegen aus Öffentlichen Musikbibliotheken wahrgenommen wurde. Und wer sich schon einmal mit der Erschließung von Musiktonträgern beschäftigt hat, kann erahnen, mit welcher Mammutaufgabe hier Musikbibliotheken zu tun haben. Das liegt auch daran, dass die Qualität der Fremddaten – wenn sie denn vorliegen – nicht dem bisher gewohnten Standard entspricht, den die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) zu RAK-Zeiten geliefert hatte. Wesentliche Informationen fehlen jetzt (insbesondere enthaltene Werke). Wer nicht weiß, welche Musikstücke auf einer CD mit dem unspezifischen Titel „Klavierkonzerte“ vorhanden sind, wird diese CD auch nicht ausleihen oder in der Bibliothek nutzen. Eine von der AIBM neu gegründete Projektgruppe „RDA Katalogisierungslevel“ hat deshalb Gespräche mit der Deutschen Nationalbibliothek aufgenommen, um für das Thema zu sensibilisieren und ein nutzerorientiertes Katalogisierungslevel im Rahmen des Standardelemente-Sets für Musikressourcen zu erreichen.

Wie gestaltet sich überhaupt zukünftig die Dienstleistung einer Musikbibliothek? Wird die Erwerbung noch von Kolleginnen im eigenen Hause durchgeführt oder hat man einen detaillierten Approval Plan mit Händlern verabredet, die die Auswahl der Medien übernehmen? Welche Möglichkeiten gibt es jenseits der Standing order der ekz, die in vielen öffentlichen Bibliotheken eingesetzt wird? Können auch Musikalien auf diesem Weg beschafft werden? Mehrere Bibliotheken und Händler stellten auf der Tagung ihre bisherigen Erfahrungen mit Approval Plans vor. Für den Buchbereich existieren Angebote, die sehr umfangreich sein können und die Dublettenkontrolle sowie die Lieferung von Metadaten für den Bibliothekskatalog einschließen. Und wer die technische Einarbeitung auch extern erledigen lassen möchte, kann das Buch shelf-ready geliefert bekommen. Die medientypologische Vielfalt einer Musikbibliothek oder Musikabteilung und die besondere Lieferantensituation für einzelne Medientypen verlangen bei der Ausarbeitung von Approval Plans allerdings sehr differenzierte Entscheidungen und eine individuelle Schärfung des Erwerbungsprofils. Bis ein Approval Plan präzise funktioniert, rechnet man mit etwa 6 Monaten Einsatzzeit. Bisher gibt es bis auf wenige Ausnahmen so gut wie keine Erfahrungen mit Approval Plans für Musikalien und AV-Medien (außerhalb der ekz).

Wie das Angebot einer Musikbibliothek heute aussehen könnte, stellte die Stadtbibliothek Köln[6] vor: Dort wurden die Angebote der Musikbibliothek durch einen „Makerspace” erweitert. Man kann in der Bibliothek z. B. verschiedene Instrumente in Workshops kennenlernen, Schallplatten digitalisieren, Gehörbildungssoftware ausprobieren, iPads mit Musik-Apps nutzen oder gleich sein eigenes Musikstück komponieren, ausdrucken und vielleicht sogar im Veranstaltungsraum der Bibliothek uraufführen. Auch in den Bücherhallen Hamburg wandelt sich das Angebot der Dienstleistungen in der Musikbibliothek hin zum „Machen“. Dies schlägt sich auch bei der Zusammensetzung des Bibliothekspersonals nieder – es werden Musik- oder Medienpädagogen gesucht sowie Fachleute mit umfangreichen IT-Kenntnissen.

Auch wenn man manchmal den Eindruck bekommen könnte, dass es mehr um Auflösung (bestehender bibliothekarischer Traditionen) geht: Ziel allen Bemühens ist die Bewahrung, Erschließung und Vermittlung von Originalquellen: die Komposition des „Freischütz“, manifestiert in einer Handschrift, die Tonaufnahme von „Let it be“ oder eines Volksliedes der Samen, der filmische Konzertmitschnitt einer Uraufführung eines Werkes von Karlheinz Stockhausen oder vielleicht sogar eines selbst komponierten Musikstücks. Wie dieser Weg zukünftig weiter gegangen wird, sehen wir auf den nächsten „Klassentreffen“.

Autorin:

Kirstin Blös

Hochschule für Musik und Theater Rostock

Beim St.-Katharinenstift 8

18055 Rostock

Published Online: 2016-12-01
Published in Print: 2017-01-01

© 2017 by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 7.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2017-0003/html
Scroll to top button