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Editorial

  • Ingo Schulz-Schaeffer EMAIL logo
Published/Copyright: April 12, 2023
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Der Plan, alle Besprechungsformen, die wir in der Soziologischen Revue nutzen, einmal in einem Editorial zu beleuchten, führt mich in dieser Ausgabe zur Besprechungsform der Doppelbesprechung. In den Hinweisen für Rezensent:innen wird die Doppelbesprechung folgendermaßen charakterisiert: „Es geht darum, die Besprechungen von zwei Büchern miteinander zu verzahnen und aufeinander zu beziehen. Zu Beginn sollte dafür kurz eine übergreifende Perspektive skizziert und zum Schluss ein knappes Resümee formuliert werden.“ Diese Beschreibung platziert die Doppelbesprechung irgendwo zwischen der Einzelbesprechung und der Sammelbesprechung. Wie bei der Einzelbesprechung liegt der Schwerpunkt auf der Besprechung einzelner Bücher. Im Fall der Doppelbesprechung sollen jedoch zwei solche Besprechungen aufeinander bezogen werden. In dieser Hinsicht weist die Doppelbesprechung Ähnlichkeiten mit der Sammelbesprechung auf. Die Sammelbesprechung soll einen Überblick über thematisch zusammengehörige Bücher geben und auf diese Weise Entwicklungen und Problemlagen der jeweiligen soziologischen Forschungsfelder darstellen und kritisch diskutieren. Der Stand der Forschung in dem betreffenden Forschungsfeld, der durch die besprochenen Bücher repräsentiert wird, steht hier im Vordergrund und nicht die einzelnen Bücher. Deshalb heißt es in den Hinweisen für Sammelbesprechungen auch ausdrücklich, dass es nicht um eine Aneinanderreihung mehrerer Einzelbesprechungen geht. Bei der Doppelbesprechung stehen im Gegensatz dazu zwar die beiden besprochenen Bücher durchaus im Vordergrund. Eine Aneinanderreihung soll es aber auch hier nicht werden. Die beiden Bücher sollen vielmehr unter einer übergeordneten Perspektive aufeinander bezogen werden. Dabei ist zunächst offen, also von der Besprechungsform selbst nicht vorgegeben, worin diese übergeordnete Perspektive besteht.

Den Zusammenhang zwischen zwei Neuerscheinungen herzustellen, bleibt den Herausgeber:innen und der Redaktion der Soziologischen Revue überlassen. Aus der Praxis der Zusammenstellung von Doppelbesprechungen lassen sich einige typische Muster ableiten: Ein Muster besteht darin, zwei Bücher eines Autors oder einer Autorin, die in inhaltlichem Zusammenhang zueinander stehen, zu einer Doppelbesprechung zusammenzufassen. Ein Beispiel ist die Doppelbesprechung von Stefan Voswinkel in diesem Heft, der unter der Überschrift „Herrschaft: Wiedergewinnung einer verlorenen Kategorie der Arbeit“ zwei Bücher von Dimitri Mader bespricht, wobei das eine Buch eine kritische Sozialtheorie der Herrschaft präsentiert und das andere Buch diese Herrschaftstheorie auf Formen der Herrschaft in der Lohnarbeit anwendet. Ein anderes Beispiel ist die Doppelbesprechung von zwei Bänden von frühen Schriften von Pierre Bourdieu durch Gunter Gebauer im Heft 44 (2). Ein zweites Muster ist die Zusammenstellung von Büchern über eine bestimmte Autorin oder einen bestimmten Autor zu einer Doppelbesprechung. Beispiele sind die Besprechung von zwei Büchern über Person und Werk von Karl Polanyi durch Gertraude Mikl-Horke im Heft 44 (1) oder die Besprechung von zwei Büchern über Max Weber durch Thomas Schwinn im Heft 44 (4).

Häufiger als diese beiden Muster kommt ein drittes Muster vor. Der Zusammenhang zwischen den Büchern der Doppelbesprechung ist hier die thematische Zusammengehörigkeit. Einige Beispiele aus der letzten Zeit sind: die Besprechung von zwei Büchern über die Inklusion behinderter Menschen im Arbeitsleben durch Siegfried Saerberg Heft 45 (4); die Besprechung von zwei Büchern aus dem Kontext der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule über normative Ordnungen durch Thomas Voss im Heft 45 (3); oder die Besprechung von zwei Büchern zum Strukturwandel der Öffentlichkeit durch Gustav Roßler im Heft 45 (1). Eine Variante dieses Musters ist die Doppelbesprechung von zwei Handbüchern zu einem Thema: etwa die Besprechung von zwei Handbüchern über Armut durch Michael Klundt im Heft 45 (1), von zwei Handbüchern über Biografieforschung durch Reinhold Sackmann im Heft 44 (3) oder von zwei religionssoziologischen Handbüchern durch Silke Gülker in Heft 44 (2).

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen über die Stellung der Doppelbesprechung zwischen der Einzelbesprechung und der Sammelbesprechung ableiten? Nur im Fall der gemeinsamen Besprechung von zwei inhaltlich zusammengehörigen und zeitnah erschienenen Büchern eines Autors oder einer Autorin ähnelt die Doppelbesprechung eher der Einzel- als der Sammelbesprechung. In allen anderen Fällen ist es umgekehrt, und die Doppelbesprechung ähnelt eher der Sammelbesprechung. Für den Fall, dass der Zusammenhang der Bücher einer Doppelbesprechung durch thematische Zusammengehörigkeit gestiftet wird, liegt dies auf der Hand. Aber auch Bücher über bestimmte Autor:innen, insbesondere über Max Weber und andere Klassiker der Soziologie, sind immer wieder Gegenstand von Sammelbesprechungen gewesen. Was sind hier dann die Gründe, Bücher stattdessen für eine Doppelbesprechung vorzusehen? Aus der Praxis der letzten Jahre zu urteilen, während derer ich der Herausgeberschaft der Soziologischen Revue angehöre, spielen hier zwei Faktoren zusammen: das Publikationsaufkommen in einem Themenfeld und die Zeit, die es benötigt, bis genügend Neuerscheinungen in einem Themenfeld zusammengekommen sind. Bei spezifischen Themenzuschnitten mit vergleichsweise geringem Publikationsaufkommen, wie etwa der Inklusion behinderter Menschen im Arbeitsleben, würde es zu lange dauern, um die Publikationen für eine Sammelbesprechung zusammen zu bekommen. Hier fungiert die Doppelbesprechung gleichsam als eine kleine Sammelbesprechung und ermöglicht es, solche Themenfelder dennoch aktuell zu besprechen. Die Alternative wäre, die entsprechenden Bücher einem größeren Themenfeld zuzuschlagen, in dem eben angeführten Beispiel etwa der Arbeitssoziologie. Dort aber würde der spezifische Themenzuschnitt, den die Doppelbesprechung ermöglicht, nicht gleichermaßen zur Geltung kommen können. Viele der Doppelbesprechungen in der Soziologischen Revue – auch in den oben angeführten Beispielen – repräsentieren in der einen oder anderen Weise solche spezifische Themenzuschnitte und füllen damit eine Lücke zwischen der Einzelbesprechung und der Sammelbesprechung. Aber auch bei Forschungsfeldern mit einem größeren Publikationsaufkommen bleibt die Sammelbesprechung die langsamere Besprechungsform. Hier bietet sich die Doppelbesprechung von Handbüchern als eine gute Möglichkeit an, besonders zeitnah über Entwicklungen eines Forschungsfeldes zu informieren.

Zu ergänzen ist, dass die Doppelbesprechung zu den jüngeren Besprechungsformen in der Soziologischen Revue zählt. Soweit ich sehen kann, erschien die erste Doppelbesprechung 2004 im dritten Heft des 27. Jahrgangs unserer Zeitschrift. Es war dies das vierte Jahr der geschäftsführenden Herausgeberschaft von Richard Münch. In den ersten drei Jahren seiner geschäftsführenden Herausgeberschaft finden sich noch keine Doppelbesprechungen. Auch nicht in den vorangehenden vier Jahren der geschäftsführenden Herausgeberschaft von Gert Schmidt von 1997 bis 2000. Und auch in den ersten zwanzig Jahrgängen der Soziologischen Revue finden sich einer stichpunktartigen Überprüfung zufolge keine Doppelbesprechungen. Jene erste Doppelbesprechung in der Soziologischen Revue aus dem Jahr 2004 stammte übrigens von Andreas Lange und befasste sich mit zwei Sammelbänden zur soziologischen Glücksforschung. In den anschließenden Jahrgängen entwickelte sich die Doppelbesprechung zu einer regelmäßig verwendeten Besprechungsform. In den vier Jahren der geschäftsführenden Herausgeberschaft von Werner Rammert von 2006 bis 2009 erschienen insgesamt fünf Doppelbesprechungen. In den sechs Jahren der geschäftsführenden Herausgeberschaft von Uwe Schimank von 2010 bis 2015 waren es insgesamt bereits 38 Doppelbesprechungen. Und auch die insgesamt 13 Doppelbesprechungen der vergangenen beiden Jahrgänge der Soziologischen Revue sprechen dafür, dass die Doppelbesprechung ihren festen Platz zwischen der Einzel- und der Sammelbesprechung gefunden hat.

Online erschienen: 2023-04-12
Erschienen im Druck: 2023-05-31

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 11.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2023-2013/html
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