Home Peter Fischer, Kosmos und Gesellschaft: Wissenssoziologische Untersuchungen zur Frühen Moderne. Weilerswist: Velbrück 2023, 323 S., br., 49,90 €
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Peter Fischer, Kosmos und Gesellschaft: Wissenssoziologische Untersuchungen zur Frühen Moderne. Weilerswist: Velbrück 2023, 323 S., br., 49,90 €

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Published/Copyright: December 5, 2024
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Peter Fischer, Kosmos und Gesellschaft: Wissenssoziologische Untersuchungen zur Frühen Moderne. Weilerswist: Velbrück 2023, 323 S., br., 49,90 €


Das Buch ist geprägt von thematischer Vielfalt, komplexer Architektur und hohem theoretischen Anspruch. Aus soziologischer und soziologiehistorischer Perspektive bietet es reichhaltiges Material vor allem für diese Fragestellung: Wie hat die naturwissenschaftliche Weltanschauung der frühen Neuzeit prägend auf die Sozialphilosophie und frühen Ansätze der Soziologie eingewirkt? Die Kap. 4 und 6 enthalten in autorzentrierten Fallstudien Analysen dieser Einflüsse u. a. bei Thomas Hobbes, John Locke, Leibniz, Montesquieu, Adam Smith bis hin zu den Begründern der modernen Soziologie, hier besonders Émile Durkheim und die amerikanischen Pragmatisten. Daraus entsteht eine spannende Geschichte der Prägung der neuzeitlichen Vorstellungen von Individuum und Gesellschaft und der schrittweisen Emanzipation von der Dominanz naturaler Kategorien durch die eigenständige Grundlegung des Sozialen.

Um die Einflüsse der naturwissenschaftlichen Weltanschauung inhaltlich ableiten zu können, stellt Fischer die Stationen ihrer Entwicklung von Kopernikus bis Newton in Fallstudien vor. Das ist im Ansatz natürlich plausibel, aber in der Durchführung unbefriedigend, weil das äußerst umfangreiche, von der wissenschaftshistorischen Forschung bereitgestellte Wissen nur kursorisch und punktuell eingearbeitet werden konnte. Für die Fragen danach, was den Sozialphilosophen der Frühmoderne an naturwissenschaftlichen Axiomen, Erkenntnissen und Modellen verbindlich und vorbildlich für die Analyse des Sozialen erschien, wären einige der kursorischen Rekonstruktionen wohl auch entbehrlich gewesen. Fischer hätte sich vielleicht auf die Struktur und die Ausbreitung des mechanistischen Weltbildes, den sogenannten Newtonianismus, beschränken können. Allerdings sind die dargestellten Beziehungen zwischen dem vor-newtonischen Heliozentrismus von Kopernikus bis Kepler zu den sozialphilosophischen Ideen von Kepler, Bodin und Campanella historisch relevante Wegmarken von der Renaissance in die Neuzeit.

Fischer hat darüber hinaus einen soziologietheoretischen Anspruch: Er vertritt die These, dass für jede Gesellschaft ein zentrales Ordnungsproblem besteht, bei dem es um die Koordination von Individuum, Gesellschaft und Welt geht. „Bezogen auf den Kosmos bedeutet dies, dass eine gesellschaftliche Notwendigkeit besteht, einen Entwurf von dem zu haben, was am Himmel von statten geht...“ (S. 84). Dies führt zu einer „Kulturisierung der Natur“ (S. 84), jedoch in Gestalt objektivierter Kosmologien und Weltbilder (S. 85). In der Geschichte von Weltbildern drückt sich daher die Gesellschaftsgeschichte aus, die insofern „als Wandel von Weltbildern“ (S. 267) geschrieben werden kann.

Damit ist der dritte Anspruch Fischers bereits angesprochen: seine im Untertitel ausgewiesene Absicht, einen Beitrag zur Wissenssoziologie zu leisten. Empirisch ist dieser Beitrag dadurch umrissen, dass er aufzeigen will, wie kosmologisch-naturwissenschaftliches Wissen prägend auf das Wissen um die Ordnung und Funktionsweise von Gesellschaft einwirkt. Das erscheint in der wissenssoziologischen Tradition als unorthodox. In ihr geht es ja vor allem darum, Weltverständnisse als Extrapolationen sozialer Strukturen und dann als deren externe Legitimation zu betrachten. In Kurzform: Der Frühkapitalismus generiert das mechanische Weltbild, das ihn dann legitimiert. Da dieser Ansatz trotz seiner gehaltvollen Ausformulierungen durch marxistische Autoren wie Boris Hessen, Franz Borkenau und Henryk Grossman immer mit der Schräglage zu kämpfen hatte, das wenig Greifbare (die genaue Sozialstruktur des Frühkapitalismus) zur Erklärung des präzise Greifbaren (die mathematisch formulierte Ontologie der neuen Physik) heranzuziehen, ist der umgekehrte Weg Fischers, aus dem neuen Wissen über die Natur die neuen Erkenntnisse über die Gesellschaft zu rekonstruieren, vielversprechend. Allerdings will er den älteren wissenssoziologischen Ansatz nicht gänzlich ignorieren (das liefe auf einen weltanschaulichen Szientokratismus hinaus), sondern er vertritt die Position einer Wechselwirkung zwischen weltanschaulichen Impulsen aus der Wissenschaft und Impulsen aus gesellschaftlichen Veränderungen auf die Wissenschaft. Als theoretisches Modell der Wissenssoziologie ist diese Vorstellung in dem Buch nicht durchformuliert worden, aber sie kann ohnehin viel ideengeschichtliche Plausibilität für sich beanspruchen. Die von Fischer analysierten Werke der sozialphilosophischen Autoren zeigen alle auf, dass und wie wissenschaftliches Weltwissen Modell stand für Wissen über die Gesellschaft.

Soweit zu den hoch- und weitgesteckten Zielen des Autors, so wie ich sie dem Buch entnommen habe; sie entsprechen nicht der Gliederung des Buches, finden sich aber in dieser an verschiedenen Orten wieder. Das Buch gliedert sich in insgesamt acht Kapitel, die im Wechsel stärker historisch oder systematisch angelegt sind.

Kap. 2 schildert die kosmologischen Forschungen und Entwürfe von Kopernikus bis Newton. „Mit Newton ist die kopernikanische Revolution und damit der Wandel des Weltbildes von einem stabilen, göttlich ummauerten Universum zu einer fragilen Welt am Rande der Unordnung vollzogen“ (S. 76). Die vorherrschende Metapher für das uns umgebende Himmelssystem ist in der Folgezeit die der mathematisch durchkonstruierten „Maschine“, die – einmal angefertigt – reibungslos funktioniert. Um das Selbstbild des Menschen und der Gesellschaft in dieser Maschinerie wird es gehen – und dabei vor allem auch um die Frage, ob sie eine ordnungsstiftende Schöpfung Gottes ist (Newton) oder sich aus der Autodynamik mechanischer Kräfte selbst hervorbringt und stabilisiert (Laplace).

Kap. 3 ist ein Versuch, begriffliche Ordnung in die Beziehungen zwischen lebensweltlichen, naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Weltbildern zu bringen. Im Kern geht es Fischer darum aufzuzeigen, dass es in allen irgendwie dokumentierten Kulturen um eine Verknüpfung „zwischen dem astronomischen und dem ethischen Kosmos“ (S. 89) ging. Ob in dieser Wechselwirkung stärker astronomische Erkenntnisse die Interpretation des Sozialen leiten oder Sozialbilder den Kosmos illustrieren, ist – wie Fischer zeigt – unter Anthropolog:innen und Historiker:innen theoretisch strittig und wohl auch kulturspezifisch ausgeprägt. Aber das Kapitel zeigt, dass die leitende Fragestellung des Buches eingebettet ist in eine universelle Problemstellung.

Kap. 4 rekonstruiert die „Bilder des Sozialen“, die sich auf den Stationen des wissenschaftlichen Weltbildes von Kopernikus zu Newton (Kap. 2) ergeben. In Fallstudien zu Jean Bodin, Tommaso Campanella, Thomas Hobbes und John Locke führt Fischer in die durchaus unterschiedlichen Denksysteme ein, in denen das naturwissenschaftliche Weltbild modellierend in die Entwürfe von Gesellschaft einwirkt. Der Autor berücksichtigt dabei durchaus, dass die Newton-Welt mathematisch betrachtet keineswegs ein Bild der Perfektion abgibt und keine Gewähr bietet, nicht in Unordnung und Chaos abzustürzen (S. 139); aber in der gesellschaftlichen Wahrnehmung herrscht die Vorstellung einer göttlich geschaffenen vollkommenen Maschine vor. (Ich werde an dieser Stelle weiter unten einen Einwand erheben).

Kap. 5 ist überschrieben „Das neue Weltbild“. Es hat mehrere Zielrichtungen, deren Zuordnung zueinander nicht ganz klar ist. Einen wichtigen Teil (5.1.) nimmt der Versuch ein, im Sinne der Wissenssoziologie den Aufbruch in die neue Wissenschaft in den Rahmen des sozio-kulturellen Wandels der frühneuzeitlichen Gesellschaft einzuordnen. Übertrieben ausgedrückt, probiert der Autor aus, inwieweit das neue naturwissenschaftliche Weltbild als abhängige Variable des gesellschaftlichen Wandels gelesen werden kann. Im Gegensatz zu der sonstigen Architektur des Buches wird hier wenig mit Autoren der Zeit, sondern überwiegend mit gegenwärtigen Autoren (u. a. Beck, Habermas, Eder) gearbeitet, die in der Folge Max Webers vor allem den Rationalisierungsdiskurs der Moderne zum Thema haben. Vielleicht kommen dabei zu wenig die wissenschaftsspezifischen Komponenten dieser Rationalisierung ins Blickfeld, die etwa in der experimentellen Methode, dem Begriff des Naturgesetzes, dem Fortschritt des Wissens, der Einheit von Wissenschaft und Technik bestehen und sich im Zusammenhang mit frühkapitalistischen Verkehrsformen und Sozialstrukturen herausbildeten. Aber Fischer nimmt seinen eigenen Faden rechtzeitig wieder auf, indem er auch auf die prägende Kraft von Erkenntnissen, Erfindungen, Instrumenten und Methoden verweist. Die Absicht des Kapitels ist klar: Der Autor möchte der oben genannten wissenssoziologischen Gleichrangigkeit zwischen sozialen Rahmenbedingen der Wissensentwicklung und rational-empirischen Rahmenbedingungen der Gesellschaftsentwicklung gerecht werden. Das Kapitel ist überaus komplex gearbeitet und schwerlich auf einen Nenner zu bringen.

Kap. 6 schließt an Kap. 4 an und verfolgt die Einflüsse des naturwissenschaftlichen Weltbildes auf die frühe Soziologie. „Soziologie als Naturphilosophie“ ist die Überschrift für die Analyse der Schriften von Claude-Henri Saint-Simon, Adolphe Quetelet, Auguste Comte, Émile Durkheim und schließlich der amerikanischen Pragmatisten. Es geht dabei nicht nur um Einflüsse, sondern auch um Schritte in die soziologische Selbständigkeit und Unabhängigkeit – um die Emanzipation der Disziplin. Inwieweit dabei die Dominanz des naturwissenschaftlichen Weltbildes abgestreift und durch ein autonom soziologisches ersetzt wird, ist eine höchst umstrittene und wechselvolle Geschichte.

Kap. 7 ist ursprünglich als abschließendes Kapitel konzipiert gewesen und wendet sich der Soziologie der gesellschaftlichen Ordnung zu. Zentrales Thema ist dabei interessanterweise die Unordnung, die überall um sich greift und vor allem auch von den Naturwissenschaften befeuert wird, da die „Modernisierung des Ordnungsproblems zur Akzeptanz von Unordnung ... sowie zur contingentia führt“ (S. 259). „Erst die Erkenntnis von Unordnung und Chaos in Kosmos und Gesellschaft ist modern“ (S. 259).

Kap. 8 ist ein Exkurs zur aktuellen Debatte über die Rückkehr der Natur in die gegenwärtige Soziologie. Es schließt an Kap. 6 an, das den Gewinn der disziplinären Eigenständigkeit der Soziologie durch die Definition ihres Gegenstandsfeldes der „sozialen Tatsachen“ verfolgt. Gegenwärtig meldet sich – so scheint es – Natur mit Macht zurück und beansprucht in den Akteur-Netzwerk-Theorien Anspruch auf soziale Mitgliedschaft.

Das Buch ist angefüllt mit Material aus Wissenschaftsgeschichte, Kulturgeschichte und soziologischen Modernisierungstheorien. Es erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration, insbesondere bei der Verknüpfung der personenbezogenen Fallstudien und den übergeordneten Theoriekapiteln.

Detailkritik möchte ich nicht üben; selbstverständlich gibt es bei dem großen Bogen, den der Autor spannt, in der Fachwelt umstrittene Interpretationen. Aber durchgängig arbeitet Fischer mit Primärtexten und berücksichtigt die einschlägige Sekundärliteratur angemessen. Fischer gelingt es, die Strahlkraft des „Newtonianismus“ auf die maßgeblichen Sozialphilosophen nachzuweisen und vorzuführen. Nicht prägnant genug ist mir die Bedeutung der Veränderung des Weltbildes von Kopernikus zu Newton und dann im Newtonianismus selbst herausgearbeitet worden. Das neue kopernikanische Weltbild (in seinen Modifikationen bis zu Kepler) konnte als Modell gesellschaftlicher Ordnung dienen und die Metapher des Sonnensystems hatte eine langanhaltende Karriere zur Rechtfertigung absolutistischer Herrschaft. Auch Newton versuchte, die Stabilität des Planetensystems zu berechnen, aber es gelang ihm nur annähernd. Eine Gewährleistung kann aus wissenschaftlicher Sicht nicht erfolgen (und ist bis heute als Vielkörperproblem nicht möglich). Mir erscheint die Relevanz des auf Newton aufbauenden Newtonianismus nun genau darin zu bestehen, dass Gleichgewichtssysteme auf der Basis von elementaren Wechselwirkungen entstehen können, die zwar immer im labilen Gleichgewicht sind, aber doch zeitlichen Bestand haben. Es ist dieser Grundgedanke, der meines Erachtens das naturwissenschaftliche Weltbild prägend werden ließ für die Sozialphilosophie, insbesondere für die entstehende politische Ökonomie und die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft. Der Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung ist – auch nach Fischer – Adam Smith, der sowohl in seiner Moralphilosophie wie in seiner ökonomischen Theorie zu zeigen versuchte, wie aus den elementaren Wechselwirkungen empfindender und handelnder Individuen Systeme (der moralischen Wohlfahrt, des ökonomischen Wohlstands) entstehen, die Bestand haben. Meines Erachtens markiert Fischer nicht deutlich genug diesen Wechsel von einer Top-down-Betrachtungsweise, die auf die mathematische Erklärung der Stabilität eines (Planeten-)Systems zielt, zu einem Bottom-up-Ansatz, der die Entstehung eines Ordnungssystems durch elementare Wechselwirkung erfasst. Fischer sieht zwar diesen Unterschied, aber da er mehr an der Bedeutung der kosmologischen Fragestellung als an der der elementaren Wechselwirkung interessiert ist, sieht er bei Sozialtheoretikern, die hier ansetzen, eher eine Abwendung vom Newtonianismus als dessen Fortsetzung. Adam Smith, eine Schlüsselfigur bei Fischer für die Emanzipation der Sozialwissenschaft von der Naturphilosophie, scheint ihm nur noch über ein Lippenbekenntnis mit dem Newtonianismus verbunden zu sein. Ich stimme dem nicht zu; vielleicht hat Fischer hier die Weiterentwicklung des naturwissenschaftlichen Weltbildes nach Newton nicht hinreichend berücksichtigt. Der Newtonianismus vertrat den universellen Anspruch, die Phänomene der Welt durch die Gesetze der mechanischen Bewegung zu erklären. Dies gelang z. B. bei Flüssigkeiten und Gasen. Aber viele Phänomene widersetzen sich: Licht, Elektrizität, Magnetismus, chemische Anziehung und vor allem Leben ließen sich trotz mancher Modellierungen nicht auf Massenwirkungsgesetze zurückführen. Das mechanistische Weltbild musste daher Federn lassen. Dies ist ein Punkt, den Fischer meines Erachtens nicht hinreichend würdigt. Die Forscher blieben zwar der experimentellen Methode und der Suche nach Kausalgesetzen treu, aber bei der Suche nach den ontologischen Grundlagen für die verschiedenen Phänomenbereiche gingen sie neue Wege. Sie mussten nach Grundbegriffen suchen, die analog zu dem der Masse (aber nicht darauf reduzierbar) eine theoretische Modellierung der Gesetzmäßigkeiten erlauben. Man kann die Naturwissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts über weite Strecken beschreiben als die Suche nach den bereichsspezifischen ontologischen Grundlagen, auf denen Kausalgesetze gefunden werden können. Wenn dies so ist, wäre Fischer nicht darin zu folgen, dass die Sozialphilosophie im 19. Jahrhundert sich vom Paradigma der Naturwissenschaften emanzipierte, sondern eine Emanzipation im Rahmen dieses Paradigmas betrieb. Adam Smith‘ Werk würde dann eher signalisieren, dass – parallel zu den Erfolgen in der Chemie und Biologie – die Suche nach geeigneten ontologischen Domänen und den darin wirkenden Kausalgesetzen Erfolge verzeichnet. Ähnlich interpretiert Fischer Saint-Simon (S. 106), wenn dieser die Funktion der Gravitation in der Natur mit der des Selbst-Interesses in der Gesellschaft analogisiert. Fischer geht nur beiläufig auf Marx ein; auch er liefert ein Modell, dessen Grundbegriffe solche der Gesellschaft sind, ohne jedoch den Rahmen der Natur zu verlassen. Fischer wäre also entgegenzuhalten, dass die Emanzipationsbewegungen der frühen Sozialwissenschaft nicht das System der Naturwissenschaften verlassen, sondern der Positionierung des Sozialen in diesem System dienen. So, wie Chemiker und Biologen ihre eigenständige theoretische Position in den Naturwissenschaften suchen, tun es die frühen Sozialwissenschaftler auch. Fischers Buch gibt dafür zahlreiche Belege, aber unterstellt zugleich, dass Soziologie am Ende keine Naturwissenschaft sein kann. Ob dies wirklich die Position des Autors ist, ist mir nicht ganz klar geworden. Einerseits ist ihm zuzustimmen, dass die Soziologie auf der Suche nach ihrer ontologischen Domäne tatsächlich immer stärker das Naturale als sachfremd ausgegrenzt hat. Sinnhaftes Handeln, Kommunikation, Interaktion und deren Systeme sind in ihren Funktionsweisen unabhängig von naturalen Komponenten zu analysieren: Das hat den Erfolg der Soziologie als Disziplin bewirkt. Jedoch schlägt diese Rücksichtslosigkeit heute zurück, wie Fischer in dem Zusatzkapitel „Natur und Gesellschaft in der Gegenwart“ beschreibt.

Alles in allem ist das Buch ein großangelegter Versuch, die Auswirkungen dessen, was Fischer das naturwissenschaftliche Weltbild nennt, auf die neuzeitliche Sozialphilosophie und die Soziologien in ihrer Formationsphase sichtbar zu machen und analytisch zu durchdringen. Leicht lesbar ist das Buch nicht, aber es ist ein heute selten gewordener Versuch, den Zusammenhang von Natur und Gesellschaft in der neuzeitlichen (Wissenschafts-)Geschichte systematisch zu erfassen. Fischer hat dazu viel Material der Natur- und Sozialphilosophie gesichtet und die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Entwicklung des sozialwissenschaftlichen Denkens sichtbar gemacht.

Online erschienen: 2024-12-05
Erschienen im Druck: 2025-03-05

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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Downloaded on 11.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2024-2062/html?lang=en
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