Dietrich Jung: The Search for Meaning in War: Foreign Fighters in a Comparative Perspective. 2016.
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Florian Wätzel
In dieser Studie geht der deutsche Islamwissenschaftler Dietrich Jung der Frage nach, warum junge Menschen freiwillig in einen fernen Krieg ziehen und wie eine Mobilisierung von Auslandskämpfern entstehen kann. Hierzu schaut er auf die Konflikte mit der zahlenmäßig stärksten Beteiligung von Auslandskämpfern: den spanischen Bürgerkrieg und den heutigen Konflikt in Syrien. Die kompakte Analyse, die sich ausschließlich auf Sekundärquellen stützt, hat jedoch nicht den Anspruch, eine allumfäliche Erklärung zu liefern, sondern ist vielmehr als Impuls für weitere historisch-komparative Untersuchungen zu verstehen.
Die seit fünf Jahren anhaltende Ausreisewelle in den syrischen Dschihad hat bereits über 30.000 Freiwillige aus der ganzen Welt mobilisiert. Gleichwohl sind weder das Ausmaß noch die Geschwindigkeit dieser Mobilisierung historisch einmalig. Während des Spanischen Bürgerkriegs rekrutierten die kommunistischen Internationalen Brigaden in den ersten zwei Kriegsjahren weitaus mehr Kämpfer, nämlich rund 41.000. Indes untersucht der Autor die beiden Mobilisierungswellen nicht in Gänze, sondern beschränkt sich auf bestimmte Auslandskontingente – was der Kürze der Studie und der Quellenlage geschuldet ist. So betrachtet er nur die 1.700 Europäer unter den Dschihadisten sowie die 3.000 Amerikaner unter den Spanienkämpfern.
Interessant ist letztendlich der Vergleich zwischen beiden Fällen, die trotz der ideologischen und kontextualen Unterschiede starke Parallelen aufzeigen. Angelehnt an die These von Thomas Heggammer argumentiert der Autor, dass für die Entstehung einer internationalen Massenmobilisierung zwei strukturelle Voraussetzungen gegeben sein müssen: 1) eine integrative Ideologie und 2) Rekrutierungsstrukturen, die einen Zugang zum Schlachtfeld ermöglichen.[1]
Sowohl die heutigen Auslandskämpfer in Syrien als auch die damaligen in Spanien stammen vormalig aus Einwanderergruppen und waren geprägt von einem tiefen Gefühl der sozialen Entwurzelung, Isolation und Verunsicherung, das durch die wirtschaftlichen und politischen Krisen der Zeit verstärkt wurde, und sie empfänglich machte für die Heilsversprechen radikaler Ideologien. So sind es neben religiösen Fragen vor allem eine starke politische Desillusionierung, mangelnde soziale Zugehörigkeit und eine Suche nach Anerkennung und Respekt, die europäische Muslime heute in den Dschihad treiben. Die individuellen Ursachen bleiben aber sehr vielschichtig und umfassen auch profanere Motive, wie Abenteuerlust und Sinnsuche. Ihre mobilisierende Wirkung entfaltet die dschihadistische Ideologie indem sie mit ihren einfachen Erklärungsmustern diese unterschiedlichen Beweggründe aufgreift und auf dieselbe Ursache zurückführt: die Unterdrückung der Muslime. Dabei wird gezielt eine kollektive Identität geformt, die ein starkes „Wir-Gefühl“ durch die Abgrenzung und Herabwürdigung anderer formt und das Verlangen nach Zugehörigkeit stillt. Hieraus erwächst ein Weltbild, in dem es nur gute Muslime und ungläubige Unterdrücker gibt. Ein ähnliches Gut-und-Böse-Schema fand sich auch auf Seiten der amerikanischen Brigadisten wieder, die sich ungeachtet ihrer unterschiedlichen Motive hinter dem dogmatischen Glauben vereinten, die freie Welt gegen den Faschismus verteidigen zu müssen. Bemerkenswert ist allerdings, dass die ideologische Basis in beiden Kämpfergruppen sehr dünn ausfällt. So besitzen die jungen Dschihadisten oftmals nicht mehr als ein lückenhaftes Grundwissen über die Lehren des Islam während kaum einer der amerikanischen Brigadisten kommunistische Pamphlete gelesen hatte. Tatsächlich entfaltet sich die integrative Kraft einer Ideologie weit weniger aus ihren ideologischen Inhalten, sondern vielmehr aus einem gesponnenen Narrativ, wonach ein Individuum Teil einer transnationalen Gemeinschaft sei, wie der islamischen Ummah, deren Existenz durch einen fernen Konflikt bedroht wird. Dadurch kommt es zu einer Solidarisierung und Identifizierung mit den Opfern und der abstrakte Konflikt wird mit der eigenen Identität verknüpft, woraus die Bereitschaft erwächst, in den Kampf zu ziehen, um die eigenen Glaubensbrüder und -Schwestern zu verteidigen.
Die Massenmobilisierung internationaler Kämpfer wird jedoch nicht allein von der Strahlkraft eines solchen Narrativs getragen. Gleichzeitig bedarf es hierfür eines organisatorischen Unterbaus in Form von transnationalen Rekrutierungs- und Unterstützernetzwerken, die Kampfwillige aus dem Ausland an die Front führen. Im Fall Syriens sind es über Jahre gewachsene dschihadistische Netzwerke, die Rekruten aus Europa in den Dschihad lotsen. In den USA war es vor allem die kommunistische Partei, die Freiwillige für die Internationalen Brigaden anwarb und nach Spanien schickte.
Bei der De-Radikalisierungsarbeit stehen häufig die persönlichen Antriebsfaktoren eines Individuums im Fokus. Diese können allerdings sehr vielfältig sein. Zudem sind Motive, wie Frustration, Abenteuerlust und Sinnsuche, weder außergewöhnlich – insbesondere bei jungen Menschen – noch führen sie automatisch zu einer Mobilisierung. Der Autor empfiehlt hingegen, dass eine wirksame Gegenstrategie die strukturellen Bedingungen adressieren sollte, die eine Mobilisierung von Auslandskämpfern erst möglich werden lassen: die Ideologie und das Unterstützernetzwerk.
http://www.iai.it/en/pubblicazioni/search-meaning-war-foreign-fighters-comparative-perspective
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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