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Jack Watling/Nick Reynolds: Russian Military Objectives and Capacity in Ukraine Through 2024. London: Royal United Services Institute, Februar 2024

Published/Copyright: June 8, 2024

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Jack Watling / Nick Reynolds: Russian Military Objectives and Capacity in Ukraine Through 2024. London: Royal United Services Institute, Februar 2024


Dieser Kurzbeitrag erschien auf der Webseite des RUSI. Er liefert eine Vielzahl von Hinweisen zu den russischen Stärken, Verlusten und den Fähigkeiten Russlands, Verluste wieder auszugleichen. Er beginnt mit der Feststellung, dass das russische Militär zu Beginn des Jahres 2023 mit einer hochgradig unorganisierten Truppe in der Ukraine stand und etwa 360.000 Soldaten umfasste. Bis zum Beginn der ukrainischen Offensive im Juni 2023 sei die Zahl der Soldaten auf 410.000 angewachsen. Diese seien seither aber immer besser organisiert. Im Sommer 2023 habe Russland Ausbildungsregimenter entlang der Grenze und in den besetzten Gebieten aufgestellt und nach der Meuterei der Wagner-Truppen versucht, seine Einheiten zu standardisieren und den bisherigen Trend zu Privatarmeen zu durchbrechen. Zu Beginn des Jahres 2024 umfasste die russische Operationsgruppe der Streitkräfte in den besetzten Gebieten etwa 470.000 Soldaten.

Die russischen Streitkräfte, so die Autoren, seien oberhalb der Bataillonsebene zur traditionellen sowjetischen Schlachtordnung von Regimentern, Divisionen und Armeen mit kombinierten Waffen zurückgekehrt. Unterhalb der Ebene des Regiments habe es aber erhebliche Veränderungen gegeben. Bataillone seien als Linien- und Sturmbataillone organisiert und operierten in der Regel in Kompaniegruppen, die in kleinen, verstreuten Abteilungen kämpfen. Dies spiegele nicht nur die Anpassung an die Bedingungen auf dem Schlachtfeld wider, sondern auch den Mangel an ausgebildeten Offizieren, die in der Lage wären, größere Formationen zu koordinieren. Die russischen Streitkräfte versuchten derzeit, diesen Mangel auszugleichen, indem erhebliche Teile der russischen Nachwuchsoffiziere befördert würden und eine komprimierte Offiziersausbildung erhalten.

Die russische Truppengruppe erleide weiterhin erhebliche Verluste, werde aber dennoch immer größer. Das russische Militär sei in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen, die die Integrität der Frontlinie garantieren. Einheiten können in der Regel rotiert werden, sobald sie bis zu 30 Prozent Verluste erlitten haben – der Punkt, an dem sie als ineffektiv eingestuft werden – und dann regeneriert werden. Obwohl derzeit keine groß angelegte Offensive stattfinde, hätten russische Einheiten die Aufgabe, kleinere taktische Angriffe durchzuführen, die der Ukraine zumindest stetige Verluste zufügen und es den russischen Streitkräften ermöglichen sollen, Stellungen zu erobern und zu halten. Auf diese Weise hielten die Russen einen konstanten Druck auf eine Reihe von Punkten aufrecht. Obwohl das Ziel des russischen Militärs, die Größe auf 1,5 Millionen Soldaten zu erhöhen, nicht verwirklicht wurde, erreichen die Rekrutierer derzeit fast 85 Prozent der ihnen zugewiesenen Ziele für die Rekrutierung von Truppen für den Kampf in der Ukraine. Der Kreml glaube daher, dass er die derzeitige Fluktuationsrate bis 2025 aufrechterhalten könne.

Was die Kampfausrüstung betrifft, so verfüge die russische Gruppe der Streitkräfte derzeit über etwa 4.780 Rohrartilleriegeschütze, von denen 20 Prozent selbstfahrend sind. Hinzu kämen 1.130 Mehrfachraketenwerfer (MLRS), 2.060 Kampfpanzer und 7.080 weitere gepanzerte Kampffahrzeuge, die hauptsächlich aus MT-LBs, BMPs und BTRs bestehen. Diese würden weiterhin von 290 Hubschraubern, davon 110 Kampfhubschrauber, und 310 Kampfflugzeugen unterstützt. Die Einsatzfähigkeit dieser Waffen sei aber aufgrund von Munitionsengpässen begrenzt. Das gelte insbesondere für 220-mm-Mehrfachraketenwerfersysteme (MLRS) und 152-mm-Munition. Die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe sei durch den Mangel an Piloten mit ausreichender Erfahrung eingeschränkt. Die Verluste der russischen Flugzeugbesatzung – einschließlich der Betreiber der abgeschossenen Il-20 Coot und A-50U Mainstay – beliefen sich mittlerweile auf 159 Besatzungsmitglieder, was einen ernsthaften Verlust an Fähigkeiten bedeute. Dennoch seien die russischen Luftstreitkräfte weiterhin in der Lage, mit Abstandsmunition Wirkungen zu erzielen.

Die Verfasser schätzen, dass die Qualität der russischen Streitkräfte zwar wahrscheinlich nicht steigen werde, solange die ukrainischen Streitkräfte ein erhebliches Maß an Abnutzung aufrechterhalten können. Die Russen würden aber in der Lage sein, das gesamte Jahr 2024 über ein konstantes Angriffstempo aufrechtzuerhalten.

Was die Fähigkeit der russischen Industrie zur Unterstützung des laufenden Betriebs betrifft, so weisen die Verfasser darauf hin, dass Russland seine Verteidigungsindustrie erheblich mobilisiert habe. Zu diesem Zweck sei die Zahl der Schichten erhöht worden. Außerdem würden die Produktionslinien in bestehenden Anlagen erweitert sowie zuvor eingemottete Werke wieder in Betrieb genommen. Diese Maßnahmen hätten zu deutlichen Steigerungen der Produktionsleistung geführt. So liefere Russland etwa 1.500 Panzer pro Jahr an seine Streitkräfte sowie etwa 3.000 gepanzerte Kampffahrzeuge verschiedener Typen aus. Auch die russische Raketenproduktion sei gestiegen. Zu Beginn des Jahres 2023 hätte die russische Produktion von ballistischen Raketen vom Typ Iskandr 9M723 nur sechs pro Monat betragen, bei einem verfügbaren Raketenbestand von 50 Stück. Seit dem Sommer 2023 habe Russland jeden Monat eine beträchtliche Anzahl dieser Raketen eingesetzt, und verfüge nunmehr dennoch über einen Bestand von fast 200 ballistischen Raketen des Typs Iskandr 9M723 und habe auch den Bestand an Marschflugkörpern des Typs 9M727 erhöht. Ein ähnliches Bild sei bei anderen Raketentypen wie der Kh-101 zu beobachten.

Trotz dieser Errungenschaften sehe sich Russland mit erheblichen Einschränkungen in Bezug auf die Langlebigkeit und Zuverlässigkeit seiner Waffensysteme konfrontiert. Von den Panzern und anderen gepanzerten Kampffahrzeugen seien etwa 80 Prozent keine Neuproduktion, sondern würden aus russischen Kriegsbeständen generalüberholt und modernisiert. Anhand der Bestände an eingemotteten Waffensystemen ließe sich kalkulieren, dass Russland zwar bis 2024 eine konstante Produktion aufrechterhalten könne, aber ab 2025 würde der Aufwand zur Wiederherstellung alter Systeme enorm ansteigen und bis 2026 würde der größte Teil der verfügbaren Bestände erschöpft sein.

Eine weitere Schwachstelle für Russlands komplexe Waffen wie Raketen sei die weitgehende Abhängigkeit von westlichen Komponenten bei der Herstellung. Obwohl Russland aufgrund des inkohärenten und laschen Ansatzes der westlichen Staaten bei den Sanktionen eine stetige Versorgung mit den notwendigen Komponenten aufrechterhalten habe, könnte ein kohärenterer Ansatz zur Bekämpfung der russischen Rüstungsindustrie die Versorgungslinien unterbrechen.

Die vielleicht gravierendste Einschränkung für Russland sei jedoch die Munitionsherstellung. Um sein Ziel zu erreichen, im Jahr 2025 erhebliche Gebietsgewinne zu erzielen, habe das russische Verteidigungsministerium den industriellen Bedarf für die Herstellung oder Beschaffung von etwa 4 Millionen 152-mm- und 1,6 Millionen 122-mm-Artilleriegranaten im Jahr 2024 angesetzt. Die russische Industrie habe dem Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass sie voraussichtlich die 152-mm-Produktion von rund 1 Million Schuss im Jahr 2023 auf 1,3 Millionen Schuss im Laufe des Jahres 2024 steigern und im gleichen Zeitraum 800.000 122-mm-Patronen produzieren könne. Darüber hinaus glaube das russische Verteidigungsministerium nicht, dass es die Produktion in den folgenden Jahren signifikant steigern könne, es sei denn, es werden neue Fabriken errichtet und in die Rohstoffgewinnung mit einer Vorlaufzeit von mehr als fünf Jahren investiert.

Das bedeute, so die Verfasser, dass Russland kurzfristig seine verbleibenden 3 Millionen Schuss gelagerter Munition weiter abziehen müsse, obwohl sich ein Großteil davon in einem schlechten Zustand befindet. Um die Engpässe weiter auszugleichen, habe Russland Liefer- und Produktionsverträge mit Belarus, Iran, Nordkorea und Syrien abgeschlossen. Der Zufluss von rund 2 Millionen 122-mm-Geschossen aus Nordkorea werde Russland zwar im Jahr 2024 helfen, aber einen erheblichen Mangel an verfügbarer 152-mm-Munition im Jahr 2025 nicht ausgleichen. Die gesamte russische Artillerieproduktion werde sich wahrscheinlich bei 3 Millionen Schuss pro Jahr aller Art einpendeln – einschließlich MLRS.

Die Verfasser gehen davon aus, dass die russische Siegestheorie plausibel sei, sofern die internationalen Partner der Ukraine die Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte einstellten. Sofern die Partner der Ukraine deren Streitkräften jedoch weiterhin ausreichend Munition und Ausbildungsunterstützung zur Verfügung stellten, um die Abschwächung russischer Angriffe im Jahr 2024 zu ermöglichen, dann sei es unwahrscheinlich, dass Russland im Jahr 2025 nennenswerte Gewinne erzielen wird. Wenn Russland im Jahr 2025 keine Aussicht auf Gewinne habe, werde es nicht in der Lage sein, Kiew bis 2026 zur Kapitulation zu zwingen. Nach 2026 werde die russische Kampfkraft erheblich nachlassen, insbesondere dann, wenn die Zufuhr westlicher Technologien stärker verhindert werden kann.

Dieser Beitrag gibt ein realistisches Bild der russischen Stärken und Schwächen und ist gerade für die deutsche Debatte wichtig, in der es immer wieder Stimmen gibt, die von einer unüberwindlichen Militärmacht Russlands ausgehen.

https://www.rusi.org/explore-our-research/publications/commentary/russian-military-objectives-and-capacity-ukraine-through-2024

Online erschienen: 2024-06-08
Erschienen im Druck: 2024-06-06

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

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  24. Bildnachweise
Downloaded on 10.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2024-2010/html
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