Startseite Thomas Kron / Christina Laut, Soziologie verstehen. Eine problemorientierte Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2021, 237 S., kt., 34,00 €
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Thomas Kron / Christina Laut, Soziologie verstehen. Eine problemorientierte Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2021, 237 S., kt., 34,00 €

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Veröffentlicht/Copyright: 15. September 2022
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Thomas Kron / Christina Laut, Soziologie verstehen. Eine problemorientierte Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2021, 237 S., kt., 34,00 €


Thomas Kron und Christina Laut bieten mit ihrem Band „Soziologie Verstehen. Eine problemorientierte Einführung“ eine interessante Betrachtungsfolie zu grundständigen Fragestellungen der Soziologie, nämlich nach dem Entstehen und der Evidenz einer Gesellschaftsordnung. Kron und Laut adressieren ihre Einführung in die Soziologie explizit an Studierende, die Orientierung zu Beginn ihres Studiums im Kontext soziologischer Theorien suchen, die der Frage nachgehen, was Soziologie eigentlich erklären möchte. Dazu wählen sie einen Zugang, der sich an den Handlungs- und Ordnungsproblemen einer Gesellschaftsform orientiert. Den Leser:innen begegnen im Verlauf des Vortrags bedeutsame Protagonisten grundlegender soziologischer Theorien, auf die Kron und Laut Bezug nehmen, und lernen so die Optionalität soziologischen Erklärens und Verstehens kennen. Die Verfasser:innen erläutern einführend das grundlegende soziologische Erkenntnisinteresse, individuelles bedürfnisorientiertes Verhalten im Kontext gesellschaftlicher Probleme zu verstehen sowie zu erklären und nutzen diese Betrachtungsfolie als einen roten Faden, der die Leser:innen durch das Buch führt (erstes Kapitel). Im zweiten Kapitel – „Wie wir es miteinander zu tun bekommen“ – erläutern Kron und Laut die Evidenz von Konstellationen für handelndes Zusammenwirken von Individuen und ihren jeweiligen sozialen Strukturen und unterscheiden dabei zwischen Konstellationen, die die reziproke Wahrnehmung der Beteiligten meint (Beobachtungskonstellation), die den Mitteleinsatz zum Zwecke einer Zielerreichung (Beeinflussungskonstellation) beschreibt sowie auf die Effekte von Verhandlungen abheben, die nötig sind, um soziale Verbindlichkeiten herzustellen (Verhandlungskonstellation). Handelndes Zusammenwirken entspricht dabei dem sozialen Handeln. Das dritte Kapitel fokussiert die erkennbaren Probleme gesellschaftlicher Ordnung, die entstehen, wenn Menschen miteinander interagieren. Laut und Kron verweisen hierzu einerseits auf das Koordinationsproblem von Individuen, das entsteht, wenn diese gemeinsame Ziele anstreben und die einzelnen Schritte für eine Zielerreichung synchronisieren müssen. Andererseits meinen Autorin und Autor das Kooperationsproblem, welches entsteht, wenn individuelle Interessen einem möglichen Gruppenziel entgegenstehen. Letztlich geht es um Konflikte, die entstehen, wenn Macht in einer Form eingesetzt wird, die ein individuell favorisiertes Ziel gegen den Willen Beteiligter auch mit Gewalt erzwingen möchte. „Diese Probleme entstehen, wenn Menschen in dem Versuch, bestimmte Strategien zur Bedürfniserfüllung handelnd umzusetzen, es miteinander zu tun bekommen“ (67). Das umfängliche vierte Kapitel verhandelt sehr differenziert die Aspekte, die den Zusammenhang von sozialen Strukturen und gesellschaftlicher Ordnung skizzieren. „Gesellschaftliche Ordnung entsteht und stabilisiert sich entlang sozialer Strukturen [Herv. im Original]“ (68). Von dieser Annahme ausgehend explizieren Kron und Laut die für eine soziologische Erklärung grundlegenden Begriffe. Nach Darlegungen zu Stabilität und Strukturen erläutern Kron und Laut die Handlungshervorbringung (durch einen gesellschaftlichen Vermittlungsprozess) sowie die Handlungsaufprägung (durch gesellschaftliche Lenkungsprozesse). Des Weiteren gehen Kron und Laut auf die kollektiven Bewertungserwartungen ein, die in Strukturen münden. Bewertungsstrukturen, die von der Gesellschaft an die Individuen adressiert und von diesen internalisiert werden, sind ebenso von Evidenz für die gesellschaftliche Ordnung, für die Effekte von Sozialisationsprozessen und die Wirkweise moderner Wertekonzepte. Ebenso stabilisieren Erwartungsstrukturen die gesellschaftliche Ordnung, Erwartbares hinsichtlich eigenen Agierens, Erwartbares bezüglich des Agierens Anderer sowie das Erwartbare über die Erwartungen anderer Individuen bilden die Erwartungsstrukturen ab. Die Bedeutung sozialer Rollen für den Stabilisierungsprozess von Erwartungsstrukturen durch Handlungshervorbringen zeigen Kron und Laut Bezug nehmend auf das Konzept der Rollentheorie auf (105) und verdeutlichen dies auf verschiedenen Projektionsfolien. Die übernommenen bzw. zugeschriebenen Rollen der Individuen werden kontextualisiert über soziale Drehbücher, und die Gesellschaft rahmt bzw. orchestriert die Abläufe der Interaktionen. Allerdings müssen Rollenzuweisungen bzw. soziale Drehbücher nicht deckungsgleich sein mit den Wünschen und Vorstellungen der adressierten Individuen. Weitere Verkomplizierungen können sich darüber hinaus ergeben, wenn die Interaktionsordnung durch Rollenkonflikte überlagert wird (Rollenerwartungen werden nicht erfüllt oder Rollenerwartungen widersprechen sich in Interaktionen). Für die individuelle Rollenausgestaltung sind weitere Aspekte von Relevanz (Identität; zugeschriebene Handlungsausprägungen sowie mögliche Macht- und/oder Herrschaftsstrukturen. Das vierte Kapitel beenden Kron und Laut mit der Darlegung zu den ebenfalls die Gesellschaftsordnung stabilisierenden Deutungsstrukturen (im Kontext der Bewertungs- und Erwartungsstrukturen) zum Zwecke der Orientierung und zur Ausbildung von Deutungskompetenzen. Beides ist für Individuen notwendig, um Handlungsentscheidungen treffen zu können. Gleichwohl: Handlungsprobleme können dennoch entstehen und müssen individuell gelöst werden. Letztlich explizieren die Autor:innen die sozialen Strukturelemente, welche die Vergesellschaftung der Inhalte von Bewertungs-, Erwartungs-, Deutungsstrukturen sowie Konstellationsstrukturenabbilden. Alle vier Strukturelemente münden in die Ausbildung des Habitus bzw. führen zur Formatierung von Gruppen, beides definiert soziales Handeln. Im fünften Kapitel fragen Kron und Laut nach Aspekten der Transformation von Gesellschaft, der Modifikation und Fortschreibung der ihr zugrunde liegenden Strukturen. Dafür projizieren die Verfasser:innen die Fragestellung auf die relevanten Strukturelemente (Bewertungs-, Erwartungs-, Deutungsstrukturen sowie Konstellationsstrukturen). Um die Komplexität dieser Transformationsprozesse zu verdeutlichen, nutzen Kron und Laut sowohl historische Bezüge (Wikingermodell) als auch moderne Wandlungszusammenhänge. Letztlich bilden soziale Strukturen und deren Transformationen und die gesellschaftliche Ordnung bzw. Stabilität einen reziproken Zusammenhang. Das abschließende sechste Kapitel fasst die Ausführungen zu den Problemqualitäten gesellschaftlicher Ordnung und möglichen Lösungskonzepten zusammen. Schließlich wenden sich Kron und Laut an die Leser:innen des Buches und verweisen darauf, dass Betrachtungsfolien zur Gesellschaftsordnung und zu den Problemen für gesellschaftliche Ordnung nicht zu statisch ausgespannt werden sollten. Dafür sind die gesellschaftlichen Transformationsprozesse zu vielschichtig und komplex.

Thomas Kron und Christina Laut gelingt es kurzweilig und seriös, die Leser:innen auf eine einladende, Interesse weckende und – trotz all der dargebotenen Theorievielfalt – nie langweilenden Weise durch die basalen soziologischen Schulen zu führen. Dafür nutzen sie die Bezugnahme auf die Erklärungs- und Lösungsstrategien der Soziologie zu einem gesellschaftlichen Grundsatzthema: Wie entstehen gesellschaftliche Ordnungsprobleme, wie verlaufen Stabilisierungsprozesse und was macht den gesellschaftlichen Wandel in diesem Zusammenhang aus. Die adressierten Leser:innen – Studierende der Soziologie – werden substanziell und gut nachvollziehbar über diese Themenfolien informiert. Den Verfasser:innen gelingt es, die bedeutsamen Protagonisten und Theoretiker der Soziologie themenorientiert einzuführen: Beispielsweise Simmel und Weber zum (sozialen) Handeln; Scharpf zu Interaktion; Luhmann zur sozialen Ordnung; Goffman zu Interaktionsordnungen; Durkheim und Parson zu Konflikten; Schütz zu Handeln und Motiv; Piaget zur Entwicklungspsychologie; Münch zu modernen Werten; Spencer und Turner zu Institutionen; Berger zur konstruierten Wirklichkeit des Sozialen usw.

Das vorliegende Buch ist sehr gut in der Lage, die adressierte Leserschaft zu erreichen und zu informieren. Der gewählte Schreibstil, die ausgewählten Projektionsfolien und auch die ausgewählten Comics erreichen ihr Ziel: Der Leser/die Leserin lässt sich auf die komplexen Theoriegebilde der Soziologie ein und lernt so die Erklärungs- und Verstehenskonzepte dieser Wissenschaft an einer konkreten gesellschaftlichen Problemkonstellation kennen. Dieser Beitrag berücksichtigt dabei alle relevanten Theorien und deren Vertreter. Nach der Lektüre des Buches sind die Leser:innen in die Soziologie eingeführt.

Das in die soziologischen Theorien einführende Werk von Kron und Laut bildet zu dem Grundlagenbuch von Pries (2019) eine sehr gute Ergänzung.

Literatur

Pries, L. (2019). Soziologie. Schlüsselbegriffe. Herangehensweisen. Perspektiven. 4. überarbeitete Auflage. Beltz Juventa: Mannheim – Basel, 2019.Suche in Google Scholar

Online erschienen: 2022-09-15
Erschienen im Druck: 2022-09-05

© 2022 Johannes Hüning, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Editorial
  4. Symposium
  5. Verächter des Leibes – Verfechter des Fleisches
  6. Handeln und die Generalität des Körpers
  7. Essay
  8. Zwischen Wirtschaft und Moral. Geld als Treiber gesellschaftlichen Wandels
  9. Themenessay
  10. Robotik in allen Lebenslagen? Zur zunehmenden Relevanz und Problematik von Robotern in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen
  11. Sammelbesprechung
  12. „Fußball ist eigentlich ganz einfach. Man muss nur seine Kollegen verstehen.“ – Sammelrezension aktueller soziologischer Forschungen zu Fußball
  13. Einzelbesprechung Technik
  14. Martina Heßler / Kevin Liggieri (Hrsg.), Technikanthropologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium. Baden-Baden: Nomos 2020, 592 S., br., 58,00 €.
  15. Einzelbesprechung Theorie
  16. Thomas Kron / Christina Laut, Soziologie verstehen. Eine problemorientierte Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2021, 237 S., kt., 34,00 €
  17. Anne Warfield Rawls (Hrsg.), Harold Garfinkel: Parsons’ Primer. Berlin: J. B. Metzler 2019, 393 S., gb., 39,99 €
  18. Einzelbesprechung Arbeit
  19. Jonathan Falkenberg, Taylors Agenten. Eine arbeitssoziologische Analyse mobiler Assistenzsysteme in der Logistik. Baden-Baden: Nomos 2021, 287 S., kt., 59,00 €
  20. Einzelbesprechung Thanatosoziologie
  21. Thorsten Benkel / Matthias Meitzler, Körper – Kultur – Konflikt. Studien zur Thanatosoziologie. Baden-Baden: Rombach Wissenschaft 2022, 180 S., kt., 39,00 €
  22. Einzelbesprechung Soziale Ungleichheit
  23. Lars Meier, Working Class Experiences of Social Inequalities in (Post-) Industrial Landscapes: Feelings of Class. London/New York: Routledge 2021, 192 S., gb., 141,00 €
  24. Einzelbesprechung Wissenssoziologie
  25. Danny Otto, Dem „Prekariat“ auf der Spur. Eine Deutungsmachtanalyse soziologischer Wissensgenerierung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2019, 346 S., br., 39,95 €
  26. Einzelbesprechung Geschlecht
  27. Simone Scherger / Ruth Abramowski / Irene Dingeldey / Anna Hokema / Andrea Schäfer (Hrsg.), Geschlechterungleichheiten in Arbeit, Wohlfahrtsstaat und Familie. Festschrift für Karin Gottschall. Frankfurt/New York: Campus 2021, 484 S., br., 48,00 €
  28. Einzelbesprechung Umwelt
  29. Axel Franzen / Sebastian Mader (Eds.), Research Handbook on Environmental Sociology. Cheltenham/Northampton: Edward Elgar Publishing 2021, 416 S., gb., 246,18 €
  30. Einzelbesprechung Organisation
  31. Günther Ortmann / Marianne Schuller (Hrsg.), Kafka. Organisation, Recht und Schrift. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2019, 440 S., gb., 49,90 €
  32. Einzelbesprechung Geschlecht
  33. Barbara Rendtorff / Claudia Mahs / Anne-Dorothee Warmuth (Hrsg.), Geschlechterverwirrungen. Was wir wissen, was wir glauben und was nicht stimmt. Frankfurt am Main: Campus 2020, 240 S., kt., 24,95 €
  34. Einzelbesprechung Kapitalismus
  35. Wolfgang Streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie: Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus, Berlin: Suhrkamp 2021, 538 S., gb., 28,00 €
  36. Rezensentinnen und Rezensenten des 2. Heftes 2022
  37. Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
Heruntergeladen am 15.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2022-0029/html
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