Rezensierte Publikation:
Takada, Hiroyuki. 2024. Hitlers Reden 1919–1945. Eine sprachwissenschaftliche Analyse. Berlin: J. B. Metzler. 385 S., € 39,99, ISBN 978–3662678497.
In seiner breit rezipierten, weithin geschätzten Hitler-Biographie von 2015 (dt. Veröffentlichung 2017) beschreibt der Historiker Peter Longerich Adolf Hitler als singuläre Existenz der „modernen Geschichte“, gibt es doch „wohl keine andere Figur, die in relativ kurzer Zeit eine solche Machtfülle auf sich vereinigt hat [...], die diese Macht so exzessiv missbraucht hat und die schließlich so zäh daran festgehalten hat wie er“ (2017 [2015]: 9). Sowohl das ‚Dritte Reich‘ als gesellschaftliches Phänomen, der Zweite Weltkrieg und die Shoa als damit verbundene, herausgehobene Ereignisse, als auch eine Vielzahl an Einzelpersonen (lange Zeit allerdings vornehmlich mit einem täter*inenseitigen Fokus) sind derart umfassend aufgearbeitet worden, wie kaum andere Phänomene, Ereignisse oder Personen der (Welt-)Geschichte. Dennoch sticht die Beschäftigung mit Hitler aus der unüberblickbaren Forschungsliteratur (vgl. Echternkamp 2018: VII) zum ‚Drittes Reich‘ heraus: „Vor zwanzig Jahren zählte ein deutscher Autor über 120 000 Bücher und Aufsätze über Hitler und das ‚Dritte Reich‘, und diese Zahl ist seither noch erheblich angestiegen“ (Simms 2020 [2019]: 13). Insbesondere die Jahrtausendwende gilt als konstitutive Zäsur einer zunehmend „obsessive[en] Beschäftigung“ (Ullrich 2013: 7) mit Hitler.
Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive sind insbesondere (wenn auch vereinfachend perspektiviert) die großen Hitler-Biographien der letzten 60 Jahre zu nennen, angefangen z. B. bei Joachim Fests „Pionierleistung“ (Ullrich 2013: 11) von 1973, deren „stilistische Brillanz“ (Kershaw 2013 [1998]: 7), „literarisches Flair“ (Simms 2020 [2019]: 15) und „Qualität der Darstellung [beeindruckt]“ (Ullrich 2013: 9), über Ian Kershaws Biographie, die aufgrund ihrer „Breite und Tiefe“ (Simms 2020 [2019]: 15) bis heute als „maßstabsetzend“ (Ullrich 2013: 8) bzw. „als Standardwerk gilt“ (Simms 2020 [2019]: 13) und Peter Longerichs (2017 [2015]) ebenso gelobte, sich durch „profunde Kenntnisse des NS-Systems“ (Simms 2020 [2019]: 15) auszeichnende Darstellung, bis hin zur zweibändigen Biographie Volker Ullrichs (1ter Band 2013 und 2ter Band 2018), der mit einem „psychologischen Tiefblick“ (Simms 2020 [2019]: 15) „Hitlers Persönlichkeit in den Vordergrund gestellt“ (Simms 2020 [2019]: 14) hat, sowie der schon im Untertitel als globale Biographie ausgewiesenen Arbeit von Brendan Simms (2020 [2019]). Dazu sind in den letzten Jahren weitere, wenn auch kleinere Spezialstudien erschienen, in denen bestimmte Zeitabschnitte im Leben Hitlers aufgearbeitet wurden, wie z. B. in dem Hitlers prägenden Jahre (1889–1914) umfassenden Buch von Hannes Leidinger und Christian Rapp (2020) oder einer 2021 erschienenen Studie Roman Sandgrubers zu Hitlers Vater, vermittels derer der Autor, wie schon im Buchuntertitel ausgewiesen, versucht, zu bestimmen, wie der Sohn zum Diktator wurde.
Auch die sprachwissenschaftliche Forschung zu Hitler kann als so früh einsetzend wie exhaustiv gelten. Schon in einer der ersten linguistischen Darstellungen der Sprache bzw. des Sprachgebrauchs im Nationalsozialismus, Sprachwandel im Dritten Reich (1961) von Eugen Seidel und Ingeborg Seidel-Slotty, wird die hitlersche Rede bestimmt, z. B. durch „die deklinierte Form des prädikativen Adjektivs“ (1961: 145). Die Reden des NS-Diktators wurden insgesamt sprachwissenschaftlich schon umfassend, z. T. korpuslinguistisch sowie multimodal aufgearbeitet (vgl. Maas 1985: 55–90, Volmert 1989 oder Takada 2018); ebenso, zumindest bis zu einem gewissen Grad, Mein Kampf (vgl. exemplarisch Podak 1994). Eine alle Reden überblickende, synthetisierende Darstellung steht bis heute aus. Diese Forschungslücke zu schließen kann als, wenn auch nicht explizit formuliertes Ziel von Hiroyuki Takadas Arbeit bestimmt werden.
Auf Basis eines umfassenden Korpus‘[1], bestehend aus „663 Reden mit ca. 1,7 Millionen Wörtern“ (S. 335) erschließt der Autor Hitlers Reden zwischen 1919 und 1945 aus vielgestaltigen Perspektiven, mit lexikalischen, rhetorischen sowie multimodalen Schwerpunkten. Die Breite des Ansatzes, ebenso wie die gute Lesbarkeit sind explizit hervorzuheben, wohingegen die eklektische und assoziative Art der Darstellung, ebenso wie das Fehlen neuerer Forschungsliteratur kritisch anzumerken sind.
Takada rekurriert hinsichtlich geschichtswissenschaftlicher Forschungsliteratur vornehmlich auf Fests sowie Kershaws Hitler-Biographien, wobei vor allem auf letztere (mit 190 Belegstellen im Text) umfassend Bezug genommen wird. Überraschenderweise werden aber sowohl ältere Arbeiten, wie die von Longerich, als auch neuere Studien, wie die Ullrichs und Simms‘, nicht zur Kenntnis genommen. Dies verwundert, da einerseits die Arbeiten von Longerich (von 2017 [bzw. 2015]) sowie von Ullrich (von 2013 und 2018) schon lange vor der dt. Veröffentlichung von Takadas Buch nicht nur bekannt und gelobt wurden, sondern auch erreichbar waren und andererseits zugleich, wenn auch sporadisch, auf neue linguistische Forschungsliteratur Bezug genommen wird (z. B. der Beitrag von Kämper und Markewitz 2022, auf den im Text sowie im Literaturverzeichnis verwiesen wird; vgl. S. 148, 244, 310 sowie 370).
Auch auf historische Quellen, darunter die Deutschlandberichte der Sopade (vgl. exemplarisch S. 164–165 sowie S. 199–200), greift der Autor produktiv zur Kontextualisierung zurück. Ebenso werden eingestreute literarische Referenztexte, z. B. das Großessay Thomas Manns zu Bruder Hitler, nachvollziehbar herangezogen (vgl. S. 5). Problematischer erscheint hingegen seine Verwendung von Hitlers Mein Kampf (2016 in kritischer Edition erschienen). Mehrfach nutzt Takada das Machwerk des Diktators für die Aufarbeitung biographischer Hintergründe (vgl. S. 4 oder 17). Zwar finden sich an einigen Stellen kritische Hinweise – „Schenkt man den Ausführungen in Mein Kampf [...] Glauben“ (S. 17) –, vielfach wird das Werk aber wie eine Quelle unter vielen behandelt, obwohl geschichtswissenschaftlich umfassend aufgearbeitet wurde, durch wie viele Halb-, Teil- und schlichtweg Unwahrheiten sich Hitlers Text auszeichnet (siehe dazu die so umfassende wie erhellende Kommentierung der kritischen Edition). Sowohl der Umgang mit als auch die Verwendung von Quellenmaterial sowie Forschungsliteratur ist somit nicht gänzlich unproblematisch.
Die Nichtwahrnehmung neuerer Forschungsliteratur ergibt sich allerdings ggf. aus der Entstehungsgeschichte des Buches, handelt es sich bei diesem doch um „die deutsche Fassung meines in japanischer Sprache verfassten Buches [...], das 2014 [...] in Tokio erschienen ist und bisher elf Auflagen erlebt hat“ (S. VII). Ebenso verweist der Autor in seinem Vorwort (vgl. S. VII-VIII) darauf, dass es sich nicht ‚nur‘ um eine Übersetzung, sondern „eine stark überarbeitete, um ein Drittel erweiterte und um eine Liste der Reden Hitlers ergänzte Fassung“ (S. VII) handle. So habe sich auch die Anzahl der untersuchten Reden „um 20 Prozent erhöht“ (S. VII). Dergestalt kommt es zu dem Korpus von „mehr als 1,7 Millionen Wörter“ (S. VII). Irritierenderweise findet sich an keiner Stelle eine genauere Angabe der Korpusgröße. Zwar geht Takada im zweiten Kapitel etwas genauer, wenn auch arg unvermittelt (siehe zur Gestaltung des Buches weiter unten), auf sein Korpus ein (vgl. S. 50–51), doch finden sich auch hier lediglich ungefähre, mit ca. angegebene Werte. Zudem verwundert es auf terminologischer Ebene, warum die Maßeinheit mit Wörtern und nicht dem korpuslinguistisch umfassender genutzten sowie spezifischeren Token-Konzept angegeben wird. Dies kann aber ggf. den Übersetzungsumständen oder dem intendierten Publikum geschuldet sein. Denn auch wenn das Buch mit Eine sprachwissenschaftliche Analyse untertitelt ist, so gestaltet es sich doch anders, als u. U. erwartbar. Nicht auszumachen sind distinktive Unterscheidungen bzw. Kapitel zu etwa relevantem Hintergrund, sprachwissenschaftlicher Theorie und korpuslinguistischer Methode. Stattdessen wählt der Autor einen ‚etappen‘orientierten Aufbau.
Abseits einer sehr knappen Einleitung (Prolog; vgl. S. 1–2) und einem ebenso knappen Epilog (vgl. S. 331–333) ist seine Studie in sechs Kapitel aufgeteilt. Pro Kapitel wird eine Reden’etappe‘ Hitlers erfasst: Von seinen Anfängen (1919 bis 1924) als Bierhallen-Agitator sowie der Unterbrechung seiner Rednerkarriere aufgrund einer Verurteilung nach dem misslungenen Putschversuch in München (am 8. und 9. November 1923) (1925 bis 1928), über seine Wahlkampf-Reden (1928 bis 1932), Reden zur Kontrolle des Volkes (1933 und 1934) sowie außenpolitischen Reden (1935 bis 1939) bis hin zu den Kriegsjahren und damit der Ohnmacht der Reden (1939 bis 1945) zeichnet Takada die Ausbildung, Festigung und am Ende Wirkungslosigkeit des Redetalents Hitlers nach. Dabei zeigt ein Vergleich der einzelnen Kapitelgrößen ein z. T. auffälliges Ungleichgewicht: In einigen Kapiteln werden umfassende Zeiträume abgedeckt (z. B. von 1939 bis 1945 in Kapitel 6), in anderen wiederum nur kurze Episoden behandelt (z. B. 1933 und 1934 in Kapitel 4). Der damit einhergehende Seitenumfang korreliert mit diesen Zeitabschnitten längst nicht immer: Wieso 69 Seiten für zwei Jahre (Kapitel 4), dann aber nur 30 Seiten für fünf Jahre (Kapitel 1)? Die Kapitel als Etappeneinteilung scheinen sich vor allem an biographischen Ereignissen zu orientieren, so dass eine Art redenbezogener Hitler-Biographie sowie (Vor-)Geschichte des ‚Dritten Reiches‘ entsteht. Dieser Ausrichtung entspricht die generelle Art der Darstellung, die weit über linguistische Grenzen hinausreicht. Daher erscheint der Untertitel der Studie auch u. U. verfehlt, da es sich ja gerade nicht nur um eine sprachwissenschaftliche Analyse handelt. Dies benennt Takada in seiner Einleitung auch selbst, indem er darauf verweist, dass „die Reden sowohl in sprachwissenschaftlicher, aber auch in politischer und historischer Hinsicht unter die Lupe genommen [werden], um herauszufinden, wie sich ihre Rolle und Funktion im Verlauf der Zeit verändert haben“ (S. 2). Der Grad an funktionaler Veränderung der Reden ist schon anhand der oben angeführten, aussagekräftigen Überschriften gut erkennbar: Von rednerischen Anfängen als Bierhallen-Agitator in den Jahren 1919 bis 1924 erreicht Hitler als Redner seinen Höhepunkt in Wahlkampf-, Kontroll- sowie außenpolitischen Reden, um dann, während des Zweiten Weltkrieges, rednerisch zunehmend wirkungslos(er) zu werden (vgl. S. 294) – nicht ohne Grund erscheint Goebbels Sportpalastrede vom 18.02.1943 als eine der zentralen ‚Kriegsreden‘ des ‚Dritten Reiches‘ (vgl. aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive Longerich 2023 und aus linguistischer Kegel 2006). Dementsprechend rekurriert auch Takada im sechsten Kapitel auf diese Rede Goebbels‘ (vgl. S. 295–298); es wäre an dieser Stelle eine interessante Möglichkeit gewesen, Hitler und Goebbels als Redner miteinander zu vergleichen. Ein solcher Vergleich findet sich aber weder an dieser Stelle noch im Buch insgesamt.
Die einzelnen Kapitel Analysekapitel zu nennen, wird ihrem heterogenen Charakter kaum gerecht. Positiv ausgedrückt findet in allen Kapiteln eine beständige Verzahnung bzw. ein beständiger Wechsel aus geschichtswissenschaftlicher Aufarbeitung sowie mikro- und makroanalytischer Orientierung statt. Letzterer Aspekt wird so nachvollziehbar wie produktiv aus ersterem abgeleitet: Häufig wird eine Rede und darin ein Phänomen, z. B. ein bestimmtes Lexem, erfasst (Mikroperspektive) und dies zum Anlass genommen, diesem Phänomen im gesamten Korpus (Makroperspektive) nachzugehen – z. B. in Kapitel 5, in dem auf die Erwähnung des Ausdrucks Lebensraum in Hitlers „Friedensrede“ (S. 201) eingegangen wird, um dann die Perspektive auf zumindest einen Teil des Reden-Korpus‘ hinsichtlich des Auftauchens dieses Ausdrucks zu erweitern (vgl. S. 202–203). Die Schleifenbewegungen zwischen Mikro- und Makroperspektive machen einen Großteil der Analysen aus. Sie werden dadurch auf jeden Fall bereichert, auch wenn z. T. die Wahl der ausgewählten Lexeme etwas unvermittelt wirkt – vor allem, weil sich immer wieder auch Keyword- und Schlüsselwortanalysen finden (vgl. exemplarisch S. 34, 55–59, 104, 173–175, 219 oder 305), die aber vielfach lediglich anhand tabellarischer Übersichten präsentiert werden. Die korpuslinguistischen Abfragen sind in der Tat so umfassend wie interessant. Man hätte sich aber zumindest an der einen oder anderen Stelle eine tiefergehende Ausdeutung und Reflexion gewünscht. Auch die Unterschiedlichkeit der Ausdrücke, von verwendetem Ideologievokabular bis hin zu bewertenden Adjektiven und Modalverben reichend, hätte systematischer in ihrer Funktionalität herausgestellt und ggf. im Zusammenhang zueinander thematisiert werden können. So tauchen einzelne Befunde immer wieder auf, hinterlassen aber nur selten einen bleibenden Eindruck, da durch die oft singulären Analyseteilschritte keine Umfassenheit oder Systematik entsteht. Sollte dies so intendiert sein, hätte man sich entweder ein umfassendes Register am Ende des Buches oder ein ausdifferenziertes Inhaltsverzeichnis, in dem alle Zwischenüberschriften erfasst werden, so dass ein gezielter Suchzugriff ermöglicht wird, gewünscht. Beides fehlt leider.
Die gewählte Art der Darstellung führt nun zwar einerseits dazu, dass das Buch in der Tat wie eine Art Rede-‚Biographie‘ (und dabei sehr angenehm) zu lesen ist, verhindert aber eine systematische und damit auch tiefergehende Analyse; z. B. indem es ein Kapitel zu Hitlers Verwendung von Modalverben innerhalb seiner Reden gibt, oder ein Kapitel zu bewertenden Adjektiven (obgleich sich zumindest dieses in Grundzügen findet; vgl. S. 269–277). So erscheinen viele Übergänge oft abrupt. Es wäre ja ggf. vorstellbar, jedes Kapitel mit einem historischen und dann spezifischer biographischem Abriss der relevanten Ereignisse in Hitlers Leben zu beginnen, um dann analytisch zentrale Reden dieser Zeit nach bestimmten Kategorien aufzuarbeiten, um, im Laufe der weiteren Kapitel, zu einer Art Entwicklungsgeschichte der Reden Hitlers zu kommen. Die Analysekategorien hätten nicht einmal dieselben sein müssen, um den Varianz- sowie Entwicklungsprozessen gerecht zu werden. Stattdessen wären kategoriale Schwerpunktsetzungen ebenso möglich gewesen. Doch so gestaltet sich der Aufbau der einzelnen Kapitel nur selten. Zwar wird zumeist mit einem geschichtlichen oder biographischen Aspekt eingeleitet, aber die Nacherzählung geschichtlicher Ereignisse sowie damit korrelierender Momente im Leben Hitlers setzt sich konsequent weiter fort und die Analysen einzelner Reden oder des gesamten Redekorpus erscheinen oft als eine Art darstellerischer Nebenspur. Die fehlende analytische Systematik wirkt sich dahingehend herausfordernd auf die Rezeption aus. Hausendorf et al. (vgl. 2017: 127 sowie 161) beschreiben diesbezüglich in ihrem Buch Textkommunikation das Problem von Begrenzbarkeit und Verknüpfbarkeit einzelner textkommunikativer Einheiten. Um einen (textkommunikativ) produktiven Leseprozess wahrscheinlich(er) werden zu lassen, sind Strukturen, Gliederungen sowie weitere Lesbarkeitshinweise notwendig, die das textuelle Weitergehen erahnbar machen. Damit einher gehen textsortenspezifische Erwartungen, die auch durch den Untertitel Eine sprachwissenschaftliche Analyse in bestimmte Richtungen gelenkt werden. Die fehlende Trennung zwischen aufarbeitender (geschichtlicher sowie biographischer) Darstellung und Analyse wird so zu einer textkommunikativen Herausforderung, die aber im Laufe des Leseprozesses, durch die Erfahrung der vorausgehenden Kapitel, nachlässt. Lässt man sich auf die gewählte Darstellungsart ein, so erhält man eine gut zu lesende, sich durch eine reichhaltige Bebilderung auszeichnende Darstellung der Entwicklung von Hitler als Redner. Als linguistische Studie hingegen frustriert der Text durch den sprunghaften, und z. T. assoziativen analytischen Verlauf.
Aus einer Analyseperspektive heraus erschwert wird die Lektüre weiterhin durch ein beständiges Fallenlassen und Wiederaufgreifen von Themen. Dies sei an einem Beispiel skizziert: Sich dem Aspekt der Multimodalität und -medialität der hilterschen Reden anzunehmen ist ein sicherlich wichtiges Anliegen. Die zunehmende Bedeutung der Massenmedien, im Fall des ‚Dritten Reiches‘ vor allem des Radios bzw. ideologisiert des ‚Volksempfängers‘, ist untrennbar mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und Hitler als Person verbunden. Dass Takada sowohl auf technische Unterstützungen wie das Mikrophon und den Lautsprecher (vgl. S. 91) in der konkreten Redesituation, aber ebenso auf Rundfunk und Film eingeht, ist eine im hohen Maße sinnvolle analytische Ausrichtung. Doch die etappenorientierte Kapitelstruktur führt auch hier zur Fragmentarisierung. Sowohl im dritten (vgl. S. 113), vierten (vgl. S. 168–173) als auch fünften (vgl. S. 209 sowie 231) Kapitel kommt der Autor auf den Aspekt der filmischen Repräsentation von Hitlers Reden zu sprechen. Dies geschieht aber nicht immer zeit- bzw. phasenspezifisch, sondern wird oft allgemeiner und grundsätzlicher abgehandelt, so dass es zumindest zu gefühlten Redundanzen kommt. Oft wird ein Analysefokus eingeführt, z. B. die nach klassischen Prinzipien der Rhetorik ausgestalteten Strukturen und Inhalte von Reden (vgl. S. 72–85), dann aber nicht systematisch in anderen Kapiteln weiterverfolgt, so dass man geneigt ist, davon auszugehen, dieser Analysepunkt wäre an der jeweiligen Stelle beendet worden, nur um dann später für einen Aspekt (und oft auch nicht mehr als 1-3 Seiten) wieder aufzutauchen (im Falle der rhetorischen Prinzipien z. B. auf den Seiten 211 bis 213). Das ist grundsätzlich schade, da viele Analyseergebnisse interessant und erhellend sind, z. B. Takadas Ausführungen zur Reziprozität zwischen Hitler als Redner und seinem Publikum (vgl. 179–198). Seine Beschreibungen, extrem detailliert in ihrer Erfassung z. B. der Länge und des Grades an Reaktionen, sollen positiv hervorgehoben werden. Dies gilt ebenso für das Unterkapitel Veränderungen in der Kookkurrenz von Wörtern im sechsten Kapitel (vgl. S. 315–330). Vermittels n-Gramm-Analysen, und der Betrachtung von Drei-, Vier- sowie Fünfwortausdrücken über alle Phasen und damit das gesamte Korpus hinweg, zeigt der Autor interessante Verbindungen sowie Verwendungsweisen und leitet am Ende ein sieben Kategorien umfassendes Cluster-System aller Reden Hitlers ab (deutsch-volksbezogene, demographische, parteibezogene, lebensbezogene, weltbezogene, dynamische sowie nationale Dimension; vgl. 325). Diese Analyseergebnisse erweisen sich als analytische, korpuslinguistische Höhepunkte.
Mit Hiroyuki Takadas sprachwissenschaftlicher Analyse von Hitlers Reden zwischen 1919 und 1945 liegt ein zugleich hochspannendes, gut zu lesendes, aber strukturell sowie darstellerisch in Teilen frustrierendes Buch vor. Einen systematischen, korpusbasierten Überblick über alle Reden Hitlers geben zu wollen, ist eine für die Sprachwissenschaft verdienstvolle Aufgabe. Hervorragend unterstützt durch eine Vielzahl an interessanten Bebilderungen sowie umfassenden Tabellen vermag es der Autor, so nachvollziehbar wie überblickend, die Entwicklung von Hitlers Reden sowie seiner Rednerpersönlichkeit nachzuzeichnen. Er wählt dafür eine biographienahe (Kapitel-)Struktur, die aber zugleich dafür sorgt, dass viele analytische Stränge fragmentarisiert, zunächst aufgenommen und dann wieder fallengelassen werden. Die fehlende Systematik, ebenso wie in Teilen etwas an der Oberfläche verbleibenden Analysen sind für intendierte Leser*innen herausfordernd, die zudem durch den Untertitel des Buches eine andere Art von Arbeit sowie Darstellung erwarten könnten. Kann man sich auf den zwischen vielen thematischen sowie analytischen Einzelthemen und -perspektiven oszillierenden Durchgang des Buches einlassen, das in weiten Teilen linguistische Verortungen umfassend überschreitet, so erhält man dafür einen stets gut geschriebenen, in vielen Einzelanalysen interessanten Text, der wesentliche Charakteristika sowie Entwicklungen der Reden Hitlers zu erfassen mag. Unter diesen Bedingungen und daher auch mit rezeptionsseitiger Warnung sei so dennoch die Lektüre des Buches empfohlen. Insbesondere geschichtswissenschaftlichen Forscher*innen sowie Leser*innen, die sprachlich-kommunikativen Aspekten etwas abgewinnen können (so wie z. B. Wolfgang Benz in seiner Widerstandsmonographie auch auf stilistische Eigenschaften der Flugblätter der Weißen Rose Bezug genommen hat; vgl. 2018: 308–315), sei diese, beide Forschungsdisziplinen integrierende Arbeit besonders empfohlen.
Literatur
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© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter im Auftrag der Gesellschaft für Angewandte Linguistik
Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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