Startseite Bildungswissenschaften Christian Ratzke: Hochschuldidaktisches Interreligiöses Begegnungslernen. Eine empirisch-explorative Studie zum Potenzial interreligiöser Kompetenzentwicklung in der Ausbildung von Ethik- und Religionslehrer_innen (Internationale Hochschulschriften, Band 686). Münster/New York: Waxmann Verlag 2021, 260 S., € 39,90 (e-book: € 35.99)
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Christian Ratzke: Hochschuldidaktisches Interreligiöses Begegnungslernen. Eine empirisch-explorative Studie zum Potenzial interreligiöser Kompetenzentwicklung in der Ausbildung von Ethik- und Religionslehrer_innen (Internationale Hochschulschriften, Band 686). Münster/New York: Waxmann Verlag 2021, 260 S., € 39,90 (e-book: € 35.99)

  • Jasmine Suhner

    Dozentin für Religionspädagogik (Schwerpunkt Interreligiöses Lernen)

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Veröffentlicht/Copyright: 9. März 2024
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Reviewed Publications:

Ratzke Christian Hochschuldidaktisches Interreligiöses Begegnungslernen. Eine empirisch-explorative Studie zum Potenzial interreligiöser Kompetenzentwicklung in der Ausbildung von Ethik- und Religionslehrer_innen (Internationale Hochschulschriften, Band 686) Münster/New York Waxmann Verlag 2021 € 39,90 (e-book: € 35.99) 1 260

Weisse Wolfram Ipgrave Julia Leirvik Oddbjørn Tatari Muna Pluralisation of Theologies at European Universities (Religions in Dialogue 18) Münster/New York Waxmann Verlag 2020 € 39,90 (e-book: € 35.99) 1 316


Die Frage(n) des „Inter“: Zwei Buchbesprechungen

Drei Fakten seien diesen zwei Buchbesprechungen vorangestellt:

  • Die weltanschauliche Pluralität ist seit vielen Jahrzehnten Fakt. Diese Pluralität bejahen die meisten Theologie(n) im europäischen Kontext nicht nur, sondern haben sie aktiv in ihrer Entwicklung gefördert – eine Entwicklung, deren Zukunft programmatisch offen bleiben muss.

  • Unumgänglich führt dies zu praktischen Herausforderungen, die auch die Öffentlichkeit(en) angehen. Dies wiederum fordert zu grundsätzlicher Theoriearbeit auf, seitens theologischer wie nicht-theologischer Akteur:innen, in der auch aktuelle theologische und religionspädagogische Grossbegriffe oder gar der Theologiebegriff selbst aus der Einzelbetrachtung in einen pluralen Betrachtungshorizont eingerückt werden.

  • Pluralisierung führt zu inter. Vielleicht auch zu multi oder trans. Die reflektierte Weiterentwicklung dieser Dynamiken ist auch eine radikal (im ursprünglichen Sinne des Wortes) theologische Aufgabe und die Antworten darauf von hoher gesellschaftlicher Relevanz.

Wesentlich dem Inter auf Hochschulebene widmen sich die beiden hier vorgestellten Publikationen. Dass sie in Kombination besprochen werden, soll als Zeichen dafür gelesen werden, dass auch das inter zwischen Publikationen und Forschungsergebnissen – der internationale und interdisziplinäre knowledge transfer – weiterer Beachtung bedarf.

Was sind die „Potenziale interreligiöser Kompetenzentwicklungen“ (222)? „Welche interreligiösen Teilkompetenzen können angehende Ethik- und Religionslehrer_innen […] erwerben?“ (19, im Original kursiv). Diesen Fragestellungen widmet sich Christian Ratzke in der Publikation „Hochschuldidaktisches Interreligiöses Begegnungslernen“, seiner Dissertationsschrift. Er verfolgt dabei kein primär systematisch-hermeneutisches Interesse, vielmehr strebt er die empirische Entwicklung, zumindest Annäherung an ein interreligiöses Kompetenzmodell an. Denn: bisher „lässt sich für den Kontext Schule kein empirisch validiertes Kompetenzmodell ausmachen“ (18). Die Arbeit Ratzkes widmet sich diesem Forschungsdesiderat, indem sie anhand eines explorativ-offenen Ansatzes die Potenziale interreligiöser Kompetenzentwicklung empirisch untersucht, und dies in zwei Hochschulkontexten: an der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg und an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems. Münden soll die Arbeit in „mögliche Empfehlungen für eine Hochschuldidaktik des Interreligiösen Begegnungslernens“ (19). Den Fokus auf die Ausbildung auf Hochschulebene legt Ratzke dabei durchaus im Bewusstsein, dass hier angebahnte Kompetenzen sich auch auf den gesamten weiteren Schulkontext auswirken können. Der zusätzliche Schwerpunkt auf prozessbezogenen interreligiösen Kompetenzen wiederum nimmt Kompetenzen in den Blick, die auch in anderen pädagogischen Ansätzen relevant werden (z. B. Empathiekompetenz). Ratzke zielt mit seinem spezifischen Forschungsfokus insofern durchaus auch auf das Ganze heutiger öffentlicher Religionspädagogik.

Sein ebenso gesellschaftlich relevantes und ehrgeiziges wie theologisch essentielles Vorhaben geht Ratzke in zwei grossen Diskussionsbögen an: einer systematischen Grundlegung (Teil I, 23–152) und der empirischen Auswertung (Teil II, 153–245). Er beginnt mit einem Blick auf historische Entwicklungslinien und legt mit seinen differenzierten Ausführungen gleich eine wertvolle strukturierte Gesamtschau wesentlicher Entwicklungsstränge und Forschungsstationen interreligiösen Lernens vor. Während er im historischen Rückblick insbesondere katholische Stationen in den Blick nimmt, bespielt Ratzke hinsichtlich bisheriger Forschungserkenntnisse dann die Breite der evangelischen und katholischen deutschsprachigen Religionspädagogik. Mit Kapitel B (69–83) wird der Blick auf die der empirischen Studie zugrunde liegenden Ausbildungskonzepte gelegt: das „Fächerkooperierende Interreligiöse Begegnungslernen“ des Instituts für Philosophie und Theologie an der PH Heidelberg sowie das „Interreligiöse Lernen in Begegnung“ des Instituts für Aus- und Fortbildung Religion an der KPH Wien/Krems. Aufgrund des zirkulären Forschungsprozesses werden bereits im anschliessenden Kapitel C (84–108) zentrale prozessbezogene interreligiöse Teilkompetenzen erläutert: religiöse Wahrnehmungskompetenz, Kompetenz zur Anerkennung, Differenzkompetenz, Ambiguitätstoleranz, reflektierter Perspektivenwechsel, Empathiekompetenz, religiöse Identitätssicherheit und vorurteilsbewusste Haltung. Dies sind die sieben Kompetenzen, die Ratzke in einem ersten, explorativ angelegten Analysedurchgang aus dem Datenmaterial identifiziert, als interreligiöse Teil- bzw. Fokuskompetenzen. Die Komplexität der systematischen, psychologischen, anthropologischen und weiterer Hintergründe mancher dieser Kompetenzen nimmt Ratzke mehrfach auf, so etwa bei der Frage von Identitätssicherung, die „in Zeiten zunehmender Veränderungen nicht mehr als unverrückbares Faktum verstanden werden“ kann (102). Ratzke verdeutlicht damit wiederholt die Notwendigkeit, Kompetenzen stets neu zu überprüfen – nicht nur hinsichtlich Relevanz und Gültigkeit, sondern auch hinsichtlich der sie prägenden komplexen gesellschaftlichen, sozialen, psychologischen Faktoren. Das Kapitel C mündet so in die Präsentation eines sieben Teilkompetenzen enthaltenden interreligiösen Kompetenzstufenmodells (108–111), das Ratzke im Folgenden als Grundlage und Orientierung zur Datenerhebung dient. Dieses Kompetenzmodell, gleichsam der Motor, das Herzstück seiner Arbeit, gliedert Ratzke in interreligiöse Teilkompetenzen, die, einem Kodierungsleitfaden ähnlich, auch operationalisiert und in verschiedene Niveaukonkretisierungen ausdifferenziert werden.

Von hier ausgehend führt Ratzke sein methodisches Vorgehen für die empirische Erhebung aus (Kapitel D, 112–152). Er bedient sich eines mixed-methods Designs, das er, wie schon zitiert, auf die Forschungsfrage ausrichtet: „Welche interreligiösen Teilkompetenzen können angehende Ethik- und Religionslehrer_innen im interreligiösen Begegnungslernen an der PH Heidelberg und der KPH Wien/Krems erwerben?“ (19, im Original kursiv). Im sinnvollerweise zirkulär gestalteten Forschungsprozess untersucht Ratzke Stichproben von beiden Standorten und analysiert das Datenmaterial mit Hilfe des im Laufe des Forschungsprozesses entwickelten interreligiösen Kompetenzstufenmodells: „Mit zehn auskunftsbereiten Studierenden sind leitfadengestützte Interviews geführt worden. Zudem haben 109 Studierende an zwei schriftlichen Befragungen teilgenommen. Im qualitativen Teil der Arbeit wurden die Aussagen der Studierenden mit Hilfe der evaluativen Inhaltsanalyse untersucht. Im quantitativen Teil erhobene Daten wurden anhand der Berechnung von Mittelwertunterschieden ausgewertet.“ (115) Die empirischen Befunde aus der Befragung der Studierenden hinsichtlich der Anbahnung interreligiöser Kompetenzen reflektiert der Verfasser schliesslich zusätzlich anhand einer Einschätzung der Dozierenden der Ausbildungsmodule. Die Transkriptionen der Interviews sind den Leser:innen der Studie digital zugänglich – ein unbedingt positiver hervorzuhebender Aspekt, von dem zu hoffen ist, dass er zum Standard in jeder Disziplin wird. Dass die quantitative Zusatzstudie nicht repräsentativ ist, verdeutlicht der Autor selbst (vgl. 120) und betont die Notwendigkeit entsprechender weiterer Forschung, nicht zuletzt hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Erlernens von Haltungen und Einstellungen.

Seine Dateninterpretationen lässt Ratzke in einem letzten Diskussionsbogen in zwölf Hypothesen münden, die er konkret auf die interreligiösen Teilkompetenzen hin und kontextuell bewusst formuliert, so etwa: „Im hochschuldidaktischen Interreligiösen Begegnungslernen können Studierende eine vorurteilsbewusste Haltung entwickeln und negative Vorannahmen reflektieren. Dabei kann unterstützend wirken, wenn Studierende gemeinsame Erfahrungen, z. B. Studium, Beruf oder anderen Dialogveranstaltungen teilen.“ (237) Mit den fast zurückhaltend anmutenden Formulierungen trägt der Autor bewusst den durch den methodischen Zugang gesetzten Grenzen Rechnung (kleine Stichprobengrösse, keine Repräsentativität, u. a.). Dies mindert in keiner Weise den erheblichen spezifischen Erkenntnisgewinn seiner Einsichten für interreligiös-pädagogische Akteur:innen in der Hochschuldidaktik.

Ergänzend wäre ausserdem m. E. zu beachten, dass bei allen Studierenden der beiden hochschuldidaktischen Ausbildungskonzepte von einer gewissen religiösen Affinität oder zumindest einem entsprechenden Interesse auszugehen ist. Die Erkenntnisse der Studie sind insofern im Rahmen dessen zu sehen, dass dieselbe Studie zu Interreligiösem Begegnungslernen sich für Personen, die an Religion kein oder emotional negativ gefärbtes Interesse haben, andere Ergebnisse zeigen könnte. Weitere Dynamiken in interreligiösen Lernprozessen – etwa Machtdynamiken, die Veränderungen interreligiösen Lernens durch die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft oder die Transformation des Theologiebegriffs selbst, geschweige denn neben den Potenzialen auch manche Absturzrisiken christlich-religionspädagogisch initiierten interreligiösen Lernens – bleiben aussen vor. Der Schwerpunkt des Autors auf den empirischen Zugang macht das Auslassen solcher Aspekte jedoch höchst nachvollziehbar.

Insgesamt gelingt es Ratzke in beeindruckender Weise, anhand seines mehrperspektivischen empirischen Zugangs nicht nur die hochschuldidaktische Debatte zur Frage nach der Ausbildung von künftigen Religionslehrpersonen in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft zu bereichern; darüber hinaus legt er sowohl mit seinem Überblick zur einschlägigen Forschungsliteratur zu interreligiösem Lernen im deutschsprachigen Kontext als auch mit seinen empirischen Annäherungen an ein interreligiöses Kompetenzmodell eine Ausgangslage vor, die sich in weiteren empirische Studien zu interreligiösem Lernen weiter entwickeln, fundieren und anpassen lässt. Dass seine Ausführungen dabei das Gesamt der Religionspädagogik im Blick behalten und hierbei die gesellschaftliche Relevanz interreligiösen Lernens in verschiedenen Farben aufzeigen – das „Lernen sollte miteinander und voneinander angelegt sein und in Begegnungen zu einem tieferen Verständnis der verschiedenen Religionen führen“ (23); es „sollte weiterhin an der Performanz interreligiöser Kompetenzen geforscht werden, weil diese für das gesellschaftliche Zusammenleben vorrangig erscheinen“ (245) – macht die Lektüre insgesamt zu einem starken Plädoyer für weitere interreligiös-pädagogische empirische Forschung.

Die zweite Publikation setzt sich ebenfalls mit den Dynamiken der Pluralisierung von Religion auf Hochschulebene auseinander: „Pluralisation of Theologies at European Universities“. Ein umfassender Sammelband über die zunehmende Pluralität von Theologien, herausgegeben von Wolfram Weisse, Julia Ipgrave, Oddbjørn Leirvik und Muna Tatari. Ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis macht es augenfällig: Dieser Band wirft den Lichtkegel stärker auf entsprechende systematische Kontexte, Fragestellungen, Konzepte, Innovationen und Konsequenzen für plurale Theologien und ein interreligiöses „doing theology“. Der Fokus liegt, trotz oder gerade angesichts des weiten, „Grenzen überschreitenden“ Blicks, dennoch nicht nur auf den systematischen Grossfragen, sondern auch auf konkreten Ausbildungsmodulen an Hochschulen, auf praktischen Schilderungen und je kontextuellen Herausforderungen.

Vor konkretem Hintergrund ist der Band auch entstanden: Die Publikation basiert auf den Präsentationen und Diskussionen von Wissenschaftler:innen an einer Konferenz an der Universität Hamburg im Dezember 2018 sowie auf einigen ergänzenden Beiträgen. Anspruch der Herausgeber:innen nun ist es, die sich gesellschaftlich und ebenso universitär divers zeigenden Theologien wahrzunehmen, zu diskutieren und „different ways in which ‘university theology’ is already becoming pluralised – mainly in northern and western European contexts“ zu konzeptualisieren (Weisse/Ipgrave/Leirvik/Tatari, 14) In diesem Sinne spricht der Sammelband nicht nur Theolog:innen an, sondern umfassend Stakeholder akademisch-theologischer und religionspolitischer Entscheide: „It is further necessary to address the still very recent development of pluralising theology at the university level in structural, organisational and conceptual approaches that lead us from acknowledging it to intelligently fostering its further growth.“ (ebd,. 11) Allerdings steckt das Projekt um entsprechende Bemühungen und Forschungen noch in den Kinderschuhen (vgl. ebd., 15). Das Miteinander verschiedener Theologien und entsprechender universitärer Strukturen in Beziehung zueinander zu bringen und ihre Position in den Öffentlichkeiten zu stärken, dies ist das gesetzte Ziel dieses Bands.

In 20 Beiträgen setzen sich namhafte Autor:innen diverser Religionszugehörigkeiten und aus verschiedensten Blickwinkeln Europas mit diesem komplexen Themen- und Aufgabenfeld auseinander. Und sich selbst miteinander ins Gespräch: die Autor:innen spiegeln grossenteils eine Mischung aus langjähriger Kollegialität im Rahmen des Projekts „Religion und Dialog in modernen Gesellschaften“ (ReDi). Der Aufriss des Bandes selbst trägt dabei dem Mut zu theologischen „Grossfragen“ Rechnung: Er wird eröffnet mit systematischen Zugängen und Sichtweisen und geht anschliessend zu Perspektiven verschiedener Länder, Universitäten, Religionen über.

Die Einblicke in die „gegebene“ Dialognotwendigkeit verdeutlichen die systemische Komplexität des Themengebiets: im Blick auf die differenzierte Stakeholder- und Trägerlandschaft in „der“ Theologie; verschiedene Finanzierungsmodelle; unterschiedliche Wege von Dialog mit den Öffentlichkeiten; nicht zuletzt im Blick auf den intrareligiösen Dialog: „[W]hen dialogue moves into the focus of theological thought, any closed, denominationally designed theology begins to appear inadequate“, stellt Weisse fest und beschreibt von hier aus den Weg zur „Dialogical Theology“ (Weisse, 151). Das weite Theologieverständnis, das der dialogische Zugang einfordert, wird dabei von den Autor:innen gleichsam als für den angestrebten Dialog notwendig zelebriert: „When Theology faculties and departments were established at the older universities the assumption had been that they would teach Christian theology, history and scripture to Christian students. […] However, the divergence of ecclesial and lay theological study at university, supported by the move from the nineteenth century to organise vocational training to the church through separate theological colleges, has facilitated the eventual expansion of the latter to incorporate diverse and non-Christian elements and the creation of a discipline that can be practiced, studies and taught, by Christian and non-Christian, believer and non-believer alike“ (Julia Ipgrave, 63). Plurale Theologien werden nahe an das Schlagwort Kollaboration gerückt: „In my understanding, interreligious theology distinguishes itself from comparative theology by inviting researchers, teachers and students from different religious backgrounds to take part in a critical and constructive interpretive work which might also be called collaborative“ (Leirvik, 30), als Grundhaltung, die mit grosser Behutsamkeit und Respekt und zugleich proaktiv Partizipation fördernd gegenüber dem Phänomen pluraler Theologien auftritt. Bezeichnenderweise wird schliesslich die Pluralität auch an zahlreichen weiteren Orten wahrgenommen: etwa eine zunehmende Pluralisierung von theologischen Inhalten, von Gründen Theologie zu studieren (vgl. Ellethy, 239), schliesslich eine Pluralisierung der Methoden, interreligiöse Sachverhalte zu erforschen (vgl. Adams, 47 f.) Dies mündet in Dialoge zwischen nicht nur Religionen und Theologien (exemplarisch vgl. Weisse, 152), sondern auch zwischen verschiedenen beteiligten Ebenen, d. h. Staat und Nation auf der einen, lokale Gemeinschaft und gelebte Religion auf der anderen Seite, im Spannungsfeld dazwischen die Universitäten (vgl. Nicholas Adams, 302–308) und weit mehr. „[U]nderstanding the increasingly complex contexts will require a great deal more academic effort“ (Weisse/Ipgrave/Leirvik/Tatari, 14).

Von dieser Zielformulierung aus bieten die Beiträge gleichsam ein Feuerwerk von theoretischen Grundsatzüberlegungen, praxisbezogenen Erfahrungsberichten sowie Reflexionen aus unterschiedlichen Perspektiven: Systematische Zugänge (z. B. Leirvik), Website- und Syllabi-Analysen (Anne Hege Grung), Beschreibungen und Reflexionen konkreter Lehrveranstaltungen im Feld pluraler Theologien mit je spezifischem Fokus (z. B. mit Fokus auf Teamteaching (El Omari/Korchide/Schmidt-Leukel), soziotheologische Betrachtungen (Panjawi/Khimani) sowie zahlreiche konkrete Praxisbeispiele von Lehrveranstaltungen im Feld pluraler Theologien. Die geographischen Schwerpunkte liegen in Birmingham, Amsterdam, Hamburg, Innsbruck, Wien, Markfield, Münster, Oslo und Potsdam. Die Beiträge stammen von einem Juden, zwei Muslimen und sieben Christen, fünf Frauen und neun Männern.

Angesichts jüngster Ereignisse besonders hervorzuheben ist der begründet starke Fokus auf Islam und islamische Theologie(n): „Discussions around the inclusion of Islam and Islamic theology in European mainstream universities open up some of the issues and debates pertinent to the inclusions of other non-Christian faith traditions, for example, whether there is a danger of squeezing the tradition into a western Christian/post-Christian framework, whether these universities yet have sufficient resources to cover non-Christian faiths with comparable scholarly depth and rigour.“ (Weisse/Ipgrave/Leirvik/Tatari, 13)

Ebenfalls brisant und in bester Weise bemerkenswert ist in meinen Augen die in einigen Beiträgen aufgeworfene Frage, was im Horizont dieser Dynamiken an Selbstreflexionsaufgaben noch zu leisten sein wird – nicht nur individuell, sondern auch auf Seiten von Universitäten, theologischer Fakultäten, weiterer Stakeholder: In welchem Modus sind wir eigentlich unterwegs – multi-, inter- oder transreligiös? „Are we merely facing a multireligious reality (marked by plurality) where different religious traditions are articulated, taught and researched side by side? Or are we already in the process of doing interreligious theology together […]? Beyond that, how do our academic institutions respond to fluid patterns of religious belonging and the emergence of transreligious wisdom-seeking which destabilise the pattern of neatly organised theological traditions?“ (Leirvik, 27)

Dieser Sammelband besticht durch seine ausnahmslos differenzierten Beiträge, seine schonungslose Klarheit hinsichtlich offener Fragen in den bzw. der Theologien und zugleich das Einbringen zahlreicher Beispiele und deren anschliessende Reflexion – ohne dabei die Praxiserfahrungen in Schemata zu pressen. Der Band bleibt damit der Thematik des achtsamen Umgangs mit Pluralität in seiner eigenen Herangehensweise treu. Die Autor:innen sind dabei durchaus fordernd und normativ: „Nearly every essay in this volume confronts an imperative facing universities: to mediate national initiatives and local particularities“ (Adams, 308) – so lautet etwa ein Fazit von Adams in seinem Schlussbeitrag. Sie sind schonungslos in der akademischen Selbsterkenntnis: „the university is a relative latecomer to the issue of religious diversity and interfaith learning“ (Moyaert, 35). Sie sind radikal: „There is no alternative to interreligious dialogue at the academic and societal level.“ (Weisse, 156) und werfen grundsätzliche Fragen auf: „Some definitions of theology challenge its appropriateness for a mainstream secular university context.“ (Ipgrave, 62). Fraglos: Das Thema der Pluralität von Religionen, der Interreligiosität und ja, auch der Pluralität von Theologien, ist keine Neuigkeit. Dies bezeugt der Band in differenzierter Weise. Relativ neu ist die Dringlichkeit des Eingeständnisses und der proaktiven Förderung pluraler und fluider Theologien – was in meinen Augen auch für die Theologie(n) selbst höchst produktiv zu sein verspricht.

Einige für diese Reflexionen relevante Aspekte kommen im Sammelband nicht oder nur am Rande zu Wort: Fragen um Machtdynamiken in diesen Prozessen. Fragen der Fluidität gerade in postdigitaler Gesellschaft. Fragen der theologischen Betrachtung dieser Gesamtdynamik, etwa: Liesse sich hier gar von Erlösung durch Überwindung von Vereinzelung sprechen? In jedem Fall braucht es eine theologische Reflexion darüber, eine „Theologie der Theologien“. Oder auch diese im Plural.

Beide Bücher gewinnen durch das wechselseitige Lesen. Sie nehmen unterschiedliche Ebenen in den Blick: die eine untersucht den spezifischen Lernprozess und hierhin den möglichen interreligiösen Kompetenzerwerb, die andere setzt sich intensiv mit verschiedensten operativen, strategischen und normativen Fragen des pluralen „doing theology“ an Universitäten auseinander. Nachhaltige Antworten werden sich nur in der klugen (d. h. angemessenen) Vernetzung der verschiedenen Ebenen und Perspektiven (sowohl nationaler, regionaler, religiöser als auch nicht-religiöser) bewähren. Hierfür brauchen wir (neue) Wege eines interdisziplinären knowledge transfer.

Theologie, Religion beginnt stets mit dem Anderen: Mit dem Gegenüber, dem Fremden in mir oder dem Anderen im Sinne einer Transzendenz. Die Aufgabe jeglicher Theolog:innen ist: den Geist des Anderen sprechen zu lassen. Dazu tragen diese Bände unbedingt bei.

About the author

Dr. Jasmine Suhner

Dozentin für Religionspädagogik (Schwerpunkt Interreligiöses Lernen)

Published Online: 2024-03-09
Published in Print: 2024-03-07

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Beiträge
  4. Geschichte und Recht. Horizont und Rahmen der Schöpfung
  5. Die Begrenztheit der Kreativität. Adam als Protomodell der Schöpfung bei Avitus von Vienne
  6. Schöpfungsprozess, Kreativität und Bildung für nachhaltige Entwicklung: Die Aktualität prozesstheologischer Deutungen des Schöpfungstopos
  7. Reimagining the Anthropocene in the Search for Human Security: Humans as Creating Creatures
  8. Theologische Deutungen von Ohnmachts- und Schulderfahrungen in der Klimakrise
  9. Visionäre Schöpfungstheologie und ästhetische Artefakte in religiöser Bildung für nachhaltige Entwicklung
  10. Aus der Forschung
  11. Enzyklopädisches Wissen in einer Kultur der Digitalität: Religionspädagogische Erwägungen aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums von WiReLex
  12. Das besondere Buch
  13. Yonah Hisbon Matemba, Bruce A. Collet (Eds.): The Bloomsbury Handbook of Religious Education in the Global South. London et al.: Bloomsbury Academic, 491 S., € 185 (gebundenes Buch), € 49 (Taschenbuch)
  14. Rezensionen
  15. Christian Ratzke: Hochschuldidaktisches Interreligiöses Begegnungslernen. Eine empirisch-explorative Studie zum Potenzial interreligiöser Kompetenzentwicklung in der Ausbildung von Ethik- und Religionslehrer_innen (Internationale Hochschulschriften, Band 686). Münster/New York: Waxmann Verlag 2021, 260 S., € 39,90 (e-book: € 35.99)
  16. Arnim Regenbogen, Elk Franke, Reinhold Mokrosch (Hg.): Was hält die Migrationsgesellschaft zusammen? Werte – Normen – Rechtsansprüche (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 8). V&R unipress. Universitätsverlag Osnabrück 2021. 269 S., 45,00 €
  17. Jens Palkowitsch-Kühl: Digitale Medien im Religions- und Ethikunterricht. Bedingungsfaktoren für die Medienintegration im Religions- und Ethikunterricht (Religionspädagogik innovativ 58), Stuttgart: Kohlhammer, 2023, 297 S., € 49,00
Heruntergeladen am 29.12.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zpt-2024-2010/html
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