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#moralischverletzt – Berufsethische Ansprüche und die Artikulation kollektiver Ungerechtigkeitserfahrungen von Pflegekräften während der Coronapandemie

  • Ruth Abramowski

    Ruth Abramowski, geb. 1987 in Herdecke. Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart (Bachelor) und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Master). Promotion in Soziologie an der Paris Lodron Universität Salzburg. 2014–2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Salzburg. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

    Forschungsschwerpunkte: Arbeitsmarkt- und Familiensoziologie; Genderforschung; vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung; Familienpolitik; Sozialstrukturanalyse; soziale Ungleichheiten und Well-being.

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    und Till Hilmar

    Till Hilmar, geb. 1985 in Wien. Studium der Politikwissenschaft in Wien (Mag.) und der Soziologie (PhD) an der Yale University, USA. Postdoc am SOCIUM der Universität Bremen, seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter (postdoc) im Bereich politische Soziologie an der Universität Wien. Seit 2024 Principal Investigator im EU Horizon Projekt CIDAPE – Climate, Inequality, and Democratic Action: The Force of Political Emotions.

    Forschungsschwerpunkte: Politische Soziologie; Kultursoziologie; Wahrnehmung von Ungleichheit und Moralökonomie; Integration qualitativer und computational social science Methoden.

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Veröffentlicht/Copyright: 21. Februar 2025
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Zusammenfassung

Während der Coronapandemie haben sich die ohnehin schon von Personal- und Zeitmangel geprägten Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte weiter verschärft und es hat sich ein Diskurs über moralische Verletzungen entfacht. In diesem Beitrag untersuchen wir, wie solche Erfahrungen artikuliert werden. Dazu werten wir Twitter-Daten zum Thema ,moralischverletzt‘ mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse aus. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Konflikte zwischen einem ethischen (Berufs-)Anspruch und dem praktischen Berufsalltag zu einem Gefühl moralischer Verletzung führen, das über materielle Bedingungen hinausgeht. Es geht nicht nur um Geld- oder Zeitmangel, sondern auch um Brüche in Normen und sozialen Reziprozitätsgefügen. Die Verletzungswahrnehmung bezieht sich auf den auf einem Professionalitätsanspruch beruhenden Leistungswert, gute Pflege leisten zu wollen, doch dies aufgrund von Zeitdruck, Ressourcenmangel oder strukturellen Hindernissen nicht umsetzen zu können.

Abstract

During the COVID-19 pandemic, the working conditions of (health) care workers, which were already characterized by a lack of staff and time, have become even more difficult and a discourse on moral injuries has emerged. This article examines how such experiences are articulated by analyzing Twitter data on the topic of ‘moralinjuryʼ using qualitative content analysis. Our results indicate that conflicts between ethical (professional) aspirations and the practical realities of the workplace lead to a sense of moral injury that goes beyond material conditions. It is not just about a lack of money or time, but also about breaches of norms and social reciprocity structures. The perception of injury relates to the value of professional achievement – the desire to provide good care – yet being unable to fulfill this due to time pressures, resource shortages, or structural obstacles.

1 Einleitung

Im Zuge der Coronapandemie hat der Begriff der ,moralischen Verletzungen‘ zunehmend journalistische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. In der medizinischen Forschung sowie in sozialpsychologischen Ansätzen beschreibt das Konzept (engl. ,moral injury‘) eine Situation psychischer Belastung, die dadurch hervorgerufen wird, dass eine Person Handlungen setzt, die ihren fundamentalen Werten widersprechen. Laut Griffin et al. (2019) werden in der gesundheitswissenschaftlichen Literatur zwei unterschiedliche Phänomene mit diesem Konzept gefasst, nämlich erstens, „perpetrating or witnessing acts that violate one’s core beliefs“, und zweitens, eine wahrgenommenes „betrayal by a leader or trusted authority“ (ibid.: 350–351). Im medizinischen Diskurs beschreibt moral injury eine klinische Diagnose: Die Konsequenzen solcher Handlungen drücken sich, ähnlich wie im Fall von posttraumatischem Stress, in negativen Gefühlen wie Schuld, Scham, Wut oder sozialen Entfremdungsgefühlen aus. Moral injury wurde oftmals in Arbeitskontexten wie dem Militär, dem Gesundheitswesen, im Bildungswesen oder in der Kinder- und Jugendhilfe festgestellt (ibid.: 356–357).

Soziologisch betrachtet handelt es sich allerdings bei moralischen Verletzungen nicht um psychische Krankheiten, sondern um gesellschaftlich geformte und bedingte Gefühle, die bei häufigem Auftreten jedoch zu Schädigungen der psychischen Gesundheit führen können (Greenberg et al. 2020: 1). Dieser kollektive Aspekt und die Interaktionszusammenhänge, in denen moralische Verletzungen artikuliert und sozial ausgehandelt werden, werden in der zu diesem Thema dominierenden medizinischen, pflegewissenschaftlichen und psychologischen Literatur – die die ursächlichen Faktoren auf der Ebene des Individuums lokalisiert – nur unzureichend systematisch aufgegriffen. Eine genuin soziologische Perspektive auf das Konzept ist notwendig, aber bislang in der Literatur nur in elementaren Konturen zu erkennen.

In unserem Beitrag wollen wir das infolge von fortwährenden Konflikten um die prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege empirisch interessante und gesellschaftlich relevante Phänomen moralischer Verletzungen von Pflegekräften während der Coronapandemie untersuchen und an der heftübergreifenden Thematik der ‚Verletzbarkeit‘ anknüpfen bzw. diese empirisch untermauern. Zur Analyse des Phänomens orientieren wir uns am Konzept der ‚moralischen Verletzung‘, das zumindest in der interdisziplinären Forschung recht gut etabliert ist.

Im Rahmen des Forschungsstandes fassen wir bisherige Erkenntnisse zu moralischen Verletzungen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen zusammen und begründen, welchen Mehrwert eine soziologische Perspektive bietet (2).

Hieran anknüpfend wollen wir den Aspekt der ,Verletzungen‘ vor dem Hintergrund von soziologischen Ansätzen zu Moral und Märkten, der Forschung zu Gerechtigkeitsorientierungen sowie der Arbeitssoziologie theoretisch einbetten (3). Der Ansatz von Gabriel Abend (2014) eröffnet unseres Erachtens eine genuin soziologische Perspektive, die die jeweilige Bedeutung von sozialen Beziehungen als Reziprozitätsgefügen, die moralische Orientierungen in konkreten Arbeitskontexten anleiten, in den Vordergrund rückt. Darüber hinaus werden moralische Orientierungen im Arbeitskontext erlebt in Bezug auf Ansprüche, die sich in gesellschaftlichen Prinzipien wie der Leistungsgerechtigkeit niederschlagen (u. a. Tullius & Wolf 2016). Wir wollen ausloten, inwiefern sich eine theoretische Brücke schlagen lässt zwischen den ‚kleinen‘ moralischen Verletzungen in Alltagssituationen und den wahrgenommenen Verletzungen in Bezug auf ‚größere‘, wohlfahrstaatlich eingebettete Gerechtigkeitssemantiken. Nicht zuletzt legen Theorien der moralischen Ökonomie ein besonderes Augenmerk auf das Entstehen von Kollektivität und die gemeinsame Wahrnehmung ökonomischer Erfahrungen (u. a. Gastón 2022; Thompson 1971).

Anschließend zeigen wir das Potential des Konzepts empirisch anhand eines Interaktionskontextes, der Debatte um moralische Verletzungen von Pflegekräften während der Coronapandemie in Deutschland. Wir untersuchen dazu die Twitterdiskussion[1] rund um das Keyword ,moralischverletzt‘ (4). Der überwiegend von weiblichen Arbeitskräften[2] geprägte Pflegesektor ist von besonderem Forschungsinteresse, weil anzunehmen ist, dass ein dem System zugrunde liegender Ökonomisierungszwang und bekannte Herausforderungen einer hohen Arbeitsintensität, eines permanenten Zeitdrucks (DGB 2018: 7; DGB 2020: 6; Rothgang et al. 2020a: 156), einer knappen Personalbemessung (Rothgang et al. 2020b) und vieler gleichzeitig auszuführender Tätigkeiten moralische Verletzungen begünstigen können. Zu vermuten ist ferner, dass moralische Verletzungen in diesem Sektor kein Einzelphänomen, sondern ein kollektives Phänomen darstellen, von dem Pflegekräfte[3] aufgrund ihrer hohen berufsethischen Ansprüche besonders häufig betroffen sind und bestimmte Erfahrungshorizonte teilen. Die Phase während der Coronapandemie ist für uns von Interesse, da sich die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal während dieser Zeit verschärft haben.

Unser Datenkorpus umfasst die gesamte Twitterkommunikation zum Thema ,moralisch verletzt‘ zwischen dem 04. Mai 2021 und dem 29. Dezember 2022 (Barrie & Ho 2021). In diesem Zeitraum wurden insgesamt 6330 Tweets und Retweets von 2853 Autor:innen verfasst, die den Begriff ,moralischverletzt‘ erwähnen (die Mehrheit davon im Mai und Juni 2021). Wir untersuchen die Daten mittels einer Kombination aus einer qualitativen Inhaltsanalyse und einer text-as-data-Analyse (Grimmer et al. 2022). Der Beitrag schließt mit einer Ergebnisdarstellung (5), einem Fazit sowie einer kritischen Diskussion unserer Erkenntnisse (6). Unser Ziel ist es, moralische Verletzungen aus einer soziologischen Perspektive zu erfassen und die kollektiven Wertekonflikte im Pflegesystem wissenschaftlich sowie gesellschaftlich sichtbar zu machen. Dies ist nicht zuletzt notwendig, um eine weiterführende Debatte über Lösungsstrategien für die hohen Personalabwanderungen aus der Pflege und die hohen Krankenstände des Pflegepersonals, die – so die Vermutung – durch moralische Verletzungen hervorgerufen werden können, anzuregen.

2 Forschungsstand: Moralische Verletzungen interdisziplinär betrachtet

Ursprünglich stammt das Konzept moralischer Verletzungen aus der Militärpsychologie (Eikenaar 2022; Greenberg et al. 2020; Griffin et al. 2019) und kann gemäß psychologischer Diagnosen definiert werden als psychisches Leiden, das sich aus Handlungen oder dem Fehlen von Handlungen ergibt, die gegen den moralischen oder ethischen Kodex einer Person verstoßen und berufsethische Vorstellungen verletzen (Greenberg et al. 2020: 1). Auch in der medizinischen und psychologischen Forschung wird der Fokus auf den individuellen Werten widersprechende (unterlassene) Handlungen gerichtet. Gemäß Griffin et al. (2019: 350–351) können aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive moralische Verletzungen nicht nur durch das Begehen oder Miterleben von Handlungen, die gegen die eigenen Grundüberzeugungen verstoßen, resultieren, sondern auch durch einen wahrgenommenen Verrat durch eine Führungs- bzw. Autoritätsperson. Aus Perspektive der Pflegewissenschaften und basierend auf dem theoretischen Modell von Riedel et al. (2022) ist moralisches Belastungserleben von Pflegekräften „[…] ein subjektives Erleben der Pflegefachperson, das dem jeweils subjektiven Erleben und individuellen Handeln in der Konfrontation und dem Umgang mit moralisch gehaltvollen Situationen folgt“ (ibid.: 3). Hierbei wird angenommen, dass das subjektive Erleben moralischer Belastungssituationen individuell unterschiedliche Ausprägungen annimmt (Riedel et al. 2022: 3; Riedel & Lehmeyer 2022; Rushton 2018; Rushton et al. 2021). Doch nicht nur das Erleben, sondern auch das Handeln von Pflegefachpersonen gestalte sich – abhängig von der jeweiligen individuellen moralischen Verfasstheit – als höchst individuell (Riedel et al. 2022: 4–5). Obgleich das Konzept moralischer Verletzungen in den genannten Disziplinen relativ breit erforscht ist (u. a. Dean et al. 2019; Eikenaar 2022; Farnsworth et al. 2017; Frankfurt & Frazier 2016; Greenberg et al. 2020; Griffin et al. 2019; Litz et al. 2009; Molendijk 2018; Nash 2019; Riedel et al. 2022; Rushton et al. 2021; Sherman 2014), fand es in der soziologischen Forschung bislang nur wenig Aufmerksamkeit.

Doch ist die soziologische Perspektive besonders relevant, um die Interaktionszusammenhänge, in denen diese Konflikte artikuliert und sozial ausgehandelt werden, aufzuzeigen. Wie wird darüber interagiert und zugleich auch verhandelt, dass und inwiefern es zu moralischen Verletzungen kommt? Ferner ist es soziologisch relevant, noch stärker als es die interdisziplinäre Forschungsliteratur bislang tut, auf den kollektiven Aspekt moralischer Verletzungen hinzuweisen, der in einzelnen Berufsfeldern wie dem Militär, aber insbesondere auch in sozialen Berufen wie der Pflege zum Tragen kommt. Während die oben beschriebene pflegewissenschaftliche Perspektive das Erleben moralischer Belastungen und das Handeln in moralisch gehaltvollen Situationen als genuin subjektiv und individualisiert beschreibt (u. a. Riedel et al. 2022: 3, 19), wollen wir noch deutlicher herausarbeiten, dass es sich nicht (oder zumindest nicht nur) um ein individuelles Phänomen handelt, sondern dass kollektive Elemente auf zwei Ebenen sichtbar werden: Erstens ist zu vermuten, dass viele Pflegekräfte aufgrund systemischer Zusammenhänge und Zwänge des beruflichen Alltags ähnliche Erfahrungen mit moralischen Verletzungen machen. Zweitens kann über die in sozialen Medien geteilten Narrative eine kollektiv geteilte Wahrnehmung moralischer Verletzungen entstehen. Die spezifisch soziologische Perspektive soll aufzeigen, wie in Interaktionszusammenhängen soziale Beziehungen, Gerechtigkeitsvorstellungen und die Suche nach einer kollektiven Sprache das Erleben moralischer Verletzungen von Pflegekräften prägen. Ferner soll an diesem Fallbeispiel beobachtbar werden, wie die Diskrepanzen zwischen moralischen Verletzungen, beruflichem Alltag und seinen Zwängen artikuliert und bearbeitet werden, wie sie moralische Bedeutsamkeit für die Betroffenen erlangen, wie sie zu normativen Vorstellungen verarbeitet werden und letztlich auch, wie aus Perspektive der Pflegekräfte der Berufsalltag statt dessen ohne moralische Verletzungen aussehen könnte.

Anzunehmen ist, dass die überwiegend weiblichen Pflegekräfte (u. a. Gottschall & Abramowski 2023; Schmidt 2017) besonders häufig moralischen Verletzungen ausgesetzt sind, da komplexe ethische Dilemmata – durch den Umgang mit Pflegebedürftigen als vulnerable Gruppe – diesem Berufsfeld immanent sind und die begrenzten Ressourcen des kommerzialisierten Gesundheitssystems, eine hohe Arbeitsintensität, ein permanenter Zeitdruck (DGB 2018: 7; DGB 2020: 6; Rothgang et al. 2020a: 156), eine knappe Personalbemessung (Rothgang et al. 2020b) und viele gleichzeitig auszuführende Tätigkeiten moralische Verletzungen begünstigen können. Eine moralische Verletzung von Pflegekräften kann unter diesen Umständen eintreten, wenn sie eine Handlung begehen, miterleben oder nicht verhindern, die gegen ihre tief verwurzelten moralischen Überzeugungen der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft verstößt. Im Gesundheitssektor ist diese tiefe moralische Überzeugung der ethische Eid, den Pflegekräfte abgelegt haben: Die Bedürfnisse der Patient:innen stehen an erster Stelle (Dean et al. 2019). Ob und wie die Verletzung erlebt und artikuliert wird, ist hierbei jedoch eine offene empirische Frage. Pflegekräfte unterliegen zunehmend den ressourcenknappheitsbedingten (finanziellen, personellen und zeitlichen) Zwängen der Einrichtungen, Kliniken und des Gesundheitssystems, was dazu führen kann, die strukturellen Erwartungen vor den Bedürfnissen der Patient:innen zu berücksichtigen. Jedes Mal, wenn Pflegekräfte ‚gezwungen‘ sind, dem systemischen Druck nachzugeben und ihre Handlungen nach Prinzipien auszurichten, die den Interessen der Patient:innen zuwiderlaufen, können sie eine moralische Ungerechtigkeit empfinden. Obgleich moralische Verletzungen durch einzelne Erlebnisse erfahren werden können, steigt im Laufe der Zeit die Wahrscheinlichkeit, dass sich wiederholte Ungerechtigkeitserfahrungen zu moralischen Verletzungen summieren (ibid.). Nicht zuletzt haben sich moralische Verletzungen im Zuge der Coronapandemie zunehmend verschärft (Kröger 2020).

Nach Dean et al. (Dean et al. 2019) können moralische Verletzungen zu Burnout führen, sind aber keineswegs mit einem Burnout gleichzusetzen. Im Unterschied zu Burnout (Neckel & Wagner 2014) beschreiben moralische Verletzungen die Herausforderung zu wissen, was die zu Pflegenden an Pflegeleistungen benötigen, diese aber aufgrund von Ressourcenknappheit, Vorgaben oder Beschränkungen nicht erfüllen zu können (Dean et al. 2019; Mai et al. 2021). Unterlassene oder durchgeführte Handlungen widerstreben dem eigenen ethischen Empfinden. Im Gegensatz zu psychischen Erkrankungen wie u. a. Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Burnout sind moralische Verletzungen keine psychischen Krankheiten. Betroffene moralischer Verletzungen entwickeln jedoch häufig negative Gedanken über sich selbst: Scham, Schuldgefühle und Abscheu sind hierbei keine seltenen Folgen. Neben psychischen Folgen sind auch eine sinkende Arbeitszufriedenheit oder der Berufsaustritt weitere Konsequenzen, die aus moralischen Verletzungen resultieren können (Klotz et al. 2022). Dass Berufsaustritte und ein fundamentaler Personalmangel zentrale Herausforderungen des Pflegesektors sind, belegen inzwischen zahlreiche Studien (u. a. Abramowski et al. 2023; Auffenberg et al. 2022; Rothgang & Müller 2021).

3 Theoretischer Rahmen: Moralische Verletzungen im soziologischen Kontext des Spannungsfelds zwischen Moral und Ökonomie

In diesem Beitrag wollen wir verstehen, wie die moralische Verletzung im Spannungsfeld zwischen Moral und Ökonomie artikuliert wird. Typischerweise werden Moral und Ökonomie als Gegensätze gedacht: Ökonomisches Handeln gilt als interessensgeleitet, moralisches Handeln demgegenüber als wertorientiert (Fourcade & Healy 2007). Und tatsächlich birgt das Konzept der ,Moralökonomie‘ einige Paradoxien, sofern man damit auf die Identifikation bestimmter ethischer Prinzipien hinter wirtschaftlichem Handeln zielt. Im Kontext kapitalistischer Ungleichheitsregime unterliegen auch ethische Motivationen typischerweise den Kommodifizierungsprozessen und Verwertungszwängen des Marktes (Sachweh & Hilmar 2020).

Der Ausgangspunkt unserer Analyse soll daher ein anderer sein. Zunächst wollen wir festhalten, dass Moral aus dem alltäglichen Leben – und somit auch aus dem wirtschaftlichen Leben – nur schwer wegzudenken ist, wenn man darunter nämlich die Ziele versteht, die Menschen in ihren Augen als ‚gut‘ und ‚richtig‘ anstreben. Andrew Sayer schreibt hierzu:

„people’s normative concerns in relation to class go beyond the unequal distribution of material goods and recognition and respect, to questions of what is good in terms of ways of life, practices, objects, behaviors, and types of characters that people see as desirable“ (Sayer 2005: 2).

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, Moral nicht als antithetisch zur Ökonomie zu betrachten, sondern vielmehr die Frage, wie Individuen und Gruppen mit dem widersprüchlichen Verhältnis zwischen diesen beiden Polen umgehen, in den Vordergrund zu stellen.

Aus der diskutierten interdisziplinären Literatur ergeben sich einige Hinweise, die wir im Folgenden mit Rückgriff auf soziologische Theorien vertiefen: Erstens scheinen soziale Beziehungen im Erleben von moralischen Verletzungen eine wichtige Rolle zu spielen (so im Verhältnis zu Patient:innen oder Autoritätspersonen). In der neueren soziologischen Forschung zu Moral und Märkten wird gerade die Rolle von sozialen Beziehungen als Reziprozitätsgefügen, die moralische Orientierungen und Affekte anleiten, betont (Abend 2014). Zweitens wurde konstatiert, dass in diesem Kontext tief verwurzelte moralische Grundhaltungen relevant sind. Dies lässt sich mit dem Rückgriff auf einen Strang der Arbeitssoziologie vertiefen, die argumentiert, dass hier gesellschaftliche Rahmungen wirkmächtig sind: moralische Orientierungen werden im Arbeitskontext erlebt in Bezug auf Ansprüche, die sich in größeren gesellschaftlichen Prinzipien – wie beispielsweise dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit – orientieren (Tullius & Wolf 2016). Drittens wissen wir bislang nur wenig darüber, wie moralische Verletzungen in Interaktionskontexten identifiziert und wechselseitig kommuniziert werden. Prozesse der Artikulation von moralischen Ansprüchen (sowie Interessen) auf der Basis ähnlich gelagerter ökonomischer Erfahrungen lassen sich mit Rückgriff auf moral economy Theorien (Thompson 1971) als kollektive und sozial geteilte Prozesse verstehen.

1 – Neuere soziologische Forschung zu Moral betrachtet diese nicht als abstrakten Regelkatalog, sondern als wirkmächtig innerhalb von Konstellationen konkreter sozialer Beziehungen (Abend 2014; Luft 2020; Zelizer 2012). Mit Rückgriff auf den Philosophen Bernard Williams unterscheidet Gabriel Abend sogenannte ,thin moral concepts‘ – Unterscheidungen zwischen ‚gut‘ und ‚böse‘ oder ‚richtig‘ und ‚falsch‘, die durch einfache, kontextübergreifende Verhaltensregeln ausgedrückt werden können – von ,thick moral concepts‘. Letztere umfassen Konzepte wie Würde, Verantwortung, Loyalität, Besonnenheit oder Ausbeutung, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in ihrer Anwendung immer nur in Bezug auf konkrete soziale Kontexte, in denen Relationen der wechselseitigen Verpflichtung existieren, bedeutsam sind – sie sind „constrained by what the world is like“ (Abend 2014: 38). Relevant ist in dieser Perspektive also die Frage, inwiefern moralische Vorstellungen (und moralische Verletzungen) in Bezug auf konkrete soziale Kontexte angewendet und dort in Bezug auf konkrete soziale Beziehungen artikuliert werden. Das können Beziehungsgefüge im Arbeitskontext wie auch im privaten Umfeld sein.

2 – In der neueren Arbeitssoziologie finden sich zunehmend Diagnosen, die das Bild des neoliberal orientierten homo oeconomicus differenzieren und dabei die Rolle von moralischen Orientierungen, Ansprüchen und Normen berücksichtigen (Dorschel 2022; Tullius & Wolf 2016; Vogel 2022; Voswinkel 2021). Hier werden Theorien der Moralökonomie, die auf die Rolle von Gerechtigkeitsvorstellungen im Erleben von ökonomischem Wandel verweisen (Sachweh & Hilmar 2020; Thompson 1971), für die arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung (Voswinkel 2022) fruchtbar gemacht.[4] Ein zentrales Postulat lautet, dass individuelle Erfahrungen und Erlebnisse im Kontext von Erwerbsarbeit mit gesellschaftlichen Legitimitätsnormen in Beziehung gesetzt werden. Menschen erleben Verletzungen oder Erfüllungen ihrer Ansprüche am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund größerer Gerechtigkeitsprinzipien. Hierbei werden moralische Ansprüche an die Erwerbsarbeit dynamisch ausgehandelt. Das Leistungsprinzip spielt dabei eine herausragende Rolle: Auch wenn es in der Praxis am Arbeitsplatz verletzt wird oder nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden kann, bleibt es oftmals dennoch als legitimer moralischer Anspruch bestehen (Neckel et al. 2005; Tullius & Wolf 2016). An diese Diagnose schließt wiederum ein zeitgenössischer Strang der Wohlfahrstaat- und Ungleichheitsforschung an (Mau 2004; Sachweh 2012; Svallfors 2006), der zeigt, inwiefern moralische Ökonomien nicht nur in ‚traditionellen‘, ‚vormodernen‘ Konstellationen wirken, sondern vielmehr im Kern die Legitimität dominanter sowie auch konfligierender Gerechtigkeitsnormen in modernen Wohlfahrstaatsregimen bestimmen. Die wahrgenommene Verletzung von moralischen Alltagssemantiken, mit denen gesellschaftlich anerkannte Gerechtigkeitsprinzipien wie Leistung, Bedarf oder Gleichheit im eigenen Leben verortet werden – oftmals im Kontext von Erwerbsarbeit – kann eine kollektive Quelle von Wut und Enttäuschung sein (Beck & Westheuser 2022). Ungerechtigkeitserfahrungen können als Frage politischer Legitimität erlebt und verhandelt werden: Der Zusammenhang zwischen den ‚großen‘ Ordnungslogiken der Gesellschaft und dem ‚kleinen‘ Erleben von Alltagsungerechtigkeiten steht dabei im Vordergrund.

Im Bereich der Pflege ist das Risiko der Verletzung moralischer Ansprüche tendenziell hoch. Arbeitssoziologisch betrachtet unterliegt „der Pflegesektor […] einem hohen Rationalisierungs- und Ökonomisierungsdruck“, der durch die wachsende Bedeutung des Sektors, steigende Qualitätsanforderungen und dem Spannungsfeld zwischen Pflegebedarf, finanziellen und personellen Ressourcen sowie durch Vereinbarkeitsprobleme von Erwerbs- und Reproduktionssphäre geschürt wird (Voswinkel 2021: 137).

3 – In Theorien der Moralökonomie wird drittens besonderes Augenmerk auf das Entstehen von Kollektivität und die gemeinsame Wahrnehmung ökonomischer Erfahrungen gelegt. Damit weist der Ansatz über die Diagnose von rationalen Einzelinteressen ökonomischer Akteur:innen hinaus. Moralische Orientierungen am Arbeitsplatz lassen sich als Element und Produkt kollektiver Artikulationsprozesse verstehen. Schon E. P. Thompson (1971) schreibt davon, dass ökonomische Erfahrungen gemeinsam gedeutet, also in einen kulturellen und sozialen Wahrnehmungs- und Interpretationsrahmen überführt werden müssen, um zum Gegenstand moralischer Evaluation zu werden. Hierbei spielt Sprache eine zentrale Rolle: ein gemeinsames Vokabular schafft kollektiv geteilte Erfahrungsräume und suggeriert bestimmte (legitime) Handlungsoptionen, die gewählt werden können, um mit ökonomischen Herausforderungen umzugehen. Gastón (2022) illustriert am Beispiel von Streiks in kalifornischen Krankenhäusern wie sich die Bedingungen für erfolgreiche ,moralized contention‘ im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelten und belegt, dass die kollektive Mobilisierung rund um moralische Ökonomie an konkrete historische Bedingungen des Diskurses und der Organisationskapazität geknüpft ist.

Die sozial geteilten Elemente ökonomischer Erfahrung werden darüber hinaus durch bestehende öffentliche Diskurse und Praktiken der Bewertung geprägt (Fassin & Fourcade 2021; Fourcade & Healy 2007).[5] Die Soziologie der Bewertung zeigt auf, wie mit ökonomischen Wertungslogiken immer auch soziale Hierarchien einhergehen: Wirtschaftliche Prozesse werden in der Öffentlichkeit im Hinblick auf die Art und Weise, wie sie sozialen Wert verteilen, gelesen. Den Pflegeberufen kommt dabei – trotz ihrer in der Öffentlichkeit gelegentlich idealisierten Wahrnehmung als besonders moralisch – ein geringer ökonomischer und sozialer Status zu. Didier Fassin spricht mit Blick auf die Legitimation von Ungleichheit, die mit solchen öffentlichen Bewertungsprozessen einhergeht, von ,moral economies‘ im Plural: Die Moralökonomie einer „given social question is the production, circulation, distribution, and utilization of values and affects, obligations, and norms related to this question. One can therefore speak, for instance, of the moral economy of crime, of asylum, of poverty, of finance“ (Fassin 2021: 157). Die Pflegeberufe sind darüber hinaus auch ein Schauplatz von Bewertungslogiken, die die menschliche Würde auf den Prüfstand stellen. Im Kontext der Coronapandemie, so Fassin, ist es die radikal unterschiedliche Bewertung menschlichen Lebens, die in westlichen Gesellschaften tabuisiert ist, aber zugleich als institutionelle Realität in den Krankenhäusern und Altersheimen (sowie auch in den Gefängnissen und Flüchtlingszentren) tagtäglich wirkt: eine Verletzung moralischer und menschenrechtlicher Normen, die aber ihrerseits moralisch (nämlich durch neoliberale, scheinbar nützlichkeitsorientierte oder nativistische Normen) gerechtfertigt wird.

Um das Phänomen der moralischen Verletzung im Pflegekontext im Licht dieser drei Theorieperspektiven zu verstehen, ist es notwendig, einen Interaktionskontext zu betrachten. Hierbei erscheint es sinnvoll, sich auf einen Kontext zu konzentrieren, in dem diese Problematik in ihren verschiedenen Aspekten und Auswirkungen identifiziert und thematisiert wird. Es soll also die Kommunikation über moralische Verletzungen in der Pflege untersucht und gefragt werden, wie darin Ansprüche formuliert werden und inwiefern dadurch eine kollektive Sprache über das Phänomen entsteht.

4 Methodisches Vorgehen

Grundlage für die empirische Analyse ist ein Korpus von Twitter-Daten, der die gesamte deutschsprachige Kommunikation zum Thema ,moralisch verletzt‘ auf der Plattform umfasst. Die Daten wurden in der Statistiksoftware R mittels der Academic Research API (Barrie & Ho 2021) heruntergeladen und zu einem Korpus zusammengefügt. Der Datensatz umfasst die gesamte Twitterkommunikation zu den drei Keywords ,moralischverletzt‘, ,moralisch verletzt‘ sowie ,moralische Verletzung‘ zwischen dem 04. Mai 2021 und dem 29. Dezember 2022. Der Hashtag ,#moralischverletzt‘ wird durch das Keyword ,moralischverletzt‘ erfasst und ist somit Teil des Korpus.[6] Hashtags sind mediale Konstruktionen, die als Symbole fungieren und soziale Interaktionen ermöglichen. Twitter-Nutzer:innen ordnen ihre Äußerungen Hashtags zu, teilen sie oftmals und verwenden sie in ihren Darstellungen selbst weiter. Insgesamt wurden 6330 Tweets (inklusive Retweets) von 2853 Autor:innen in diesem Zeitraum verfasst, die Mehrheit davon im Mai und Juni 2021. Davon wählen wir einen kleineren Korpus für die qualitative Analyse aus (siehe unten). Zusätzlich wurden in einem weiteren Schritt sämtliche Konversationen, in denen zumindest ein Tweet mit diesen Keywords vorkam, heruntergeladen (38 925 Tweets).[7]

Unser methodologischer Ansatz orientiert sich an einem wachsenden Strang innerhalb der Computational Social Science-Literatur, der den Stellenwert qualitativer Methoden im Rahmen von Large Scale Data-Analysen hervorhebt und systematisch begründet (Grigoropoulou & Small 2022; Nelson 2020). Dabei stehen drei Aspekte im Vordergrund: Erstens die Kontextorientierung im Sinne des Herstellungskontextes der entsprechenden Daten: Zu welchem Zweck wurden diese Daten generiert und von wem?[8] Zweitens eine systematisch angeleitete Auswahl von Teilen des Korpus, die im Sinne der Prinzipien Transparenz, Relevanz und Durchführbarkeit (feasibility) qualitativ ausgewertet werden (können) (Andreotta et al. 2019). Drittens eine offene und kategorienbildende Analyse des Materials, die nicht der Logik des Hypothesentestens, sondern der induktiv angeleiteten Erkennung von theoretisch relevanten Mustern im Material folgt (Nelson 2020). Im Folgenden diskutieren wir diese Aspekte im Detail.

4.1 Herstellungskontext von Twitter als Datenquelle

Twitter ist ein privates, börsennotiertes Unternehmen und verfolgt mit der Maximierung von User:innen-Traffic auf der Plattform ein ökonomisches Interesse. Insofern handelt es sich einerseits um den Kontext eines privatwirtschaftlichen, nach den Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie organisierten Medienumfelds. Andererseits handelt es sich um prozessgenerierte und usergenerierte Daten (Mayerl & Faas 2022), die nicht erst durch den Rahmen der Forschung hergestellt werden, was wiederum eine besondere Qualität dieser Art von Daten ausmacht. Twitter ist eine Mikro-Blogging Plattform, auf der sich User:innen durch das Posten, Liken, Retweeten oder Zitieren von Tweets verständigen. Mit Blick auf die linguistische und sozialwissenschaftliche Forschung begreifen wir Tweets als ,stance-taking‘ (Johansson et al. 2018), also als Artikulation bestimmter Positionierungen, mit der immer auch eine soziale Signifikation einhergeht: „When taking a stance, social actors evaluate objects, and when positioning, they express their subjectivity and establish intersubjective relationships with others“ (ibid.: 93). Mit Tweets werden also nicht nur Inhalte kommuniziert, sondern auch soziale Zugehörigkeit signalisiert. Twitter-Konversationen sind zugleich hochgradig fragmentarisch (Shugars et al. 2021). Sie beruhen auf Netzwerkdiffussionsprozessen, nicht auf einer linearen, chronologischen Konversation. User:innen sind tendenziell in verschiedenen Konversationen gleichzeitig aktiv und es gibt nur einige grobe Anhaltspunkte, um herauszufinden, wer die eigenen Tweets überhaupt liest. Studien aus den USA haben nachgewiesen, dass das User:innen-Engagement generell sehr ungleich ist: Die allermeisten User:innen lesen nur, schreiben aber nicht selbst (Park & Macy 2015). Generell wird Twitter in Deutschland tendenziell nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung genutzt. Frees und Koch (2018) dokumentieren für das Jahr 2017, dass rund ein Drittel aller Deutschen über 14 Jahre Facebook zumindest einmal in der Woche nutzen, während Twitter von rund 3 % genutzt wird. Dieser Unterschied hat sich jedoch 2018 bereits verkleinert (Fischer-Preßler et al. 2019) und es kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der aktiven User:innen aus Deutschland während der Pandemie noch größer geworden ist. Twitter ist eine beliebte Plattform bei sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die die Reichweite dort nutzen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen (Laux & Schmitt 2017; Tufekci 2017), diese zuzuspitzen oder gar zu übertreiben. In dieser Hinsicht passt der Gegenstand unserer Untersuchung – eine öffentliche Mobilisierung rund um Missstände in Arbeitsbedingungen, und hier vor allem der Pflege sowie der Krise des Gesundheitssystems in der Pandemie – gut zur Funktion des sozialen und politischen ,stance-taking‘ sowie zur Artikulation von politischen Forderungen in diesem Medium.

Grafik 1: Zeitlicher Verlauf der Debatte: Links: Absolute Häufigkeiten der Tweets von Mai 2021 bis Januar 2023; rechts: die ersten 36 Stunden der Debatte (Kernstück der qualitativen Analyse)
Grafik 1: Zeitlicher Verlauf der Debatte: Links: Absolute Häufigkeiten der Tweets von Mai 2021 bis Januar 2023; rechts: die ersten 36 Stunden der Debatte (Kernstück der qualitativen Analyse)
Grafik 1:

Zeitlicher Verlauf der Debatte: Links: Absolute Häufigkeiten der Tweets von Mai 2021 bis Januar 2023; rechts: die ersten 36 Stunden der Debatte (Kernstück der qualitativen Analyse)

4.2 Methodologischer Ansatz zur Auswahl der Tweets für die qualitative Analyse

In dem von uns gewählten induktiven Ansatz ist ein erster relevanter Schritt die Mustererkennung: „The pattern detection step […] involves using computational techniques to reduce complicated, messy text into simpler, more interpretable lists or networks of words in order to reveal patterns within the text in an unbiased and reproducible fashion“ (Nelson 2020: 5–6). Um einen deskriptiven Einblick in die Dynamik der Debatte zu bekommen, untersuchen wir zunächst mittels Textstatistik im gesamten Korpus die Häufigkeiten von Begriffen, Phrasen und Hashtags (siehe Anhang) und betrachten den gesamten Zeitverlauf der Debatte.[9]

Wie in Grafik 1 (links) zu sehen ist, ist die Twitter-Debatte über ,moralisch verletzt‘ auf den Beginn der Diskussion im Mai 2021 konzentriert. Dies leitet unsere Auswahl eines Teils des Korpus für die qualitative Analyse an: Für die qualitative Analyse betrachten wir die ersten 36 Stunden der Debatte (Grafik 1, rechts) sowie das zweite ‚Aufflammen‘ der Debatte im August 2021. Diese Auswahl lässt sich dadurch rechtfertigen, dass Zeiträume mit hoher Aktivität ein Indikator für ein erhöhtes Interesse und Engagement der Twitter-Community sind und oft eine dichte Konzentration von Meinungen und Interaktionen aufweisen. Diese Dichte spiegelt unmittelbare Reaktionen und Echtzeit-Diskurse wider und erlaubt es, argumentative Muster und die Dynamik der Konversation besser zu identifizieren als die Analyse von Zeiträumen mit geringer Aktivität. Die zusätzliche Analyse eines weiteren, kleinen Segments von August 2021 erlaubt uns zu fragen, ob die wesentlichen Muster, die zu Beginn der Debatte entstanden sind, weiterhin dominieren, oder ob sich neue Muster durchgesetzt haben.

Mit unserer Analyse zielen wir auf qualitative Tiefenschärfe; wir entscheiden uns aufgrund unseres theoretischen Interesses für eine fokussierte und kontextorientierte Auswertung, die über das Dokumentieren allgemeiner textstatistischer Muster hinausgeht. In diesem Sinne erweitern wir den ursprünglichen Datensatz nach einem ersten empirischen Einblick: nicht jeder Beitrag zu dieser Debatte verwendet notwendigerweise die Keywords rund um ,moralisch verletzt‘. Es gibt auch solche, die auf Tweets mit den entsprechenden Keywords lediglich reagieren ohne selbst die Schlüsselbegriffe explizit zu verwenden und die trotzdem relevant sind. Diese sind innerhalb der Twitter-Struktur als ,Konversationen‘ aneinandergebunden (,conversation_id‘). Wir beziehen ausgewählte Konversations-Tweets unter der Bedingung, dass sie erfahrungsbasiert sind, in die Analyse mit ein (siehe Analysemethode unten).[10]

Grafik 2: Co-occurence-Netzwerk zentraler Begriffe aus den User:innen-Kurzbeschreibungen
Grafik 2:

Co-occurence-Netzwerk zentraler Begriffe aus den User:innen-Kurzbeschreibungen

Eine relevante Frage, die auch den Herstellungskontext der Daten betrifft, lautet, wer die Nutzer:innen dieser Debatte sind. Rückschlüsse auf soziodemographische Eigenschaften (darunter fallen Informationen über das Geschlecht, die vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Pflege überwiegend um einen von Frauen ausgeübten Beruf handelt, inhaltlich ebenso wichtig wären wie Informationen zum konkreten Beruf, die in den Twitterbeiträgen allerdings nicht immer ersichtlich sind) sowie inferenzstatistische Schlüsse auf eine Grundgesamtheit können wir aufgrund fehlender Informationen über die User:innen bei Twitter nicht vornehmen (Mayerl & Faas 2022). In qualitativen, mixed-methods Zugängen zu großen Datenmengen ist allerdings die Logik der statistischen Schätzung auch nicht zielführend, stattdessen steht die Logik der kontextspezifischen Fallrekonstruktion im Vordergrund (Grigoropoulou & Small 2022). Ein wichtiger Grund hierfür lautet, dass sich unser Forschungsinteresse auf kollektive Bedeutungskonstruktionen rund um relevante Diskurse der moralischen Verletzung richtet. Verschiedene Identitätsbezüge, die sich erst in diesem Prozess herauskristallisieren, spielen dabei also eine besonders große Rolle. Um identitätsrelevante Aspekte der User:innen in unserem Sample zu berücksichtigen, analysieren wir die von User:innen selbst verfassten Kurzbeschreibungen (,user-descriptions‘) – es handelt sich hierbei wiederum um eine kontext-immanente Vorgehensweise. Diese sogenannten ,Twitter-Bios‘ (Pathak et al. 2021) sind kurze Texte, die der Präsentation bzw. Markierung sozialer Identität und Zugehörigkeit dienen.

Grafik 2 visualisiert zentrale Begriffe, die in den Kurzbeschreibungen von 2853 Autor:innen immer wieder vorkommen, in einem Co-occurence-Netzwerk. Wenn also zwei Wörter häufig zusammen im Text erscheinen, wird diese Verbindung hier als Netzwerkkante angezeigt (Benoit et al. 2018). Die Kantendicke repräsentiert die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Wörtern: Je dicker eine Kante ist, desto häufiger treten die verbundenen Wörter gemeinsam auf. Die Abstände zwischen den Begriffen in dem Netzwerk werden durch einen force-directed layout Algorithmus (laut der Funktion textplot_networks in quanteda) bestimmt. Es werden einige relevante Markierungen sozialer Identität durch die gemeinsame Nutzung bestimmter Begriffe sichtbar. Zu den erkennbaren Clustern gehören Geschlecht (weibliche Rollen wie ,mutter‘, ,mama‘), Beruf (,nurse‘, ,health‘), Freizeit (,music‘, ,art‘), politische Zugehörigkeiten bzw. Abgrenzungen (,nazis‘, ,fckafd‘, ,links‘), Intimität bzw. persönliche Lebenssphäre (,kinder‘, ,liebe‘, ,leben‘, ,welt‘) sowie eine Bejahung von Wissenschaft (,team‘, ,wissenschaft‘).[11]

4.3 Auswertungsmethode

Die Auswertung beruht auf einer qualitativen Inhaltsanalyse (Schreier 2014) eines Teiles des Korpus. Wir haben uns an der inhaltlich-strukturierenden Analyse orientiert (ibid.: 5). Diese konzentriert sich darauf, bestimmte thematische Elemente im Datenmaterial zu erkennen, diese begrifflich zu fassen und das Material systematisch unter Berücksichtigung dieser spezifischen Aspekte zu analysieren. Sie stellt einen iterativen Prozess dar, in dem ein System von Kategorien erstellt und während einer ersten Testkodierung schrittweise angepasst wird. Anschließend wird dieses System auf das gesamte Datenmaterial angewendet. Wir fokussieren uns erstens auf den Zeitraum der ersten 36 Stunden (sowie einige Tweets von August 2021), zweitens analysieren wir nur jene Tweets, die erfahrungsbasiert sind, die also eine konkrete Schilderung erlebter Ereignisse im Arbeitskontext bzw. im Umgang mit Personen aus einem Arbeitskontext (Angehörige, Freund:innen) beinhalten.[12] Dieser Fokus erlaubt es uns im Sinne der theoretischen Passung, moralische Verletzung als Erzählung zu rekonstruieren, und damit die folgenden Fragen aufzugreifen: Was (welche Norm, welche Erwartungshaltung) wird als moralisch verletzt erzählt? Wie wird moralische Verletzung diskursiv konstruiert und welche Variationen lassen sich dabei finden? Welche Folgen resultieren aus moralischen Verletzungen? Wir wählen eine offene Vorgehensweise, in der die Kodes am Material generiert werden. Um Interkoder:innen-Konsistenz (O’Connor & Joffe 2020) zu gewährleisten, wurde folgendermaßen vorgegangen: In einer ersten Runde der Kodierung wurden 100 Tweets unabhängig voneinander von beiden Autor:innen dieser Studie kodiert. Anschließend wurden die Ergebnisse verglichen und diskutiert und die Hauptkodes dieser Studie übereinstimmend festgelegt. Dieses Schema wurde dann auf den restlichen Korpus übertragen. Insgesamt wurden auf diese Weise 257 Tweets als erfahrungsbasiert klassifiziert und kodiert.

5 Ergebnisse

Im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragen, was als moralisch verletzt erzählt wird, wie moralische Verletzungen diskursiv konstruiert werden und welche Variationen sich dabei finden lassen, konnten auf Basis der qualitativen Inhaltsanalyse vier induktive Hauptkodes hergeleitet werden: erstens Ressourcenmangel und prekäre Arbeitsbedingungen, zweitens die Einhaltung persönlicher Werte und beruflicher Ethik, drittens die Reziprozität zwischen Pflegenden und weiteren Personen (Pflegebedürftigen, Vorgesetzten, Kolleg:innen) sowie viertens eine kollektive Sprache finden/Kollektivität herstellen und Handlungsblockaden lösen (weitere Untercodes sind im Folgenden kursiv hervorgehoben; eine vollständige Übersicht aller Kodes ist im Anhang zu finden).

Im Bereich des Ressourcenmangels und der prekären Arbeitsbedingungen wurde am häufigsten thematisiert, dass Pflegekräfte unter einem permanenten Zeitmangel leiden. Es fehlt an Zeit, um die diversen Pflegetätigkeiten ausführen zu können, sodass häufig gleichzeitig unterschiedliche Aufgaben parallel erledigt werden. „Jemand stirbt alleine, weil du musst deinen Plan erfüllen und bis 9 Uhr alle anderen gewaschen haben.“ Abgesehen von Multitasking-Herausforderungen wird auch eine fehlende Zeit beklagt, um die teils traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

„Eine 17 Jährige reanimiert. Als klar war, das wird keinen Erfolg haben, aufhören und noch bevor sie asystol war, sollte der nächste Patient in den OP bestellt werden. Keine Zeit zu verarbeiten. Keine Gesprächsangebote. Einfach weiter. Der Rubel muss rollen.“

Doch nicht nur Zeitmangel, sondern auch ein eklatanter Personalmangel wird kritisiert. Der Personalmangel führe dazu, dass Pflegekräfte häufig Situationen ausgesetzt seien, in denen sie allein agieren müssen, obwohl im Sinne einer ‚guten Pflege‘ mehrere Pflegekräfte von Nöten wären, wodurch moralische Verletzungen begünstigt werden.

„Manchmal nehme ich mir die Zeit, für Patienten mit Panikattacke, Kleinkind allein im WAR [Aufwachraum], Sterbebegleitung. Während dessen warten 10–30 andere Patienten, denn mehr Personal ist nicht da. Das ist das schlimme an diesem System, du kannst es NUR falsch machen.“

Hinzukommt ein Mangel in der Sachausstattung von Pflegekräften:

„…ständig ist z.b. inkontinenzmaterial knapp…es wird haarklein abgezählt. für eine woche gibt es dann 28 vorlagen, also 4 pro tag. es reicht nicht? ‚dann müssen sie sich anders organisieren‘ kommt von seiten der leitung.“

Unsere empirischen Erkenntnisse decken sich mit Dean et al. (2019), die moralische Verletzungen als die Herausforderung beschreiben, zu wissen, was von Pflegekräften für Pflegeleistungen benötigt wird, diese Erwartungen aber aufgrund von Ressourcenknappheit, Vorgaben oder Beschränkungen nicht erfüllen zu können. Oft wird die Logik der Ökonomisierung des Pflegesystems von Pflegekräften vor dem Hintergrund ihrer eigenen moralischen Ansprüche als absurd wahrgenommen: „In einen mutmasslich Hirntoten noch schnell ein Kunstherz einbauen, damit man auf die Zahlen kommt.“ Hier zeigt sich eine Dimension der Moralökonomie (Bolton & Laaser 2020; Mau 2004; Thompson 1971; Voswinkel 2022) im Kontext der Pflege, nämlich die Kritik an der Kommodifizierung eines Lebensbereiches, der aus normativen Gründen von der Logik des Marktes geschützt werden sollte.

Der zweite Hauptcode einer Einheit persönlicher Werte und beruflicher Ethik beinhaltet die bereits von Greenberg et al. (2020) skizzierte Verletzung von persönlichen Werten und der beruflichen Ethik durch Handlungen oder das Unterlassen von Handlungen seitens des Pflegepersonals. Persönliche Ansprüche zu helfen und die Leistungsethik der medizinischen Berufe werden verletzt. Dies betrifft im spezifischen den Leistungswert ‚gute Pflege‘ im Sinne des Leistungsanspruchs professioneller Pflege. „Als Angehörige im #Pflegeberuf ist man ohnmächtig im System. Es lässt einen ohnmächtig zurück, weil es einen nicht fachlich angemessen arbeiten lassen will.“ Die menschliche Fürsorge als ethische Überzeugung des Pflegeberufs steht im Widerspruch zur ,maschinenartigen Funktionalität‘ auf der Handlungsebene, wie es im folgenden Auszug eines Tweets im Sinne einer Kluft zwischen Handlung und Überzeugung beschrieben wird.

„Moralisch verletzt zu sein ist eine gesunde Reaktion auf ein Gesundheits/Krankheitssystem das belastende maschinenartige Funktionalität abverlangt wo entlastende menschliche Führsorge gefragt ist.“

Das Einklagen des Leitungsprinzips als legitimer Gerechtigkeitsnorm steht hier nur scheinbar im Widerspruch zu der ersten marktkritischen Dimension der Moralökonomie (Mau 2004; Tullius & Wolf 2016): Leistung wird feldspezifisch definiert. Angesichts der Tatsache, dass die breitere Gesellschaft Leistung einfordert und das Leistungsprinzip als legitim anerkennt, ist es umso gravierender, dass es in der Pflege nicht möglich ist, leistungsorientiert zu arbeiten.

Interessant ist darüber hinaus, dass die von den Twitter-Nutzer:innen dargestellten Narrative über moralische Verletzungen häufig persönliche Werte und Vorstellungen über würdevolles Sterben beinhalten.

„Als Schülerin eine sterbende Patientin zum Röntgen gebracht. Anmerkung, daß die Pat. Kurz vor ihrem Tod steht wird ignoriert. Im Röntgen fängt die Schnappatmung an, ich soll mit ihr wieder auf Station zurück kommen. Im Fahrstuhl macht sie ihren letzten Atemzug.“

Im Sinne von Leistungsnormen können sich moralische Verletzungen auch in Kompetenzverletzungen ausdrücken. „Visite: ‚Ich denke, der Patient ist noch nicht stabil genug für die Normalstation.‘ ‚Sie sollen nicht denken – sondern Betten schaffen‘.“ Ein weiteres Merkmal moralischer Verletzungen ist, dass diese kein Einzelphänomen darstellen, sondern im Pflegekontext immer wieder als Mehrfacherlebnis beschrieben werden. „selten habe ich das Gefühl gehabt, dass jemand so in den Kern trifft, was ich immer wieder erlebt hab. #moralischverletzt.“ Wie bereits von Dean et al. (2019) festgestellt, können sich im Laufe der Zeit wiederholte Ungerechtigkeitserfahrungen zu moralischen Verletzungen summieren. In der Folge können sich Pflegekräfte verpflichtet fühlen, aufgeben zu müssen, weil sie durch die Häufung moralischer Verletzungen keine professionelle Pflege mehr leisten können, was sich letztlich im Berufsaustritt Pflexit niederschlagen kann. Hervorzuheben ist, dass von zahlreichen Twitter-User:innen nicht der Zeitmangel oder niedrige Löhne, sondern moralische Verletzungen als „der Hauptgrund für die Flucht aus dem Pflegeberuf“ benannt werden. In den Tweets wird mehrfach dargelegt, dass die tieferliegende Ursache für den beruflichen Austritt aus der Pflege in erster Linie nicht die prekären Arbeitsbedingungen, sondern vielmehr die Häufung moralischer Verletzungen des Pflegepersonals sind. „#moralischverletzt Der wahre Grund, warum Pflegekräfte aufgeben.“ Thematisiert wird von den Twitter-Nutzer:innen außerdem, dass moralische Verletzungen nicht erst seit der Coronapandemie auftreten:

„#moralischverletzt gab es schon lange vor der Pandemie:

  • die schwerbetroffene aphasische alte Dame auf den Flur legen, weil ihre OPS [Operationen- und Prozedurenschlüssel] erfüllt ist und das Bett gebraucht wird

  • die 94-jährige reanimieren, weil es so gewollt ist

  • den dementen Herrn zum Sterben ins Bad legen.“

Anhand des Tweets „Ihr könnt euch euer #Systemrelevant übrigens bald sonst wohin stecken. ♀ Es gibt kein Recht auf Ausbeutung der Pflege!“ wird deutlich, dass viele Pflegekräfte auf die während der Coronapandemie attestierte Systemrelevanz der Pflege entrüstet reagiert haben. Die öffentlich diskutierte Systemrelevanz der Pflegekräfte kann als Quelle moralischer Anerkennung gedeutet werden, bleibt aber wirkungslos für eine einkommensbedingte Statusanerkennung (Voswinkel 2021; Voswinkel 2022: 49). Voswinkel spricht insofern auch von einer ,Anerkennungsfalle‘ in der Pflege, als sich die moralische Anerkennung zulasten der Statusdimension von Anerkennung auswirkt (Voswinkel 2021).

Der dritte Hauptcode Reziprozität umfasst, dass soziale Reziprozitätsbeziehungen zwischen Pflegenden und zu Pflegenden eine Rolle für das Wahrnehmen moralischer Verletzungen spielen. So formuliert eine Person:

„Was vielleicht nicht ganz so klar ist: wenn Pflegende #moralischverletzt werden heißt das immer, dass zu Pflegende mindestens mal deshalb in gesundheitlicher Gefahr sind.

Und ändern können es in dem Moment keine*r der Beiden.“

Der Tweet betont die Interdependenz zwischen Pflegenden und zu Pflegenden und illustriert, dass moralische Verletzungen des Pflegepersonals Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der zu Pflegenden haben können. In diesem Sinne betreffen moralische Verletzungen nicht nur einseitig die Beschäftigten, sondern ebenso die Pflegebedürftigen. Das verweist auf die Einsicht, dass das subjektive Erleben von moralischen Ansprüchen an konkrete soziale Beziehungen geknüpft ist: Moral besteht nicht einfach aus abstrakten Regeln, sondern speist sich aus dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber anderen (Abend 2014). In gravierenden Fällen können sich moralische Verletzungen auch in der Gewaltanwendung oder Gewalterfahrung ausdrücken, wobei hier Aspekte des Reziprozitätsverhältnisses, die um soziale Emotionen wie Würde, Respekt oder Scham kreisen, im Vordergrund stehen. „Ich habe so vielen Menschen die Rippen gebrochen, intubiert, tracheotomiert etc., obwohl sich das total falsch anfühlte“ schreibt eine Pflegekraft. Zudem wird von einer anderen Person die Nähe zwischen moralischen Verletzungen und Gewalt thematisiert: „Wie schmal ist der Grad von #moralischverletzt zu #gewalt? Er ist verdammt schmal und betrifft alle beteiligten.“

In Anlehnung an Thompson (1971) interpretieren wir die wahrgenommene Verletzung von ökonomischen Ansprüchen, die in diesen Beispielen zum Ausdruck kommt, als eine Grammatik der Verletzung von sozialen Reziprozitätsbeziehungen. Wie wir bereits gezeigt haben, wird in Theorien der Moralökonomie das Soziale als ultimativer Wert des wirtschaftlichen Handelns angesehen. Bei der Betrachtung der Verletzung von sozialen Beziehungen geht es in diesem Sinn also oft um den Bruch in einer vorgestellten Beziehung. Das kann entweder eine Sorge-Beziehung zu Patient:innen sein, die in einer bestimmten Art und Weise imaginiert und antizipiert wird, die dann verletzt wird, oder es kann die Beziehung zu Vorgesetzten betreffen, die Anweisungen geben, während die Pflegekräfte weisungsgebunden sind. Wie ebenfalls bereits von Griffin et al. (2019) dargelegt wurde, können moralische Verletzungen aus Anweisungen von Vorgesetzten resultieren oder in arbeitsteilig strukturierten Settings unter Arbeitskolleg:innen stattfinden. Auch hierfür finden sich in der Twitter-Diskussion zahlreiche Beispiele. Nicht selten wird geschildert, wie aufgrund von Hierarchien am Arbeitsplatz Vorgaben erfüllt werden müssen, die der beruflichen Ethik widersprechen.

„Pat. >90 liegt auf dem Boden, bei uns damals nix fremdes, in der Geri legen sich viele mal auf den Boden, stehen von alleine wieder auf. Wir schauen kurz, bis eine Kollegin ruft; REA. Klinikinterner Notruf wird abgesetzt, schnell sind .8 Leute um den Pat. rum, meine Kollegin Reanimiert auf ärztliche Anordnung. Ich weigere mich. Der Pat. hat eine Verfügung. KEINE REA! Ich sehe meine verzweifelte Kollegin die grade reanimiert, folge der Ärztin ins Zimmer und falte Sie höflich zusammen, was der scheiss soll. Nach 'kurzer' Diskussion und meiner weiteren Weigerung wird die REA beendet, frustran. Ethisch bin ich dem Willen des Patienten gefolgt, moralisch meiner Kollegin in den Rücken gefallen. Das! Das macht kaputt. Jeden verdammten Tag was anderes.“

Die Verantwortung auf andere Personen zu verlagern, erweist sich hierbei als ein strukturelles Problem des Pflegesektors.

Der vierte Hauptkode bezieht sich auf das Anliegen, eine kollektive Sprache zu finden, Kollektivität herzustellen und gemeinsam Handlungsblockaden zu lösen. Ein zentraler Aspekt moralischer Verletzungen sind kollektiv empfundene Wertekonflikte und der damit verbundene ,Anspruch‘ (Voswinkel 2022: 45) von Pflegekräften, eine gemeinsame kollektive Sprache zu finden. So schreibt eine Person: „Als ich über diesen Blogartikel https://t.co/K4RY9MJkMm von @Gode_fridus zu moralischen Verletzungen stolperte, verstand ich sofort, dass das der Schlüssel für das Gefühl vieler Pfleger:innen ist.“ Der ,Schlüssel für das Gefühl‘ liegt in der Artikulation bestimmter Erfahrungen, die nicht nur von Einzelpersonen gemacht werden. Der Diskurs auf Twitter gewährt Einblicke in die Mechanismen der Individualisierung und zeigt zugleich auf, wie diese Individualisierung durch die Nutzung der Plattform überwunden werden kann. Von den Twitter-Nutzer:innen wird in den Tweets nicht selten die Logik der individuellen Schuldzuweisung thematisiert und abgewehrt (,removing blame‘, siehe Clair et al. 2016). „Zu oft wird #moralischverletzt zum Problem des Einzelnen erklärt, der ‚Nicht belastbar ist‘ oder ‚den Beruf verfehlt hat‘.“ Durch das Teilen der Erfahrungen auf Twitter wird einigen User:innen bewusst, dass das Erleben moralischer Verletzungen nicht auf ihre eigene Unfähigkeit, sondern auf eine kollektiv geteilte Ursache zurückzuführen ist. „Ich hab aus meinen 20 Jahren sehr viele solcher Beispiele miterleben müssen. Bis ich die Pflegebubble hier gefunden haben, habe ich wirklich geglaubt, ich bin unfähig und nicht belastbar.“ Moralische Verletzungen werden häufig als psychisches, individuelles Problem wahrgenommen bis eine gemeinsame Reflexion stattfindet – diese wird u. a. über Twitter ermöglicht. Durch die Beteiligung am Twitter-Diskurs hegen viele Nutzer:innen den Anspruch, Kollektivität herzustellen bzw. das Erlebte kollektiv zu teilen. Einige der User:innen thematisieren diesen Anspruch explizit.

„Ich finde, #moralischverletzt sollte in die Trends Aber warum immer die BubbleBildung hier, liebes Twitter? Aber moralische Verletzung ist kein Sonderecht der Pflege, sondern betrifft ganzen Sozialen Bereich. Und nur gemeinsam ist man STARK!“

„Ich wünsche mir EINE gemeinsame Stimme, für #moralischverletzt e Menschen in Deutschland.“

Bei den beiden letztgenannten Tweets handelt es sich um den Versuch, die Diskussion über die Pflege hinaus auszuweiten und durch ,eine gemeinsame Stimme‘ eine kollektive Stärke zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. Selbstreflexiv wird in der folgenden Aussage eine fehlende Interessenvertretung der Pflegekräfte bemängelt, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen notwendig wäre, um ‚gute‘ Pflege leisten zu können.

„Nein, reicht es nicht. Mit wem soll er denn sprechen? Solange wir uns nicht endlich mal geschlossen organisieren (Kammer), solange wird auch exakt nichts passieren. Da das aber aus den eigenen Reihen seit Jahren aktiv boykottiert wird, sind wir einfach selbst Schuld.“

In diesem Tweet kommt der Anspruch zum Ausdruck, eine Pflegekammer zu gründen, um die Selbstorganisation der Pflegekräfte zu stärken. Eine von Voswinkel (2021) thematisierte Herausforderung ist jedoch, dass das moralische Ansehen des Pflegeberufs eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen konterkarieren kann: Die öffentliche Wertschätzung der Pflegearbeit beruht gerade auf einem sich unterordnenden, selbstlosen, altruistischen Dienst und genau dies kann durch eine kollektive Interessenvertretung gefährdet werden (ibid.). Hinzukommt, dass Pflegekräfte meist weder die Zeit, noch die Kraft haben, für ihre eigenen Interessen einzustehen. Der Organisationsgrad unter den Beschäftigten ist aufgrund einer Erschöpfung der Pflegekräfte, einer kleinteiligen betrieblichen Struktur sowie der Verantwortungszuschreibung an den Staat niedrig (Abramowski et al. 2023; Schroeder et al. 2022). Der Twitter-Diskurs könnte jedoch zur Organisation einer kollektiven Interessenvertretung beitragen und durch die Skandalisierung moralischer Verletzungen eine Statusaufwertung erzielen. Moralische Verletzungen können als Ressource für (Berufs-)Ansehen dienen, wobei das kollektive Argument lautet: Wir können aufgrund moralischer Verletzungen keine professionelle Pflege mehr leisten. Da Professionalität nach Voswinkel (2021) häufig mit Statusaufwertung einhergeht, könnte dies als ein Ausdruck der eigenen verdeckten Interessenvertretung zur statusbezogenen Verbesserung der Arbeitsbedingungen gedeutet werden. Nicht zuletzt verfolgen viele Pflegekräfte mit dem Twitter-Diskurs neben dem Aufruf, sich zu organisieren, einen Aufruf zum kollektiven Handeln, um auf die prekären Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte aufmerksam zu machen und eine politische Verbesserung zu erreichen.

„#moralischverletzt Nicht geschätzt, Doppel-Schichten, schlechte Bezahlung, darum geben Kräfte auf! Der Dienst am Menschen ist höher zu bewerten als Ball-Treter! Ein KKH [Krankenhaus] ist kein DAX-Konzern! Politik ist gefordert! Jetzt, tretet ein für Die, welche am Menschen arbeiten!!!“

Wie bereits im Forschungsstand thematisiert, hat sich auch in unserem Datenmaterial gezeigt, dass Emotionen wie Schuld- und Schamgefühle, Trauer, Wut und Verzweiflung Folgen moralischer Verletzungen sein können.

„Oft kommt es nur deshalb zu Behandlungen, weil es dem Krankenhaus Geld einbringt. Große Dilemmata entstehen. Die Folgen sind dauerhafte Schuld- und Schamgefühle.“

Nicht selten werden moralische Verletzungen ‚mit nach Hause genommen‘ bzw. verdrängt.

„Nach schlimmen Diensten wollte ich meist mit niemanden mehr reden. Die Heimfahrt mit der Bahn. Menschen. Zu viel! Geht weg. Zu Hause: Tür zu. Klingel aus. Handy aus. Gardinen zu. Sofa. Augen zu. Lasst mich alle in Ruhe!“

Folgen dieser Verdrängungs-Bewältigungsstrategie können letztlich psychische Erkrankungen wie Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Burnout sein (Dean et al. 2019). Organisationsbezogene Angebote zur Verarbeitung moralischer Verletzungen werden von den Pflegekräften als fehlende, unzureichende oder nicht angemessene Supervision beklagt.

„Null Supervision. Empfinde das als unterlassene Hilfeleistung.“

„Wir bekommen generell schon regelmäßig (1x pro Monat) Supervision. Aktuell finden die aber wegen Corona nicht statt – schade. Die meisten Kollegen freut es, weil sie SV nervig finden.“

Die fehlende Supervision lässt sich zweifellos nicht durch einen Twitter-Diskurs über moralische Verletzungen ersetzen, allerdings werden in diesem Diskurs soziale Emotionen als solche identifiziert und thematisiert; dadurch werden auch mögliche Handlungsoptionen aufgezeigt. Das Überwinden individueller Schuld- und Schamgefühle spielt dabei eine zentrale Rolle. In dieser Hinsicht handelt es sich – trotz des hohen Tempos und des fragmentarischen Charakters des Twitter-Diskurses – hier um ein bestärkendes und potentiell mobilisierendes Moment.

6 Diskussion und Fazit

Die Coronakrise hat die ohnehin schon lange bekannten strukturellen Probleme des Pflegesektors eines Personal- und Fachkräftemangels, Zeitmangels, prekärer Arbeitsbedingungen und Herausforderungen in der Finanzierung sowie Entlohnung der überwiegend weiblichen Arbeitskräfte noch weiter verschärft. Eine neue Entwicklung scheint jedoch zu sein, dass Pflegekräfte selbst zunehmend öffentlich ihre Arbeitsbedingungen beklagen. Die Zuspitzung der Arbeitsbedingungen hat dazu beigetragen, Pflegekräfte zu mobilisieren, ihre Erfahrungen im Rahmen von Social-Media-Posts öffentlich zu teilen.

Die wissenschaftliche Analyse des Twitter-Diskurses über moralische Verletzungen offenbart einen Einblick in die subjektive Perspektive von Pflegekräften: Wie erleben sie moralische Verletzungen in ihrem (Berufs-)Alltag und wie werden moralische Verletzungen diskursiv konstruiert? Moralische Verletzungen betreffen Momente, in denen Pflegekräfte aufgrund von Zeitdruck, Ressourcenmangel oder strukturellen Hindernissen nicht die Qualität der Fürsorge bieten können, die sie für ethisch richtig halten (Dean et al. 2019; Greenberg et al. 2020). Viele Pflegekräfte streben danach, ihre professionelle Verantwortung und ihre persönlichen Werte in einen Einklang zu bringen. Die Diskrepanzen zwischen dem, was sie tun möchten und dem, was tatsächlich möglich ist, können zu einem tiefgreifenden moralischen Unbehagen führen. Dieser Konflikt zwischen ethischem Anspruch und praktischer Realität kann ein Gefühl moralischer Verletzung hervorrufen, das über bloße physische oder materielle Arbeitsbedingungen hinausgeht.

Auf der Grundlage unserer qualitativen Inhaltsanalyse hat sich der Leistungswert ‚gute Pflege‘ leisten zu wollen als zentral herausgestellt. Pflegekräfte möchten im Sinne ihrer eigenen Ansprüche gute Pflege erbringen, werden aber u. a. durch eine rationale Systemlogik, knappe Personal- und Zeitressourcen und Vorgaben von Vorgesetzten daran gehindert, diese leisten zu können. „Die Pflegekräfte geraten […] in das Spannungsverhältnis von Ökonomisierung und Berufsethos“ (Voswinkel 2021: 139). Hinter dem Leistungswert ‚gute Pflege‘ leisten zu wollen verbirgt sich der Anspruch, professionelle Arbeit leisten zu können. Wie von Voswinkel (2021: 136) erläutert, geht Professionalisierung mit einer finanziellen wie statusbezogenen Aufwertung einher. Vor dem Hintergrund des Twitter-Diskurses handelt es sich um eine Möglichkeit, durch die Skandalisierung moralischer Verletzungen auf Twitter eine Statusaufwertung zu erzielen. Es ist ein impliziter Ausdruck, um die eigenen Interessen zu artikulieren. Offenkundig die eigenen Interessen zu vertreten kann gemäß Voswinkel den Anspruch gefährden, moralische Anerkennung für die Pflegeleistung zu erhalten (ibid.: 140): Das Berufsethos fordert, die Machtposition, die Pflegekräfte gegenüber Pflegebedürftigen haben, nicht auszunutzen und damit auch, die eigenen Interessen zurückzustellen. Für eigene Interessen einzustehen, kann folglich mit einem Anerkennungsmangel einhergehen, worin die Falle einer auf altruistischer Moral basierenden Anerkennung und einer Aufopferungsbereitschaft beruht (ibid.). Auch die Interpretation unseres empirischen Materials führt uns zur Annahme, dass Pflegekräfte nur eine kollektive Strategie verfolgen können, die ihnen nicht als egoistische Interessenvertretung vorgeworfen werden kann, sondern gesellschaftlich als aufopferndes altruistisches Handeln empfunden wird. Zentrale Intention ist – so unsere Interpretation – über Twitter auf moralische Verletzungen aufmerksam zu machen und dafür Anerkennung zu erfahren. Moralische Verletzungen können hierbei als Ressource für (Berufs-)Ansehen und eine Skandalisierung der Arbeitsbedingungen dienen. Ferner lässt sich der Twitter-Diskurs als kollektiv und sozial geteilter Prozess der Artikulation und Kommunikation von moralischen Ansprüchen (sowie Interessen) vor dem Hintergrund ähnlicher rationaler Arbeitsbedingungen und Erfahrungen verstehen.

Die Relevanz der Diskussionen um moralische Verletzungen in der Pflege lässt sich darüber hinaus auch als Reaktion auf öffentliche Bewertungslogiken (Fassin 2021), die dem Beruf einen prä-ökonomischen und damit sozial geringen Status zuweisen, denken. Das gesellschaftliche Bild der Pflege in der Gesellschaft ist maßgeblich durch eine moralische Prämisse geprägt: Die weitverbreitete Annahme, dass Personen für die Pflege ‚berufen‘ sind und selbstlos helfen möchten, ungeachtet ihrer eigenen Interessen. Im Twitter-Diskurs um moralische Verletzung können wir eine deutliche Infragestellung dieses ‚Altruismus-Narrativs‘ feststellen. Indem moralische Verletzungen im Kontext von Leistungsnormen thematisiert werden, erhalten Pflegekräfte die Möglichkeit, diese überhöhten Erwartungen zu kritisieren und zu reflektieren. So wird Pflege als ein Beruf wie jeder andere verstanden, und um ihn effektiv und sinnvoll im Kontext des gesellschaftlich geforderten Leistungsparadigmas auszuüben, müssen adäquate Arbeitsbedingungen gewährleistet sein.

Es geht hier also nicht um die Verletzung des ‚Altruismus-Ideals‘, sondern um die Missachtung des Leistungswertes und der Professionalität, qualitativ hochwertige Pflege zu bieten. Dies unterscheidet sich von der vereinfachten Interpretation, dass es in der Artikulation kollektiver Bedürfnisse von Pflegenden primär um moralische im Sinne von prä-ökonomischen Aspekten geht. Vielmehr steht die Professionalität im Vordergrund, die mit dem sozialen Wert des ökonomischen Handelns einhergeht. Die Normen der Pflege sind in diesem Kontext ‚moralökonomisch‘; verankert in gesellschaftlich als legitim anerkannten Semantiken der Gerechtigkeit. Gerade jene ,Moralisierung‘ eines Arbeitskampfes (Gastón 2022) erlaubt es, ihn als gesellschaftlich legitim zu erzählen und zu verhandeln.

Letztlich konnten wir zeigen, dass sich moralische Verletzungen in konkreten sozialen Beziehungen äußern (Abend 2014; Luft 2020; Zelizer 2012) bzw. in Bezug auf konkrete soziale Beziehungen artikuliert werden. Aus Perspektive der Moralökonomie liegt der Fokus weniger auf den materiellen Bedingungen oder den Arbeitsbedingungen, sondern in Anlehnung an Thompson (1971) vielmehr auf den sozialen Brüchen in Beziehungsgefügen. Es ist die Tatsache, dass Menschen den sozialen Normen und den Erwartungen an berufliches Handeln nicht gerecht werden können, die ein Gefühl moralischer Verletzung hervorruft. Was wir in unserer Untersuchung gezeigt haben, sind Variationen und Parallelen in der Wahrnehmung der Arbeitsbedingungen und der ökonomischen Brüche in der Pandemie. Es geht nicht nur um Geldmangel oder Zeitmangel, sondern insbesondere um Brüche in Normen und sozialen Reziprozitätsgefügen. Zukünftige Forschung sollte diese Frage aufgreifen und untersuchen, wie Verletzbarkeit in anderen Arbeitsbereichen erlebt und in sozialen Medien kommuniziert wird, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Pflegebereich zu identifizieren.

Die Untersuchung von Dynamiken von sozialen Ansprüchen und politischen Forderungen auf Social Media mittels der Kombination qualitativer und quantitativer Verfahren bietet vielversprechende Potentiale für die soziologische Analyse (Grigoropoulou & Small 2022; Mayerl & Faas 2022). Eine wesentliche Herausforderung unseres empirischen Zugangs besteht in der Selbstselektion der Daten: Die am Diskurs beteiligten Twitter-User:innen haben selbst die Entscheidung getroffen, über ihre eigenen Erfahrungen öffentlich zu berichten und nutzen Twitter möglicherweise auch als Ort der Übertreibung bzw. Zuspitzung. Anzunehmen ist, dass es sich hierbei um Personen handelt, die besonders häufig und in einem besonders starken Ausmaß moralische Verletzungen erlebt haben und die ihre Betroffenheit in der durch die Keywords bzw. den Hashtag-Namen nahegelegten Weise als moralische Verletzung interpretieren und den Begriff im Feld weiterverwenden. Insofern lassen sich keine Aussagen darüber treffen, ob und inwieweit andere, nicht am Diskurs beteiligte Pflegekräfte, die dargestellten Narrative teilen würden. Kritisch anzumerken ist auch, dass es sich nicht bei allen Twitter-Nutzer:innen zwingend um Pflegekräfte handeln muss. Der Beruf, das Geschlecht und weitere relevante soziodemographische Merkmale sind nur teilweise in den Daten ersichtlich. Eine Auswertung der Verletzungswahrnehmung von Pflegekräften vor dem Hintergrund genderbezogener Aspekte ist somit nur stark eingeschränkt möglich. Die Twitter-Bios zeigen jedoch, dass der Kontext der Pflege (siehe hierzu auch die Tabellen A1 und A2 im Anhang) und die Darstellung von Frauen in den Daten dominieren. Für die beteiligten Nutzer:innen ist es zentral, durch das Teilen ihrer Erfahrungen auf Twitter individuelle Schuld- und Schamgefühle zu überwinden. Folglich lässt sich der Twitter-Diskurs auch im Sinne einer Bewältigungsstrategie sowie als ein bestärkendes und potentiell mobilisierendes Moment beschreiben – insbesondere vor dem Hintergrund einer von den Pflegekräften beklagten fehlenden oder unzureichenden Supervision.

Im Herbst 2021 kam es in verschiedenen Berliner Krankenhäusern zu Pflegestreiks (Taz 2021) – möglicherweise waren diese inspiriert durch den Versuch, eine kollektive Sprache im Umgang mit der Problematik zu finden, so wie wir es hier beschrieben haben. Einen direkten Zusammenhang zwischen intensivierten Social-Media-Diskussionen über moralische Verletzungen in der Pflege und einer erhöhten Bereitschaft zum Arbeitskampf können wir anhand dieser Daten jedoch nicht feststellen.

Neben dem Beitrag zur Diskussion um Verletzbarkeit, der sich in unserem Fall vor allem empirisch in der kollektiven Wahrnehmung moralischer Verletzungen als Verletzung professioneller Ansprüche gegen die moralökonomische Seite des Leistungsprinzips über die auf Twitter geteilten Narrative zeigt, unterstreicht unser Beitrag die Dringlichkeit politischen Handelns im Pflegesektor. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegesektor im Allgemeinen und eine Verminderung der Personalfluktuation im Spezifischen gehen mit der Vermeidung moralischer Verletzungen Hand in Hand. Hierfür ist eine grundlegende Aufwertung von Fürsorgearbeiten notwendig, was zwangsläufig mit einer Veränderung der Wertigkeit von Tätigkeiten einhergehen muss, die als weiblich gelesen werden. Eine solche Aufwertung würde nicht nur eine menschenwürdige Pflege ermöglichen, sondern auch die Geschlechtergerechtigkeit stärken.

Über die Autoren

Ruth Abramowski

Ruth Abramowski, geb. 1987 in Herdecke. Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart (Bachelor) und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Master). Promotion in Soziologie an der Paris Lodron Universität Salzburg. 2014–2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Salzburg. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

Forschungsschwerpunkte: Arbeitsmarkt- und Familiensoziologie; Genderforschung; vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung; Familienpolitik; Sozialstrukturanalyse; soziale Ungleichheiten und Well-being.

Till Hilmar

Till Hilmar, geb. 1985 in Wien. Studium der Politikwissenschaft in Wien (Mag.) und der Soziologie (PhD) an der Yale University, USA. Postdoc am SOCIUM der Universität Bremen, seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter (postdoc) im Bereich politische Soziologie an der Universität Wien. Seit 2024 Principal Investigator im EU Horizon Projekt CIDAPE – Climate, Inequality, and Democratic Action: The Force of Political Emotions.

Forschungsschwerpunkte: Politische Soziologie; Kultursoziologie; Wahrnehmung von Ungleichheit und Moralökonomie; Integration qualitativer und computational social science Methoden.

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Online erschienen: 2025-02-21
Erschienen im Druck: 2025-02-28

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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