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Home sweet home? Arbeits(t)raum Homeoffice

Eine qualitative Untersuchung zum Erleben des mobilen Arbeitens unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit
  • Stefanie Lübcke und Heike Ohlbrecht
Veröffentlicht/Copyright: 14. Juni 2023
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Arbeit
Aus der Zeitschrift Arbeit Band 32 Heft 2

Zusammenfassung

Spätestens seit Beginn der COVID-19-Pandemie wurde öffentlich vielfach diskutiert, welche Auswirkungen die Arbeit im Homeoffice auf die Beschäftigten hat und ob die Zunahme des mobilen Arbeitens neue Chancen für die Geschlechtergerechtigkeit birgt. An diesen Diskurs knüpft die Untersuchung an und widmet sich der Frage, wie das Homeoffice von den Beschäftigten erlebt wird. Auf der Grundlage der Auswertung von 28 qualitativen Interviews mit der Grounded Theory werden die Chancen und Risiken des Homeoffice betrachtet. Die zentralen Ergebnisse der Untersuchung sind, dass dieselben Elemente des Homeoffice sowohl als Belastung als auch als Entlastung wahrgenommen werden, dass das Erleben des Homeoffice von arbeitsbezogenen und von personenbezogenen Bedingungen beeinflusst wird und dass sich die Geschlechterungleichheit in traditionellen Paarbeziehungen mit Kind im Homeoffice verstärken kann.

Abstract

At least since the beginning of the COVID-19 pandemic, there has been much public discussion about the effects of home-based work on employees and whether the increase in home-based work brings new opportunities for gender equity. The present paper ties up to this discourse and asks how working from home is experienced from a gender comparison perspective. The chances and risks of working from home were carved out on the basis of 28 qualitative interviews, which were analyzed by means of Grounded Theory. The key findings of the study are that the same elements of home-based work are perceived as both a burden and a relief, that the experience of home-based work is influenced by both work-related and person-related conditions and that gender inequality in traditional couple relationships with children can be reinforced in home-based work.

1 Einleitung

Die (Büro-)Arbeitswelt hat sich in den letzten zwei Jahren stark gewandelt. Die bis dahin vorherrschende Präsenzkultur wird in vielen Branchen und insbesondere in der Büroarbeitssphäre stark hinterfragt. Das Arbeiten im Homeoffice spielt in Deutschland spätestens seit Beginn der COVID-19-Pandemie eine immer größere Rolle (vgl. Destatis 2022).

Welche Chancen und Risiken die Arbeit von zu Hause für die Beschäftigten und beispielsweise für ihre sozialen Beziehungen oder ihre Arbeitszufriedenheit birgt, wird derzeit vielfach diskutiert. Insbesondere die Frage, ob und wie sich die zunehmende Verlagerung des Arbeitsorts nach Hause auf die Geschlechtergerechtigkeit [1] auswirkt, steht im Fokus der öffentlichen Debatte. Das Homeoffice wird sowohl als retraditionalisierender Mechanismus als auch als die Chance für mehr Gleichstellung thematisiert (vgl. taz 2020; Hans-Böckler-Stiftung 2021; Globisch/Osiander 2020). Die Studienlage zu der Frage, ob und wie die Arbeit im Homeoffice eine Chance für die Geschlechtergerechtigkeit darstellt und wie das Homeoffice von den Beschäftigten erlebt wird, zeigt sich uneindeutig (vgl. Zucco/Lott 2021; Globisch u.a. 2022; Hart u.a. 2022). Die Erhebungen zu diesem Thema folgen vorwiegend einer quantitativen Forschungslogik. Wir möchten mit der vorliegenden Untersuchung einen qualitativen Blick auf das Erleben des Homeoffice unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit werfen, um das subjektive Wohlbefinden sowie individuelle Handlungsweisen der befragten Beschäftigten zu rekonstruieren. [2]

Zu diesem Zweck wurden im Rahmen einer qualitativen, explorativen Studie 28 Interviewpartner*innen aus dem Materialpool einer Online-Befragung kontrastiv ausgewählt und mittels vertiefender qualitativer Leitfadeninterviews zum subjektiven Erleben des Homeoffice befragt.

2 Forschungsstand

2.1 Homeoffice: Risiken und Chancen des mobilen Arbeitens

Die Arbeit im Homeoffice [3] wurde in Deutschland lange Zeit als Eliten- oder akademisches Phänomen betrachtet, nicht zuletzt weil diese Form zu arbeiten – auch im europäischen Vergleich (vgl. Brenke 2016) – vor der COVID-19-Pandemie hier insgesamt wenig vertreten war. So lag die Anzahl der Arbeitnehmenden in Deutschland, die zumindest gelegentlich im Homeoffice tätig waren, vor der COVID-19-Pandemie gerade einmal bei knapp 10 Prozent, während das Arbeiten zu Hause beispielsweise in Schweden mit ungefähr einem Drittel aller Beschäftigten deutlich verbreiteter war (Flüter-Hoffmann/Stettes 2022). Dies änderte sich sprunghaft als Folge der COVID-19-Pandemie. Im Jahr 2021 arbeiteten in Deutschland 24,8 Prozent der Erwerbstätigen mindestens gelegentlich von zu Hause, was im Vergleich zu den vorherigen Jahren einen Rekordwert darstellt (vgl. Destatis 2022). Es besteht nach wie vor ein großer Unterschied nach Wirtschaftssektoren bei der Nutzung des Homeoffice: So arbeiteten im Jahr 2022 35,5 Prozent der Arbeitnehmenden im Dienstleistungsbereich im Homeoffice, im verarbeitenden Gewerbe nur 15,3 Prozent, im Einzelhandel 5,4 Prozent (Gesamtwirtschaft: 24,5 Prozent) (Statista 2022).

Homeoffice und mobiles Arbeiten gehen sowohl mit Chancen als auch mit Risiken für die Homeoffice-Nutzer*innen einher (Beermann u.a. 2019). Chancen können vor allem in der erhöhten zeitlichen und räumlichen Flexibilität liegen, die sich u.a. positiv auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirken kann. Der Wegfall der Fahrtstrecke wird besonders häufig als Vorteil des Homeoffice genannt (Arnold u.a. 2015). Durch die Einsparung der Pendelzeiten werden im Durchschnitt 4,4 Stunden pro Woche frei, die zusätzlich für private Verpflichtungen und Freizeitaktivitäten investiert werden können. Zudem kann im Homeoffice häufig produktiver als am normalen Arbeitsplatz gearbeitet werden (DAK-Gesundheit 2020). Ein weiterer positiver Effekt des Homeoffice kann in einem erhöhten Autonomieempfinden liegen, welches sich positiv auf die Arbeits- und Lebenszufriedenheit von Beschäftigten auswirkt (Niebuhr u.a. 2022). Risiken birgt das Homeoffice vor allem dann, wenn die Arbeit zu atypischen Arbeitszeiten oder gar zusätzlich zur Büroarbeit verrichtet wird. Fehlende soziale Kontakte am Arbeitsplatz durch die Tätigkeit im Homeoffice können sich ebenfalls negativ auf das Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit auswirken (Beermann u.a. 2019). Auch kann das Arbeiten im Homeoffice eine fehlende Betreuung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige nicht ersetzen (BMFSFJ 2017). Weitere negative Auswirkungen des Homeoffice werden in der Regel in den nicht ergonomisch ausgestatteten Arbeitsplätzen am heimischen Schreibtisch und den damit verbundenen körperlichen Belastungen gesehen (Brenke 2016). Darüber hinaus wird besonders die häufig fehlende Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben kritisiert. Dieses Verschwimmen der Grenzen von Arbeits- und Privatleben, ausgelöst durch verstärkte Erreichbarkeit sowie die Zunahme von Überstunden und Arbeitsintensivierung, wird als stärkster Stressor des Homeoffice thematisiert.

2.2 Homeoffice und Geschlechtergerechtigkeit

Im Laufe der Pandemie und der damit verbundenen Ausweitung der Arbeit im Homeoffice wurden die These einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen (z.B. Allmendinger 2020) und die Deutung der Pandemie als „Entzug der Verwirklichungschancen“ (Güney-Frahm 2021) vielfach öffentlich diskutiert. Doch auch schon vor Beginn der COVID-19-Pandemie wurde untersucht, inwiefern sich die Teleheimarbeit auf die Geschlechtergerechtigkeit auswirkt. So untersuchten Abendroth und Diewald (2019), inwiefern die Teleheimarbeit dazu beitrage, geschlechtsspezifische Einkommensungleichheiten abzubauen. Sie konstatierten das ambivalente Ergebnis, dass die Teleheimarbeit jene Ungleichheiten sowohl verringern als auch verstärken könne. Ausschlaggebend für diese Ambivalenz sei, wie die konkrete Umsetzung der Telearbeit in den jeweiligen Betrieben erfolge. Arntz, Yahmed und Berlingieri (2022) untersuchten anhand der Daten des SOEP von 1997 bis 2014, wie sich Homeoffice-Regelungen auf die Arbeitszeit, die Löhne und die Arbeitszufriedenheit in Deutschland auswirken. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass speziell für kinderlose Männer sowohl die wöchentliche Mehrarbeit als auch die Arbeitszufriedenheit durch die Etablierung von Homeoffice zunahmen. Bei Eltern waren die geschlechtsspezifischen Unterschiede in puncto Arbeitszeit und Monatsverdienst nach der Aufnahme von Homeoffice geringer ausgeprägt. Dennoch konnten die Autor*innen Stundenlohnerhöhungen im Homeoffice insbesondere für Väter feststellen, während diese für Mütter größtenteils ausblieben.

Mütter gelten als zentrale „Wohlfahrtsproduzentinnen“ (vgl. Dackweiler 2003, 54), da sie (unbezahlte) Sorge- und Gesundheitsarbeiten sowie in hohem Maße „community management work“ betreiben. Mit dem Theorem der „doppelte[n] Vergesellschaftung der Frauen“ beschreibt Becker-Schmidt (2008), dass Frauen doppelt in das Sozialgefüge eingebunden werden, indem sie zugleich für die unbezahlte Hausarbeit und die Arbeit verpflichtet werden. Jenes Phänomen bringt den Frauen „keine Vorteile ein. Im Gegenteil: Die Vergesellschaftung über zwei Arbeitsformen impliziert doppelte Diskriminierung“ (Becker-Schmidt 2008, 67). Studien zeigen (Ohlbrecht u.a. 2020; Huebener u.a. 2020), dass die sorgearbeitsbezogenen Belastungen der Frauen während der COVID-19-Pandemie zunahmen. Andere Studien kommen zu dem Schluss, dass sich die Geschlechterrollen kaum ändern (Globisch u.a. 2022). Hart und Kolleginnen (2022, 64) wiederum sehen die Retraditionalisierungsthese bestätigt. Als Gründe werden die höhere Unzufriedenheit mit der Arbeit im Homeoffice, das durchschnittliche Mehr an Sorgearbeit und das häufigere Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes angeführt. Anhand der Daten der repräsentativen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung (April und November 2020) kamen auch Kohlrausch und Zucco (2020) zu dem Schluss, dass Frauen in der Pandemie mehrfach unter Druck gerieten: Sie übernahmen einen größeren Anteil der Sorgearbeit, waren häufiger von Arbeitszeitreduktionen betroffen und erhielten seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds. Zucco und Lott (2021) konnten später anhand derselben Daten geschlechtsspezifische Veränderungen in puncto Gender-Pay-, -Time- und -Care-Gap feststellen. Allerdings könne Homeoffice auch eine egalitär-partnerschaftliche Arbeitsteilung befördern, z.B. wenn Väter wegen ihrer Tätigkeit im Homeoffice und kürzerer Arbeitszeiten mehr Care-Arbeit übernehmen.

Der Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs zeigt, dass es auf die Frage, ob und wenn ja, in welchem Maße das Homeoffice neue Chancen für die Geschlechtergerechtigkeit bringen kann, differenzierte empirische Antworten gibt. Nichtsdestotrotz liegt es nahe, dass durch die seit der Pandemie verbundene Zunahme des Homeoffice Veränderungen in der Arbeitswelt angestoßen werden, die weitreichend sind: So „bröckelt“ die klassische Präsenzkultur, die für den deutschen Arbeitsmarkt galt, in etlichen Bereichen. Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle sind nun keine Ausnahme mehr, sondern werden als legitimer Anspruch in vielen Bereichen, insbesondere bei Bürotätigkeiten, verstanden. Das stellt viele Unternehmen vor die Herausforderung, nicht nur neue Arbeitszeitmodelle und Arbeiten zu Hause zu ermöglichen, sondern auch die Bedürfnisse von Beschäftigten auszutarieren, die in der Regel nicht vom mobilen Arbeiten profitieren können, wie z.B. Belegschaften in der Produktion, Beschäftigte im Bereich personennahe Dienstleistungen usw. In diesem Zusammenhang stellen sich daher auch neue Gerechtigkeitsfragen in Unternehmen.

3 Studiendesign und Methode

Ausgehend von diesen empirischen und theoretischen Vorüberlegungen wurde eine vertiefende qualitative Folgestudie fußend auf den Daten einer Online-Befragung (Ohlbrecht u.a. 2020) mit Personen durchgeführt, die anhaltend im Homeoffice tätig sind. Aus einem Sample (N = 155 Beschäftigte im Homeoffice) wurden 28 Interviewpartner*innen kontrastiv nach Geschlecht, Alter und Elternschaft ausgewählt und mittels eines Leitfadeninterviews befragt. [4] Zwei Interviews wurden bereits im Jahr 2020 (Juli und September) als Pretest geführt und die Erhebung der weiteren 26 Interviews erfolgte im Jahr 2022 (Mai bis August). Die Auswertung der 28 Interviews erfolgte mit der Grounded Theory. Diese ist nach Strauss und Corbin (1994) sowohl als „a way of thinking about and conceptualizing data“ (ebd., 275) als auch als „allgemeine Leitlinie[n] und Faustregel[n] für eine effektive Datenanalyse“ (Strauss 2004, 429) zu verstehen. Im Sinne der Grounded Theory wurde das Material entlang des Kodierparadigmas, des ständigen Vergleichs sowie des Stellens von generativen Fragen ausgewertet (vgl. Strauss/Corbin 1994; Strauss 2004). Dementsprechend erfolgte eine offene, axiale und selektive Kodierung und in deren Folge eine Verdichtung des Materials, z.B. durch minimal und maximal kontrastierende Vergleiche. Von den 28 Interviewpartner*innen haben 15 Befragte Kinder. Die jüngste befragte Person ist 26 Jahre und die älteste 59 Jahre alt. 19 Interviewpartner*innen sind weiblich, acht männlich und eine befragte Person ist divers [5]. Die Befragten aus dem Sample verfügen mehrheitlich über ein höheres Bildungsniveau und führen vor allem klassische Bürotätigkeiten aus.

Es ist hervorzuheben, dass die beiden Befragten, die im Jahr 2020 interviewt wurden, zum Interviewzeitpunkt direkt von den coronabedingten Kita- und Schulschließungen betroffen waren und sich dies auf ihr Erleben des Homeoffice ausgewirkt hat. Darüber hinaus beziehen sich einige der anderen Interviewpartner*innen in dem Gespräch immer wieder auf die Zeit der Schul- und Kitaschließungen. So muss vor der Präsentation der Forschungsergebnisse darauf hingewiesen werden, dass sich im Erleben des Homeoffice mehrere pandemiebedingte und nicht-pandemiebedingte Bedingungen überlagern und diese nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, da viele Interviewpartner*innen während der COVID-19-Pandemie zum ersten Mal oder das erste Mal in einer solchen Intensität im Homeoffice arbeiteten. Auch im Erhebungszeitraum im Jahr 2022 hielt die Pandemie noch an. Dementsprechend konnten die Interviews nicht isoliert von der Pandemie und ihren Auswirkungen geführt werden und somit wird das Erleben des Arbeitens im Homeoffice von allen Interviewpartner*innen im Kontext der Pandemie erläutert.

4 Ergebnisdarstellung: Chancen und Risiken des Homeoffice

Mit Blick auf die Frage, wer zufrieden mit der Arbeit im Homeoffice ist und daher so viel Arbeitszeit wie möglich im Homeoffice verbringen möchte, zeigt sich in der vorliegenden Untersuchung ein differenziertes Bild. Obwohl die Befragten der Studie vornehmlich höhere Bildungsabschlüsse haben und eher klassischer Büroarbeit nachgehen, zeichnet sich auch bei einem vertieften Blick auf diese scheinbar homogene Gruppe ab: Was für die einen der wahre Albtraum ist, ist für die anderen ein wahr gewordener Arbeits(t)raum. Es kann vorweggenommen werden, dass das Homeoffice lediglich von je einer Befragten als wahr gewordener Arbeits(t)raum bzw. als Albtraum wahrgenommen wurde. Diese beiden Befragten, K und V2, stellen somit die maximal kontrastierenden Pole unseres Samples dar. Außerdem ist das Erleben des Homeoffice weniger als Binarität, sondern vielmehr als Kontinuum zu verstehen, auf dem die Befragten unseres Samples zu verorten sind (Abbildung 1).

Abb. 1 Subjektives Wohlbefinden im Homeoffice nach Geschlecht und Elternschaft, Ergebnisse der Auswertung einer qualitativen Befragung von 28 Interviewpartner*innen
Abb. 1

Subjektives Wohlbefinden im Homeoffice nach Geschlecht und Elternschaft, Ergebnisse der Auswertung einer qualitativen Befragung von 28 Interviewpartner*innen

Das Homeoffice-Kontinuum spannt sich zwischen den Polen Albtraum und Arbeits(t)raum auf. Wenn die Interviewpartner*innen wenig bis gar keine Arbeitstage im Homeoffice verbringen wollen und viele Belastungen mit dem mobilen Arbeiten in Verbindung bringen, dann befinden sie sich in der Nähe des Pols Albtraum. Wenn sie so viel Zeit wie möglich im Homeoffice arbeiten möchten und für sie die Vorteile im Homeoffice überwiegen, dann befinden sie sich in der Nähe des Pols Arbeits(t)raum. Ein Großteil der Befragten befindet sich etwa in der Mitte des Kontinuums. Diese Gruppe möchte etwa zwei bis drei Tage im Homeoffice arbeiten und die restliche Zeit im Büro verbringen.

Die induktiv gewonnenen Hauptkategorien hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung der Arbeitssituation im Homeoffice werden in Abbildung 2 dargestellt und mit empirischen Ankerbeispielen aus den Interviews angereichert.

Abb. 2 Chancen und Risiken des Homeoffice, Darstellung der induktiv gewonnenen Hauptkategorien mit Ankerbeispielen
Abb. 2

Chancen und Risiken des Homeoffice, Darstellung der induktiv gewonnenen Hauptkategorien mit Ankerbeispielen

Aus dem Material gehen zehn Hauptkategorien hervor. Die Kategorien Freiheit, Flexibilität, Selbstführung, Soziale Beziehungen, Subjektive Gesundheit, Arbeitsweg und Führung & Kontrolle befinden sich auf der Mitte des Homeoffice-Kontinuums, da die befragten Beschäftigten diese sowohl als Vorteil als auch als Nachteil des Arbeitens zu Hause erleben. Bei den beiden Kategorien Rollenkonflikte in der Elternschaft und Entgrenzung der Arbeit überwiegen die Nachteile im Homeoffice und die Kategorie Deepwork geht in erster Linie mit Vorteilen einher. Im Folgenden werden die genannten Hauptkategorien vorgestellt.

4.1 Vorstellung der Hauptkategorien

4.1.1 Zentrierte Kategorien

Freiheit

Das Arbeiten zu Hause wird mit seinen erweiterten „Gestaltungsmöglichkeiten“ (V2, Z. 177 f., w) für die eigene Arbeits- und Lebenszeit als „Freiheit“ (W, Z. 294, w; S, Z. 181 f., m) erlebt. Jene Freiheit bezieht sich sowohl auf die räumliche als auch auf die zeitliche Unabhängigkeit von traditionellen Büroarbeitssettings. Jedoch bringen auch die neuen Freiheiten, die relativ autonomen Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitszeit und der Arbeitsräume, Risiken mit sich. So kann es dazu kommen, dass „prokrastiniert“ (D, Z. 194 f., d) wird und dann zu atypischen Arbeitszeiten die liegengebliebenen Aufgaben erledigt werden. Dadurch kann das Gefühl entstehen, nichts geschafft zu haben bzw. nicht „in einen vernünftigen Arbeitsrhythmus zu kommen“ (G1, Z. 89 ff., m).

Flexibilität

Die Befragten verbinden mit dem Homeoffice einen Flexibilitätszuwachs für die eigene Arbeits- und Sorgearbeitsgestaltung. Die Zeit, in der im Homeoffice die Konzentration nachlässt, kann effektiv für Hausarbeit genutzt werden oder es wird eine bewegte Pause gemacht, um die eigene Arbeitskraft in den aktiven Phasen effizienter nutzen zu können. Auch Interviewpartner*innen mit Kindern erleben eine neue Flexibilität für die eigene Lebens- und Arbeitszeit während des Arbeitens zu Hause:

„[…] die Flexibilität, die ich im Homeoffice habe durch die Stundenabrechnung, die genieße ich, z.B. bei Krankheit, wenn das Kind drei Stunden geschlafen hat, weil’s Fieber hatte, habe ich drei Stunden trotzdem gearbeitet […]"

J2, Z. 549 ff., weiblich

Zugleich bedeutet jene neue Flexibilität, dass die Befragten im Homeoffice dazu tendieren, „länger zu arbeiten“ (P, Z. 201 ff., m), sich „abends nochmal an Rechner“ (J2, Z. 679 ff., w) zu setzen und weniger Pausen zu machen. Wenn der PC und das Diensttelefon direkt zu Hause sind, seien viele Befragte dazu geneigt, auch im Feierabend „doch nochmal in die E-Mails“ (V3, Z. 120 ff., w) zu schauen, etwas fertigzumachen oder einen Post auf den dienstlichen Social-Media-Kanälen abzusetzen. Dies wird von den Befragten als Belastung erlebt.

Selbstführung

In unserem Sample zeichnet sich deutlich ab, dass das Arbeiten zu Hause von Menschen, die über sich selbst sagen, dass sie strukturiert sind, positiver erlebt wird als von den anderen Interviewpartner*innen. So sind es diejenigen, denen es mühelos gelingt, sich im Homeoffice selbst zu führen und Routinen zu entwickeln, und diejenigen, die sich selbst als „sehr diszipliniert“ (V2, Z. 136 ff., w) beschreiben, die das Arbeiten im Homeoffice als angenehm erleben. In der Hinsicht haben die Befragten, die bereits länger selbstständig von zu Hause gearbeitet haben, einen Vorteil. Für sie fallen im Homeoffice die gewohnten Gewinne des Arbeitens zu Hause ab und sie haben mit keinen größeren Herausforderungen zu kämpfen, die Arbeit zu Hause zu organisieren. Für diejenigen, die sich nicht so gut strukturieren können, kann dieses Element des mobilen Arbeitens als belastend und überfordernd wahrgenommen werden. Die Ressourcen, die im Homeoffice zusätzlich für die Selbstführung aufgebracht werden müssen, fehlen jenen Interviewpartner*innen an anderer Stelle. Die wahrgenommene eigene „Produktivität [...] leidet“ (G1, Z. 73 f.) und die Notwendigkeit, eine zusätzliche Selbststrukturierungsleistung zu erbringen, wird als herausfordernd erlebt.

Soziale Beziehungen

Dass analoge Interaktionen mit Kolleg*innen und Vorgesetzten im Homeoffice fehlen, kann auch als Chance erlebt werden. Diese besteht darin, weniger gestört zu werden und somit konzentrierter Aufgaben bewältigen zu können. Außerdem kann es als wohltuend und als effizienteres Arbeiten erlebt werden, wenn die informellen Gespräche mit den Kolleg*innen und Vorgesetzten ausbleiben. Nichtsdestotrotz wird das Ausbleiben der analogen sozialen Begegnungen von allen Befragten bis auf eine Interviewpartnerin (V2) als Nachteil wahrgenommen. Sowohl die informellen Gespräche in der „Küche“ (D, Z. 352, d), auf dem „Flur“ (P, Z. 144 ff., m) oder im Türrahmen als auch die formellen Gespräche, die bestimmte Dienstabläufe verkürzen können, werden von den Befragten vermisst und lassen sich auch nicht digital kompensieren. Darunter leide das „Zusammengehörigkeitsgefühl“ (V3, Z. 588, w; G2, 545 f., w) innerhalb des Teams. Außerdem gehe damit eine stärkere „Aufgabenorientierung“ (D, Z. 77 f., d) einher und die „Wissensbeschaffung“ (K, 247 ff., w) sei aufwendiger. Die Befragten berichten von einem größeren Zwang zur Selbsthilfe, beispielsweise wenn fachliche Fragen und Probleme – jenseits der bestehenden Routinen – auftreten.

Subjektive Gesundheit

Es wird betont, dass im Homeoffice z.B. länger geschlafen werden könne, dass es sehr zufriedenstellend sein könne, sein „eigener Herr zu sein“ (V2, Z. 299 f., w), und dass es sehr entspannend sei, wenn einem „keiner auf den Keks“ (ebd.) geht. Außerdem könne der eigene Biorhythmus effizienter genutzt werden, eine Möglichkeit, die in unserem Sample insbesondere kinderlosen Interviewpartner*innen und Befragten mit hohem Bildungskapital zur Verfügung steht. Zugleich kann das Arbeiten zu Hause zu einer Problematik für die subjektive Gesundheit werden. Von „lähmend(en)“ (G2, Z. 210, m) Gefühlen bis hin zum Leiden unter der „Vereinzelung der Menschen“ (K, Z. 62, w) zeigen sich in der Untersuchung die unterschiedlichen Facetten der Verschlechterung der subjektiven Gesundheit im Homeoffice. Die Befragten sprechen von „Einsamkeit“ (J2, 536 f., w) und es wird ein Gefühl beschrieben, zu Hause der „eigenen Arbeitskraft hinterherlaufe(n)“ (G1, Z. 909, m) zu müssen. Darüber hinaus wird das Homeoffice als monotoner, sich wiederholender Ablauf, in dem es „keine Abwechslung“ gibt (G2, Z. 214 ff., m), erlebt. Die psychische Gesundheit im Homeoffice kann sich verschlechtern, es kann zu depressiven Episoden“ (K, Z. 255) kommen oder die depressive Verstimmtheit wird durch die Arbeit allein zu Hause verstärkt. Das Zusammenspiel aus der beschriebenen Einsamkeit, dem Fehlen sozialer Beziehungen und dem Fehlen fachlicher Unterstützung im Homeoffice führt bei den Befragten zu mitunter zu starken psychosozialen Belastungen.

Arbeitsweg

Auf dem Kontinuum des subjektiven Homeoffice-Erlebens wird das Ausbleiben des Arbeitswegs sowohl als entlastend (Zeitersparnis) als auch als belastend wahrgenommen. Interviewpartner*innen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, unterschiedlicher Berufe und in verschiedenen Lebenssituationen beschreiben, dass sie durch das Ausbleiben des Arbeitswegs im Homeoffice Zeit gewinnen und z.B. länger schlafen können. Dies wird von den Befragten als Vorteil wahrgenommen. Zur Last wird das Ausbleiben des Arbeitswegs, wenn dadurch das „Ritual“ (G1, Z. 193, m) fehlt, sich auf die Arbeit einzustellen. Der Arbeitsweg erfüllt auch eine Funktion bei der mentalen Vorbereitung auf die Arbeit und beim Abschalten von der Arbeit (vgl. P, Z. 447, m).

Führung & Kontrolle

In unserem Sample wird das Ausbleiben der Störungen durch Vorgesetzte explizit von einigen Befragten als Vorteil hervorgehoben. Außerdem kann ein besonderes Autonomieerleben entstehen, wenn die Beschäftigten von zu Hause ungestört arbeiten können. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass neue Konfliktlinien zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen entstehen. So zeigt sich in den Interviews, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den Arbeitgebervorstellungen über das Homeoffice und den wirklichen Bedingungen und Möglichkeiten, die den Arbeitnehmer*innen bei der Ausgestaltung des mobilen Arbeitens zur Verfügung stehen, aufkommt. Darüber hinaus entstehen im Homeoffice neue Kontrollmöglichkeiten für die Arbeitgeber*innen, wenn beispielsweise mit der Arbeit im Homeoffice eine zunehmende Digitalisierung und Messbarkeit von Arbeitsabläufen und Arbeitsergebnissen einhergeht. Dies kann bei den Arbeitnehmenden zu neuen Belastungen führen.

Die bisher vorgestellten Kategorien sind in der Mitte des Kontinuums des subjektiven Homeoffice-Erlebens verortet, sie sind daher sowohl durch Vorteile als auch durch Nachteile kategorisierbar. Die folgenden Elemente ordnen sich anhand unseres Materials stärker im Feld Nach- bzw. Vorteile des Homeoffice ein.

4.1.2 Gewichtete Kategorien

Deepwork

Ein erlebter Vorteil des Homeoffice besteht in längeren Phasen des konzentrierten Arbeitens (sofern es keine Unterbrechungen durch z.B. Kinder gibt). Die besonders konzentrierten Episoden des Arbeitens werden z.B. durch das Ausbleiben von Störungen durch Vorgesetzte und Kolleg*innen möglich. Hierbei zeichnet sich ein heterogenes Bild der Befragten ab: Männer, Frauen, kinderlose Befragte und Interviewpartner*innen mit Kindern erzählen davon, dass sie zu Hause „effizienter“ (SW1, S. 1, w) und „stundenlang konzentriert“ (F, Z. 91, w) arbeiten können. Außerdem funktionieren bestimmte Tätigkeiten im Homeoffice besonders gut. So schreiben einige Befragte am liebsten Texte oder prüfen vorzugsweise Rechnungen im Homeoffice. Sie behalten sich Aufgaben, die hohe Konzentration erfordern, für diesen Arbeitsort vor. Einigen Befragten gelingt es jedoch nicht, im Homeoffice konzentriert zu arbeiten. Sie brauchen den Wechsel des Arbeitsorts und die Büroumgebung, um in ein konzentriertes Arbeiten zu kommen. Wenn jene Befragten im Homeoffice arbeiten müssen, nehmen sie das Ausbleiben dieses Workflows als belastend wahr.

Entgrenzung der Arbeit

Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben stellt in unserem Sample eine Belastung für die Befragten dar. Sie erleben, wie sie selbst, Kolleg*innen oder Kooperationspartner*innen im Homeoffice auch am Wochenende arbeiten, was „extrem verquer“ (G1, Z. 652 f., m) und „doof“ (ebd.) sei. Die ständige Erreichbarkeit, die u.a. dadurch entsteht, dass private Telefone und andere private Geräte für das Arbeiten zu Hause genutzt werden, strengt die Befragten an. Einige Interviewpartner (männlich, kinderlos, jünger) heben jedoch hervor, dass jene Entgrenzung der Arbeit für sie kein Problem darstelle, da für sie ihre Arbeit ohnehin wie ein Hobby sei und sie damit ihre Freizeit gerne verbrächten. Jene zeitliche und räumliche Entgrenzung wird als „Gewinn bei der Work-Life-Balance“ (S, Z. 102 ff., m) gedeutet.

Rollenkonflikte in der Elternschaft

Elternschaft geht im Homeoffice mit besonderen Herausforderungen einher. So erleben die befragten Eltern Unterbrechungen ihrer Arbeitsprozesse durch Kinder und in der Folge negative Auswirkungen auf das konzentrierte Arbeiten im Homeoffice:

„[…] also insbesondere beim Zusammenleben mit Kindern kann man sie nicht wirklich effektiv aus dem Leben aussperren, also entweder einer von beiden hat Zeit für die Kinder und kann sie quasi abfangen, oder beide im Homeoffice, ist ja auch schwer. Die Kinder erkennen die Slots nicht, die für sie da sind, also je größer die Kinder sind, desto besser kann man es vermutlich kommunizieren […]“

K, Z. 512ff., weiblich

Außerdem wird es als Widerspruch oder als „fiese Kompromisse“ (K, Z. 512 ff., w) erlebt, sich auf der einen Seite zu Hause Raum für die Arbeit zu schaffen und dadurch auf der anderen Seite dem eigenen „Erziehungsansatz“ (K, Z. 512 ff., w) nicht gerecht werden zu können. Dieser Rollenkonflikt wird sowohl von männlichen Befragten als auch von den weiblichen Befragten mit Kindern erlebt. Der Rollenkonflikt wirkt sich sowohl auf die Arbeit als auch auf die Familie aus und wird von den Befragten für beide Lebensbereiche als belastend wahrgenommen. Insbesondere dann, wenn die Interviewpartner*innen Kleinkinder haben, zeigt sich, dass die Familie und die Arbeit zu Hause schwer zu harmonisieren sind.

4.2 Homeoffice als Sorgearbeits(t)raum?

Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass im Homeoffice dieselben Kategorien als Belastung und/oder als Entlastungen wahrgenommen werden können. Doch welche Tendenzen zeigen sich bei einem Vergleich des subjektiven Wohlbefindens nach Geschlecht? Für wen ist das Arbeiten im Homeoffice ein wahr gewordener Sorgearbeitstraum oder zumindest ein Zugewinn und für wen nicht? Diese Fragen werden nun diskutiert.

Das partnerschaftliche Verhältnis in Bezug auf die Aufteilung der Sorgearbeit verschiebt sich, sobald eine Person zu Hause arbeitet und die andere nicht bzw. in anderem Umfang. Exemplarisch sei hier eine Interviewpartnerin benannt, die beschreibt, dass ihre Kinder und ihr Mann, seit sie zu Hause arbeitet, von ihr erwarten, dass sie die Sorgearbeit erledigt, und es somit zu einer Verstärkung des Ungleichgewichts in der Verteilung der Sorgearbeit zwischen ihr und ihrem Partner kommt. Ähnliches erläutert eine weitere Interviewpartnerin, bei der sich die häusliche Belastung dann zuspitzte, als ihr Mann nicht mehr im Homeoffice war und sie neben der Erwerbsarbeit zu Hause auch noch den Großteil der Sorgearbeit erledigen musste:

„[…] das Problem ist, dass er auch relativ früh wieder in Präsenz gehen durfte, wo ich nicht ins Büro gehen durfte. Dann saß ich zu Hause und musste allein kochen, dann blieb mehr an mir hängen gefühlt, weil er war ja nicht da […]

J, Z. 399 ff., weiblich

Außerdem thematisiert eine Befragte, dass, wenn sowohl sie als auch ihr Mann im Homeoffice arbeiten, keine Veränderungen seiner Beteiligung an der Sorgearbeit zu beobachten seien.

„[…] mein Mann hat vorher nicht viel gemacht und macht, seitdem er im Homeoffice ist, auch nicht viel […]“

K, Z. 547, weiblich

Darüber hinaus wird deutlich, dass die befragten Frauen mit Kindern aus dem Sample mit einer stärkeren Intensität von der Doppelbelastung sprechen, die sie im Homeoffice erleben, als die befragten Männer mit Kindern. Auch die Flexibilitätsgewinne, die sich im Homeoffice für die Sorgearbeit verbuchen lassen, werden von den weiblichen Befragten stärker als von den männlichen Interviewpartner*innen betont. An dieser Stelle ist erneut das oben (Abschnitt „Flexibilität“) angeführte Zitat heranzuziehen, wo eine interviewte Mutter beschreibt, dass sie glücklicherweise im Homeoffice auch dann arbeiten kann, wenn das Kind krank ist (vgl. J2, Z. 549 ff.). Diese Doppelbelastung der Befragten wird von mehreren Interviewpartnerinnen nicht als Belastung, sondern als Entlastung beschrieben: Wenn neben der Sorgearbeit auch noch die Arbeit erledigt werden kann, wird dies mehrheitlich als Freiheit empfunden. Außerdem zeichnet sich in den Interviews ab, dass die ‚Erstzuständigkeit‘ der Frauen sich noch verstärkt: Auch wenn beide Partner*innen im Homeoffice sind, begleiten sie die Kinderbetreuung, strukturieren und kontrollieren innerfamiliäre Prozesse, und die Familiensorgearbeit („mental load“) wird bei ihnen deponiert. Diese Entwicklung wird in den Erzählungen eher als Erfolg (Flexibilitätsgewinn) und weniger als Misserfolg verbucht.

Im Allgemeinen zeichnet sich in der Untersuchung die Tendenz ab, dass die Frauen und insbesondere die Mütter im Homeoffice in die Rolle der Strukturiererinnen der schulischen, beruflichen und familiären Abläufe rutschen – ein Mechanismus, von dem die Männer aus dem Sample nicht berichten. Während die befragten Väter von einer Harmonisierung (vgl. G2, Z. 541) der Familien- und Arbeitsstruktur sprechen, ist es bei den Müttern vielmehr eine Erzählung über alleinige Planung und Kontrolle der familiären Struktur, für die sie die ungeteilte Verantwortung tragen. Die befragten Frauen mit minderjährigen Kindern sprechen klar von einer stärkeren Doppelfunktion im Homeoffice, stärker als die befragten Männer mit Kindern, teilweise unbemerkt, unbeklagt und unter der Hand – Eigenschaften, die jene Beobachtung vielleicht gerade bedeutsam machen. So schnappt „die Falle“ (Kaufmann 2005, 257), die wir bereits aus der Geschlechtersoziologie kennen, in unserem Sample teilweise unbemerkt zu: Nicht zuletzt im und durch das Homeoffice wird Altes unter dem Schleier der Flexibilitäts- und Freiheitsgewinne reaktiviert, zugleich aber als Zuwachs von Autonomie verbucht und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die Verteilung der Sorgearbeit kann sich schleichend verstärken.

4.3 Zentrale Thesen

Auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchungen wurden drei Thesen zum Erleben des Homeoffice entwickelt.

  1. Erste These: Nuancierte Unterschiede. Im Homeoffice können dieselben Kategorien als Belastung und als Entlastung wahrgenommen werden.

Diese These bezieht sich auf alle vorgestellten Kategorien unserer Untersuchung, anhand derer deutlich wird, dass dieselben Elemente wie etwa Flexibilität, Soziale Beziehungen, Deepwork und Entgrenzung ganz unterschiedlich erlebt werden können. An diese These knüpft die zweite These an. Hier wird deutlich, unter welchen Bedingungen dieselbe Kategorie als Risiko oder Chance erlebt wird.

  1. Zweite These: Zusammenspiel aus arbeitsbezogenen und personenbezogenen Bedingungen. Für das Erleben des Homeoffice spielen sowohl arbeitsbezogene Bedingungen (Beziehung zu den Kolleg*innen und Vorgesetzten, Führungsstil, Arbeitsethos, Tätigkeitsfeld/Branche) als auch personenbezogene Kategorien (Ausstattung mit ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital, Geschlecht, Elternschaft, Alter der Kinder, Rollenkonstellation in der Paarbeziehung) eine zentrale Rolle.

Die dritte These bezieht sich auf das Erleben des Homeoffice unter besonderer Berücksichtigung des Geschlechts und fasst die Ergebnisse des Kapitels 4.2 zusammen.

  1. Dritte These: Elternschaft als Verstärkung der Geschlechterungleichheit. Das Arbeiten im Homeoffice bringt das Risiko mit sich, dass in traditionellen Paarkonstellationen mit Kind die Frauen unbemerkt ein Mehr an Sorgearbeit übernehmen und es somit zu einer Verstärkung der Geschlechterungleichheit kommt.

So liegt das Erleben des Homeoffice der Befragten in der Schnittmenge dieser drei Thesen (Abbildung 3). Die Bedingungen, die zuvor konstatiert wurden, wirken entsprechend der individuellen Arbeits- und Lebenssituation der Interviewpartner*innen auf die Befragten und lassen das Homeoffice für die einen zu einem Konfliktfeld und für die anderen zum Arbeits(t)raum werden.

Abb. 3 Das subjektive Erleben des Homeoffice. Darstellung der zentralen Untersuchungsergebnisse
Abb. 3

Das subjektive Erleben des Homeoffice. Darstellung der zentralen Untersuchungsergebnisse

5 Fazit

Auf der Grundlage der Ergebnisse ist festzustellen, dass das Homeoffice für die Befragten immer sowohl mit erlebten Chancen als auch mit erlebten Risiken einhergeht. So wird von den Interviewpartner*innen überwiegend eine Mischform aus Homeoffice und der Tätigkeit am Präsenzarbeitsort bevorzugt. Die Chancen und Risiken des Homeoffice stehen einander mitunter diametral gegenüber.

In unserer Untersuchung zeichnet sich ab, dass die Chancen des Homeoffice von Kinderlosen, Personen mit hohem Bildungskapital sowie Personen mit hohem Selbstführungskompetenzen und -bedürfnissen ausgeprägter erlebt werden als von anderen Personengruppen. Außerdem wird deutlich, dass das Homeoffice-Erleben durch ein Zusammenspiel von arbeitsbezogenen Bedingungen und personenbezogenen Kategorien beeinflusst wird. Das heißt, diese unterschiedlichen Bedingungen und Bedürfnisse müssen in den Unternehmen wahrgenommen und durch entsprechende Angebote (Führungsstile, Kommunikationsangebote, Arbeitsschutz im Homeoffice usw.) gerahmt werden. Insbesondere Eltern haben im Homeoffice mit größeren Herausforderungen zu kämpfen und bestimmte Entlastungen (Ruhe, Ausbleiben von Unterbrechungen) gelten für sie nicht zwangsläufig. Für die Mütter kann im Homeoffice die Doppelrolle entstehen, neben der Arbeit zusätzlich die Rolle der alleinigen Familienmanagerin zu übernehmen. Jene Doppelbelastung wird teilweise als Entlastung, Autonomie und Flexibilitätsgewinn erlebt, was die Gefahr mit sich bringt, dass deshalb in Zukunft vermehrt Frauen und Mütter weiterhin im Homeoffice arbeiten, um diese wahrgenommenen Chancen künftig nutzen zu können, sodass es zu einer Verstärkung der Ungleichverteilung der Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen kommt. Die doppelte Vergesellschaftung der Frau wird dadurch verschleiert. Jene Beobachtung gewinnt an Brisanz, wenn man die Mütter im Homeoffice mit den kinderlosen jungen Männern aus dem Sample vergleicht, die die Arbeit im Homeoffice als Ort der maximalen Produktivität nutzen können. So zeichnet sich anhand der Untersuchung ab, dass das mobile Arbeiten insbesondere von den kinderlosen jungen Männern als Karrierebooster genutzt werden kann, was die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt zwischen den Geschlechtern intensivieren könnte. Von einer Retraditionalisierung ist auf der Grundlage unserer Studie jedoch nicht zu sprechen, vielmehr kommt es zu einer Verfestigung der bestehenden Geschlechterungleichheit zwischen Männern und Frauen im Sample.

Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse und der zentralen Erkenntnis, dass das Homeoffice-Erleben selbst von einer scheinbar homogenen Gruppe (Büroarbeit, höherer Bildungsabschluss) sehr unterschiedlich wahrgenommen werden kann, ergeben sich besondere Ableitungen für die Arbeitgeber*innen. So bedarf es auf der Grundlage des vorliegenden Materials einer individuellen Anpassung der Möglichkeiten, im Homeoffice zu arbeiten, an die Ressourcen, Arbeits- und Lebensumstände der Beschäftigten, damit die Chance steigt, das mobile Arbeiten als Gewinn für die Produktivität und das subjektive Wohlbefinden zu erleben. Für Folgeerhebungen könnte es gewinnbringend sein, die Kategorie der Elternschaft sowie unterschiedliche Sorgearbeitsbereiche (z.B. Pflege von Angehörigen) im Zusammenhang mit den Bedingungen des Homeoffice genauer in den Blick zu nehmen.

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Published Online: 2023-06-14
Published in Print: 2023-06-27

© 2023 Stefanie Lübcke, Heike Ohlbrecht, publiziert von De Gruyter

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