Assistierter Suizid: Die Bedeutung der psychiatrischen Perspektive und von Suizidprävention
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Barbara Schneider
Zusammenfassung
Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 festgelegt, dass eine freie Suizidentscheidung die Fähigkeit voraussetzt, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können. Somit ist die Freiverantwortlichkeit eine unerlässliche Bedingung für die Straffreiheit der Suizidhilfe. Jedoch ist es bisher nicht wissenschaftlich geklärt, was genau „Freiverantwortlichkeit“ in der Entscheidung zum Suizid bedeutet und welche Beurteilungskriterien gelten sollen. Zur Beurteilung zum Ausschluss einer akuten psychischen Störung durch den Psychiater, empfiehlt sich als eine Möglichkeit, als Methodik zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit grundsätzlich dieselbe wie bei anderen psychiatrischen Begutachtungen im Straf- und Zivilrecht anzuwenden. Unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller relevanten Umstände wird aufgrund eines oder mehrerer Untersuchungsgespräche mit Erhebung des psychischen Befunds zunächst auf der ersten Beurteilungsebene festgestellt, ob eine relevante psychische Beeinträchtigung vorliegt. Auf der zweiten Beurteilungsebene wird unter Berücksichtigung von Verständnis, Verarbeitung, Bewertung und Bestimmbarkeit des Willens geprüft, welche Auswirkungen die psychischen Funktionsdefizite auf die zu beurteilende Gutachtensfrage haben. Die Reflexion über einen Suizidwunsch benötigt Zeit, oft im Rahmen von vielen Monaten. Die Möglichkeit der Reflexion ist aus Sicht der Suizidprävention eine Voraussetzung, um eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Der Rahmen eines Begutachtungsverfahrens mit dem Ziel, die Gabe eines tödlichen Medikaments zum assistierten Suizid zu ermöglichen oder zu verweigern, unterstützt Menschen mit Suizidgedanken nicht in der Entscheidungsfindung.
Zusammenfassung
Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 festgelegt, dass eine freie Suizidentscheidung die Fähigkeit voraussetzt, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können. Somit ist die Freiverantwortlichkeit eine unerlässliche Bedingung für die Straffreiheit der Suizidhilfe. Jedoch ist es bisher nicht wissenschaftlich geklärt, was genau „Freiverantwortlichkeit“ in der Entscheidung zum Suizid bedeutet und welche Beurteilungskriterien gelten sollen. Zur Beurteilung zum Ausschluss einer akuten psychischen Störung durch den Psychiater, empfiehlt sich als eine Möglichkeit, als Methodik zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit grundsätzlich dieselbe wie bei anderen psychiatrischen Begutachtungen im Straf- und Zivilrecht anzuwenden. Unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller relevanten Umstände wird aufgrund eines oder mehrerer Untersuchungsgespräche mit Erhebung des psychischen Befunds zunächst auf der ersten Beurteilungsebene festgestellt, ob eine relevante psychische Beeinträchtigung vorliegt. Auf der zweiten Beurteilungsebene wird unter Berücksichtigung von Verständnis, Verarbeitung, Bewertung und Bestimmbarkeit des Willens geprüft, welche Auswirkungen die psychischen Funktionsdefizite auf die zu beurteilende Gutachtensfrage haben. Die Reflexion über einen Suizidwunsch benötigt Zeit, oft im Rahmen von vielen Monaten. Die Möglichkeit der Reflexion ist aus Sicht der Suizidprävention eine Voraussetzung, um eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Der Rahmen eines Begutachtungsverfahrens mit dem Ziel, die Gabe eines tödlichen Medikaments zum assistierten Suizid zu ermöglichen oder zu verweigern, unterstützt Menschen mit Suizidgedanken nicht in der Entscheidungsfindung.
Chapters in this book
- Frontmatter I
- Inhalt V
- Einleitung: Gelingende Sterbehilfe? 1
-
Ein resonanzphilosophischer Anfang
- Kann Suizidassistenz ein Sterben in Selbstachtung unterstützen? Plädoyer für eine Resonanzethik des Sterbens in Achtung vor sich selbst und den anderen 15
-
Teil I: Schwerpunkt Anthropologie: Menschliches Sterben als Beziehungsgeschehen
- Altersmedizin und Sterbebegleitung 45
- Begleiten und Loslassen, Sterben und Miteinandersterben – fiktional und autofiktional 67
- Der vergessene Trost. Über die halbierte Anthropologie der Sterbehilfe 87
- Die Zeit des Sterbens 103
-
Teil II: Schwerpunkt Sterbensethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Sterbebegleitung?
- Denkperspektiven über die Begleitung eines alten Sterbenden 129
- Die Verletzlichkeit des Sterbenden und ihre Aufforderung zur Sorge 143
- Sterbebegleitung in der medizinischen Praxis 151
- „…jede Hilfe zu spät…“ 161
-
Teil III: Schwerpunkt Suizidethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Begleitung von Menschen mit Suizidwunsch und ihrer Angehörigen?
- Assistierter Suizid: Die Bedeutung der psychiatrischen Perspektive und von Suizidprävention 181
- Andere im Ich – Psychoanalytische Reflexionen suizidaler Subjektivierungen als möglicher Beitrag der Sorge um einen freien Willen zu sterben 201
- Praxis klinischer Seelsorge bei Todeswünschen – eine besondere Herausforderung im psychiatrischen Kontext 221
- Trauer und psychische Belastungen nach einem assistierten Suizid 233
- Suizid und assistierter Suizid – ein Blick auf die Angehörigen und Zugehörigen 241
-
Teil IV: Schwerpunkt Sozialtheorie: Gesellschaftliche und rechtliche Kontexte der Suizidassistenz
- Unterschiedliche Ansätze für das gleiche Ziel: Analyse der Entwürfe für ein Gesetz über die Sterbehilfe in Deutschland und in Frankreich 263
- Solidarität statt Suizid. Sind wir auf dem Weg in eine Technokratie des Sterbens? 279
-
Teil V: Ein trialogischer Schluss
- Suizidalität, Suizidprävention und Trialog: Impulse verschiedener Traditionsstränge für die multidisziplinäre Praxis 293
- Autorenverzeichnis 305
Chapters in this book
- Frontmatter I
- Inhalt V
- Einleitung: Gelingende Sterbehilfe? 1
-
Ein resonanzphilosophischer Anfang
- Kann Suizidassistenz ein Sterben in Selbstachtung unterstützen? Plädoyer für eine Resonanzethik des Sterbens in Achtung vor sich selbst und den anderen 15
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Teil I: Schwerpunkt Anthropologie: Menschliches Sterben als Beziehungsgeschehen
- Altersmedizin und Sterbebegleitung 45
- Begleiten und Loslassen, Sterben und Miteinandersterben – fiktional und autofiktional 67
- Der vergessene Trost. Über die halbierte Anthropologie der Sterbehilfe 87
- Die Zeit des Sterbens 103
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Teil II: Schwerpunkt Sterbensethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Sterbebegleitung?
- Denkperspektiven über die Begleitung eines alten Sterbenden 129
- Die Verletzlichkeit des Sterbenden und ihre Aufforderung zur Sorge 143
- Sterbebegleitung in der medizinischen Praxis 151
- „…jede Hilfe zu spät…“ 161
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Teil III: Schwerpunkt Suizidethik: Was sind Formen einer gelingenden bzw. misslingenden Begleitung von Menschen mit Suizidwunsch und ihrer Angehörigen?
- Assistierter Suizid: Die Bedeutung der psychiatrischen Perspektive und von Suizidprävention 181
- Andere im Ich – Psychoanalytische Reflexionen suizidaler Subjektivierungen als möglicher Beitrag der Sorge um einen freien Willen zu sterben 201
- Praxis klinischer Seelsorge bei Todeswünschen – eine besondere Herausforderung im psychiatrischen Kontext 221
- Trauer und psychische Belastungen nach einem assistierten Suizid 233
- Suizid und assistierter Suizid – ein Blick auf die Angehörigen und Zugehörigen 241
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Teil IV: Schwerpunkt Sozialtheorie: Gesellschaftliche und rechtliche Kontexte der Suizidassistenz
- Unterschiedliche Ansätze für das gleiche Ziel: Analyse der Entwürfe für ein Gesetz über die Sterbehilfe in Deutschland und in Frankreich 263
- Solidarität statt Suizid. Sind wir auf dem Weg in eine Technokratie des Sterbens? 279
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Teil V: Ein trialogischer Schluss
- Suizidalität, Suizidprävention und Trialog: Impulse verschiedener Traditionsstränge für die multidisziplinäre Praxis 293
- Autorenverzeichnis 305