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Multiple Vulnerabilitäten: Zur Wissenspolitik der Schulschließungen während der COVID-19-Pandemie

  • David Kaldewey

    David Kaldewey, Studium der Sozialwissenschaften in Berlin und Oslo, Promotion in Soziologie an der Universität Bielefeld. Seit 2013 am Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, seit 2018 Professur für Wissenschaftsforschung und Politik, seit 2021 Co-Sprecher des Rhine Ruhr Center for Science Communication Research.

    Forschungsschwerpunkte: Identitätsarbeit der Wissenschaft, wissenschaftspolitische Sprache, die Krise der Faktizität als Herausforderung der Wissenschaftskommunikation, Soziologie der Universität.

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    , Pascal Berger

    Pascal Berger, Studium der Soziologie und Philosophie an der RWTH Aachen, Promotion an der RWTH Aachen. Seit 2022 Postdoktorand am Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn und am Rhine Ruhr Center for Science Communication Research.

    Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsforschung und Soziologische Theorie.

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    , Lea Weigel

    Lea Weigel, Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften (BA) in Bonn und Ankara, aktuell Studium der Soziologie (MA) in Frankfurt. Seit 2022 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

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    , Caitlin Blome

    Caitlin Blome, Studium der Politikwissenschaften und Soziologie in Bonn, aktuell MA-Studium Soziologie in Konstanz. 2022/2023 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

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    , Paula Kuhn

    Paula Kuhn, Studium English Studies sowie Politik und Gesellschaft (BA) in Bonn, Cross-Cultural Communication and International Relations (MA) in Newcastle, England. 2022/2023 wissenschaftliche Hilfskraft am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

    and Nicole Meck

    Nicole Meck, Studium der Komparatistik und English Studies (BA) in Bonn. 2022/2023 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

Published/Copyright: February 19, 2025
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Zusammenfassung

Der Beitrag beleuchtet die Debatte um die Schulschließungen während der COVID-19-Pandemie im Horizont einer Theorie multipler Vulnerabilitäten. Untersucht werden Zusammenhänge zwischen epistemisch-normativen Positionierungen und Vulnerabilitätsvorstellungen in einem Sample von 43 qualitativen Interviews mit engagierten Laien, die die Problematik der Schulschließungen auf Twitter diskutiert haben. Es kann gezeigt werden, dass Kinder aus Sicht der Kritiker*innen der Schulschließungen vor allem durch die psychischen und sozialen Folgen gefährdet sind, kaum aber durch die Krankheit selbst. Wer umgekehrt für Schulschließungen, Distanzunterricht oder Infektionsschutzmaßnahmen eintritt, sieht Kinder in erster Linie durch mögliche Infektionen bedroht und schätzt die psychischen und sozialen Folgen weniger problematisch ein. Trotz dieser als Polarisierung lesbaren Differenzen ist allen Interviewten eine Orientierung sowohl am Kindeswohl als auch am wissenschaftlichen Diskurs gemeinsam. Wir interpretieren die Ergebnisse wissens- und wissenschaftssoziologisch und verbinden die Theorie multipler Vulnerabilitäten mit einer Theorie multipler Fakten.

Abstract

This article explores the debate on school closures during the COVID-19 pandemic using the lens of a theory of multiple vulnerabilities. It examines connections between epistemic-normative positionings and notions of vulnerability in a sample of 43 qualitative interviews with committed laypeople who discussed the issue on Twitter. It can be shown that critics of school closures emphasize the psychological and social harms to children, but rarely the disease itself. Conversely, those who are in favour of school closures, distance learning or infection control measures see children as being primarily threatened by possible infections and consider the psychological and social consequences to be less problematic. Despite these differences, which can be read as polarization, all interviewees share a concern for children’s well-being and refer to the scientific discourse. We interpret the results in terms of the sociology of knowledge and the sociology of science, integrating the theory of multiple vulnerabilities with the concept of multiple facts.

1 Einleitung

„Gott sei Dank ist für Deutschland die Pandemie vorbei“ – so konstatiert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 21. April 2023 in seiner Bundestagsrede angesichts des Abschlussberichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“. Leider, so ergänzt er, gelte das nicht für alle, insbesondere nicht für die Kinder, die „die meisten Opfer erbracht“ hätten. Die Maßnahmen seien „zum Teil zu streng“ gewesen, die Schulschließungen „hätte man in dieser Länge nicht machen müssen“. Die Folgen seien anhaltende psychische Störungen, die Gesundheit der Kinder sei „schlechter geworden“ (Lauterbach 2023). Die Rede illustriert, dass Schulschließungen[1] drei Jahre nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie auch von jenen Akteuren kritisch beurteilt wurden, die in Zeiten hoher Inzidenzen und unmittelbaren Handlungsdrucks dezidiert für starke Maßnahmen eingetreten waren. Nun ist es nicht überraschend, dass sich im Verlauf der Pandemie die Wahrnehmung und Bewertung von nicht-pharmazeutischen Interventionen verschoben hat. So stellen die Medizinhistorikerinnen Maria Griemmert und Anne Oommen-Halbach (2023) in einer Analyse der Medienberichterstattung des ersten Pandemiejahrs eine Diskursverengung auf biomedizinische Risikoaspekte fest. Kinder seien vorrangig in ihrer epidemiologischen Rolle als „Treiber der Pandemie“ gesehen worden, nicht aber in ihrer psychischen und sozialen Vulnerabilität. Hinweise auf solche nachhaltigen Belastungen seien im Frühjahr 2020 in der Öffentlichkeit auf Unverständnis gestoßen, während entsprechende Aussagen drei Jahre später als post-pandemisches Allgemeinwissen und „scientific mainstream“ gelten können (Griemmert & Oommen-Halbach 2023: 108).

Laut den vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC 2022) sowie der UNESCO (2022) zur Verfügung gestellten Daten waren die Schulen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen März 2020 und Juni 2021 insgesamt 14 Wochen lang komplett und 24 Wochen teilweise geschlossen. Bei aller gebotenen Vorsicht in der Interpretation dieser Zahlen[2] können sie als Indiz dafür genommen werden, dass Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Staaten in der „Spitzengruppe“ steht (Freundl et al. 2021; siehe auch Grill et al. 2022). Das politisch markierte Ziel der Schulschließungen war anfangs die Eindämmung des Infektionsgeschehens auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, um so einerseits die gefährdeten Gruppen, vor allem Ältere und Vorerkrankte, zu schützen und andererseits eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden (Bundesregierung 2020a). Im Verlauf der Pandemie verschoben sich die politisch kommunizierten Ziele dahin, Infektionen so weit wie möglich zu reduzieren, weil auch jüngere Menschen zuweilen einen schweren Verlauf erlitten (Bundesregierung 2020b). Die Schulschließungen genossen zu Beginn der Pandemie ein sehr hohes Maß an Zustimmung in der Bevölkerung. Im seit dem 24. März 2020 regelmäßig durchgeführten BfR-Corona-Monitor wurden Kita- und Schulschließungen zunächst von 94 % der Befragten als „angemessen“ bezeichnet; nach sieben Wochen lag der Wert immer noch bei 75 % (BfR 2023). Dennoch waren Schulschließungen in der Politik, in der Wissenschaft, in verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften, unter Akteuren des Bildungssystems sowie nicht zuletzt unter den betroffenen Familien schon bald nach ihrer Implementierung höchst umstritten. Manchen erschienen sie bei hohen Inzidenzen als alternativlos, anderen als vermeidbar, wiederum anderen als unverhältnismäßig wegen der negativen Nebenfolgen (zusammenfassend Osterloh 2021).

Mit der vorliegenden Studie möchten wir die Debatte um die Schulschließungen neu beleuchten und im Horizont einer Theorie multipler Vulnerabilitäten kontextualisieren. Dafür greifen wir auf eine explorative qualitative Befragung zurück, in deren Rahmen wir von Juli bis Oktober 2022 insgesamt 43 Interviews mit engagierten Laien geführt haben, die die Problematik der Schließung und (Wieder-)Öffnung von Schulen über längere Zeit hinweg auf Twitter diskutiert haben. Ziel dieser Studie war einerseits eine Momentaufnahme der spannungsreichen Positionierungen in einer späten Phase der Pandemie, andererseits eine Rekonstruktion der Genese, des Verlaufs und der Hintergründe dieser Positionierungen im Gespräch mit den Akteuren. Twitter kann – zum Zeitpunkt der Erhebung – aufgrund seiner Beliebtheit bei Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und sonstigen Expert*innen als „a public arena for information gathering, opinion formation and persuasion“ verstanden werden (Gaisbauer et al. 2021: 1).[3] Auch wenn der Twitter-Diskurs zu den Schulschließungen nicht repräsentativ für die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung ist, bietet er instruktive Einblicke in die Pluralität der politischen, normativen, wissenschaftlichen und weltanschaulichen Situationsdeutungen. Wir haben die Plattform entsprechend als ‚Sampling Tool‘ zur Extraktion eines Spektrums existierender Positionen verwendet. Der Vorteil dieses Zugriffs liegt darin, dass engagierte Twitter-Nutzer*innen, sofern sie sich eine gewisse Reichweite erarbeitet haben, nicht einfach gesamtgesellschaftlich vorhandene Meinungen spiegeln, sondern aktiv Wissenspolitik betreiben: Sie lancieren und unterstützen Positionen, entwickeln diese weiter, oder kritisieren und problematisieren andere Positionen – und beziehen sich dabei positiv oder negativ auf verschiedene Wissensquellen.

Den Begriff der Wissenspolitik verwenden wir dabei bewusst offener als die klassischen Theorien der Wissensgesellschaft. Unser Erkenntnisinteresse richtet sich nicht primär auf Fragen der Regulierung, Überwachung und Instrumentalisierung wissenschaftlichen Wissens (Stehr 2003), sondern auf die – auch durch die sozialen Medien ermöglichte – Co-Produktion von Wissen durch engagierte Laien (Jasanoff 2004). Unser Begriff der Wissenspolitik zielt auf die Art und Weise, wie verschiedene Formen von Wissen (wissenschaftliches Wissen, eigene berufliche Expertise, Erfahrungs- und Alltagswissen) mobilisiert werden, um ein komplexes gesellschaftspolitisches Problem zu adressieren – und wie umgekehrt das eigene Wissen um solche Probleme geprägt ist durch das Engagement in spezifischen Diskursarenen. Auch die in den jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen der Akteure verankerten Vulnerabilitätsvorstellungen verstehen wir als eine Form von – häufig implizitem – Wissen, welches zum Strukturmoment einer Wissenspolitik der Schulschließungen werden kann. Hieran anschließend ergibt sich folgende Forschungsfrage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen epistemisch-normativen Positionierungen in der Frage der Schulschließungen und den multiplen Vorstellungen und Wahrnehmungen von – physiologischer, psychischer und sozialer – Vulnerabilität? Um diese Frage zu beantworten, rekonstruieren wir aus den Erzählungen der Akteure, was sie selbst unter Verletzbarkeit verstehen und in welchem Kontext Vulnerabilität für sie zum Problem wird.

Die Studie leistet damit erstens einen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Reflexion der COVID-19-Pandemie, zweitens zur Soziologie der Verletzbarkeit und drittens zur aktuellen Diskussion um gesellschaftliche „Spaltungsdiagnosen“ (Mau et al. 2023). Im Verlauf unserer Argumentation wird sich die Vermutung erhärten, dass eine Auseinandersetzung mit der Schulschließungsfrage die eingespielte öffentliche Wahrnehmung einer stark polarisierten pandemiepolitischen Arena, in der sich Maßnahmenbefürworter*innen und Maßnahmengegner*innen unvermittelt gegenüberstehen, zwar nicht aufhebt, aber präzisiert und differenziert. Diese beiden Lager wurden sehr früh schon, vermittelt durch Eigenlogiken der Politik, der Medien und der Wissenschaftskommunikation, im Modus einer asymmetrischen Unterscheidung präsentiert. Die eine Seite erschien als wissenschaftsgeleitet und an den Interessen der Solidargemeinschaft orientiert, die andere als tendenziell wissenschaftsfeindlich, zu Verschwörungstheorien neigend und primär an eigenen Freiheitsrechten interessiert (Bisiada 2021; Jaspal & Nerlich 2023; Harambam & Voss 2023; Miko-Schefzig et al. 2023). Diese Dichotomie scheint phasenweise auch die pandemiebezogene Protestforschung angeleitet zu haben, die aufgrund der starken Fokussierung auf die Querdenken-Bewegung das komplexe Kontinuum zwischen demokratisch legitimen und wissenschaftlich fundierten Formen der Maßnahmenkritik einerseits und der Teilnahme an populistischen, teils rechtslastigen und wissenschaftsskeptischen Protestbewegungen andererseits aus den Augen verloren hat (siehe z. B. Reichardt 2021; Benz 2022; Nachtwey et al. 2023). Dagegen werden wir am spezifischen Fall der Schulschließungsdebatte zeigen, dass der epistemisch-normative Konflikt nicht diesen abstrakt-dichotomen Linien folgt, sondern vielmehr ausgeht von einer geteilten Situationsdeutung kindlicher Vulnerabilität.

Die Studie gliedert sich wie folgt. In einem ersten Schritt stellen wir die Vulnerabilitätstheorie auf, mittels derer wir den Zugriff auf unser Material gestalten (2). Darauf folgt die Darstellung des Forschungsdesigns und eine Übersicht über das Interview-Sample (3). In einem Zwischenschritt stellen wir die Clusterung der in diesem Sample rekonstruierten epistemisch-normativen Positionierungen zu Schulschließungen vor (4). Im Hauptteil der Untersuchung prüfen wir den Zusammenhang zwischen diesen Clustern und den divergierenden Vorstellungen und Wahrnehmungen von Vulnerabilität (5 & 6).

2 Theoretischer Hintergrund: Dimensionen von Vulnerabilität

Vulnerabilität kann zunächst als anthropologische Konstante, als Moment der „human condition“ (Fineman 2021: 107) bzw. als „Wesensmerkmal menschlicher Existenz schlechthin“ (Ridder & Patzold 2020: 6) begriffen werden. Als bedürftige Körperwesen sind Menschen notwendigerweise eingebettet in soziale Beziehungen und Institutionen, seien es Familien, Gemeinschaften, Nationen oder verschiedene Arten von Organisationen (Fineman 2021: 108). Frithjof Nungesser (2019) entwickelt im Rahmen von gewaltsoziologischen Überlegungen eine Theorie der Verletzbarkeit, die in ein umfassendes Konzept ambivalenter Sensibilität eingebettet ist. Er identifiziert sechs Kanäle der Sensibilität: (1) Unterminierung der Körperkontrolle, (2) Mangel an Handlungssinn, (3) Einschränkungen der sozialen Einbettung, (4) verminderte Kontrolle über die Territorien des Selbst, (5) Aufhebung des personalen Status und (6) Verletzung identitätsstiftender Werte (Nungesser 2019: 26–30). Diese Kanäle können „durch eine Vielzahl der Phänomene“ aktiviert und sowohl für positive als auch negative Erfahrungen offen sein (Nungesser 2019: 30–32). Ein Beispiel dazu aus unserer empirischen Studie: Die durch Schulschließungen bedingte soziale Isolation kann von den betroffenen Kindern als Verletzung der sozialen Einbettungen erfahren werden; zugleich finden wir Berichte, in denen die Homeschooling-Situation umgekehrt als positiv-erfüllend für die innerfamiliäre Bindung beschrieben wird.

Auch wenn Vulnerabilität sinnvollerweise als universales menschliches Phänomen begriffen wird, ist sie in ihrer Spezifität sozial konstruiert und kontextabhängig. Ein medizinischer Diskurs kann das krankheitsbezogene Verhalten und die körperliche Erfahrung von Krankheit beeinflussen, ebenso kann er bestimmte medizinische Interventionen legitimieren (Conrad & Barker 2010: 69). Er speist dann den „gesellschaftlichen Wissensvorrat“ und versorgt die Gesellschaft mit Rezeptwissen und Denkschablonen (Berger & Luckmann 1969: 43–48). Dieser Wissensvorrat wiederum ist in der COVID-19-Pandemie in einem historisch neuartigen Ausmaß auch über soziale Medien wie Twitter gefüllt und ausgehandelt worden: Laien und Expert*innen teilten und interpretierten Studien; sie beobachteten, bewerteten und kommentierten über Tweets kommunizierte Positionierungen von anderen Diskursteilnehmer*innen.

Twitter ist während der Pandemie zu einem prominenten Ort post-normaler Wissenschaftskommunikation geworden (Brüggemann et al. 2020; Berger & Kaldewey 2024). Vor diesem Hintergrund verstehen wir die von uns untersuchten engagierten Laien als eine „extended peer community“, die – unter Bedingungen hoher epistemischer Unsicherheit und gleichzeitig konfligierender Wert- und Zielvorstellungen (Funtowicz & Ravetz 1993; Rainey et al. 2021) – eine Beteiligung der Gesellschaft am wissenschaftlichen Diskurs einfordert. Da sich viele von ihnen mit wissenschaftlicher Expertise auseinandersetzen und ihre Interpretationen von Studien und Stellungnahmen mit einem Publikum teilen, können sie auch als „citizen science communicators“ (Yang 2022) beschrieben werden. Gleichzeitig war Twitter vor wie während der COVID-19-Pandemie ein für politische und affektive Polarisierungen sowohl empfängliches wie diese verstärkendes Medium (Kubin & Sikorski 2021). Die Tragfähigkeit bestimmter wissenschaftlicher Aussagen in der Twitter-Öffentlichkeit hing dann an den ihnen zugeschriebenen oder assoziierten moralischen Werten (Prettner et al. 2021: 2). Der Streit um das Für und Wider bestimmter Infektionsschutzmaßnahmen kann sich somit ‚übersetzen‘ in multiple Vorstellungen von Vulnerabilität, für die dann wiederum verschiedene wissenschaftliche Studien und Expert*innen mobilisiert werden.

Die sich aus dieser Situation ergebende Gemengelage von Fakten und Werten ist für die Soziologie nicht neu, bleibt aber eine permanente methodologische Herausforderung (Berger & Kaldewey 2025). Eine ‚Klärung‘ des wissenschaftlichen Gehalts wissenspolitischer Stellungnahmen im Sinne eines ‚Faktenchecks‘ verstehen wir nicht als Aufgabe der soziologischen Beobachtung. Gleichzeitig wäre eine Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität der in wissenspolitischen Diskursen mitlaufenden Argumente ebenso unbefriedigend. Wir gehen mit diesem Dilemma pragmatisch um, indem wir Akteurskategorien und analytische Kategorien unterscheiden. Wenn wir von ‚multiplen Vulnerabilitäten‘ sprechen, sind diese beiden Seiten mitgemeint. Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist die Perspektive der Akteure (emische Perspektive), in der Interpretation wird das potenziell entgrenzte Feld von subjektiven und gelegentlich auch idiosynkratischen Vulnerabilitätsvorstellungen jedoch durch eine Vulnerabilitätstheorie gerahmt, die bestimmte Kategorien vorformatiert (etische Perspektive). Dazu gehört eine in Anlehnung an die Public Health-Literatur und Vulnerabilitätsforschung entwickelte, spezifisch auf den Kontext der Pandemie bezogene analytische Unterscheidung von Dimensionen der Verletzbarkeit.[4] Tabelle 1 fasst das Zusammenspiel der etischen und emischen Perspektive zusammen.

Ein sorgfältiger Umgang mit der Unterscheidung von Akteurskategorien und analytischen Kategorien ist auch deshalb notwendig, weil sich die von uns interviewten Akteure durch ihren Bezug auf Daten und wissenschaftliche Studien selbst in der Arena einer post-normalen Wissenschaftskommunikation verorten und als „citizen science communicators“ beanspruchen, analytisch verwertbare Aussagen zu treffen. Sie tun das aber als wissenspolitisch engagierte Laien im Feld – hier zeigt sich erneut unser Ausgangspunkt, die emische Perspektive der Akteure. Mit der in Tabelle 1 zusammengefassten Analytik kontrastieren wir damit eine etische Perspektive, die dann in der Interpretation dabei hilft, die emische Perspektive zu kontextualisieren. So zeigt sich, dass in dem von uns untersuchten Feld der ‚hinter‘ den Twitter-Accounts operierenden Akteure nicht alle analytisch plausiblen Dimensionen gleichermaßen repräsentiert sind. Entsprechend ist in der Tabelle notiert, welche Dimensionen im Sample regelmäßig zur Sprache kamen und welche nur peripher angeschnitten wurden – letzteres ist der Fall bei Aspekten wie Bewegungsmangel und Übergewicht sowie bei der Problematik einer erhöhten Gefahr von Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt. Der mögliche Bildungsverlust und dessen soziale Folgekosten sind auf Twitter sowie im politischen Diskurs ein zentrales Thema gewesen, im Sample aber – für uns überraschend – nur indirekt thematisiert.[5] Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte eine Rolle gespielt hat, im Sample dagegen kaum zur Sprache kam, ist der Schutz der Lehrkräfte bzw. deren unmittelbare physiologische Vulnerabilität.[6] Diese verschiedenen Nicht-Thematisierungen zeigen, dass Kategorien, die sich aus etischer Perspektive als hochrelevant darstellen, in emischer Perspektive in den Hintergrund rücken können. Die folgende Analyse fokussiert diejenigen Dimensionen von Vulnerabilität, denen in den Interviews eine hohe Relevanz zukam. Dass dabei andere Dimensionen vernachlässigt werden, bedeutet nicht, dass diese aus Sicht externer Beobachter*innen weniger wichtig wären – ihre Untersuchung würde aber einen anderen Feldzugang voraussetzen.

Tab. 1:

Dimensionen von Vulnerabilität im Kontext der Schulschließungsproblematik

Im wissenschaftlichen Diskurs zur Schulschließungsfrage thematisierte Aspekte (etische Perspektive)

Im Sample thematisiert (emische Perspektive)

Kanäle der Sensibilität nach Nungesser (2019)

Abstrahierte Typologie für die Ergebnisdarstellung

Unmittelbar COVID-19-assoziierte Krankheitslast und Mortalität

+ 

Körperkontrolle (1)

Physiologische

Vulnerabilität

Neben- und Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung

+ 

Psychische Belastungen und Erkrankungen

+ 

Handlungssinn (2)

Soziale Einbettung (3)

Territorien des Selbst (4)

Psychische und soziale Vulnerabilität

Beeinträchtigung sozialer Bedürfnisse

+ 

Beeinträchtigung persönlicher Entwicklungschancen

+ 

Territorien des Selbst (4)

Personaler Status (5)

Identitätsstiftende Werte (6)

Bildungsverlust und soziale Folgekosten

(–)

Sonstige

(im Sample nur peripher thematisiert)

Bewegungsmangel und Übergewicht

(–)

querliegend

Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt

(–)

3 Forschungsdesign: Episodische Interviews mit Twitter-Nutzer*innen

Zentrales Kriterium für die Auswahl von Interviewpersonen war ihre Diskurspräsenz. Die Interviews sollten mit engagierten Laien geführt werden, die im deutschen Twitter-Diskurs rund um die Schulpolitik während der COVID-19-Pandemie aktiv und sichtbar waren. Es ging uns um Accounts mit ‚mittlerer Reichweite‘ (vierstellige Follower-Zahlen), um relevante, Resonanz erzeugende kommunikative Adressen des Diskurses. Ob es sich dabei um anonyme oder unter Klarnamen twitternde Personen handelte, spielte keine Rolle. Ausschlusskriterium waren Accounts mit großer bis sehr großer Reichweite (fünf- bis sechsstellige Follower-Zahlen), etwa von Wissenschaftler*innen, Journalist*innen oder Politiker*innen, die Twitter nicht als primäres Kommunikationsmedium verwendeten.[7] Zunächst wurden mithilfe einer Hashtag-Analyse die in der Schulschließungs-Debatte aktiven Twitter-Nutzer*innen identifiziert. Von diesen wurden Accounts mit über 1000 Followern ausgewählt, die jeweils verschiedene pandemiepolitische Positionen repräsentierten. Die weitere Auswahl erfolgte über ein Schneeballsystem, indem alle Interviewten am Ende des Gesprächs nach Empfehlungen für weitere relevante Accounts gefragt wurden.

Die Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den Interviewpersonen erfolgte weitgehend per Direktnachricht auf Twitter. Die Positive Response Rate aller Anfragen lag bei 41 % (37/90), während 12 % (11/90) die Anfrage explizit ablehnten. Zusätzlich hatten sich im Verlauf der Studie sechs Accountinhaber*innen selbst als Gesprächspartner*innen angeboten, nachdem das Forschungsprojekt auf Twitter zum Thema geworden war. Nach dem Prinzip des theoretischen Samplings bemaß sich die finale Erhebungsmenge an dem Grad theoretischer Sättigung. Von den 43 Interview-Partner*innen wurden 13 aufgrund der Hashtag-Analyse, 24 aufgrund von Empfehlungen und 6 aufgrund ihrer eigenen Initiative ausgewählt.

Die Interviews wurden zwischen Juli und Oktober 2022 durchgeführt und dauerten durchschnittlich 55 Minuten. Sie fanden – mit Ausnahme zweier Telefoninterviews und eines Interviews in Präsenz – per Zoom statt. Die Gesprächsgestaltung orientierte sich an der Methode des episodischen Interviews, welches offene, leitfadengestützte Fragen mit narrativen Elementen kombiniert (Flick 2011; Misoch 2019: 57–64). Mittels Narrationsaufforderungen wurden persönliche Erinnerungen, Erfahrungen und Positionierungen zu den Schulschließungen während der COVID-19-Pandemie abgefragt, während mit semi-strukturierten Fragen themenspezifische Äußerungen zu Wissenschaft, Wissen, Expertise und den Umgang mit Twitter erhoben wurden.

Alle Interviewpersonen haben zu Beginn des Interviews ihr Einverständnis zur Teilnahme gegeben. Aufgrund des Kontaktes über Twitter und der weitgehend digitalen Durchführung der Interviews war eine vollständig anonyme Teilnahme am Interview möglich. Von 31 Personen waren den Interviewer*innen die Klarnamen bekannt, 12 blieben anonym. Weiter verwendeten 7 Personen keine Kamera, wobei von diesen nur eine Person ohne Namensangabe vollständig anonym blieb. Für die Analyse und Ergebnispräsentation setzen wir auf eine doppelte Anonymisierung: Wir verwenden weder den Klarnamen der Person noch deren Twitter-Nutzernamen; vielmehr wurde allen Interviewten ein Pseudonym (nach dem Muster: @Vorname) zugeordnet.

Die befragten Personen hatten durchschnittlich 3010 Follower (Median 1770) und nutzen ihren Twitter-Account seit sieben Jahren (Median: seit vier Jahren). Etwa die Hälfte der Interviewten haben ihren Twitter-Account erst nach Beginn der COVID-19-Pandemie erstellt oder fingen erst während der Pandemie an, ihren bereits existierenden Account aktiv zu nutzen. Bemerkenswert ist, dass mit drei Ausnahmen alle Interviewten Kinder haben; die überwiegende Mehrzahl ist zudem verheiratet. Zwei Interviews wurden mit Paaren (m&w) geführt, die ihren Twitter-Account gemeinsam bespielen. 55 % der Interviewpersonen waren weiblich, 45 % männlich. Die Altersspanne der Interviewten reicht von 17 bis 59 Jahren (Durchschnitt 45 Jahre).

Zur Auswertung wurden die Interviews transkribiert und in Anlehnung an die Grounded Theory (Corbin & Strauss 2015) von jeweils zwei Personen zuerst offen und dann axial kodiert. Dabei wurden die Kategorien induktiv aus dem Material heraus entwickelt. Schließlich wurden im Rahmen des selektiven Kodierens Aspekte aus der oben dargestellten Theorie der Vulnerabilität überprüft, um die Zusammenhänge von epistemisch-normativer Positionierung und Vulnerabilität weiter herauszuarbeiten. In regelmäßigem gemeinsamen Datensitzungen wurde Kohärenz in der Kategorienbildung erreicht.

Das Thema der Vulnerabilität war also im ursprünglichen Forschungsdesign nicht vorgegeben, drängte sich jedoch im Verlauf der Interpretation des Materials als ein zentrales Deutungsschema auf. Klassische wissenssoziologische Erklärungsversuche, die auf die „Seinsgebundenheit“ (Mannheim 1965) der Akteure referieren, konnten die Varianz der Positionierungen nicht befriedigend erklären. Weder die jeweilige soziale Position (sozialstrukturelle Faktoren), noch der Umgang mit und das Verständnis von wissenschaftlichem Wissen (epistemische Faktoren) noch der politische und weltanschauliche Hintergrund (normative Faktoren) der interviewten Akteure ergaben hinreichende Hinweise auf mögliche Korrelationen, die man für eine Hypothesenbildung hätte verwenden können. Zugespitzt formuliert: Personen mit ähnlich guter bis sehr guter Bildung, mit ähnlicher sozialstruktureller Privilegiertheit, mit ähnlicher politischer Positionierung, mit ähnlichen Berufen, mit ähnlichen familiären Situationen konnten am Ende des Tages als radikale Gegner*innen oder als radikale Befürworter*innen von Schulschließungen aktiv werden. Im Versuch, die Differenzen der Positionierungen zu erklären, waren wir letztlich auf die Vermutung zurückgeworfen, dass hier tiefliegende, oft implizite kulturelle oder psychologische Dispositionen und Werthaltungen im Spiel sind. Vor diesem Hintergrund begannen wir auszutesten, inwieweit eine Theorie multipler Vulnerabilitäten helfen kann, diese Interpretationslücke zu schließen.

4 Clusterung der epistemisch-normativen Positionierungen

In einem ersten Analyseschritt wurden die interviewten Accounts ausgehend von der auf die Schulschließungsdebatte fokussierten Ausgangsfragestellung des Forschungsprojekts geclustert. Im Zentrum dieser Clusterbildung stand die Positionierung hinsichtlich der normativ-politischen Frage der Schließung und Öffnung von Schulen in der Pandemie, sowie die Begründung dieser Positionierung, beispielsweise auf Grundlage wissenschaftlichen Wissens oder eigener Erfahrungen. Ausgangspunkt der Clusterbildung waren diejenigen Passagen, in denen die Interviewten gebeten wurden, ihre Position in einem Satz zusammenzufassen. Danach wurden die Kategorien für die Zuordnung durch Berücksichtigung weiterer Aussagen schrittweise verfeinert. Am Ende dieses iterativen Prozesses standen sechs Cluster, die wir im Folgenden kurz präsentieren. Tabelle 2 fasst die Cluster zusammen und enthält zusätzlich sozialstrukturelle Daten, die wir allerdings bei der Analyse nicht weiter einbeziehen – einerseits, weil die Fallzahl zu gering ist, um Hypothesen zum Zusammenhang zwischen diesen Daten und der Positionierung in der Schulschließungsfrage zu bilden, andererseits weil die Analyse von zweifelsfrei relevanten Aspekten wie der ungleichen Geschlechterverteilung in den Clustern den Rahmen des vorliegenden Beitrages sprengen würde. Zwischen den Clustern gibt es teils stärkere, teils schwächere Überschneidungen. Mit Hilfe einer abstrahierenden Idealtypenbildung lassen sich auch die die Twitter-Kommunikation prägenden polarisierten Lager abbilden: das Team offene Schulen (C1–C2) steht dann dem Team Infektionsschutz (C3–C5) gegenüber. Bei einzelnen Accounts, die wir dem sechsten Cluster zugeordnet haben, wird hinsichtlich dieser Zuordnung stärker abgewogen, weshalb wir hier von einem Team Abwägung (C6) sprechen.

Tab. 2:

Clusterung des Samples

Cluster

Anzahl Accounts

Idealtypische Lagerbildung

Anzahl Follower (ø)

Anteil m/w

Alter (ø)

eigene Kinder (ø)

Hochschulabschluss

C1

Gegner*innen von Schulschließungen

14 % (n=6)

Team offene Schulen

 1.803

4m, 2w

42

2,3

100 %

C2

Kritiker*innen von Schulschließungen

21 % (n=9)

 1.434

5m, 4w

46

2,3

 89 %

C3

Befürworter*innen von Schulschließungen

19 % (n=8)

Team Infektionsschutz

 1.387

2m, 6w

52

1,9

 88 %

C4

Engagiert für Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen

23 % (n=10)

 3.476

1m, 8w, 1 Paar (m/w)

45

1,3

 73 %

C5

Engagiert für neue Formen von Unterricht

12 % (n=5)

 1.842

4m, 1 Paar (m/w)

41

1,8

 80 %

C6

Differenzierende, querliegende und unklare Positionen

12 % (n=5)

Team Abwägung

10.131

3m, 2w

44

1,6

 80 %

Am einfachsten zu identifizieren sind die strikten Gegner*innen (14 %, n=6) und moderaten Kritiker*innen der Schulschließungen (21 %, n=9). Wir fassen im Folgenden beide Cluster mit der Bezeichnung Team offene Schulen zusammen. Die zugehörigen Accounts sind sich darin einig, dass die Schulschließungen ein Fehler waren bzw. als pandemiepolitische Maßnahme mehr Schaden als Nutzen hervorgebracht haben. Ihre Positionierung geht einher mit einer insgesamt eher skeptischen Haltung gegenüber starken pandemiepolitischen Maßnahmen. Trotz dieser kritischen Haltung konnten wir in diesen Gruppen aber keine Personen identifizieren, die man sinnvoll mit Begriffen wie ‚Coronaleugner‘, ‚Querdenker‘ oder ‚Verschwörungstheoretiker‘ hätte beschreiben können.[8] Unsere Unterteilung dieser in sich durchaus heterogenen Gruppe in strikte Gegner*innen (C1) und moderate Kritiker*innen (C2) ist nicht immer trennscharf, sondern eher als Kontinuum zu verstehen. Erstere sind radikaler und halten Schulschließungen grundsätzlich für falsch – und zwar unabhängig davon, welche epidemiologische Rolle Kinder und Schulen in der Pandemie spielen. Letztere machen die Kritik stärker am Stand des Wissens fest und beurteil(t)en zumindest die ersten Schulschließungen im März 2020 weitgehend als legitim angesichts des damals noch fehlenden Wissens über die (Nicht-)Gefährdung von Kindern.

Der dritte Cluster (C3) steht für das andere Ende des Spektrums und enthält diejenigen Accounts, die die Schulschließungen als pandemiepolitische Maßnahme grundsätzlich befürworten (19 %, n=8). Die Interviewten charakterisieren die ersten Schulschließungen als „logisch“, „richtig“, „gut“ oder als „valide Maßnahme“, und auch die weiteren Schulschließungen zumindest noch als „akzeptabel“. Sie hätten sich teilweise noch längeren und häufigeren Distanzunterricht gewünscht und gehen davon aus, dass die Schulen zu spät geschlossen und zu früh wieder geöffnet wurden. Zwei der Accounts in diesem Cluster rechnen sich explizit der NoCovid-Bewegung zu. Insgesamt wird der Zusammenhang von Schulschließungen und gesamtgesellschaftlicher Kontaktreduzierung deutlich stärker hervorgehoben als in allen anderen Clustern: Schulschließungen seien eine „sofort wirksame und hoch wirksame Maßnahme“ (@Helmut), „weil es geht ja um Kontaktreduzierung“ (@Barbara).

Der vierte Cluster (C4) besteht aus Accounts, die sich für „sichere“ Schulen mit Infektionsschutzmaßnahmen einsetzen (23 %, n=10). Die Interviewten sprechen sich beispielsweise dezidiert für Luftfilter und Maskenpflicht aus und unterstützen Maßnahmen wie Hybridunterricht, Wechselunterricht sowie letztlich auch den Distanzunterricht als Mittel zum Zweck der Infektionsvermeidung an den Schulen. Typisch für die Positionierungen in diesem Cluster sind Plädoyers für offene Schulen, die dann sofort mit einem „aber“ versehen werden: „Grundsätzlich sollen Schulen offen sein, aber dafür müssen sie sicher sein, d. h. es müssen Infektionsschutzmaßnahmen umgesetzt werden“ (@Anna). „Ich bin grundsätzlich nicht für Schulschließungen, aber ich habe mir sichere Schulen und eine bessere Adaption gewünscht“ (@Brigitte).

Der fünfte Cluster (C5) steht für eine Gruppe von Accounts, deren Fokus auf den durch die Pandemie erzwungenen, aber letztlich auch über die Pandemie hinaus potenziell innovativen neuen Formen von Unterricht liegt (12 %, n=5). Diese Akteure sehen in digitalen Unterrichtsformen sowie im Hybridunterricht (Kombination aus Präsenz- und Distanzunterricht) ein Potenzial, welches es über die Pandemie hinaus weiterzuentwickeln gilt. Anders als beim vorherigen Cluster interessieren diese neuen Formen und Formate nicht allein als Infektionsschutzmaßnahmen, sondern als eigenständiges Thema. Teilweise findet sich auch das Motiv der Krise als Chance: „Allerdings hätte die Situation eine Chance sein können, um über hybride Unterrichtsformen nachzudenken und auch die Vorteile von Homeschooling zu berücksichtigen und umzusetzen“ (@Andreas). Mehrere Accounts betonen zudem, dass es mehr individuelle Wahlfreiheit hinsichtlich der geeigneten Unterrichtsformen geben sollte. Distanzunterricht erscheint dadurch nicht als Notlösung, sondern als innovative Option für Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder Verletzbarkeiten, beispielsweise in Risikofamilien.

Ein sechster Cluster (C6) enthält diejenigen Interviews, in denen verschiedene Aspekte der Schulschließungen zur Sprache kamen und angesichts der Komplexität der Gesamtsituation abwägend-differenzierende, querliegende, teilweise aber auch diffus-unentschiedene Haltungen eingenommen wurden (12 %, n=5). In gewisser Weise handelt es sich hier um eine Restkategorie; andererseits fällt auf, dass drei der fünf hier zugeordneten Interviewten sich durch eine besondere argumentative Qualität, fundiertes Expert*innenwissen sowie ein ausgeprägtes Bewusstsein für die weiterführenden politischen und gesellschaftlichen Fragen auszeichneten. Bei diesen Accounts finden wir eine systematische Abwägung verschiedener Vulnerabilitäten. Meist bedeutete dies, einerseits die epidemiologische Relevanz von Ansteckungen an der Schule und mögliche Gesundheitsgefahren für die Kinder zu berücksichtigen und zugleich die verschiedenen sozialen, entwicklungspsychologischen und bildungsbezogenen Probleme zu reflektieren, die längere Schulschließungen mit sich bringen.

Während die Interviewten hinsichtlich ihrer Einschätzungen zur Gefahr von COVID-19 für Kinder und den nötigen pandemiepolitischen Maßnahmen stark divergieren, zeigen sich vor dem konzeptionellen Hintergrund einer Soziologie der Vulnerabilität Gemeinsamkeiten zwischen den Clustern, die das gängige Bild eines polarisierten Diskurses in Frage stellen: Unabhängig vom jeweiligen Cluster sorgten sich die Interviewten vorrangig und explizit um das Wohl der Kinder und Jugendlichen, welches sie verletzt oder gefährdet sahen. Entsprechend nahmen die meisten eine kritische Position gegenüber der Pandemiepolitik ein, begründeten diese aber unterschiedlich: Versagt habe die Politik entweder in der Sicherstellung angemessenen Infektionsschutzes in der Schule (so das Team Infektionsschutz) oder durch das Zulassen von Bildungsverlust, sozialer Isolation und Verängstigung der eigentlich wenig gefährdeten Kinder (so das Team offene Schulen).

5 Vulnerabilitätsvorstellungen und -wahrnehmungen

Wie im Theorieabschnitt erläutert (siehe oben, Tabelle 1), verwenden wir für die Darstellung der Ergebnisse der Analyse von Vulnerabilitätsvorstellungen und -wahrnehmungen eine abstrahierte Typologie von Vulnerabilitäten. Zuerst gehen wir darauf ein, wie die verschiedenen Cluster physiologische Vulnerabilitäten thematisieren – also die unmittelbar COVID-19-assoziierte Krankheitslast und Mortalität sowie die möglichen Neben- und Langzeitfolgen einer Erkrankung –, danach fokussieren wir die Bedeutung von sozialen und psychischen Vulnerabilitäten.

5.1 Physiologische Vulnerabilität

Epistemische Unsicherheit in der ersten Phase der Schulschließungen

Clusterübergreifend war aus Sicht der Interviewten zu Beginn der Pandemie die Gefährdungslage der Kinder durch das Virus noch unklar. Diesem anfänglichen Nicht-Wissen entspricht eine ebenfalls clusterübergreifende Zustimmung zu den ersten Schulschließungen im März 2020. Auffallend ist, dass dieses Einverständnis grundsätzlich auch in der moderaten Fraktion des Team offene Schulen (C2) gegeben ist. „Man wusste nur sehr wenig über die Pathogenität“ (@Franz); es ging darum, „die Gesellschaft in eine Pause zu versetzen, um erst mal festzustellen, wie gefährlich ist das“ (@Hans). Selbst bei den strikten Gegner*innen von Schulschließungen (C1) können die politischen Entscheidungen von manchen nachvollzogen oder zumindest hingenommen werden – während andere „immer dagegen gewesen“ sind (@Michael) oder auf ein grundsätzliches „Unverständnis“ verweisen (@Klaus). Dagegen sind Zweifel an der Notwendigkeit der Schulschließungen in den anderen Clustern sehr selten. Im Team Abwägung (C6) ergibt sich ein gemischtes Bild: Neben ausdrücklichen Zustimmungen aufgrund von epistemischer Unsicherheit finden sich hier auch auffallend emotionale Reaktionen. @Ulrike war „erschrocken“, während sich @Jürgen an eine große „Motivation, fast Enthusiasmus“ erinnert angesichts des festen Willens, „sich dieser neuen Herausforderung zu stellen und sie zu gestalten“.

Team offene Schulen: Kinder sind nur geringfügig gefährdet

Schon wenige Wochen nach dem Entschluss, die Schulen zu schließen, differenzieren sich die Wahrnehmungen der Gefährlichkeit des Virus für Kinder und Jugendliche und die Positionierungen gehen auseinander. @Gabriele spricht von einem anfänglichen „Konsens“ unter Eltern, die sich dann später „in zwei Gruppierungen“ aufspalteten: auf der einen Seite standen diejenigen, „die sich Sicherheit wünschten“, auf der anderen diejenigen, „die einfach fordern, dass ihr Kind wieder am Leben teilhaben kann“ (@Gabriele). Im Team offene Schulen (C1-C2) ist man sich einig, dass sich eine geringere Gefährdung der Kinder durch COVID-19 relativ früh angedeutet und dann auch wissenschaftlich bestätigt habe. @Klaus meint einerseits, dass die geringere Gefährdung von Kindern bereits im März 2020 klar gewesen sei, attestiert zugleich aber „Unsicherheiten“. Dagegen wird die frühe Positionierung gegen Schulschließungen von @Michael weniger durch das Wissen über das Virus, als vielmehr in den erahnten negativen Folgen von Schulschließungen für die Kinder begründet. Für andere hat sich die Lage und die wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich der Gefährdung der Kinder im Frühsommer 2020 besser herauskristallisiert, häufig wird der April 2020 genannt. Verwiesen wird auf Daten und Studien aus Island, Italien, Baden-Württemberg und China. Auch wenn die Beziehung zwischen epistemischer und normativer Positionierung im Einzelfall schwer zu interpretieren ist, kann festgehalten werden, dass die Meinung zur Frage des Nutzens und Schadens von Schulschließungen im Team offene Schulen lange vor den zweiten Schulschließungen im Winter 2020/2021 konsolidiert war. Welche Rolle epidemiologische Fremdschutzaspekte dabei spielen, ist nicht immer transparent. Tendenziell haben die Interviewten in Cluster 1 und 2 ihre Position an die geringere Gefährdung von Kindern gebunden und weniger an die Frage, ob Kinder das Virus gleichermaßen übertragen wie Erwachsene.

Team Infektionsschutz: Kinder sind gefährdet und schutzbedürftig

Ganz anders wahrgenommen wird die Gefährdung durch COVID-19 im Team Infektionsschutz (C3–C5) und vereinzelt auch im Team Abwägung (C6): Kinder sind durch Infektion, Krankheit und Tod von COVID-19 „betroffen“ und deshalb zu schützen. Betroffenheit wird dabei zum Teil sehr unterschiedlich gedeutet. Mal heißt es, dass WHO (World Health Organization) und CDC (Centers for Disease Control and Prevention) auf die geringere Kindersterblichkeit hinweisen – doch das ändere nichts an der grundsätzlichen Gefahr: „Vielleicht sind halt auch nicht viele Kinder betroffen, aber jedes Kind, das härter betroffen ist, ist eins zu viel“ (@Walter). Oder es wird umgekehrt auf ein bedeutsam hohes Sterblichkeitsgeschehen bei Kindern hingewiesen: Das zeigen „die schrecklichen Zahlen aus Brasilien“, wo das Virus sich relativ ungeschützt ausbreiten konnte (@Andreas). In den USA sei COVID-19 die „zweithöchste Todesursache nach Krebs“ (@Helmut). Im Team Infektionsschutz bestehen also durchaus Differenzen hinsichtlich der sozusagen statistischen Wahrnehmung von physiologischer Vulnerabilität, zugleich aber eine grundsätzliche Einigkeit in der Wahrnehmung eines Schutzbedürfnisses.

Long Covid und Langzeitfolgen

Mit der Unterscheidung einer niedrigeren oder höheren Wahrnehmung der unmittelbaren physiologischen Betroffenheit von Kindern durch COVID-19 geht eine unterschiedliche Wahrnehmung von Long Covid einher. Dass für Kinder, selbst wenn sie weniger gefährdet als Erwachsene sind, das Risiko einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung besteht, findet vor allem bei den Befürworter*innen von Schulschließungen (C3) sowie bei denjenigen, die sich für infektionstechnisch „sichere“ Schulen einsetzen (C4), eine breite Thematisierung. In diesen beiden Clustern taucht die Long Covid-Problematik in 12 von 18 Interviews auf; dazu kommen einzelne, aber durchaus starke Positionierungen in Cluster 5 und 6. Insgesamt finden sich verschiedene Annahmen über COVID-19 als umfassende, systemische Gefahr für den Körper und das Immunsystem. COVID-19 sei keine bloße Atemwegserkrankung, sondern „eine Erkrankung des gesamten Systems“ (@Petra&Karl), es gehe um ein Virus, das sich „tatsächlich im Hirn festgefressen hat, um das mal so zu sagen“ (@Sabine&Sören). Insbesondere im besonders maßnahmenaffinen Cluster 3 werden die möglichen langfristigen Schäden als schwerwiegend eingeschätzt: Es entstünden „mit jeder Infektion bleibende Schäden“ (@Susanne) und COVID-19 scheine „in unserem Körper“ ähnliches anzurichten wie bei AIDS (@Maike).

Annahmen über Ausmaß und Schwere von Long Covid variieren wiederum zwischen den Interviewten. Vereinzelt werden konkrete Risikoschätzungen abgegeben, von „zwei Prozent“ (@Karin) bis „zehn Prozent, fünfzehn Prozent“ (@Gisela). Teilweise existiert daneben die Annahme einer sich über die Jahre kumulierenden Long Covid-Last: „das kann ja wirklich auch jeden treffen und wir ziehen wahrscheinlich Generationen heran, die davon betroffen sein werden“ (@Christine). Weil die Impfung nicht zu steriler Immunität führe, könne auch diese die Sorge vor Long Covid und damit das fortdauernde Bemühen um Schutzmaßnahmen nicht einhegen. @Anna hat ihre Kinder geimpft, ist aber nun „eher besorgt darum, was sozusagen diese Langzeit Geschichten angeht“. Im Kontrast dazu spielt Long Covid im Team offene Schulen keine große Rolle. Wenn es erwähnt wird, dann als ein Problem, das in seinem Ausmaß übertrieben wird (@Wolfgang), oder als ein Risiko, das man auch von anderen Viren wie etwa RSV kenne und mit dem man leben könne (@Leonie).

Das Erleben von Krankheit und Tod

Nicht nur in der Risiko-Einschätzung, auch im Erleben der Krankheitsschwere unterscheiden sich die verschiedenen Cluster. Das betrifft einmal eigene Krankheitserfahrungen, die sich oft aber gar nicht auf COVID-19 selbst beziehen. Im Team Infektionsschutz wird eine frühere Grippe-Erkrankung („und Corona ist […] noch schlimmer“, @Maike), der traumatisierende Lungenriss während eines Asthma-Anfalls als junge Erwachsene („Ersticken ist wirklich was ganz furchtbares“, @Helga) oder die vorpandemische Erfahrung auf einer Intensivstation („Da will ich nicht wieder hin“, @Paul) thematisiert. Zudem erzählen die Interviewten von mehr oder weniger entfernten Bekannten – einer Lehrerin, einem Mitschüler oder einem Vereinskameraden der eigenen Kinder –, die jeweils durch die Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung stark beeinträchtigt seien. Eine direkte Betroffenheit der eigenen Kinder, die über die gewöhnlichen Krankheitssymptome hinausgeht, finden wir in unserem Sample nur einmal: @Karin (C4) sieht die Long Covid-Erkrankung ihres eigenen Sohnes als „prägend“ an. Die Bedeutung dieser breit gestreuten Eindrücke ergibt sich erst im kontrastierenden Vergleich zum Team offene Schulen, in dem sich keine vergleichbaren Erzählungen finden lassen. Eine Ausnahme ist @Thomas (C1), dessen Schwester im Frühjahr 2021 durch COVID-19 gestorben ist – ohne dass dies Auswirkungen auf die eigene pandemiepolitische Position gehabt hätte. Im gesamten Sample finden wir nur noch bei @Helmut (C3) einen Hinweis auf Todesfälle im „unmittelbaren Umfeld“ – in diesem Fall aber wird diese Erfahrung unmittelbar verbunden mit der Aussage, „froh“ gewesen zu sein, als die Schulen „zugemacht“ wurden. Die Gegenüberstellung von @Thomas (C1) und @Helmut (C3) macht auf einen wichtigen Punkt aufmerksam: Beide haben Todesfälle erlebt, sind zugleich aber in den maximal konträren Clustern verortet. Das weist darauf hin, dass die Differenz zwischen den Clustern weniger in objektivierbaren Erfahrungen liegt, als in divergierenden Risiko- und Vulnerabilitätsvorstellungen.

Schatten- und Risikofamilien

Schattenfamilien, so @Ruth (C4), sind „Familien mit Kindern, die eine Vorerkrankung haben und ein hohes Risiko“ und deshalb „mit allen Mitteln verhindern wollen, dass die Kinder sich anstecken“. Persönliche Betroffenheit durch Schwerbehinderung oder Vorerkrankung der Kinder oder eines Elternteils finden sich bei mehreren Interviewten in unserem Sample, allerdings ausschließlich im Team Infektionsschutz (C3–C5). @Petra&Karl beispielsweise beschreiben sich explizit als „Risikohaushalt“. Das Thema Schattenfamilien wird aber keineswegs nur von den Betroffenen selbst aufgeworfen, sondern auch von mehreren Interviewten, die sich aus politisch-moralischen Gründen für diese in ihrer Sicht besonders gefährdeten Gruppen einsetzen. Wiederholt findet sich dabei die Feststellung, dass Risiko-Familien mit ihren besonderen Bedürfnissen kaum ein Gewicht im öffentlichen oder politischen Diskurs besitzen, sondern vergessen, übersehen und nicht beachtet werden – daher die Selbstbezeichnung als Schattenfamilien. Zu diesen Bedürfnissen gehören flexiblere Unterrichtsangebote bzw. die Möglichkeit, die eigenen Kinder auf Wunsch zu Hause unterrichten zu können. Das Schutzbedürfnis scheint hier vergleichsweise hoch: @Petra&Karl wollten ihre Kinder auch nach der Impfung noch nicht in den Sportverein gehen lassen, weil dies „kein sicheres Setting“ sei „für Risikokinder, die sich eben echt nicht infizieren sollen“.

Familiärer Umgang mit Großeltern

Ältere Menschen sind clusterübergreifend als vulnerabel definiert worden. Überraschenderweise finden wir aber insgesamt nur spärliche Hinweise auf den Umgang mit den eigenen Eltern der Interviewten. Am häufigsten (in 5 von 15 Interviews) thematisiert wird die Umgangsweise mit der Großelterngeneration im Team offene Schulen. Das Spektrum reichte von der einjährigen Besuchspause bei den Großeltern über vorsichtige Kontakte zwischen Enkeln und Großeltern unter Zuhilfenahme von Schnelltests bis hin zum unverändert fortgeführten Kontakt, zum Teil unter explizitem Bruch der auferlegten Kontaktbeschränkungen. Zuweilen brachte die Impfung der Großeltern Entspannung in die Beziehungen. Interessanterweise finden sich diese Erzählungen seltener (in 4 von 28 Interviews) und in etwas geringerer ‚Erzähldichte‘ im Team Infektionsschutz und im Team Abwägung. So beschreibt @Christine (C4), dass sie „vorsichtiger“ sei aufgrund der vorerkrankten Mutter, die mit ihr, dem Mann und den zwei Kindern unter einem Dach lebe. Ähnlich findet es sich bei @Julian (C4), der – zum Zeitpunkt der ersten Schließungen noch Schüler – die eigenen Großeltern bewusst schützen wollte. @Andreas (C5) weist der Schulpolitik die Verantwortung dafür zu, durch die Bereitschaft, „Kinder zu durchseuchen“, eine soziale Distanzierung zwischen Enkel und Großmutter erzwungen und damit die soziale Beziehung „schwer beschädigt“ zu haben.

Selbst- und Fremdschutz: Die epidemiologische Rolle von Kindern

Die Vorstellungen von Kindern als ‚Gefährdete‘ oder als ‚Gefährdende‘ differenzieren sich komplementär nach Clustern. Im Team Infektionsschutz ist das Kind sowohl epidemiologisches Mittel zum Zweck des gesundheitlichen Schutzes Dritter als auch selbst Ziel der Schutzanstrengungen. Erstere Vorstellung taucht bis auf eine Ausnahme im Team offene Schulen nicht auf. Zugleich existieren hier charakteristische Differenzen bezüglich der Frage, ob Kinder ähnlich infektiös wie Erwachsene sind und wie das epidemiologisch zu gewichten ist. Eine diesbezüglich starke Positionierung findet sich in Cluster 1, wo die Hälfte der Interviewten betont, dass Kinder auch dann keine Schutzfunktion Dritter erfüllen sollen – und Maßnahmen an Schulen daher unverhältnismäßig seien –, wenn sie ebenso infektiös sein sollten wie Erwachsene. Auch diese Interviewten sprechen sich aber keineswegs gegen den Schutz von vulnerablen Älteren aus, sie glauben aber, dass sich das Infektionsgeschehen bei Kindern von den zu beschützenden Bevölkerungsgruppen entkoppeln ließe. Dieser Entkopplungsthese wird im Team Infektionsschutz widersprochen; zudem ist man sich fast durchgehend einig darin, dass Kinder ebenso infektiös wie Erwachsene und deshalb zugleich Gefährdende und Gefährdete sind.

Einen beispielhaften Kristallisationspunkt der Gegenüberstellung beider Teams bildet die im April und Mai 2020 in einer breiten Öffentlichkeit diskutierte Viruslast-Studie des Virologen Christian Drosten.[9] Rückblickend darauf angesprochen, relativierte das Team offene Schulen die Aussagekraft der Studie durch die Einordnung in den weiteren epidemiologischen Forschungsstand – „die Viruslast als solche ist übrigens nicht gleichzusetzen mit Infektiösität“ (@Wolfgang) –, während das Team Infektionsschutz die Studie als Bestätigung ihrer Sicht betrachtete. Kinder seien genauso infektiös wie Erwachsene; mehr noch, „Kinder bekommen es“ (@Helmut) und das entspreche im Übrigen auch dem Erfahrungswissen von Eltern: „Mein Gott […] alles andere wäre jetzt echt erstaunlich gewesen“ (@Eva).

Stigmatisierung von Kindern

In diesem Kontext beklagen Kritiker*innen aus dem Team offene Schulen vereinzelt einen stigmatisierenden Umgang mit Kindern aufgrund der ihnen zugeschriebenen Rolle als „Gefährder“ (@Hans). Kinder würden in eine „Schuldrolle“ als „Treiber der Pandemie“ gedrängt; das Kind werde „primär“ als „Virusträger“ gesehen (@Hans). Ähnlich beobachtete @Ernst eine „Stigmatisierung“ der Kinder als „Super-Spreader der Gesellschaft“ und erzählt, dass Leute bei Anblick seiner Kinder „schon auf 100 Meter Abstand die Straßenseite“ wechselten. Interessant ist, dass @Christine aus einer ganz anderen Position heraus (C4) ebenfalls über die Erfahrung des Straßenseite-Wechselns berichtet: Nur dass sie das nicht als stigmatisierend, sondern vernünftig ansieht – um entgegenkommende ältere Personen zu schützen, würde auch sie selbst die Straßenseite wechseln.

5.2 Psychische und soziale Vulnerabilität

Schule als sozialer Ort

Dem schulischen Präsenzunterricht werden über alle Cluster hinweg weitere Funktionen zugeschrieben, die über Wissenserwerb und Lernen hinausgehen. Schulen seien „soziale Orte“, nicht nur „Bildungsorte“ (@Leonie). Dass diese „soziale Komponente der Schule“ bei den Schulschließungen „völlig vergessen“ worden sei (@Werner), ist ein Kernargument des Teams offene Schulen (C1–C2). Hier wird neben der generellen Bedeutung der Pflege von sozialen Kontakten und Freundschaften auch auf die Wichtigkeit sozialer Interaktionen für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen hingewiesen. Für @Wolfgang gehört dazu auch das Erlernen von Konflikten. @Monika bezeichnet Kinder und Jugendliche wegen eben dieser entwicklungspsychologischen Bedürfnisse als „vulnerable Gruppe“.

Während diese entwicklungspsychologische Sicht auf Grundbedürfnisse von Kindern im Team offene Schulen in jedem der 15 Interviews thematisch wurde, ist dies im Team Infektionsschutz und im Team Abwägung (C3–C6) zumindest in 17 von 28 Interviews der Fall. Interessant ist, dass die Thematisierung auch ex negativo erfolgen kann: Einzelne Stimmen in Cluster 3 berichten über ein vergleichsweise schwächer ausgeprägtes soziales Bedürfnis der eigenen Kinder im Lockdown. Andere meinen, dass sich soziale Kontakte – mit Testen und unter Vorsicht – aus der Schule in die Freizeit verlagern ließen. In Cluster 5 vermutet @Paul, dass „ein bis zwei Tage“ Präsenz für den Erhalt der Klassenstruktur ausreichen, und @Petra&Karl schicken eines ihrer Kinder aus gesundheitlichen Gründen auf eine reine Online-Schule, die ihrer Ansicht nach die soziale Kontaktfunktion vollständig erfüllen kann. Dem stehen Erzählungen aus dem Team offene Schulen diametral gegenüber, in denen ein ausgesprochen starkes Bedürfnis nach Face-to-Face-Kontakten bzw. räumlicher – und nicht bloß virtueller – Nähe artikuliert wird.

Team offene Schulen: Schulschließungen führen zu psychischen und sozialen Belastungen

Gelegentlich wird im Team offene Schulen mit Blick auf die eigenen Kinder über entwicklungspsychologische Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen gesprochen. In einem Fall haben die Kinder mit Bettnässen begonnen, in einem anderen Fall war die Tochter in psychiatrischer Behandlung, weil die Schulschließungen und späteren Maßnahmen zu Wutanfällen und Aggressionen führten. Häufiger als solche Berichte aus der eigenen Familie sind abstraktere Annahmen über mögliche negative Folgen für die kindliche Entwicklung. Besonders prominent thematisiert im Team offene Schulen wird in diesem Zusammenhang die Maskenpflicht an Schulen: Immer wieder wird eine die Mimik, Sprache und Sprachentwicklung störende Wirkung von Masken angesprochen. @Leonie berichtet von durch das Masketragen verstärkten Kopfschmerzen bei einer ihrer Töchter. Auch für @Franz, dessen beide hochsensible Töchter schlecht mit den Masken klargekommen seien, überwiegen die Nachteile der Maske. Eine andere, innerhalb des Samples auffallend persönlich gerahmte Verletzbarkeit bringt @Hans zum Ausdruck: „Aber ich wollte meine Kinder nicht mit Maske sehen. Das hat mir wehgetan“. Diese maskenkritische Haltung steht in diametralem Gegensatz zum Team Infektionsschutz, wo eine Maskenpflicht unisono als Mindestschutz an Schulen gefordert und über mögliche Nachteile oder negative Effekte nicht gesprochen wird. Umgekehrt werden Masken im Team offene Schulen nicht grundsätzlich abgelehnt, aber bestenfalls als Kompromiss gesehen, um Schulschließungen zu verhindern (@Wolfgang).

Team Infektionsschutz: Positive Erfahrungen im Distanzunterricht

Ein weiteres Beispiel für die in den Clustern teilweise entgegengesetzte Wahrnehmung psychischer und sozialer Vulnerabilitäten sind die im Team Infektionsschutz zwar keineswegs durchgehenden, aber doch von mehreren geteilten positiven Erfahrungen im Distanzunterricht. So hebt @Maike hervor, dass Kinder, die in der Schule Mobbing durch Mitschüler*innen oder einfach „ätzenden“ Lehrer*innen ausgesetzt seien, im Homeschooling eine wohltuende „Pause“ erfahren hätten. Die Schule kann also ihrerseits durchaus als Quelle von Verletzungserfahrungen erlebt werden. Andere berichten, dass die Kinder über den Distanzunterricht mehr Selbständigkeit gelernt hätten, ihrem eigenen Biorhythmus folgen und dem störenden Klassenlärm oder zu großen Klassen entgehen konnten. Im Team Infektionsschutz erwähnen 7 von 28 Interviewten sehr gute oder sogar verbesserte Schulleistungen im Distanzunterricht – dieser Punkt wird naheliegenderweise in Cluster 5 besonders stark gemacht.

Unterschiedliches Erleben von Distanzunterricht

Interessant ist die differenzierte Beobachtung von @Jürgen (C6), der sich dabei nicht wie die meisten Interviewten auf die Erfahrungen in der eigenen Familie, sondern auf seine Beobachtungen als Schulleiter bezieht: Für manche Schüler*innen, die im Präsenzunterricht aus verschiedenen Gründen nicht gut lernen können, sei der Distanzunterricht „ein Riesengewinn“. Für den Großteil der Kinder sei der Distanzunterricht aber „sehr, sehr schwierig gewesen“ und für ein Drittel der Schülerschaft, so seine Schätzung, sei der Distanzunterricht sowohl „für die Persönlichkeitsentwicklung“ wie auch für die schulische Leistung „eine totale Katastrophe“. Auch hier zeigt sich wieder, dass aus dieser empirischen Beobachtung keineswegs zwingend die Forderung nach der Öffnung von Schulen folgt. @Jürgen moniert vielmehr, dass die Politik es verpasst habe, die Schulen infektionstechnisch sicher zu machen.

Belastungen für Familien

Clusterübergreifend findet sich immer wieder – wenn auch im Detail nuanciert und nicht einheitlich – die Feststellung, wie anstrengend, belastend und kräftezehrend die Zeit zwischen den verschiedenen Phasen von Schulschließung, Öffnung und Wechselunterricht für die Familien gewesen sei. Dabei gibt es dennoch einen in der Tendenz charakteristischen Unterschied im Stress-Erleben zwischen dem Team offene Schulen und dem Team Infektionsschutz: Ersteres erlebt die Zeit weitgehend als negativ, während Letzteres zwar durchaus über die Anstrengungen durch Doppelbelastung klagt, zugleich aber auf positive Geschichten der familiären Vergemeinschaftung verweist.

Dennoch lässt sich nicht verallgemeinern, dass in den Erfahrungen des Teams offene Schulen der Distanzunterricht nicht funktioniert. So berichten @Wolfgang und @Klaus (beide C1), dass die eigenen Kinder insgesamt gut klargekommen seien. Drei Interviewte aus dem Team offene Schulen hatten einen Anspruch auf Notbetreuung und waren froh darum. Umgekehrt lässt sich ebenfalls nicht sagen, dass der Distanzunterricht im Team Infektionsschutz durchweg gut angekommen war, auch hier wird immer wieder von Schwierigkeiten erzählt.

Im Vordergrund der Stresserfahrungen stehen einmal die miteinander kollidierenden Anforderungen zwischen Vollzeit-Arbeit und Kinderbetreuung, denen man eher schlecht als recht gerecht zu werden vermag. So wird die Phase des Distanzunterrichts bei gleichzeitigen Betreuungsanforderungen in Cluster 2 als „katastrophal“ (@Franz), „extrem anstrengend“ (@Herbert) und „unerträglich“ (@Leonie) beschrieben. @Gabriele spricht bei ihrem Kind von einer „Verweigerung für alles, was virtuell stattfindet“. Die mit den Schulschließungen unterbundenen Möglichkeiten der Vergemeinschaftung werden dann verschiedentlich als ein tiefer Eingriff des Staates in die Lebenswirklichkeit Schutzbefohlener gesehen, die „die Schwächsten sind und deshalb werden sie als die Schwächsten auch behandelt“ (@Herbert). Zum Teil ist im Team offene Schulen versucht worden, so viel Normalität wie möglich zu leben – offenbar zum Schutz der Kinder; während im Team Infektionsschutz interessanterweise das Normalitätskonzept als Wunschvorstellung eher zurückgewiesen wurde.

Abwägen zwischen physiologischen sowie sozialen und psychischen Vulnerabilitäten

Dass es am Ende um eine Abwägung zwischen physiologischen sowie sozialen und psychischen Vulnerabilitäten geht, wird von mehreren Interviewten im Team Infektionsschutz gesehen, allerdings selten explizit gemacht. @Renate (C4) beschreibt dieses Abwägen als „sehr, sehr, sehr belastend“, weil keines der Schutzgüter vollkommen befriedigt werden kann. @Helga (C3) empfand die gemeinsame Lockdown-Erfahrung mit ihrem Sohn zwar als positiv und bereichernd, zum Zeitpunkt des Interviews betont sie aber auch, dass ihr „inzwischen das Sozialleben des Kindes schon sehr wichtig“ sei. Sie fände es nicht gut, wenn seine Mitschüler*innen zur Schule gingen, ihr Sohn aber nicht. Manchmal erscheint ‚Gesellschaft‘ dann wie eine Art Zugeständnis oder notwendiger Kompromiss. @Andreas (C5) hat in diesem Sinne seine Kinder zeitweise mit „Bauchschmerzen“ in den Präsenzunterricht geschickt; nicht wegen des Lernens – zu Hause hätten die Kinder effizienter gelernt –, sondern damit sie „nicht völlig den Bezug zu ihrer Lehrerin und zu ihren Klassenkameraden […] verlieren“.

Diese Art des Abwägens bzw. Kompromiss-Findens spiegelt sich im Team offene Schulen kaum wieder. Hier wird davon ausgegangen, dass die minimale physiologische Gefährdung der Kinder die soziale Isolation mit allen Nebenfolgen keineswegs rechtfertigt. Es gibt also unterschiedliche Vulnerabilitätsvorstellungen und entsprechende Stressoren. Im Team Infektionsschutz geht der Trend andererseits in die Richtung, das Kind im Zweifel besser zu Hause zu lassen, als es in die nicht hinreichend geschützte Schule zu schicken. Eltern sind in diesem Fall bereit, den erforderlichen höheren Betreuungsaufwand zu leisten, um ihre vulnerablen Kinder sicher zu wissen. Ein Extrembeispiel ist @Elisabeth (C4), eine alleinerziehende und berufstätige Mutter, die den Lockdown dennoch als „sehr entspannend“ empfand, die ersten Schulöffnungen dagegen als sehr belastend, weil sie Angst um ihre Kinder hatte.

6 Diskussion: Multiple Vulnerabilitäten und multiple Fakten

Unsere Analyse bestätigt einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen epistemisch-normativen Positionierungen in der Frage der Schulschließungen und den oft implizit bleibenden Vulnerabilitätsvorstellungen. Das bedeutet nicht, dass wir die eine Seite kausal auf die andere zurückführen – was dem methodischen Design einer qualitativen Interviewstudie entsprechend ohnehin kaum möglich wäre –, wohl aber vermuten wir, dass die Vorstellungen und Wahrnehmungen von Vulnerabilität eng mit grundlegenden Lebenserfahrungen und Dispositionen verbunden sind und damit der epistemisch-normativen Meinungsbildung in der akuten Krisensituation der COVID-19-Pandemie vorausgehen – sie liegen in gewisser Weise ‚tiefer‘.

Die in der vorliegenden Studie interviewten Akteure vertreten einerseits stark divergierende epistemisch-normative Positionen, kommunizieren andererseits durchaus in einem gemeinsamen Deutungshorizont. Vor allem für die Frühphase der Pandemie (März 2020) können wir von einer weitgehend geteilten Definition der Situation ausgehen, die geprägt ist durch epistemische Unsicherheit hinsichtlich der Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen, woraus für die überwiegende Mehrheit der von uns Befragten folgte, dass Schulschließungen ein – zunächst – akzeptables pandemiepolitisches Instrument darstellten. Schon nach relativ kurzer Zeit (April 2020) differenzieren sich dann aber Cluster heraus, die das Für und Wider von Maßnahmen des Infektionsschutzes an Schulen – einschließlich Schulschließungen – systematisch mit divergierenden Vulnerabilitätsvorstellungen verknüpfen. Für die Kritiker*innen der Schulschließungen stand nun nicht mehr die Gefahr des Virus, sondern die Gefahr von durch die zu langen Schulschließungen verursachten sozialen und psychischen Folgen für Kinder und Jugendliche im Vordergrund. Für die Befürworter*innen der Schulschließungen dagegen dominierte das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit vor einer als gefährlich wahrgenommenen neuen Krankheit. Diese Divergenz scheint uns ein Hinweis darauf, dass beide Cluster die Situation ‚von Anfang an‘ in entscheidenden Nuancen unterschiedlich interpretierten: Die einen (Team offene Schulen) akzeptierten die Schulschließungen aufgrund epistemischer Unsicherheiten, waren sich zugleich aber bewusst, dass es hier zu negativen Nebeneffekten kommen könnte. Oft suchten und fanden sie in der Folge jene neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zeigten, dass Kinder in physiologischer Hinsicht kaum gefährdet sind. Die anderen (Team Infektionsschutz) waren erleichtert, als es zu den ersten Schulschließungen kam, manche freuten sich geradezu; die ersten Öffnungen dagegen waren für manche besorgniserregend, und hier scheint es wiederum so, als ob danach geradezu gezielt Informationen über die Schwere dieser Krankheit bei Kindern gesucht und gefunden worden wären. Diese Prädispositionen sind aber hochgradig interpretationsabhängig und Schilderungen über die familiäre Situation oder das Erleben früherer Krankheiten enthalten zwar Hinweise auf die zurückliegende Meinungsbildung, insgesamt jedoch keine hinreichenden Daten, aus denen Kausalhypothesen abgeleitet werden könnten. Wir stoßen hier an die Grenze dessen, was mit unserer Methodik rekonstruierbar ist.

Wir haben in der Regel auf die idealtypischen Gruppenbezeichnungen Team offene Schulen und Team Infektionsschutz zurückgegriffen; zugleich aber die Cluster in sich weiter differenziert. Die hier anklingende Polarisierung ist einerseits real, insofern diese ‚Teams‘ auf Twitter jeweils eigene Pfadabhängigkeiten entwickelt und sich dabei wechselseitig als ‚Gegner‘ im Blick behalten haben. Andererseits zeigen sich in den Erzählungen der Personen ‚hinter‘ den Twitter-Accounts deutlich komplexere Situationsdeutungen. Eines der augenfälligsten Resultate unserer empirischen Analyse ist, dass die zweifelsfrei gegebene Spannung zwischen den unterschiedlichen Clustern in keiner Weise mit der medial und politisch konstruierten Gegenüberstellung einer (vermeintlich) wissenschaftsgeleiteten gesellschaftlichen ‚Mehrheit‘ und einer (vermeintlich) wissenschaftsfeindlichen Gruppe von ‚Corona-Leugnern‘‚ ‚Verschwörungstheoretikern‘ und ‚Querdenkern‘ korrespondiert. Die letztere Fraktion, die auch in der soziologischen Forschung viel Aufmerksamkeit erhalten hat, taucht in unserem Sample nicht auf. Dessen ungeachtet wurden einige der von uns interviewten Accounts in der Twitter-Praxis als ‚querdenkernah‘ markiert und wahrgenommen. Illustrieren lässt sich das abschließend durch einen Bericht von @Gabriele über ihre Erfahrungen im Rahmen einer zivilgesellschaftlichen Eltern-Initiative:

„Und da waren schon die ersten Kontroversen […] im Sommer, glaube ich, oder im Mai 2021, als wir auf Twitter massiv angegriffen wurden. Und dann waren wir alle total perplex, weil wir uns das überhaupt nicht vorstellen konnten. Also wirklich, da waren wir noch naiv im Hintergrund. Und uns gesagt wurde, wir seien die Lobby der Pharmaindustrie oder irgendwie eingesetzt durch die FDP, die CDU […] weil wir die Kinder durchseuchen wollten […] da haben wir am Anfang überhaupt gar nicht gewusst, wie wir darauf reagieren sollten, weil wir uns die ganze Zeit Gedanken gemacht haben, wie können wir diese Kinder in Anbetracht der aktuellen Studienlage möglichst frei wieder in die Schulen schicken, ohne sie zu gefährden? […] irgendwann war der Graben so groß, der lässt sich nicht mehr überwinden […] und man wurde von beiden Seiten irgendwie angegriffen, bis man sich entschieden hat, wir sind wohl eher die Seite in Richtung Querdenker und wussten überhaupt gar nicht, wie wir da reingerutscht sind.“ (@Gabriele)

Einerseits haben wir @Gabriele dem Cluster 2 zugeordnet, andererseits zielte die von ihr mitgetragene Eltern-Initiative ganz im Sinne des scheinbar konträren Cluster 4 auf die Frage, wie angesichts der Möglichkeit von Tests, Masken und Impfungen ein Schulbetrieb in Präsenz ermöglicht werden kann. Angesichts solcher sich im Material aufdrängenden Komplexitäten setzen wir an die Stelle der die öffentliche Debatte prägenden asymmetrischen Unterscheidung von Maßnahmenbefürworter*innen und Maßnahmengegner*innen einen Cluster-übergreifenden Deutungsrahmen: Kinder sind auf multiple Weise vulnerabel. Differenzierte und miteinander inkompatible pandemiepolitische Positionierungen entstehen dann durch Fokussierung auf je spezifische Vulnerabilitäten – und Vernachlässigung anderer. Konflikt und Konsens, so könnte man auch zusammenfassen, stehen sich weniger diametral gegenüber, als es manche der von uns untersuchten Akteure wahrnehmen und als es die in der Wissenspolitik auf Twitter aktiven „Polarisierungsunternehmer“ (im Sinne von Mau et al. 2023: 375) suggerieren.

Die verschiedenen Vulnerabilitätsdimensionen sind dabei keineswegs exklusiv mit bestimmten Clustern verbunden, vielmehr unterscheiden sich die Cluster darin, wie sie die einzelnen Dimensionen bewerten und gewichten. Beispielsweise finden wir durchaus ähnliche Wahrnehmungen des grundlegenden sozialen Bedürfnisses von Kindern und der damit einhergehenden Vulnerabilität in Situationen sozialer Isolation. Die entscheidende Differenz liegt in der Abwägung verschiedener Güter, insbesondere in der Abwägung von Gesundheit (Vermeidung von Infektionen) und Sozialem (Interaktion in Präsenz). Die Argumentation im Team Infektionsschutz und hier insbesondere im Cluster 4 erinnert an eine Art Maslowsche Bedürfnispyramide: Sozialität kann nur stattfinden, wenn der Gesundheitsschutz garantiert ist. Das Team offene Schulen dagegen sortiert die Vulnerabilitäten andersherum.

Die Cluster unseres Samples griffen zur Unterstützung ihrer Positionen auf vielfältige Wissensquellen zurück. Neben dem aus dem familiären Alltag und diversen beruflichen Kontexten gewonnenen Erfahrungswissen rezipierten sie vielfältige (und durchaus traditionelle) Medien und wissenschaftliche Expertise. Letztere war oft über Wissenschaftler*innen und sonstige Expert*innen, denen sie vertrauten und beispielsweise auf Twitter folgten, vermittelt. Ein Beispiel dafür, wie stark die Wissenspolitik der Schulschließungen von Anfang an durch wissenschaftliche Debatten geprägt war, ist die sogenannte Viruslast-Studie (ausführlicher dazu Berger & Kaldewey 2024): In Abhängigkeit von der eigenen epistemisch-normativen Position zur Vulnerabilität von Kindern begegneten die von uns interviewten engagierten Laien dieser Studie affirmativ oder kritisch, wiederum zum Teil unter Rückbezug auf weitere Forschung. Auch hier konnten wir keine ‚antiwissenschaftlichen‘ Affekte beobachten, vielmehr waren diejenigen, die die Viruslaststudie kritisch betrachteten, überdurchschnittlich gut informiert über deren Forschungsdesign und methodologische Limitierungen.

Die verschiedenen Gemeinsamkeiten zwischen den zunächst inkommensurabel erscheinenden Clustern, insbesondere der letztlich geteilte Bezug auf wissenschaftliches Wissen und Expertise, hinterlässt eine gewisse Irritation. Das liegt daran, dass sich die in unserer Studie rekonstruierte Wissenspolitik der Schulschließungen manch gängigem Deutungsmuster entzieht. Im Kontext der pandemiepolitischen Großwetterlage zwischen 2020 und 2022 schienen beispielsweise Akteure der Wissenschaftskommunikation davon auszugehen, dass es in diesen Debatten im Kern um die Grenze zwischen wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen sowie zwischen moralisch vertretbaren und moralisch nicht vertretbaren Positionen geht. In dieser Sicht hätte man es hier mit den bekannten und gut erforschten Routinen des „boundary work“ zu tun (Gieryn 1995). Auch die sich als ‚kritisch‘ verstehende Soziologie hat in der Pandemie ihre Aufgabe gelegentlich darin gesehen, zu erklären, warum manche Diskursteilnehmer*innen keinen im Sinne der Gesamtgesellschaft legitimen Standpunkt vertreten. In diese Richtung tendiert beispielsweise die Zeitdiagnose des „libertären Autoritarismus“ (Amlinger & Nachtwey 2022), die sich als explizit kritische Theorie zutraut, zu entscheiden, „welche sozialen Phänomene progressiv und insofern zu bejahen und welche rückschrittlich sind“ (Simmerl 2022). Aus Sicht einer Theorie des „boundary work“ wäre eine solche Soziologie allerdings als essentialistisch zu problematisieren,[10] und aus Sicht der Debatten um gesellschaftliche Spaltungsdiagnosen wäre zu reflektieren, ob und inwieweit die Soziologie hier Gefahr läuft, selbst zur Polarisierungsunternehmerin zu werden.[11] Wir möchten abschließend ein alternatives wissenschaftssoziologisches Deutungsangebot machen, mit welchem die beschriebene Irritation zwar nicht aufgelöst, aber verständlich gemacht werden kann. Dazu greifen wir auf die Konzeption multipler Fakten zurück, wie sie von Daniel Sarewitz (2004) entwickelt wurde.

Sarewitz geht davon aus, dass wissenschaftliche Forschung unser Wissen nicht einfach schrittweise erweitert, sondern es multipliziert und gleichsam explodieren lässt („excess of objectivity“). Gemeint ist damit nicht nur, dass die Wissenschaft eine enorme Menge an Fakten aus der Natur zu extrahieren vermag. Darüber hinaus können diese Fakten auf vielfältige Weise zu jeweils kohärenten Bildern der Realität verdichtet werden. Diese multiplen Fakten stehen in Spannung zueinander und können sich sogar widersprechen. Ein Grund dafür ist, dass wissenschaftliche Disziplinen nicht nur in ihren Theorien und Methoden, sondern auch in ihren Wert-Annahmen divergieren („values in discipline“). Je politisch bedeutsamer und umkämpfter ein bestimmter Gegenstandsbereich ist, desto mehr werden diejenigen Fakten mobilisiert, die jeweils eine Affinität zu einem bestimmten politischen Lager haben. Um nun den Bogen zur Wissenspolitik der Schulschließungen zurückzuspannen: Die in unserer Analyse sichtbar gewordenen multiplen Vulnerabilitäten – verstanden als Hybride aus Fakten und Werten – schweben nicht im epistemischen Vakuum, vielmehr mobilisieren die engagierten Laien, die wir deshalb auch als „citizen science communicators“ (Yang 2022) charakterisiert haben, vielfältige Formen von Expertise und wissenschaftliche Studien. Von Wissenschaftler*innen in den großen Talkshows über die Lektüre der RKI-Situationsberichte, von Twitter-Threads über neue Studien bis hin zum eigenständigen Studium von Fachartikeln finden sich in allen Clustern vielfältige Bezüge auf seriöse Wissensquellen. Da mag dann mal eine zwielichtige oder sogar pseudowissenschaftliche Quelle dabei sein, im großen Ganzen sehen wir aber in allen Clustern einen rationalen und begründeten Zugriff auf die vom disziplinär ausdifferenzierten Wissenschaftssystem zur Verfügung gestellten multiplen Fakten. Kurz: Wir finden zum Thema Schulschließungen ein pluralistisch aufgestelltes ‚Team Wissenschaft‘, aber kein diesem gegenüberstehendes antiwissenschaftliches Lager.

Zum Ende sei noch auf drei Limitationen unseres Beitrags hingewiesen. Erstens stellt sich das Problem des „Recall Bias“ (Sprengholz et al. 2023). Die im Sommer/Herbst 2022 rekapitulierten Erinnerungen der Interview-Partner*innen können subjektiv verzerrt sein. Die Erzählungen über das Erleben der verschiedenen Phasen der Pandemie müssen deshalb immer auch als eigensinnige, durch die beschriebenen epistemisch-normativen Pfadabhängigkeiten beeinflusste Konstruktionen gelesen werden. Zweitens lassen sich auf Grundlage der geführten Interviews keine Aussagen über den kausalen Zusammenhang von Vulnerabilitätsvorstellungen, pandemiepolitischen Haltungen und tatsächlichem sozialen Handeln treffen.[12] Wir wissen also wenig darüber, inwiefern die jeweilige Positionierung in konkreten Handlungssituationen ‚umgesetzt‘ wurde und inwieweit die Eigenlogik der Situation das Handeln der Individuen unabhängig von den individuellen Überzeugungen determinierte. Auch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die untersuchten epistemisch-normativen Positionierungen in ihrem sozial-situativen Kontext veränderbar wären, bedürfte weitergehender Forschung. Drittens sei an dieser Stelle auf die Nicht-Repräsentativität unseres Samples aufmerksam gemacht. Die überwiegende Mehrzahl der Interviewten beschrieb die Situation der eigene Familie als sozioökonomisch privilegiert; es handelte sich zudem um überdurchschnittlich gut gebildete, politisch engagierte, sowie medienaffine und kommunikationsstarke Individuen – all das ist eine logische Konsequenz des Feldzugangs über prominente Adressen im Twitter-Diskurs. Die Interviewten betonen ihrerseits auf Nachfrage, dass Twitter-Diskussionen polarisierter als ihr eigener ‚Offline‘-Alltag verlaufen. Wir haben gezeigt, dass sich innerhalb dieses Samples dennoch eine systematische Vielfalt von Vulnerabilitätsvorstellungen und -wahrnehmungen finden lässt. Für zukünftige Studien zur Wissenspolitik der Schulschließungen wäre es wichtig, gerade auch diejenigen Familien in den Blick zu bekommen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht aktiv in die Debatte einbringen konnten oder wollten. Wir vermuten, dass in einer repräsentativen Studie einerseits die Gewichtung der hier beschriebenen Vulnerabilitäten anders aussehen würde, und dass andererseits auch andere Vulnerabilitätsdimensionen – beispielsweise die im Theorieabschnitt angedeuteten Nebenfolgen wie Bildungsverlust, Übergewicht oder häusliche Gewalt – besser beleuchtet werden würden.

Über die Autoren

David Kaldewey

David Kaldewey, Studium der Sozialwissenschaften in Berlin und Oslo, Promotion in Soziologie an der Universität Bielefeld. Seit 2013 am Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, seit 2018 Professur für Wissenschaftsforschung und Politik, seit 2021 Co-Sprecher des Rhine Ruhr Center for Science Communication Research.

Forschungsschwerpunkte: Identitätsarbeit der Wissenschaft, wissenschaftspolitische Sprache, die Krise der Faktizität als Herausforderung der Wissenschaftskommunikation, Soziologie der Universität.

Pascal Berger

Pascal Berger, Studium der Soziologie und Philosophie an der RWTH Aachen, Promotion an der RWTH Aachen. Seit 2022 Postdoktorand am Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn und am Rhine Ruhr Center for Science Communication Research.

Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsforschung und Soziologische Theorie.

Lea Weigel

Lea Weigel, Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften (BA) in Bonn und Ankara, aktuell Studium der Soziologie (MA) in Frankfurt. Seit 2022 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

Caitlin Blome

Caitlin Blome, Studium der Politikwissenschaften und Soziologie in Bonn, aktuell MA-Studium Soziologie in Konstanz. 2022/2023 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

Paula Kuhn

Paula Kuhn, Studium English Studies sowie Politik und Gesellschaft (BA) in Bonn, Cross-Cultural Communication and International Relations (MA) in Newcastle, England. 2022/2023 wissenschaftliche Hilfskraft am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

Nicole Meck

Nicole Meck, Studium der Komparatistik und English Studies (BA) in Bonn. 2022/2023 studentische Mitarbeiterin am Forum Internationale Wissenschaft (FIW), Universität Bonn.

Danksagung

Das Projekt wurde im Rahmen der COVID-Sonderförderlinie der Transdisciplinary Research Areas (TRAs) der Universität Bonn gefördert. Wir danken Adrian Hermann und Daria Denkov für die Zusammenarbeit in der ersten Projektphase und die Hilfe bei der Twitter-Hashtag-Analyse. Für wertvolle Kommentare zu einer früheren Version des Manuskripts danken wir insbesondere Eddie Hartmann, Frithjof Nungesser, Fran Osrecki, den Teilnehmer*innen des Autor*innen-Workshops in Hamburg am 5./6. Oktober 2023, sowie den Gutachter*innen und Herausgeber*innen der Zeitschrift für Soziologie.

  1. Data Note: Die 43 Interviews liegen in transkribierter und anonymisierter Form vor. Eine weitere Aufbereitung und Speicherung in einem Repositorium ist nicht vorgesehen, da eine vollständige Anonymisierung nicht garantiert werden kann – vor allem deshalb, weil viele Aussagen der Interviewten in Bezug zu deren öffentlichen Twitter-Accounts stehen und damit identifizierbar wären. Der Interview-Leitfaden sowie das Kodierschema kann bei Interesse verfügbar gemacht werden.

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Online erschienen: 2025-02-19
Erschienen im Druck: 2025-02-28

© 2025 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 31.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2025-2008/html
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