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Eugene Rumer and Richard Sokolsky: Thirty Years of U.S. Policy Toward Russia: Can the Vicious Circle Be Broken? Washington, D.C.: The Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2019

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Veröffentlicht/Copyright: 20. November 2019

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Rumer Eugene Sokolsky Richard Thirty Years of U.S. Policy Toward Russia: Can the Vicious Circle Be Broken? Washington, D.C The Carnegie Endowment for International Peace Juni 2019


Der Einstieg in die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland klingt vielversprechend. Seit fast dreißig Jahren, schreiben Rumer und Sokolsky, bemühten sich aufeinanderfolgende Regierungen in Washington um eine nachhaltige Politik gegenüber Russland. Während dieser Zeit seien die russisch-amerikanischen Beziehungen einem „Boom-Bust“-Zyklus gefolgt: Eine neue Regierung konstituiere sich in Washington. Diese sei mit dem Stand der Beziehung unzufrieden und verspreche, es besser zu machen. Sie beginne mit einer Überprüfung der Russland-Politik, die zu einem „Neustart“ (Reset) zur Entwicklung einer gedeihlichen Partnerschaft führen solle. Darauf folgten einige entsprechende Maßnahmen und eine Phase des Optimismus mit der Ansicht, dass sich die Beziehungen tatsächlich substantiell verbessern würden. Wegen weiterbestehender oder neu aufgeworfener Probleme weicht jedoch allmählich der Optimismus dem Pessimismus. Am Ende der jeweiligen Amtszeit der Regierung befänden sich dann die Beziehungen auf einem tieferen Stand als zuvor und derzeit seien diese auf dem tiefsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges angelangt.

Rumer und Sokolsky sichern sich gegen zu erwartende Kritik an ihren nachfolgenden Ausführungen ab, wenn sie zugeben, dass Russland mit seinen „zerstörerischen“ und oft „schurkenhaften“ Handlungen einen großen Teil der Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen trage. Dann jedoch liest sich diese Studie wie das sattsam bekannt Narrativ des Kremls. Die US-amerikanischen Regierungen der letzten 30 Jahre werden auf die Anklagebank gesetzt. Die US-Politik gegenüber Russland habe wichtige Faktoren des Landes wie seine Geschichte, Kultur, Geografie und Sicherheitsanforderungen, „so, wie Moskau sie sieht“, ignoriert. Seit drei Jahrzehnten verfolgten nacheinander die US-amerikanischen Regierungen dieselbe unrealistische Politik. Zwei Fehlansätze seien dabei besonders hervorzuheben.

Erstens: Trotz der Tatsache, dass der Kreml Demokratieförderung in und um Russland als Bedrohung der inneren Stabilität des Landes ablehne, hätten sich die US-amerikanischen Regierungen geweigert, Russland für das zu akzeptieren, was es ist. Sie hätten wiederholt die Fähigkeit der USA übertrieben, auf Entwicklungen in Russland Einfluss zu nehmen. Wenn sich Moskau dagegen wehrte, anstatt seine Einwände zu berücksichtigen, hätte Washington sein angebliches Recht und seine Verantwortung bekräftigt, Russland und seinen Nachbarn beizubringen, wie sie mit ihren Angelegenheiten umzugehen hätten.

Zweitens: Die US-amerikanischen Regierungen hätten darauf bestanden, dass die NATO die einzig legitime Sicherheitsorganisation für Europa und Eurasien sei. Sie hätten die Tatsache beiseitegeschoben, dass die Ausweitung der euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur auf den eurasischen Raum in Moskaus Augen eine Bedrohung der Sicherheit Russlands darstelle.

Was also sei Rumer und Sokolsky zufolge zu tun? Insgesamt müsste ein „zurückhaltenderer“ Umgang mit Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion an den Tag gelegt werden. Im Einzelnen gehörten dazu die folgenden „Anpassungen“:

  • Die Interessen der USA gegenüber Russland müssten priorisiert werden. Washington müsste sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf die nuklearen Beziehungen und die strategische Stabilität.

  • Es sollte „den Russen“ überlassen werden, Russlands innere Angelegenheiten zu „entwirren“.

  • Die Osterweiterung der NATO sollte gestoppt werden und das Atlantische Bündnis sollte sich wieder auf seine Kernmission konzentrieren, die kollektive Verteidigung.

  • Der Ukraine und Georgien sollte klargemacht werden, dass sie ihre Außenpolitik nicht auf die Annahme stützen sollten, dass sie der NATO beitreten werden; allerdings sollten „robuste Programme der Sicherheitskooperation“ mit ihnen aufrechterhalten werden.

  • Die Sanktionspolitik gegenüber Russland sollte überdacht und in dieser Frage „mehr Zurückhaltung“ geübt werden.

Die Autoren folgen damit im Wesentlichen dem vom Kreml und westlichen Putin- und Russland-„Verstehern“ entwickelten Interpretationsmuster, demzufolge die Politik Moskaus seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine verständliche und eigentlich voraussagbare Reaktion auf US-amerikanische Anstrengungen sei, Russland „einzukreisen“ und „auf die Knie zu zwingen“. Die entscheidenden innenpolitischen Bestimmungsfaktoren der russischen Außen- und Sicherheitspolitik bleiben dabei ausgeklammert. Das trifft auch auf die Frage zu, wie es denn kommt, dass Russland, sei es nun das zaristische oder das Russland in seiner sowjetischen Verfassung, immer wieder – meist relativ kurze – Reformperioden mit liberalen und demokratischen Einschlägen durchlebt und dann in der einen oder anderen Form zur Triade von Orthodoxie (pravoslavie), Autokratie (samoderžavie) und Volkstum (narodnost’) zurückkehrt.

Nur andeutungsweise findet man bei den Autoren eine Annäherung an innenpolitische Determinanten der Außenpolitik des Systems Putin, Hinweise auf das Primat der Innenpolitik sowie auf die vom Kreml so gesehenen Notwendigkeiten des Machterhalts. “The Russian leaders”, schreiben sie ganz richtig, “rely on anti-Americanism to legitimize their unpopular policies with domestic audiences.” Mit anderen Worten: Außenpolitik wird für Zwecke des innenpolitischen Machterhalts instrumentalisiert.

Die Diagnose der Gründe für den „Teufelskreis“ in den russisch-amerikanischen Beziehungen und die von den Autoren angebotenen „Anpassungen“, um ihn zu durchbrechen, ist vor allem in Anbetracht des curriculum vitae des Co-Autors Eugene Rumer erstaunlich. Vor seiner Ernennung zum Direktor des Programms für Russland und Eurasien am Carnegie Endowment war er zwei Jahre (2010–2014) für diesen geografischen Bereich als National Intelligence Officer beim US-amerikanischen National Intelligence Council verantwortlich. Co-autor Sokolsky wird als Nonresident Senior Fellow des Carnegie-Programms angegeben. Die Studie bestätigt die Putin-freundliche Grundtendenz des in Washington angesiedelten Carnegie Endowments und seiner Leitung, die oft im Gegensatz zu dem steht, was Forscher des Carnegie Moscow Centers schreiben.

https://carnegieendowment.org/2019/06/20/thirty-years-of-u.s.-policy-toward-russia-can-vicious-circle-be-broken-pub-79323

Published Online: 2019-11-20
Published in Print: 2019-12-01

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Zivil-militärische Stabilisierung als Handlungsfeld im internationalen Krisenmanagement – eine Bilanz
  6. Peacekeeping Labor Mali: Deutschland und der MINUSMA Einsatz
  7. Lehren aus deutschen Krisenengagements gibt es reichlich – aber auch Lernfortschritte?
  8. Weit genug gedacht? Drei Jahre PeaceLab im Rückblick
  9. Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration: Ein unzureichend genutztes Instrument der Diplomatie im Jemen
  10. Ergebnisse internationaler strategischer Studie
  11. Internationale Stabilisierungsoperationen und Wiederaufbauprogramme
  12. Saskia Brechenmacher: Stabilizing Northeast Nigeria After Boko Haram. Washington, D.C: Carnegie Endowment for International Peace, Mai 2019
  13. Anthony Cordesman: The State of Fighting in the Afghan War in the Mid of 2019. Washington, D.C.: CSIS, August 2019
  14. Anthony Cordesman: Creating a real peace in Afghanistan. Washington, D.C.: CSIS: Juli 2019
  15. Michael O’Hanlon: Afghanistan after Mattis. A Revised Strategy to focus on Counterterrorism and the Afghan Security Forces. Washington, D.C.: Brookings Institution, Januar 2019.
  16. Seth G. Jones/Danika Newlee/Nicholas Harrington/Joseph S. Bermudez Jr.: Iran’s Threat to Saudi Critical Infrastructure: The Implications of U.S.-Iranian Escalation. Washington, D.C.: CSIS, August 2019
  17. Geo-ökonomische Trends
  18. Aaron Milner/Erol Yayboke (2019) (Eds.): Beyond Technology. The Fourth Industrial Revolution in the Developing World, Washington, D.C.: CSIS, Mai 2019
  19. Peter E. Harrell/Elizabeth Rosenberg: Economic Dominance, Financial Technology, and the Future of U.S. Economic Coercion. Washington, D.C.: Center for a New American Security, April 2019
  20. Joshua P. Meltzer/Neena Shenai: The US-China economic relationship. A comprehensive approach. Washington, D.C.: The Brookings Institution, Februar 2019
  21. Beziehungen zu Russland
  22. Eugene Rumer and Richard Sokolsky: Thirty Years of U.S. Policy Toward Russia: Can the Vicious Circle Be Broken? Washington, D.C.: The Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2019
  23. Peter B. Zwack/Marie-Charlotte Pierre: Russian Challenges from Now into the Next Generation: A Geostrategic Primer. Washington, D.C. Institute for National Strategic Studies der National Defense University, Dezember 2018
  24. Europäische Verteidigungspolitik
  25. Emmanuelle Maitre: The Franco German Tandem. Bridging the Gap on Nuclear Issues. Paris: IFRI, Januar 2019
  26. Élie Tenenbaum: The Strategic Role of Land Forces: A French Perspective. Paris: IFRI, Juli 2019
  27. Nichtverbreitungspolitik
  28. Taisuke Mibae/James L. Schoff: Diplomacy Surrounding the Korean Peninsula and the Future of US Forces in Northeast Asia. Washington, D.C.: The Atlantic Council, Juni 2019
  29. Richard H. Speier/George Nacouzi/Carrie A. Lee/Richard M. Moore: Hypersonic Missile Proliferation. Hindering the Spread of a New Class of Weapons. Santa Monica, CA: RAND Corp., 2017
  30. China und die Welt
  31. Heribert Dieter: Chinas Verschuldung und seine Außenwirtschaftsbeziehungen. Peking exportiert ein gefährliches Modell. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2019
  32. Robert O. Work/Greg Grant: Beating the Americans at their Own Game. An Offset Strategy with Chinese Characteristics. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Juni 2019
  33. Buchbesprechungen
  34. Joel D. Rayburn/Frank Sobchak (Hrsg.): The U.S. Army in the Iraq War. Carlisle PA: United States Army War College Press, 2019, 2 Bände, 696 und 668 Seiten
  35. Benjamin Schreer / Andrew T. H. Tan (Hrsg.): Terrorism and Insurgency in Asia: A contemporary examination of terrorist and separatist movements. 256 Seiten, Milton Park, Abingdon und New York: Routledge 2019
  36. Ajey Lele: Strategic Technologies for the Military: Breaking New Frontiers. London: Sage Publ. 2019, 220 Seiten.
  37. Bildnachweise
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