Defense Science Board: Study on Strategic Surprise. 2015.
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Martin Eduard Debusmann
Die Summer Study des US-amerikanischen Defense Science Board aus dem Jahr 2014 (veröffentlicht im Juli 2015) beschäftigt sich mit möglichen Elementen eines „strategischen Überraschungsmoments (strategic surprise)“. Die Verfasser, zivile Experten des 1956 durch das U.S. Department of Defense geschaffenen Defense Science Board, bezeichnen als einen „strategischen Überraschungsmoment“ eine Situation, auf die die Vereinigten Staaten militärisch nicht ausreichend vorbereitet sein könnten und die deshalb in sehr hohen Kosten münden würde. Die Gefahr einer solchen Situation steige durch die zunehmenden Zugangsmöglichkeiten einer neuen Vielzahl potentieller Gegner zu neuster Technologie. Die Verfasser machen zudem Vorschläge, wie die USA selbst ein strategisches Überraschungsmoment für ihre Gegner schaffen könnten. Die Studie wurde durch den Under Secretary of Defense for Acquisition, Technology, and Logistics mit der Fragestellung beauftragt, auf welche Weise im nächsten Jahrzehnt möglichen Bedrohungen begegnet werden müsse („prevent regrets in 2024“).
Acht Kernfelder wurden für die Studie analysiert: Die Bekämpfung nuklearer Proliferation; die Verteidigung gegen und mit ballistischen Waffen und Cruise Missiles; die Weltraumsicherheit; die Unterwasserkriegsführung; Cyber; Kommunikation, Positionsbestimmung und Navigation sowie Timing (PNT); die Spionageabwehr; sowie eine auch im Krisenfall zuverlässige Logistik. Die Autoren wendeten zur Bewertung eine klassische Risikomatrix mit den zwei Dimensionen der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes an und schlagen Gegenmaßnahmen nach Kosten- und Zeitaspekten vor.
Die Studie regt ein Umdenken im Hinblick auf den „left of launch“-Ansatz an, der auf einen Präventivschlag mit nicht-kinetischen Mitteln (Cyber, elektromagnetische Impulse) gegen Nuklearwaffen setzt, bevor diese gezündet werden können. Gleichzeitig erfolgen Vorschläge für Optionen zur vorsorglichen Stationierung in möglichen Krisengebieten („prepositioning of assets“). Beides erfordere eine intelligentere, fundiertere und rechtzeitigere Geheimdiensttätigkeit, vor allem in den Kernfeldern der Bekämpfung nuklearer Proliferation und der Verteidigung gegen und mit ballistischen Waffen und Cruise Missiles. Allen Kernfeldern sei gemeinsam, dass die Kombination von un- und bemannten Waffensystemen erheblichen Einfluss haben werde. Konkret sei zu erwarten, dass Bedrohungen gegen Amerika im Luftraum, im Weltraum und zu Wasser zunähmen und vermutlich starke Elemente elektronischer Kriegsführung (Überwachung, Kommunikation und GPS) durch große, aber auch kleine und bisher vernachlässigte Akteure beinhalten. Als Beispiele werden ein Cyberangriff auf die Infrastruktur, das Zerstören von Unterseekabeln mit kinetischen Mitteln, Unterwasserangriffe („attack from prepositioned autonomous undersea assets“), oder die Verwendung von nuklearen, chemischen oder biologischen Kampfmitteln, die in einem „garage shop“ hergestellt werden könnten, aufgelistet. Es müssten daher verstärkt Maßnahmen zum Schutz vor einem Angriff auf amerikanischem Boden oder gegen militärische Einrichtungen getroffen werden. Die Pläne des U.S. Department of Defense, die derzeit vor allem auf die Abwehr kinetischer Waffen abzielten, müssten somit geändert werden. Die Studie beinhaltet 22 konkrete Vorschläge: Vor allem Big Data- und Cyberfähigkeiten seien zur schnelleren Gefahrenerkennung, zur Spionageabwehr, zur Verschlüsselung, als Angriffsmittel und zur Unterstützung aller militärischer Einsätze einzusetzen. Zusätzlich müsste die Betätigung im Weltraum zu einer tatsächlichen Beherrschung („space control“/„space offense“) ausgebaut werden; hierbei seien auch die Verträge mit kommerziellen Satellitenbetreibern zu überprüfen. Die Entwicklung intelligenter unbemannter Unterwasserfahrzeuge könnte einen kostengünstigen Einsatz bei gleichzeitig hohen gegnerischen Kosten bedeuten und damit zu einem eigenen strategischen Überraschungsmoment führen. Terminals und unanfällige GPS-Systeme, die in einer gestörten („jammed“) Infrastruktur noch funktionierten, seien wesentlich für die militärische Kommunikation, PNT sowie für die Logistik des U.S. Transportation Command (USTRANSCOM). Weitere Vorschläge zielen auf die Bewältigung von Angriffen auf oder entlang der Wertschöpfungs- und Lieferkette ab, indem sie Maßnahmen wie die Herstellung von Ersatzgütern mittels 3D-Druckern, Vorratshaltung und die Einbindung ziviler Partner durch Public Private Partnerships empfehlen. Die Autoren erklären abschließend, dass angesichts der aktuellen Budgetlage eine Umsetzung aller Maßnahmen vermutlich schwierig sei.
http://www.acq.osd.mil/dsb/reports/2014_DSB_Strategic_Surprise.pdf
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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