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Andere im Ich – Psychoanalytische Reflexionen suizidaler Subjektivierungen als möglicher Beitrag der Sorge um einen freien Willen zu sterben

  • Simon Duncker
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Gelingende Sterbehilfe?
This chapter is in the book Gelingende Sterbehilfe?

Zusammenfassung

Der Text geht von einem Widerspruch zwischen Souveränität und Relationalität des suizidalen Subjekts aus, der die Debatte um assistierten Suizid strukturiert. Dem Problem der Souveränität kann spätestens seitdem das BVerfG die Feststellung eines freien, autonomen und konsistenten Willens zur einzigen erlaubten Bedingung für Suizidassistenz gemacht hat, nicht mit dem Verweis auf die relationale Verfasstheit von Autonomie ausgewichen werden. Simon Duncker argumentiert dafür, dass Grundbegriffe der Psychoanalyse Spezifika aufweisen, die sie dafür prädestinieren, den Widerspruch eines abhängigen Souveräns nicht zu lösen, aber mit ihm umgehen zu können. Dazu zählt erstens ein widersprüchlicher Begriff von psychoanalytischer Aufklärung, die einerseits Selbsttransparenz herzustellen versucht, andererseits aber auch ihr verdunkelndes Moment betont. Zweitens ermöglicht der Begriff des Unbewussten, die Abhängigkeit eines relativ freien Sterbewillens von internalisierten gesellschaftlichen anderen in eine Reflexion des Ichs hineinzuholen. Und drittens konzipiert der Begriff der Übertragung das psychoanalytische Gespräch als eine Wahrheitspraxis, durch die suizidale Subjekte diese Reflexion in der Beziehung zur Analytikerin vollziehen können, die die anderen ihrer Abhängigkeitsverhältnisse repräsentiert. So könnte Psychoanalyse eine besondere Rolle bei Verfahren spielen, die der Sorge um den freien Willen von Menschen dienen, die Suizidassistenz in Anspruch nehmen möchten. Dafür dürfte sich Psychoanalyse jedoch nicht als Psychologie, sondern müsste sich als ethische Praxis verstehen.

Zusammenfassung

Der Text geht von einem Widerspruch zwischen Souveränität und Relationalität des suizidalen Subjekts aus, der die Debatte um assistierten Suizid strukturiert. Dem Problem der Souveränität kann spätestens seitdem das BVerfG die Feststellung eines freien, autonomen und konsistenten Willens zur einzigen erlaubten Bedingung für Suizidassistenz gemacht hat, nicht mit dem Verweis auf die relationale Verfasstheit von Autonomie ausgewichen werden. Simon Duncker argumentiert dafür, dass Grundbegriffe der Psychoanalyse Spezifika aufweisen, die sie dafür prädestinieren, den Widerspruch eines abhängigen Souveräns nicht zu lösen, aber mit ihm umgehen zu können. Dazu zählt erstens ein widersprüchlicher Begriff von psychoanalytischer Aufklärung, die einerseits Selbsttransparenz herzustellen versucht, andererseits aber auch ihr verdunkelndes Moment betont. Zweitens ermöglicht der Begriff des Unbewussten, die Abhängigkeit eines relativ freien Sterbewillens von internalisierten gesellschaftlichen anderen in eine Reflexion des Ichs hineinzuholen. Und drittens konzipiert der Begriff der Übertragung das psychoanalytische Gespräch als eine Wahrheitspraxis, durch die suizidale Subjekte diese Reflexion in der Beziehung zur Analytikerin vollziehen können, die die anderen ihrer Abhängigkeitsverhältnisse repräsentiert. So könnte Psychoanalyse eine besondere Rolle bei Verfahren spielen, die der Sorge um den freien Willen von Menschen dienen, die Suizidassistenz in Anspruch nehmen möchten. Dafür dürfte sich Psychoanalyse jedoch nicht als Psychologie, sondern müsste sich als ethische Praxis verstehen.

Chapters in this book

  1. Frontmatter I
  2. Inhalt V
  3. Einleitung: Gelingende Sterbehilfe? 1
  4. Ein resonanzphilosophischer Anfang
  5. Kann Suizidassistenz ein Sterben in Selbstachtung unterstützen? Plädoyer für eine Resonanzethik des Sterbens in Achtung vor sich selbst und den anderen 15
  6. Teil I: Schwerpunkt Anthropologie: Menschliches Sterben als Beziehungsgeschehen
  7. Altersmedizin und Sterbebegleitung 45
  8. Begleiten und Loslassen, Sterben und Miteinandersterben – fiktional und autofiktional 67
  9. Der vergessene Trost. Über die halbierte Anthropologie der Sterbehilfe 87
  10. Die Zeit des Sterbens 103
  11. Teil II: Schwerpunkt Sterbensethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Sterbebegleitung?
  12. Denkperspektiven über die Begleitung eines alten Sterbenden 129
  13. Die Verletzlichkeit des Sterbenden und ihre Aufforderung zur Sorge 143
  14. Sterbebegleitung in der medizinischen Praxis 151
  15. „…jede Hilfe zu spät…“ 161
  16. Teil III: Schwerpunkt Suizidethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Begleitung von Menschen mit Suizidwunsch und ihrer Angehörigen?
  17. Assistierter Suizid: Die Bedeutung der psychiatrischen Perspektive und von Suizidprävention 181
  18. Andere im Ich – Psychoanalytische Reflexionen suizidaler Subjektivierungen als möglicher Beitrag der Sorge um einen freien Willen zu sterben 201
  19. Praxis klinischer Seelsorge bei Todeswünschen – eine besondere Herausforderung im psychiatrischen Kontext 221
  20. Trauer und psychische Belastungen nach einem assistierten Suizid 233
  21. Suizid und assistierter Suizid – ein Blick auf die Angehörigen und Zugehörigen 241
  22. Teil IV: Schwerpunkt Sozialtheorie: Gesellschaftliche und rechtliche Kontexte der Suizidassistenz
  23. Unterschiedliche Ansätze für das gleiche Ziel: Analyse der Entwürfe für ein Gesetz über die Sterbehilfe in Deutschland und in Frankreich 263
  24. Solidarität statt Suizid. Sind wir auf dem Weg in eine Technokratie des Sterbens? 279
  25. Teil V: Ein trialogischer Schluss
  26. Suizidalität, Suizidprävention und Trialog: Impulse verschiedener Traditionsstränge für die multidisziplinäre Praxis 293
  27. Autorenverzeichnis 305
Downloaded on 21.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783111553597-012/html
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