Coworking
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Ina Krause
Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Konzept Coworking und arbeitet auf Basis eigener empirischer Daten heraus, wie dieses Konzept im Zuge seiner wachsenden Verbreitung und der Etablierung von Coworking-Spaces als ‚dritten Orten der Arbeit‘ Legitimität für neue Gestaltungsideen und Wertvorstellungen von Büroarbeit generiert. Coworking-Spaces werden dabei als ‚dritte Orte‘ definiert, die dem Raumkonzept der Schaffung einer flexibel anpassbaren und Kreativität fördernden Arbeitsumgebung für Büroarbeiter:innen folgen. Das Geschäftskonzept Coworking-Space wird inzwischen aber auch als alternatives Organisationsmodell von Arbeit wahrgenommen. Dem Beitrag liegt das Forschungsinteresse zugrunde zu erkunden, wie und in welchen Variationen das Konzept Coworking in Büroarbeitsorganisationen, die sich selbst als Coworking-Space bezeichnen, adaptiert und praktisch umgesetzt wird. Nachgezeichnet wird, inwiefern Coworking als alternatives Gestaltungsmodell oder, im Sinne von Meyer und Rowan, Rationalisierungskonzept der Organisation von Arbeit Elemente eines neuen Normalitätsverständnisses von Büroarbeit generiert, welches über Betreiber:innen von Coworking-Spaces und Coworker:innen inzwischen in die Breite der Arbeitsgesellschaft getragen wird.
Abstract
This paper is concerned with coworking as a special concept of new work and presents the results of an empirical study. It aims to outline the dimensions of the concept of coworking and how it produces new design ideas and values for office work. The paper pursues the research interest to illustrate how and in what kind of variation the concept of coworking is adapted and practically implemented by different coworking space providers. Taking up the theoretical frame of Meyer’s and Rowan’s idea of “rationalized concepts”, the paper focuses on the legitimation process of the concept of coworking and how this concept produces a new understanding of “normality” for office work.
1 Einleitung
Mit der zunehmenden Veränderung von Kommunikationsformen in digitalisierten Büroarbeitswelten ‒ und in Zeiten der Umsetzung von Distanzarbeitskonzepten im Kontext der Bewältigung der Corona-Pandemie ‒ lässt sich vielerorts ein intensiver Neuaushandlungsprozess der Normalitätsvorstellungen von Büroarbeiter:innen beobachten. Verhandelt werden hierbei Fragen der architektonischen und räumlichen Ausgestaltung von Büroarbeitsgebäuden, der (informations)technischen Ausstattung von Arbeitsplätzen sowie der Arbeitszeitgestaltung und -erfassung [1] oder der Nutzung von privaten Arbeitsorten für die Ausführung von Arbeitstätigkeiten. Neue räumlich-zeitliche Gestaltungskonzepte von Büroarbeit werfen zudem die Frage auf, wie arbeitsteilige Prozesse auch dann gut ausgestaltet werden (können), wenn die physische Präsenz von Büroarbeiter:innen an einem gemeinsamen Büroarbeitsplatz nicht mehr oder nicht mehr vollständig vorausgesetzt werden kann (vgl. Becker u.a. 2019; Krause 2022b). Auch Kommunikationsformen und Informationskanäle müssen bei einer Reorganisation von Büroarbeitswelten neu strukturiert werden. Die Frage stellt sich, wie für alle Mitarbeiter:innen auch in Distanz- und Remote-Arbeitssettings gute, wertschätzende und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden können (vgl. Badura u.a. 2019).
Büroarbeitswelten befinden sich somit aktuell in einem intensiven Veränderungsprozess. Das Bild der Büroarbeiter:innen, welche in einer industriellfordistisch geprägten Büroarbeitswelt in einem Funktionsgebäude der industriellen Moderne zu festen Arbeitszeiten tätig und in standardisierte Prozessverläufe eingebunden sind, löst sich zunehmend auf. Neue Normalitätsvorstellungen sind hingegen noch nicht genau bestimmt. Beobachten lässt sich diesbezüglich ein breites Spektrum. Hierzu gehört das Bild der flexiblen Büroarbeiter:innen im Open Space (Becker u.a. 2019), die eigenverantwortlich die ausgehandelten räumlich-zeitlichen Spielräume der Arbeitsgestaltung nutzen und dabei gelegentlich aus dem Homeoffice Arbeitsaufträge erfüllen oder in Rufbereitschaft (Böker/Demuth 2015) über die Arbeitszeit hinaus für Arbeitsaufträge zur Verfügung stehen. Es existiert ferner das Bild der Remote-Worker:innen (Neeley 2021), die als ITler:innen, Berater:innen oder Marketingexpert:innen den überwiegenden Teil der Arbeitsleistungen in einem selbstgewählten Arbeitszeitrhythmus an einem selbstgewählten Ort und in einer virtuellen Arbeitsumgebung erbringen.
Eines der Leitbilder, welches seit einigen Jahren insbesondere in der deutschen Start-up Community sowie der Kreativwirtschaft große Aufmerksamkeit erzeugt, ist das Konzept Coworking: ein Konzept der Ausgestaltung von Arbeitssettings, das verspricht, die Wünsche vieler unzufriedener Büroarbeiter:innen nach mehr Arbeitsautonomie und Selbstverwirklichung bei gleichzeitiger Einbindung der Arbeitstätigen in eine Working Community einzulösen (vgl. Spinuzzi 2012). Es ist das Anliegen dieses Beitrags, das Konzept Coworking zunächst anhand einer Literatursichtung näher zu erfassen und dann dessen Adaption und praktische Umsetzung auf Basis der Befunde einer eigenen qualitativen Interview- und Beobachtungsstudie zu beschreiben. Dabei wird Coworking als ein alternatives Gestaltungsmodell der räumlichen, organisationalen und auch arbeitskulturellen Bezüge von Büroarbeit verstanden, welches einerseits dem industriell-geprägten Verständnis der betrieblichen Organisation von Büroarbeit und andererseits der Homeoffice-Situation vieler freiberuflicher oder soloselbstständiger Büroarbeiter:innen als dritte Form gegenübergestellt werden kann. Es soll anhand des empirischen Materials der vorliegenden Studie gezeigt werden, dass Coworking im Sinne der Überlegungen von Meyer und Rowan (1991, 45) ein neues wertgebundenes Rationalitätskonzept beziehungsweise einen Rationalitätsmythos in Bezug auf die Ausgestaltung von Arbeitsarrangements für die digitalisierte und virtualisierte Büroarbeitswelt erzeugt und legitimiert. Dieses wird von den zwei Akteursgruppen – den Coworking-Space-Betreiber:innen und den freiberuflichen sowie angestellten Büroarbeiter:innen, die in Coworking-Spaces arbeiten ‒ als neues Orientierungsmuster und alternatives Gestaltungskonzept von Büroarbeit in digitalisierten und virtuellen Arbeitswelten aufgegriffen. Beide Akteursgruppen passen das neue Konzept jeweils an die eigenen Bedarfe und Vorstellungen von guter Arbeit an und verbreiten Gedanken zu einer neuen Arbeitskultur. Der Beitrag möchte diese Entwicklungen näher beleuchten und hierfür die Befunde der empirischen Studie in die Debatte um den Strukturwandel von Büroarbeitswelten einordnen.
2 Coworking als alternatives Gestaltungsmodell der Organisation von Arbeit
Coworking stellt ein junges Phänomen in der Beschreibung neuer Formen des Arbeitens dar (vgl. Fos 2008; Merkel/Oppen 2013; Merkel 2012, 2015; Krause 2019). Dieses Konzept beruht darauf, dass Menschen, die in unterschiedliche Arbeits- und Beschäftigungskontexte eingebunden sind, sich eine gemeinsame räumliche Arbeitsumgebung erschließen und ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten. Entworfen und weiterentwickelt wurde das Gestaltungskonzept Coworking von Gründer:innen, Betreiber:innen sowie Nutzer:innen von Coworking-Spaces zunächst in urbanen Räumen (vgl. Fos 2008; Dullroy 2012; Merkel 2015; Waters-Lynch u.a. 2016; Waters-Lynch/Duff 2021; Foertsch/Cagnol 2018; Krause 2019, 2022a, 178). Grundlegend für die Entstehung des Konzepts waren Aktivitäten unterschiedlicher Personen oder Gruppen, die für eine „New Work Community“ zeitgleich Anfang der 2000er Jahre in verschiedenen Großstädten wie beispielsweise Wien (Schraubenfabrik), San Francisco (Spiral Muse, Hat Factory), New York (Jelly), London (Impact Hub) und Berlin (St. Oberholz, Betahaus) alternative und offene Arbeitsorte bereitstellten. Hierbei experimentierten sie mit neuen Raum- und Ausstattungskonzepten für selbstgewählte Orte der Arbeit (vgl. Waters-Lynch u.a. 2016). Inspiriert waren diese Akteure vor allem in den USA von der Open-Source-Software-Bewegung (vgl. Schrape 2019) und in Europa auch von der Wiener Kaffeehauskultur (Reckwitz 2003, 289 ff.) sowie ganz grundsätzlich von den Ideen der Coworking-Community selbst (Friebe/Lobo 2006; OʼByrne 2020). Die Vertreter:innen der Coworking-Bewegung stellen ihr Konzept der Ausgestaltung von Arbeitswelten und Arbeitsarrangements als Kontrastierungspunkt dem Konstrukt der rationalisierten, überregulierten und kennzahlengesteuerten Arbeitsorganisation (vgl. Garrett u.a. 2017) gegenüber. Sie etablierten Community Places beziehungsweise kreativ eingerichtete Coworking-Spaces als Gegenmodell zum funktional durchstrukturierten Bürogebäude (Waters-Lynch u.a. 2016).
Kulturell und normativ unterlegt ist das Konzept Coworking mit einem Kanon von fünf Wertorientierungen, auf die das Arbeiten an diesen neuen ‚dritten Arbeitsorten‘ (vgl. Oldenburg 1997; Moriset 2013) ausgerichtet werden soll: „Gemeinschaft, Kollaboration, Offenheit, Diversität und Nachhaltigkeit“ (vgl. Merkel 2015, 124). Fixiert wurden die Grundwerte des Konzepts bislang beispielsweise in dem Manifest der deutschen Coworking Federation. [2] In diesem Manifest werden folgende Leitsätze zur näheren Definition eines Verhaltenskodex proklamiert: Zusammenarbeit statt Wettkampf; Gemeinschaft statt Agenden; Beteiligung statt bloße Beachtung; Machen statt Reden; Freundschaft statt Formalismus; Mut statt Stillstand; Lernen statt Fachwissen; Menschen statt Persönlichkeiten; Werte-Ökosystem statt Wertschöpfung. Die Werte, die von der deutschen Coworking Federation vertreten werden, zielen somit nicht nur auf die räumlich-technische und organisatorische Umgestaltung von Arbeitswelten, sondern auch auf eine Veränderung von Arbeitshandeln. Ziel ist darüber hinaus eine Verbindung der Ausrichtung von Arbeitsprozessen an ökonomischen Werten mit einer Orientierung auf die sozial und ökologisch nachhaltige Ausgestaltung der Arbeit.
Die deutsche Coworking Federation stellt eine der zwei Netzwerkinitiativen dar, die die deutsche Coworking-Bewegung inzwischen rahmen. Die zweite Initiative wird vom Bundesverband für Coworking e.V. [3] getragen und legt anders als die deutsche Coworking Federation keinen Schwerpunkt auf die Etablierung eines community-basierten, sozial verträglichen und nachhaltigen Ausgestaltungskonzepts neuer Arbeitsorte. Die Aktivitäten des Bundesverbands zielen vielmehr stärker auf eine Kommerzialisierung des Geschäftsmodells Coworking-Space durchgesetzt insbesondere durch einschlägige, kommerzielle Gesichtspunkte stark berücksichtigende Bildungs- und Beratungsdienstleistungsangebote für Coworking-Space-Betreiber:innen.
Daten zur Entwicklung der Coworking-Bewegung beziehungsweise des Geschäftsfelds Coworking in Deutschland, Europa und weltweit werden zudem über das Magazin und die Webseite des Betreibers Deskmag [4] publiziert, welcher von unterschiedlichen Coworking-Gesellschaften und Coworking-Vereinigungen europaweit unterstützt wird und seinen Sitz in Berlin hat. Zudem ermöglicht auch die Initiative CoworkingMap [5] einen Überblick über bestehende Coworking-Spaces, da diese Initiative Betreiber:innen von Coworking-Spaces oder verwandten Konzepten eine Plattform bietet, ihren Ort in der europäischen Landkarte zu verzeichnen.
Es zeigt sich also, dass aus den ersten Initiativen zur Entwicklung und Etablierung des wertebezogenen Konzepts Coworking inzwischen insbesondere im deutschen und europäischen Kontext ein Netzwerk von Akteuren entstanden ist, das die Sichtbarkeit und die Legitimität dieses neuen Konzepts fördern möchte und sich darin zunehmend professionalisiert. Dabei positionieren sich die Akteure der deutschen Coworking-Bewegung zunehmend als Change-Agenten oder Change Maker (Arvidsson 2019), die zur Beantwortung der Frage, wie der Strukturwandel der industriell geprägten zur digitalisierten und virtuellen Arbeitsgesellschaft gelingen kann, aktiv Gestaltungskonzepte vorschlagen und an etablierte politische sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure herantragen. Das Konzept Coworking bietet hierbei einen Orientierungsrahmen, welcher im Sinne der Überlegungen von Meyer und Rowan (1991) auch als alternatives Rationalisierungskonzept in den Gestaltungsdiskurs, der sich derzeit zur Frage des Wandels von Normalitätsvorstellungen von Arbeit, Beschäftigung und Arbeitsorganisation aufspannt, eingebracht wird. Die im folgenden Abschnitt skizzierte Ergebnisdarstellung der zentralen Befunde einer eigenen empirischen Interview- und Beobachtungsstudie setzt an dieser Beobachtung an und möchte die Leserin und den Leser über die aktuell darstellbare Adaption und die praktische Umsetzung des Konzepts im mitteldeutschen Raum informieren.
3 Empirische Beobachtung der praktischen Umsetzung des Konzepts Coworking
3.1 Forschungsdesign und Stichprobenbeschreibung
Das Forschungsdesign der vorliegenden empirischen Studie umfasst drei Zugänge zum Phänomen Coworking. In 18 Expertengesprächen mit Betreiber:innen sowie festangestellten Mitarbeiter:innen von Arbeitsorten, die diese als Coworking-Spaces bezeichnen und vermarkten, wurde erkundet, mit welcher Gründungsmotivation und welchem Ziel sie diese neuen Orte der Arbeit einrichten und etablieren. Um das Konzept näher zu erkunden, wurden zudem Beobachtungen in Orten durchgeführt, die von den Betreiber:innen als Coworking-Spaces bezeichnet werden. Zusätzlich entstanden im Rahmen von fünf Abschlussarbeiten, die von der Autorin und Simon Oertel [6] betreut wurden, 16 leitfadengestützte Interviews mit Coworker:innen, die der Autorin mit Zustimmung der Interviewpartner:innen und der Studierenden zur Auswertung zur Verfügung gestellt wurden.
Die Experteninterviews (Tabelle 1) wurden im Zeitraum von Mai 2018 bis März 2021 im Rahmen des eigenen Habilitationsprojekts zur Exploration und näheren Beschreibung des digitalen Wandels von Arbeitsorganisationen in den Bundesländern Sachsen und Thüringen erhoben. Die Kontaktaufnahme zu Betreiber:innen von Coworking-Spaces erfolgte auf einschlägigen Veranstaltungen der Kreativwirtschaft Sachsen sowie über gegenseitige Verweise der bereits befragten Betreiber:innen. Die Akquise von Gesprächspartnerinnen und -partnern zielte darauf, möglichst breit unterschiedliche regionale Settings (Großstadt, Kleinstadt, urbaner Raum, ländlicher Raum) und unterschiedliche Eigentümer- und Betreiberkonstrukte (Rechtsform, Eigentümerstruktur, verfolgte Geschäftsziele) zu beobachten. Vier Interviews wurden von der Autorin im Zeitraum der Corona-Pandemie geführt, um mit den schon einmal befragten Betreiber:innen die Auswirkungen von Corona-Maßnahmen auf ihr Geschäftsmodell und ihre Mitglieder zu besprechen. Das vorliegende Interviewmaterial wurde für diesen Beitrag noch einmal neu gesichtet und für eine differenzierte Analyse von Umsetzungskonzepten herangezogen.
Auswahlkriterien für Expertengespräche mit Betreibern von Coworking-Spaces
Interview | regionale Einordnung | Rechtsform | Eigentümer- struktur | Interviewpartner |
01 (5/2018 & 2/2021) | Großstadt (< 500.000) | Unternehmer- gesellschaft (UG) | Verein als Eigen- tümer der UG | ehrenamtl. Spacemanager (m) |
02 (5/2018) | Großstadt (> 100.000) | GbR | eigentümer- geführt | Inhaber (m) |
03 (6/2018) | Großstadt (> 500.000) | GmbH & Co. KG | kommerziell betrieben | festangestellter Spacemanager (m) |
04 (6/2018) | Großstadt (> 500.000) | gemeinnütziger Verein | Verein; komuna- le Immobilie | Spacemanagerin (w) m. Werkvertrag |
05 (6/2018) | Kleinstadt (>10.000) | gemeinnütziger Verein | Verein | Vereinsmitglieder (m/w) |
06 (7/2018) | Großstadt (> 100.000) | UG | eigentümer- geführt | Betreiberin (w) |
11 (7/2018) | Großstadt (> 100.000) | UG | eigentümer- geführt | Betreiberin (w) |
12 (7/2018 & 6/2021) | Großstadt (> 100.000) | GmbH & Co. KG | eigentümer- geführt | Betreiberin (w) |
14 (7/2018) | Kleinstadt (> 20.000) | GbR | eigentümer- geführt | Inhaberin (w) |
20 (7/2018 & 2/2021) | Kleinstadt (> 50.000) | gemeinnütziger Verein | Verein | Vorsitzende/Stellv. (w/w) |
21 (11/2018) | Kleinstadt (> 50.000) | GbR | eigentümer- geführt | Inhaber (m) |
22 (11/2018 & 2/2021) | Großstadt (> 3 Mio.) | GmbH | eigentümer- geführt | festangestellter Spacemanager (m) |
23 (11/2018) | Kleinstadt (> 20.000) | GbR | eigentümer- geführt | Inhaber (m) |
24 (12/2018) | Großstadt (> 500.000) | GmbH | kommerziell betrieben | festangestellter Spacemanager (m) |
Im Zeitraum der laufenden Befragung von Coworking-Space-Betreiber:innen wurden von der Autorin zusätzlich Beobachtungen durchgeführt. Einerseits erhielt die Autorin über geführte Rundgänge durch zehn Coworking-Spaces, die im Rahmen der Gesprächstermine möglich waren, einen Einblick in diese Arbeitswelt. Darüber hinaus verlagerte die Autorin in zwei intensiven Beobachtungsphasen von insgesamt vier Monaten ihre eigene Arbeitstätigkeit in ausgewählte Coworking-Spaces des Samples. Diese Beobachtungen fließen als Hintergrundinformationen in die Analysen ein.
Ergänzend zur Erfassung der Betreiberperspektive betreute die Autorin im Zeitraum ihrer laufenden Interviewstudie insgesamt fünf Abschlussarbeiten von Studierenden im Fach Soziologie, in deren Rahmen 16 leitfadengestützte Interviews mit Coworker:innen (aktive Mitglieder von Coworking-Spaces) erhoben wurden.
Die Interviewdaten wurden für die folgenden Darstellungen unter Zuhilfenahme der Analysesoftware Atlas.ti ausgewertet. Die Auswertung folgt dem Vorgehen der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring (2015).
3.2 Erfassung der praktischen Umsetzungsprobleme von Coworking-Space-Betreiber:innen
Die vorliegende Studie basiert auf Gesprächen, in denen das Konzept Coworking von den befragten Expert:innen und Mitgliedern als tragend für die Gestaltung des von ihnen betreuten oder genutzten Arbeitsorts herausgestellt wird. In den Gesprächen wird der oben erwähnte Wertekanon der Coworking-Bewegung immer wieder als Referenzrahmen und Begründung der eigenen Handlungsweise aufgegriffen.
Es zeigt sich aber in den Gesprächen mit den Betreiber:innen von Coworking-Spaces darüber hinaus, dass es für die Adaption und Umsetzung des Konzepts vor allem gilt, fünf Fragen pragmatisch zu beantworten: (1) Wie lässt sich in einem gegebenen lokalen Setting die Gestaltung von offenen, Diversität fördernden und Kommunikation anregenden Arbeitsräumen realisieren und welche Raumgestaltungselemente sind dabei zentral? (2) Ist die kommunikationstechnische Infrastruktur des Ortes ausreichend, um eine digital und selbstbestimmt arbeitende Community zu versorgen, und welche digitalen Tools und Kommunikationsmedien müssen den Mitgliedern zur arbeitsbezogenen Nutzung zur Verfügung gestellt werden? (3) In welchem Maß sollte der Betreiber oder die Betreiberin die (Selbst-)Organisation der Arbeits- und Geschäftsprozesse der Mitglieder unterstützen, welche internen Vernetzungsaktivitäten stoßen auf Resonanz bei den Mitgliedern? (4) In welcher Art und Weise und welcher Regelmäßigkeit sollten den Mitgliedern Vernetzungs-, Austausch- und Weiterbildungsformate angeboten werden? (5) Welche Netzwerkbeziehungen nach außen in den regionalen Raum hinein braucht es, um die Sichtbarkeit des Coworking-Space und der Aktivitäten seiner Mitglieder herzustellen? Diese fünf Fragen werden in der folgenden Darstellung der Studienbefunde in der angegebenen Reihung aufgegriffen.
Den Beschreibungen der befragten Betreiberinnen und Betreiber zufolge benötigt Coworking als Gestaltungsansatz von neuen Büroarbeitswelten für die praktische Umsetzung ein spezifisch konstruiertes Raumkonzept, welches auf den Bedarf einer bestimmten Arbeitscommunity ausgerichtet ist. Diese Community entwickelt in ihrem Arbeitshandeln selbstgesteuert und selbstermächtigt eigene Arbeits-, Lebens- und Lernziele und setzt diese um. In den Coworkerinterviews wird die Arbeitsorientierung, die Coworking-Space-Betreiber:innen adressieren, mit dem Begriff der „Remote-Arbeitskultur“ (TK_I_SM04; 17050: 17078) umschrieben, welche sich gut mit dem Konzept Coworking in Einklang bringen lässt. [7] Coworking-Spaces sind somit zuallererst lokale Orte bzw. Büroarbeitsräume, die von Betreiber:innen oder kooperativen Gruppen zur Verfügung gestellt werden. Viele Coworking-Spaces entwickeln ihre räumlich-technische Infrastruktur und die Innenausstattung von Räumen vorrangig unter der Maßgabe, dass Räume möglichst kurzfristig und ohne große Anstrengung flexibel umgestaltet und genutzt werden können – beispielsweise indem Stromleitungen und Lichtquellen nicht fest in den Wänden, sondern flexibel an der Decke hängend verlegt werden. Darüber hinaus lehnen sich die Raumgestaltungskonzepte von Coworking-Spaces eher an die von Eventlocations an, weshalb Gestaltungselemente wie beispielsweise die obligatorische Kaffeebar oder Spiel- und Sportgeräte für die Pausengestaltung nicht fehlen dürfen. Zur Kulisse von Coworking-Spaces gehören aber auch Open- oder Flexible-Desk-Bereiche, meist mit größeren und kleineren Tischformationen, die es Vorbeikommenden erlauben, kurzzeitig in einem Coworking-Space zu verweilen, zu arbeiten und Netzwerkbeziehungen zu knüpfen. Diese Kulisse ist ein wesentliches Distinktionsmerkmal des Ortes Coworking-Space gegenüber anderen Büroarbeitsorten und wird daher – wie folgendes Zitat nochmals veranschaulicht ‒ von Betreiber:innen auch etwa für Tagungs- und Konferenzgäste, die aus anderen Büroarbeitswelten ihren Weg in einen Coworking-Space als Veranstaltungsort finden, gern in Szene gesetzt:
„Wir hatten immer sehr viele Veranstaltungen, […]. Die (wollen) halt alles ein bisschen hip und startup-mäßig […]. Da wollen viele auch Veranstaltungen machen und finden das schön, ne? Ja, man fühlt sich manchmal wie ein Ausstellungsstück, wenn man da arbeitet. Weil halt oftmals da, ich sage mal, zehn, zwanzig Leute durchlaufen und sich das halt anschauen.“
IC01; 26842:27415
Darüber hinaus stellen Coworking-Spaces ihren Mitgliedern vor allem eine technische Infrastruktur zur Verfügung. Die Stärke und Stabilität der Internetverbindung wird in den Interviews als „überlebenswichtig“ für die Umsetzung des Gestaltungskonzepts betrachtet. Bezüglich der Hardware gehen Betreiber:innen aber vom Prinzip „bring your own device“ aus. Das Arbeitsgerät – der Laptop, das Tablet usw. ‒ muss von den Coworker:innen selbst mitgebracht und auch entsprechend technisch beherrscht und gewartet werden. Hardware-Ausstattungen in Coworking-Spaces beschränken sich auf die Verfügbarkeit von Druckergeräten und von Server- oder Cloudkapazitäten, die verbunden mit der Mitgliedschaft Speicherkapazitäten bieten und die Einbindung in ein virtuelles Arbeitskommunikationsnetzwerk erlauben. Darüber hinaus werden in einigen der beobachteten Coworking-Spaces zur Mitgliederbindung aktiv Vernetzungstools genutzt, insbesondere Slack. [8] Es wird auch davon ausgegangen, dass Mitglieder bereit sind, sich selbst mit weiteren Kommunikationstools wie WhatsApp, Zoom oder Webex auszustatten, um aktiv an virtuellen Vernetzungsaktivitäten teilnehmen zu können. Gerade vor dem Hintergrund neuer Bedürfnisse der Coworker:innen, die sich im Nachklang der Corona-Pandemie bereits deutlich herauskristallisieren, bauen Coworking-Space-Betreiber:innen inzwischen zunehmend räumliche und technische Strukturen auf, die eine ungestörte Teilnahme an Videomeetings oder Live-Video-Präsentationsformaten ermöglichen.
3.3 Coworking als Arbeitsorganisations- und Geschäftsmodell
Neben der Umsetzung eines passenden Infrastrukturkonzepts stellt sich für die Betreiber:innen immer wieder die Frage, wie intensiv diese die Betreuung und Vernetzung der im Coworking-Space arbeitenden Coworker:innen betreiben wollen. In dem Sample der befragten Expert:innen konnten diesbezüglich zwei Konzepte identifiziert werden. Einerseits ließ sich vor allem in kleineren Spaces ein Unterstützungskonzept beobachten, das die Community-Arbeit der Coworking-Community weitgehend selbst überträgt. Netzwerkarbeit wird dann (nur) durch die Position eines oder einer zeitweise anwesenden Spacemanager:in [9] aktiv unterstützt. Andererseits war vor allem in größeren und kommerziell betriebenen Coworking-Spaces eine Professionalisierung der internen Vernetzungsarbeit im Space durch die Bestimmung und Anstellung von Community-Manager:innen zu beobachten.
Die Position der Spacemanager:in umfasst vor allem Aufgaben wie das Management der Zu- und Abgänge von Mitgliedern sowie die Organisation und Aufrechterhaltung der technischen und Dienstleistungsstruktur. Die Spacemanager:in sorgt für Nachschub bei Kaffee, Kaltgetränken oder Obst, achtet auf die Sauberkeit im Space und unterstützt Veranstaltungskonzepte und Weiterentwicklungsmaßnahmen im Sinne der Mitgliedergemeinschaft.
Community-Manager:innen wird demgegenüber ein größeres Aufgabenspektrum übertragen, das vor allem auf die aktive Community-Arbeit im Space ausgerichtet ist. Sie stehen den Mitgliedern als Berater:innen und Vermittler:innen zur Seite und pflegen virtuelle Kommunikationsnetzwerke in Form eines eigenen Intranets oder einer eigenen Slack-Community. Sie organisieren zudem regelmäßig verschiedene Events sowie lokale und virtuelle Austauschformate und sorgen so für eine intensive Vernetzung der Community im Coworking-Space. Oftmals ist es auch die Aufgabe von Community-Managern, den „Branchenmix“ in der Mitgliedergemeinschaft eines Coworking-Space aktiv zu gestalten oder durch gezielte Angebote die aktive Zusammenarbeit der Mitglieder eines Coworking-Space zu befördern. Sowohl in stärker kommerziell als auch in gemeinnützig ausgerichteten Coworking-Spaces kann von einer Kuratierung der Community durch die Community-Manager:innen gesprochen werden (vgl. Merkel 2015, 130). Im Rahmen dieses Konzepts wird die Community selbst Gegenstand des kommerziellen oder gemeinnützigen Interesses und die Aktivitäten der Community-Manager:innen zielen darauf, aus der Community heraus über Vernetzungs- und Vermittlungsarbeit wirtschaftliche oder regionalpolitische und gemeinnützige Aktivitäten zu befördern.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die in den beforschten Coworking-Spaces facettenreich umgesetzten Geschäftsmodelle der Generierung von Einnahmen einmal näher, lässt sich hieraus eine konkrete Differenzierung von Coworking-Spaces ableiten (vgl. Abbildung 1 mit den entsprechenden Geschäftsmodellen, GM). Sehr grob kann eine Form von Coworking-Spaces identifiziert werden, die sich auf die Umsetzung des Basiskonzepts – Schaffung eines Orts der arbeitsbezogenen Vernetzung und Begegnung – fokussiert und Einnahmen nur in dem Umfang generiert, wie es für das Bestehen des Orts notwendig ist (GM I). Die Mehrzahl der befragten Betreiber:innen lagert aber darüber hinaus weitere Geschäftsmodelle oder Entwicklungsziele an das Basiskonzept an. Eine Gruppe des Samples verfolgt das Ziel, ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell zu etablieren, eine andere Gruppe verknüpft mit der Weiterentwicklung ihres Betreiberkonzepts eher das Ziel, gemeinnützige und regional bezogene Aktivitäten zu verstärken.

Das Geschäftsmodell Coworking-Space mit allen beobachteten Ausprägungen (eigene Darstellung)
Dabei nutzen Betreiber für die Erweiterung des Geschäftsmodells und die Generierung von Entwicklungszielen ihres Coworking-Space vor allem die zwei zentralen Elemente des Basiskonzepts Coworking – einerseits wird der gemeinsam genutzte Raum zur Grundlage der Entwicklung weiterer Geschäftsmodelle und Entwicklungsziele (GM II‒IV), andererseits kann aber auch die im Raum versammelte Community einen Fokus für die Entwicklung weiterer Einnahmequellen bzw. Entwicklungsziele generieren (GM V‒VII).
Je weiter sich die Betreiberkonzepte ausdifferenzieren, desto intensiver wird das Grundmodell (GM I) mit weiteren Geschäfts- und Vergemeinschaftungszielen verknüpft. Für einige Betreiber:innen stehen dabei Dienstleistungen wie die Ausrichtung von professionellen Veranstaltungen (Raumdienstleistung, Übernachtungsgeschäft, Catering usw., vgl. GM II), die Bereitstellung eines gastronomischen Angebots (GM III) oder die Organisation von Events, Schulungen und anderen Bildungsdienstleistungen im Vordergrund (GM IV). Als Vergemeinschaftungsziele oder Geschäftsmodelle anderer Betreiber:innen kooperativer Arbeitsorte lassen sich beobachten: die Nutzung des Raums zur Durchsetzung gemeinnütziger Ziele (GM V), das kommerzielle Interesse an der Akquise und Bereitstellung von Fachexpertise, die sich aus dem Kreis der Mitglieder des Coworking-Space generiert (GM VI), die Vermarktung von Dienstleistungen der Mitglieder an Firmenkunden sowie die Vermittlung von Aufträgen oder von Arbeitskräften (GM VII).
Über diese Geschäftsmodelle hinaus beschreiben aber auch einige der befragten Betreiber:innen, dass sich mit der wachsenden Wahrnehmung für das Raum- und Dienstleistungsangebot des eigenen Coworking-Space inzwischen auch ein Beratungsgeschäft entwickelt hat. Dieses setzt am Interesse größerer Unternehmen, Institutionen und Behörden an, zunehmend Strukturelemente des Konzepts Coworking in ihre Arbeitswelten zu übernehmen und sich hierfür von erfolgreichen Akteuren wie größeren und bekannteren Coworking-Space-Betreiber:innen oder erfahrenen Coworker:innen entsprechend beraten zu lassen (Krause 2022a, 223 ff.) Einige der im Sample befragten Betreiber:innen kooperativer Arbeitsorte entwickeln sich damit zu neuen Intermediären oder Dienstleistern weiter, die die Umgestaltung von Büroarbeitswelten als vermittelnde und beratende Akteure mitgestalten (vgl. Krause 2022a, 223), da sie die Expertise, die aus ihren Erfahrungen mit dem Aufbau und der Weiterentwicklung ‚dritter Arbeitsorte‘ resultiert, vermarkten und/oder in regionalpolitische Gestaltungsdebatten einbringen. Förderlich sind diese Aktivitäten aus Sicht der Betreiber:innen im doppelten Sinne: Einerseits erzeugen sie für den konkreten Betreiber Aufmerksamkeit, andererseits verhelfen sie dem Konzept Coworking und dem Geschäftsmodell Coworking-Space zu einer größeren Legitimität in unterschiedlichen Kreisen von Akteuren der deutschen Arbeitsgesellschaft, wofür einige der befragten Betreiber:innen sehr stark werben:
„Und wie ich vorhin schon meinte, nicht jede Kultur passt in jeden Raum. Und Räume prägen. Und wer hier reingeht, dessen Unternehmenskultur wird sich ändern. Das kann ich sehr klar sagen.“
TK_I_SB_23; 38316:38600
Letztlich sind es vor allem die Coworking-Space-Betreiber:innen selbst, die aktiv und auf Basis ihrer Erfahrungen die in Abschnitt 2 beschriebenen Netzwerk- und Verbandsstrukturen aufbauen, um für „ihr“ Konzept mehr Aufmerksamkeit zu erhalten und gleichzeitig einen gestalterischen Einfluss auf die laufenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse zu forcieren.
4 Einordnung in die Debatte zum Strukturwandel von Büroarbeitswelten ‒ Strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Um die skizzierten Befunde der empirischen Studie in die Debatte zum Strukturwandel von Büroarbeitswelten einordnen zu können, lohnt es sich, die herausgearbeiteten Strukturen und rahmenden Wertvorstellungen des Konzepts Coworking denen der Vorstellung von Normalarbeit (vgl. Mückenberger 1985) in industriell geprägten Büroarbeitswelten gegenüberzustellen.
Strukturelle Gemeinsamkeiten finden sich vor allem auf der Analyseebene der Beschreibung der Raumkonzepte von industriell geprägten Büroarbeitswelten und Coworking-Spaces. Sie können als ‚zweite‘ bzw. ‚dritte‘ Orte der Arbeit betrachtet und somit gemeinsam dem Homeoffice als sogenanntem ‚erstem‘ Arbeitsort gegenübergestellt werden. Die Trennung von Arbeitsort und privatem Lebensbereich bietet Büroarbeiter:innen – anders als in einem Homeoffice-Arbeitskontext ‒ die Möglichkeit, die Arbeit in einem professionellen Umfeld auszuführen und hierbei Mitglied einer Gemeinschaft von Arbeitstätigen oder eben Coworker:innen zu werden. Auch unterscheiden sich die räumlichen Gestaltungskonzepte, die grundlegend auf der Bereitstellung von Großraumbüros mit einer funktionalen Abtrennung von kleineren Raumeinheiten und Konferenz- beziehungsweise Gemeinschaftsräumen beruhen, nur in einigen Teilelementen (siehe unten) voneinander. Gemein ist beiden Arbeitsorten, dass den Arbeitenden eine räumliche-technische sowie digitale Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, die durch unterstützendes Personal immer wieder an die Bedürfnisse der Nutzer:innen angepasst wird. Zudem ist in beiden Arbeitskontexten die Etablierung von Austausch- und Weiterbildungsformaten wesentlich, um die Fortentwicklung der Workforce zu unterstützen. Und letztlich ist es inzwischen auch ein wesentliches Ziel von Coworking-Spaces, mit ihrer Tätigkeit sowie den Tätigkeiten ihrer Mitglieder eine „Marke“ zu generieren, die für die in diesen Organisationsformen stattfindenden Aktivitäten Aufmerksamkeit schafft und somit – ähnlich wie in industriell geprägten Arbeitsorganisationen ‒ eine Professionalisierung der stattfindenden Tätigkeiten und Aktivitäten anregt.
Allerdings zeigt die oben dargelegte tiefere Analyse der Umsetzung des Konzepts Coworking in Form konkreter Betreibermodelle von Coworking-Spaces, dass für die Arbeitswelten in den beobachteten Coworking-Spaces im Vergleich zur Ausführung von Büroarbeit in industriell geprägten Arbeitsorganisationen einige Besonderheiten herausgearbeitet werden können.
Wenngleich sich die Raumkonzepte im Allgemeinen gleichen, so ist doch die Frage der Organisation und Verteilung von Arbeit und Arbeitskraft ganz anders angelegt. Die Umsetzung des Konzepts Coworking orientiert gerade darauf, die Zusammenarbeit organisational und vertraglich unterschiedlich (ein)gebundener Büroarbeiter:innen durch ein ansprechendes Raum- und Organisationskonzept zu inspirieren, und eben nicht darauf, die Zusammenarbeit von Arbeitskräften zu organisieren, die in der funktionalen Arbeitsteilung eines Unternehmens gemeinsame Arbeitsziele verfolgen. Das bedeutet, dass sich der organisationale Kern der Konzepte Coworking und ‚industriell geprägte Normalarbeit‘ wesentlich unterscheidet. Coworking kann vor diesem Hintergrund zusammenfassend beschrieben werden als ein Konzept von Arbeitshandeln, das auf die temporäre Wiederherstellung von Arbeitsbezügen und Arbeitsnormalitäten nach dem Vorbild industriell geprägter Arbeitswelten zielt, hierbei aber die Aufrechterhaltung eines höheren Grades von Arbeitsautonomie und von individuellen Möglichkeiten der räumlich-zeitlichen Arbeitsgestaltung anvisiert und das Streben nach der Realisierung alternativer Lebensentwürfe und Wirtschaftskonzepte, wie sie sich in der jüngeren Start-up-Community und der Kreativwirtschaft entwickelt haben, aufnimmt. Dabei basiert Coworking in der Regel auf einer Dreiecksbeziehung zwischen Coworking-Space-Betreiber:innen, Coworker:innen und den Arbeit- und Auftraggeber:innen der Coworker:innen. Eine feste und dauerhafte Bindung der drei Parteien wird in der Regel nicht angestrebt, vielmehr prägt das Leitbild der Flexibilität die Arbeits- und Vertragsbeziehungen von Coworker:innen und somit das Organisationsmodell „Coworking Space“.
In der tieferen Analyse der Befunde der vorliegenden Studie spiegelt sich dieser zentrale Unterschied in den Basiskonzepten von Coworking und Normalarbeit in fünf Dimensionen wider, die bereits mit den in Abschnitt 3.2 gelisteten, pragmatisch zu beantwortenden Fragen bei der Entwicklung von Betreiberkonzepten von Coworking-Spaces aufgeworfen wurden.
Erstens zeigen sich bezogen auf die Gestaltung von Büroarbeitsgebäuden und Räumen einige wesentliche Detailunterschiede. Viele Coworking-Spaces entwickeln ihre räumlich-technische Infrastruktur und die Innenausstattung von Räumen vorrangig unter der Maßgabe, dass Räume möglichst kurzfristig und ohne große Anstrengung flexibel umgestaltet und genutzt werden können.
Zweitens versuchen sich Coworking-Communities auch als Vorreiter der Etablierung neuer digitaler Tools der Bürokommunikation darzustellen, womit Coworking-Space-Betreiber:innen einen besonderen Wert auf die Bereitstellung einer technischen Infrastruktur legen müssen. Coworker:innen und Coworking-Space-Betreiber:innen beschreiben sich selbst in der Studie immer wieder als technikaffin, neugierig und experimentierfreudig.
Drittens liegen die Planung des Arbeitsalltags und die Realisierung von Arbeitszeiten sowie die Entscheidung über die Nutzung von Arbeitsorten zu bestimmten Arbeitszeiten in den Coworking-Spaces vollständig in der Verantwortung der Coworker:innen, was große Gestaltungsspielräume eröffnet, aber auch die Gefahr der Selbstausbeutung in sich birgt (vgl. Spinuzzi 2012). Space- oder Community-Manager:innen, die in den Spaces die Mitgliederbetreuung übernehmen, mischen sich in die Arbeitsorganisation der Mitglieder nicht ein. Für die Absicherung der Coworker:innen gegen soziale und gesundheitliche Risiken fühlen sie sich nicht zuständig.
Viertens wird in vielen Coworking-Spaces, die ein aktives Community-Management betreiben, ein breites Angebot an Austausch- und Weiterbildungsformaten geschaffen. Damit soll den Mitgliedern eines Coworking-Space ein erweiterter Handlungsspielraum eröffnet werden. Die Verantwortung aber, inwiefern diese Angebote das Arbeitshandeln der einzelnen Coworker:innen beeinflussen, wird immer diesen selbst übertragen.
Fünftens setzten viele Coworking-Space-Betreiber:innen darauf, dass ihre Mitglieder sich selbst und ihre Kompetenzen auch aktiv in die Weiterentwicklung des äußeren Netzwerks und in die Verbesserung der äußeren Wahrnehmung einbringen. Einen konkreten Beitrag leisten in den Coworking-Spaces diesbezüglich auch die Community-Manager:innen, die die im Space ansässige Community durch Auswahl-, Anwerbe-, Vernetzungs- und Vermittlungsprozesse kurativ weiterentwickeln und somit den Kern dieser Organisationsform ausgestalten.
5 Fazit und Ausblick
Wie der Überblick über die Literatur und die dargestellten empirischen Befunde zeigen, hat sich mit der Adaption und Umsetzung des Konzeptes Coworking für die Gestaltung von Arbeitsorten ein in wesentlichen Facetten anderes Modell der Organisation von Arbeit entfaltet. Das zunächst als eine alternative Idee und ein neues Rationalitätskonzept (vgl. Meyer/Rowan 1991) von zahlreichen Akteuren entwickelte Konzept Coworking entfaltet inzwischen insbesondere durch die breite Etablierung von Umsetzungskonzepten in der Form von Coworking-Spaces eine eigene Wirkung auf den Strukturwandel von Arbeitswelten in unterschiedlichen Dimensionen.
Die dargestellten Befunde der Analyse ergänzend, lässt sich in jüngster Zeit als Folgewirkung der Corona-Pandemie eine Annäherung von industriell geprägten Büroarbeitswelten und Coworking-Spaces als ‚zweite‘ und ‚dritte‘ Orte der Arbeit beobachten. Coworking als alternatives, wertegebundenes Gestaltungskonzept von Arbeit und Leben wirkt nun vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Realexperiment Corona, der Umstellung von Büroarbeitswelten zu Distanzarbeitswelten, in stärker industriell geprägte Büroarbeitswelten hinein. Die mit diesem Konzept verbundenen Freiheiten der Festlegung eines eigenenArbeitsrhythmus, der Anpassung von Arbeitszeiten an die Bedürfnisse aus anderen Lebensbereichen und der Verbindung von Arbeiten mit Lernen und Leben sollen nicht mehr nur den Gruppen der Soloselbstständigen, Freelancer:innen und Startup-Unternehmer:innen vorbehalten sein.
Auch die Auswertung der Interviews, die während der Corona-Pandemie geführt wurden, zeigt, dass Coworking-Space-Betreiber:innen vor dem Hintergrund der gewachsenen Akzeptanz für ihr Konzept Coworking verstärkt um angestellte Arbeitnehmer:innen als weitere Nutzergruppe ihres Angebots werben. Wesentliche Argumente, die hierbei ins Spiel gebracht werden, sind ökologische Effizienzüberlegungen, die in der Nutzung von dritten Arbeitsorten zur Verringerung langer Pendelzeiten bestehen, aber auch die wachsende Akzeptanz von digitalen Arbeitstools und Konferenzformaten, die das Remote-Arbeiten weiter vorantreiben.
Coworking-Space-Betreiber:innen verstehen sich – so zeigen die in der Studie zuletzt geführten Wiederholungsinterviews ‒ in dieser Vermarktungslogik ihres Raum- und Infrastrukturangebots zunehmend als lokale Knotenpunkte, die das Arbeiten auf den verschachtelten Bühnen der virtuellen Moderne in realen und Informationsraumbezügen (vgl. Boes/Kämpf 2010; Boes/Haug 2022) ermöglichen und gleichzeitig einen Beitrag zur Entstehung neuer Vergemeinschaftungsformen und zur Beförderung alternativer Wirtschaftskonzepte leisten.
Wie weit sich die von den Expert:innen beschriebene Logik der Interpretation von Coworking-Spaces als nachhaltige Arbeitsorte mit dem weiteren Ausbau digitaler Arbeitsinfrastrukturen und im Kontext der gesellschaftlichen Debatte um die Realisierung sozial-ökologischer Nachhaltigkeitsziele durchsetzen wird, ist derzeit nicht absehbar. Sichtbar ist aber bereits, dass sich Coworking-Spaces als Vorreiter der Etablierung räumlich-zeitlich flexibler Gestaltungskonzepte von Arbeit sowie der Nutzung neuer technischer Tools im Arbeitsalltag etablieren konnten. Der Hinweis einiger Coworking-Space-Betreiber:innen, dass Coworking-Spaces immer dann erfolgreich sind, wenn sie sich in vergleichbarer Weise wie ehemals bekannte Großkonzerne oder regional angesehene KMU als Marke etablieren können, verweist darauf, dass sich hier eine Dynamik mimetischer Anpassungsprozesse (DiMaggio/Powell 1983) in Büroarbeitskontexten entfaltet, die zu einer weiteren Auflösung industriell geprägter Arbeits- und Beschäftigungsarrangements insbesondere in Büroarbeitswelten beitragen wird. Diesen Prozess gilt es durch umfassendere Studien zur weiteren Entwicklung des Konzeptes Coworking und der neuen gesellschaftlichen Rolle von Coworking-Spaces als Intermediäre in digitalisierten und virtualisierten Arbeitswelten weiter zu beobachten.
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