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Sinan Ülgen and Can Kasapoğlu: A Threat Based Strategy for NATO's Southern Flank. 2016.

  • Anna Maria Kellner
Published/Copyright: February 21, 2017

Seit dem Gipfel von Wales im Jahr 2014 hat die NATO sukzessive umfangreiche Maßnahmen zur Rückversicherung der östlichen NATO-Mitglieder und Partner und zur Abschreckung Russlands ergriffen. Parallel dazu haben die südlichen NATO-Mitglieder verstärkt auf eine Stärkung der sogenannten „Südflanke“ gedrungen und diese Forderung mit den spezifischen und vielfältigen Bedrohungen begründet, die ihren Ursprung insbesondere im Mittelmeerraum und im Nahen und Mittleren Osten haben. Diese Bedrohungen sind in der NATO in der Tat lange unterrepräsentiert gewesen; zum einen, weil sie mit dem klassischen NATO-Instrumentarium schwer zu beantworten sind und zum anderen schlicht deshalb, weil die Mehrheit der NATO-Staaten lange nicht unmittelbar selbst betroffen war. Dies hat sich durch die sogenannte Flüchtlingskrise und die seit spätestens November 2015 auch in Europa gegenwärtige Terrorgefahr nachhaltig verändert.

Die beiden Autoren, die über ihren beruflichen und wissenschaftlichen Werdegang über intime Kenntnisse der Mittelmeerregion und der NATO verfügen, arbeiten in ihrem Beitrag die Notwendigkeit einer eigenen, maßgeschneiderten Strategie für die komplexen und sehr heterogenen Herausforderungen an der Südflanke heraus. Um sich einer solchen Strategie anzunähern, haben die Autoren eine einfache Matrix entwickelt, die in der horizontalen Achse zwischen Präemption (links) und Prävention (rechts) unterscheidet, während auf der vertikalen Achse nichtstaatliche Akteure (unten) und staatliche (oben) Akteure aufgeführt sind. In den so entstandenen vier Feldern (A-D) sind insgesamt sechs Kernbedrohungen identifiziert:

Feld A: Vorbeugen vor möglichen Bedrohungen durch staatliche Akteure:

  1. Eine Ausbreitung hybrider Kriegsführung, die auch – anders als bisher – eine Kriegsführung durch Desinformation und Cyber-Kriegsführung einschließen müsse.

  2. Die russischen anti-access and area denial (A2/AD)-Bestrebungen im östlichen Mittelmeerraum, welche nicht auf eine zeitlich begrenzte russische Intervention zurückzuführen seien. Vielmehr bereite Russland damit seine langfristige Präsenz in Syrien vor und würde damit schon jetzt die Möglichkeiten der NATO-Alliierten zur Durchsetzung eigener Interessen in der Region beträchtlich einschränken.

  3. Eine Proliferation von Raketen durch den Iran, durch den sogenannten „Atom-Deal“ nicht unterbunden: Die Autoren beschreiben ein umfangreiches Raketenarsenal, welches nicht nur ein beträchtliches Risiko für NATO-Mitglieder und Partner darstellen, sondern zudem auch ein neues Wettrüsten in der Region auslösen würde.

Feld B: Verhindern von Bedrohungen durch staatliche Akteure:

Das Scheitern von Staaten also solches müsse von der NATO als potentielle Bedrohung anerkannt werden: Die Autoren beschreiben am Beispiel des Arabischen Frühlings (und seiner meist wenig frühlingshaften Folgen) das Phänomen zerfallender, scheiternder Staaten als eine Gefahr für die internationale Ordnung und globale Stabilität. Staatszerfall sei eine der zentralen Ursachen für die anhaltende Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten und das Entstehen des sogenannten Islamischen Staats.

Feld C: Vorbeugen vor möglichen Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure:

Gewalttätiger Extremismus durch radikale und gewaltbereite nichtstaatliche Akteure, die (ursprünglich von al-Quaeda ausgehend) regelrechte „Franchise-Terrorismus-Netzwerke“ in der Region etabliert hätten. Diese Terrornetzwerke seien die Wurzel einer Vielzahl von Sicherheitsrisiken an der NATO-Südflanke, den Ideologie-Export hinein in muslimische Gemeinschaften in den NATO-Mitgliedsländern eingeschlossen.

Feld D: Verhindern von Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure:

Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bleibt nach Auffassung der Autoren eine ganz wesentliche Bedrohung für die NATO. Gerade weil ihnen die Fähigkeit zu robuster nuklearer Abschreckung in kriegerischen Auseinandersetzungen fehle, sei die Gefahr groß, dass nichtstaatliche Akteure auf biologische und/oder chemische Waffen mit fatalem Zerstörungspotential zurückgriffen. Das Risiko eines solchen Massenvernichtungswaffen-Terrorismus wäre der NATO bereits seit 2002 bekannt, allerdings nicht zuletzt durch eine Reihe von technologischen Entwicklungen wie geo-tagging und Fortschritten im Bereich der Nanotechnologie noch weiter angestiegen.

Die Autoren widmen jedem dieser Bedrohungsszenarien eine beschreibende Übersicht und konkrete Vorschläge zu einem politischen Vorgehen der NATO-Staaten, die sie abschließend mit einer Matrix zu denkbaren politischen Initiativen für die Südflanke in den Feldern A-D zusammenfassen. In ihrem im Juni 2016 veröffentlichten Beitrag setzen die Autoren viel Hoffnungen auf den damals bevorstehenden NATO-Gipfel von Warschau, gehen aber auch auf die schwierigen innenpolitischen Rahmenbedingungen für die Durchsetzung einer solchen Strategie ein: Die notwendigen finanziellen Anstrengungen werden ebenso als Problem erkannt wie der Aufstieg populistischer Kräfte in vielen NATO-Mitgliedstaaten: Sinan Ülgen und Can Kasapoğlu schließen mit dem Hinweis, dass die vielleicht größte Gefahr für die Einheit und Widerstandsfähigkeit der NATO von einer auf absehbare Zeit in sich gekehrten westlichen Welt ausgehe, gehemmt durch ihre Unfähigkeit, der populistischen Herausforderung wirkungsvoll entgegenzutreten.

http://carnegieendowment.org/files/NATO_Southern_Flank.pdf

Online erschienen: 2017-2-21

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 23.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0016/html
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